Maybrit Illner
Ich war vorhin beim ZDF. [Nachtrag 2]
ARD und ZDF haben heute ihr Abendprogramm geändert und es mit Sondersendungen und Talkshows zugepflastert. Weil ich noch auf der Mailingliste der Kartenverkäufer stehe, ist mir vorhin gegen halb sieben eine Sondermail von denen aufgefallen, in der sie – untypisch kurz und nur Text, Zweizeiler statt der üblichen graphisch fett aufbereiteten Werbeseite:
Sehr geehrte Kunden.
Aufgrund der ungeheuerlichen Anschläge gestern in Paris, findet aus diesem Anlass heute ein ZDF Spezial im Hauptstadtstudio statt.
Kostenlose Tickets erhalten Sie unter:http://…
Wir bitten bei der Registrierung vor Ort um die Vorlage eines gültigen Personalausweises.
Offenbar sehr eilig und kurzfristig, die Karten kostenlos, denen pressiert’s, das Studio vollzukriegen. Ich habe ja nach meinem Umzug nach Berlin schon ein paar Talkshows besucht und beschrieben, wie bemüht die immer sind, die Studios besetzt zu bekommen und notfalls die Freunde und Verwandten ihrer Mitarbeiter zusammentrommeln und ins Studio setzen. Man merkt da schon, dass man da eigentlich nur Verfügungsvieh, unbezahlter Statist ist, nur dazu da, der Kamera ein hübsches Hintergrundmuster zu liefern. So blöd, dafür noch Eintritt zu zahlen, war ich nur am Anfang. Nachdem sie mich aber mal verarscht und mir nach drei Stunden (gemessen seit Abfahrt zuhause) verkündet haben, dass sie sich mit den Stühlen verzählt haben und keinen mehr reinlassen, wollte ich da eigentlich auch nicht mehr hin. Weil das jetzt aber erstens sehr kurzfristig war, zweitens in meiner Nähe, drittens Otto ausgefallen ist und ich viertens heute noch nicht aus der Bude rausgekommen bin, dachte ich mir, ach, warum eigentlich nicht, und bin mal hin. Dass Heiko Maas an der Diskussion teilnahm tauchte erst auf der Webseite auf, als ich das Ticket schon hatte. Den haben sie auch erst ganz kurzfristig aufgetrieben.
Kam dann dort etwas verschwitzt an. Ich hatte nämlich noch von ca. 19:00 bis 20:20 verschiedene Nachrichten- und Sondersendungen gesehen und dabei auch eine Ansprache von ZDF-Hauptstadtstudio-Chefin Bettina Schausten gesehen, in der sie direkt vor dem ZDF-Studio am Brandenburger Tor stand. Dicker Mantel, dicker Schal, Handschuhe. Weil ich heute selbst kaum und nur ganz kurz draußen war, hatte ich kein Wettergefühl entwickelt und gedacht, oh, da scheint’s zum Abend kalt geworden zu sein, und habe mir noch einen Pullover angezogen. War aber fast lauwarm, der Pulli war viel zu warm, schon die Jacke hätt ich kaum gebraucht. Jo, dachte ich mir, Darstellung im ZDF und Realität sind zweierlei, da muss man alles selbst prüfen.
Drinnen angekommen wurde gleich der Personalausweis geprüft. (Worauf eigentlich? Haben Terroristen keine Ausweise? Oder wurden die Anmeldelisten vorab geprüft?) Und der Hinweis gegeben, dass ich mir an der Bar ein kostenloses Getränk holen könnte. Fein. Dann mal los. Da stand ein etwas überrumpelter, aber netter Mensch und erklärte mir, dass er mir Wasser anbieten könnte oder einen Orangensaftschorle mixen könnte. Ich hab’s nicht abwarten können und nach …saft… schon „Orangensaft bitte” gesagt, bevor er bei „…schorle” angekommen war. Er guckte etwas bedröppelt und schenkte mir in einem Plastikbecher so zwei Finger hoch Orangensaft ein, kaum die Hälfte des Bechers. Ich muss wohl etwas irritiert geguckt haben, denn er entschuldigte sich, dass sie improvisieren müssten, sie hätten das erst nach 16:00 erfahren, dass sie eine Sendung machen, und hätten nicht genug Getränke. Deshalb wurde der Orangensaft eigentlich nur als Schorle ausgegeben und homöopathisch verdünnt, und weil ich ihn trampelhafterweise pur bestellt hatte, bekam ich da zwei Esslöffel voll. Macht ja nichts, ich hatte auch was dabei und man soll ja vorher eh nicht soviel trinken, damit man während der Sendung nicht raus muss. Zeigt aber auch, wie kurzfristig das anberaumt war. Und wer hätte schon damit rechnen können, dass ausgerechnet das öffentlich-rechtliche Fernsehen aus dem Hauptstadtstudio unangekündigte Sondersendungen zu unvorhergesehenen politischen Lagen produzieren sollte, also damit konnte man ja nun wirklich niemand rechnen, und da man sich den Orangensaft natürlich stets just-in-time anliefern lässt, ging das natürlich schief. Sei’s drum, bedeutungslos, amüsanter Kleinkram (oh, ich liebe das, über diese bedeutungslosen Kleinigkeiten zu schreiben. 🙂 )
Dann hatten sie auch ungewöhnlich sorgfältige Sicherheitskontrollen vor dem Studio. Dass man abgesondet wird, ist in Ordnung. Aber noch nie zuvor habe ich es erlebt, nicht mal in Kernkraftwerken oder bei der US-Regierung, dass ich nach der Kontrolle noch zu einem separaten In-den-Geldbeutel-Gucker geschickt werde, damit der mir in den Geldbeutel guckt. Er hatte an meinem Geldbeutel trotz spürbaren Missfallens nichts auszusetzen, tadelte aber den Besitz eines Schlüsselbundes, und wies mich an, ich möge es unterlassen, in der Sendung damit zu werfen. (Mal angenommen, jemand führte solcherlei Unterfangen im Schilde, würde er sich von dieser Ermahnung abhalten lassen?) Zuvor hatten sie sich aber bereits entschuldigt, dass sie heute aus offenkundigem Anlass besonders gründlich untersuchen müssten.
Eine Frage stellt sich aber: Warum machen sie das dann überhaupt?
Dass die ständig und wie die Bekloppten Talkshows senden, ist bekannt und stört, aber bisher dachte ich, die machen das, weil ihnen nichts besseres einfällt, weil die Politik das so will, weil sich da einige goldene Nasen verdienen. Weil’s ihnen Spaß macht. Weil sie’s jede Woche machen.
Nur: Das trifft ja alles auf die heutige Sendung nicht zu.
Dass man Sondersendungen über die Situation bringt, von vor Ort berichtet, ist ja alles in Ordnung und angemessen.
Aber eine Sondertalkshow? Eine Nottalkshow? Dringend erforderliche Belanglosigkeiten?
Wozu soll das gut sein?
Drinnen angekommen wurde ich dann – wie das in solchen Sendungen immer passiert – platziert. Man darf sich nicht setzen, wo man will, sondern wird irgendwo hingepflanzt. Sie haben das übrigens auch erklärt: Weil sie nämlich verhindern wollen, dass irgendwelche Gruppen von irgendwelchen Parteien kommen und da im Pulk klatschen, werden Leute, die zusammen kommen, nicht zusammen gesetzt.
Mir ist aber noch etwas anderes – wieder einmal – aufgefallen: In die ersten zwei Sitzreihen, und das sind die, die man im Hintergrund sieht, wenn die Studiogäste gezeigt werden, setzen sie nur gutaussehende, fast nur junge und vor allem überwiegend weibliche Zuschauer hin. Mich haben sie in die letzte Reihe zu den Alten, Hässlichen und Dicken gesetzt. Von wegen „Bei ARD und ZDF sitzen Sie in der ersten Reihe…”
Hähä, da macht das ZDF ständig und überall auf Political Correctness, sendet „Dr. Klein” und den ganzen Mist, und da machen sie dann Sexism, Ageism, Lookism,…
Zur Sendung selbst: Ach, gibt nicht viel zu sagen, schaut einfach in die Mediathek. Lohnt sich aber nicht so wirklich. Sie haben meines Erachtens nichts Neues oder nichts Wichtiges gesagt, mehr so allgemeine Erkenntnisse. Auch das wirft die Frage auf, warum sie eigentlich so unbedingt eine Talkshow machen, wenn sie doch eigentlich nichts Neues zu sagen haben. Am aufschlussreichsten und interessantesten fand ich Yassin Musharbash, der da wirklich was zum Islam sagen konnte, was aber weder aktuell war, noch einer Sondersendung bedurft hätte. Maas hat mal wieder politische Statements abgelassen, was man nicht dürfe.
Wozu also das ganze?
Nur Füllstoff, weil man Otto und das Sportstudio hatte ausfallen lassen?
Drei Dinge sind mir dabei aufgefallen.
Das erste ist (und das ist mir bei den anderen Talkshows schon aufgefallen), wie da Stimmung und Meinung gesteuert und geführt werden. Es ist nicht so, dass da einer ein Schild hochhält, sondern irgendwer fängt als Animateur einfach an zu klatschen und die Herde macht mit. Und es sind ja genug Leute vom Sender im Publikum. Heute ist es übrigens mal passiert, dass einer es versucht und es nicht funktioniert hat. Dafür habe ich es mal wieder ausprobiert. Als der General sagte, dass ein Staat sich auch schützen müsste, hatte ich Beifall erwartet, es kam aber keiner (die Animateure wollten da wohl nicht). Weil er dann aber inhaltlich nachgesetzt hat, hab ich dann einfach mal angefangen, laut zu klatschen – und die machen mit. Mir ging’s gar nicht so sehr um die Ausssage als solche, sondern um das Experiment, ob man Leute, von denen wirklich keiner klatscht und Totenstille herrscht, doch dazu bringen kann, zu klatschen. Man kann. (Hatte ich in irgendeiner anderen Talkshow schon mal probiert, hat da auch funktioniert.) Die Leute machen einfach mit, wenn man ihnen eine Meinung vorlegt.
Das zweite, was mir aufgefallen ist, sind die drei Frauen mittleren Alters, die neben mir saßen. Eigentlich waren da nur zwei, und für das ZDF reservierte Stühle, aber für sie hat man die Schilder entfernt und einen dritten Stuhl aufgebaut. Und dann haben die ständig, alle paar Minuten, angefangen zu quatschen. Setzen sich in eine Livesendung und quatschen unentwegt. Mich nervt das enorm, wenn auf Vorträgen und solchen Veranstaltungen die Leute vor, neben oder hinter mir quasseln. Zweimal hatte ich sie gebeten, Ruhe zu geben. Interessierte die nicht. Als wir nach der Sendung dann rausgingen, habe ich die mal gefragt, ob das so schwer wäre, mal eine Stunde lang die Klappe zu halten und zuzuhören. Oh, haben die sich aufgeregt, was für eine Unverschämtheit das wäre. Find ich drollig: Sie stören permanent, halten das aber für normal und selbstverständlich. Fühlt man sich von ihnen aber gestört, ist das eine Unverschämtheit. Das ist so der neue Frauentyp, der sich dann wundert, warum keiner sie mag. Die Leute, die man als Kind nicht mehr erzogen hat, antiautorität und sowas. Aber aufschlussreich war’s, denn das war wieder mal das, was ich schon so oft beschrieben habe (beispielsweise von der Fotosafari in Namibia bei den wilden Löwen): Höhere Priorität als alles andere, egal wie wichtig, hat bei vielen Leuten – vor allem und sehr weit überwiegend bei Frauen – die Emotionalsynchronisation. Die sind permanent am Quasseln (der Informatiker würde sagen, senden Broadcast oder Multicast-Mitteilungen) über ihren Gefühlszustand, um sich mit den anderen auf ein gemeinsames Gemüt zu verständigen. Und das haben die hochintensiv gemacht: Wenn vorne was gesagt wurde, mussten die sich sofort drauf einigen, wie und auf welche Weise sie das emotional verkraften, Hauptsache zusammen. Viel wichtiger, als was gesagt wurde, war, dass sie sich dabei gleich fühlen und das dazu per kontinuierlicher Korrespondenz abgleichen.
Das dritte, was mir aufgefallen ist, war die Kameraführung. Obwohl man die nicht auf einem Kontrollmonitor sehen konnte.
Im Prinzip folgte das dem üblichen Schema mit fünf Kameras und einem mobilen Kameramann mit Steady Cam, hier aber hatten sie zusätzlich eine der fünf Kameras am beweglichen Galgen, der die Kamera immer wieder sehr dicht am Tisch vorbeiführte. Ich hatte auch den Eindruck, dass sie die Leute näher als in anderen Talkshows zeigen und dazu häufig nicht aus Beobachterperspektive, sondern eher aus Gesprächspartnerperspektive. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass es den Eindruck verstärken soll, dass man nicht nur Zuschauer ist, sondern sich als Teilnehmer fühlt.
Mir ging hinterher die Überlegung durch den Kopf, ob auch das wieder Teil der notorischen Politpropaganda des ZDF ist.
Irgendwie hatte ich den Eindruck gewonnen, dass es nicht um Information ging, sondern eine Art emotionales Kriseninterventionsteam, das die Leute emotional einfangen und auf Linie synchronisieren soll. Es schien, als befürchte man einen Meinungsschwenk in der Flüchtlingsfrage und steigende Fremdenfeindlichkeit, und habe deshalb die Öffentlich-rechtlichen mobilisiert, mal schnell den Samstag Abend zur politischen Emotional-Koordination einzusetzen. Denn die mehrfach wiederholte Botschaft war „Die Lage ist ernst, aber die Flüchtlinge haben damit nichts zu tun.”
ARD und ZDF als Emotionalinterventionsbeauftragte der Politik?
Hat man die aufgescheucht, um schnell den Samstagabend und die zeitliche Nähe zu nutzen?
Nachtrag:
Ungefähr gleichzeitig mit meinem Blog-Artikel hat der SPIEGEL einen Kommentar zur Plasberg-Talkshow in der ARD veröffentlicht. Bemerkenswerterweise haben die Plasberg sehr ähnlich eingeschätzt wie ich Illner:
Reden kann helfen, gerade dann, wenn es einem eigentlich die Sprache verschlägt. Und im Zeichen des Ausnahmezustands, auch in den öffentlich-rechtlichen TV-Programmen, war es gewiss angemessen, Frank Plasberg zu ungewohnter Sendezeit mit einer Extra-Ausgabe von “Hart aber fair” aufwarten zu lassen. Es zeigte sich jedoch: Viel mehr als eine Art stellvertretende gesellschaftliche Gesprächstherapie durfte man von einer solchen Stunde mit einer solchen Runde am Abend eines solchen Tages wohl nicht erwarten.
Immerhin – bei aller Nachdenklichkeit und allem betroffenen Abwägen der Worte gab es auch ein paar bedeutende Klarstellungen. Die wichtigste lieferte die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner gleich zu Beginn, indem sie vehement davor warnte, die Ereignisse von Paris für die Flüchtlingsdebatte zu instrumentalisieren, was ja mittlerweile leider bereits passiert ist. Schließlich, so Klöckner, flüchteten die Menschen vor genau jenem Terror, wie er jetzt in Paris zu erleben sei. Zustimmung in der Runde.
Exakt das gleiche wie bei Illner im ZDF: Eigentlich fällt uns auch nichts ein, was wir dazu sagen könnten, aber wir haben es ganz eilig damit mitzuteilen, dass man die Terroranschläge nicht als Argument gegen Flüchtlinge verwenden darf.
Beides belegt für mich, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen keine Informationsquelle mehr ist, sondern Propaganda-Instrument der Politik, weil sie nämlich politisch-emotional belehren und nicht sachlich informieren. Vor allem am Zeitpunkt sieht man, dass die es sehr eilig hatten und losgedonnert sind, bevor sie selbst was wussten, und das sie Political-Correctness-Botschaften verteilt haben.
ARD und ZDF sind zu Propaganda-Sendern geworden.
Nachtrag 2: Noch ein Zitat aus der WELT:
Die Leichen sind noch nicht in den Plastiksäcken der Sanitäter verpackt, die Toten noch nicht gezählt. Aber die Kommentare sind geschrieben. Die Reden gehalten. Alles ist analysiert. Und es sind die immer gleichen Beschwörungen. Wir lassen uns unsere europäischen Werte nicht von Terroristen zerstören. Wir wollen und werden unseren Lebensstil weiter leben. Die Freiheit wird siegen.
Der Mainstream lässt frühzeitig wissen, dass man sich durch nichts beirren lässt.
Ein Kommentar (RSS-Feed)
15.11.2015 14:35
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