Ansichten eines Informatikers

Nachtrag zur Handgranate

Hadmut
30.1.2016 14:18

Wow.

Soviel Feedback habe ich seit Abschaltung der Kommentarfunktion nicht mehr bekommen, das hätte ich bei so einem Artikel eigentlich nicht erwartet. Wer interessiert sich schon für Handgranaten? Verblüffend viele Leute. Das Thema scheint unglaublich viele Leute zu beschäftigen, und weit mehr Leute, als ich gedacht hätte, sehen die Sache sehr skeptisch oder finden Ungereimtheiten. Natürlich während – und das ist ja gerade das wiederkehrende Thema – für die Presse da immer alles so ganz klar ist und feststeht, woher die Granate geworfen wurde.

Bemerkenswert an den Zuschriften fand ich auch, dass das erstaunlich viele Leute mit Sachkunde von deutschen und russischen Handgranaten waren, es haben sich auch Leute gemeldet, die als Ausbilder tätig waren. Entweder bei der Bundeswehr, oder – ich schlussfolgere das mal daraus, wenn sich jemand mit russischen Granaten und zugehöriger Ausbildung gut auskennt – in der ehemaligen NVA. Und habe dabei auch gelernt, was ich bisher nicht wusste, dass es bei den Russen die glatten Angriffsgranaten mit Splitterwirkung 15 Meter und die stark geriffelten Verteidigungsgranaten (meines Wissens sind das Sollbruchstellen, damit sich große, schwere Splitter bilden) mit Wirkung bis 300 Meter gab. Wieder was gelernt.

Nachtrag: Ach ja, den habe ich noch vergessen: Die deutschen Handgranaten werden, wie ich das auch in Erinnerung hatte, einsatzfähig gelagert und können direkt verwendet werden, während, wie mir geschrieben wurde, bei den Ostblock-Granaten Granatenkörper und Zünder getrennt gelagert und erst bei Waffenausgabe zusammengesetzt werden.

Und alle fanden sie übereinstimmend (wobei: übereinstimmend ist da nicht das richtige Wort, das wäre statistisch verfälscht, weil mir ja eigentlich nur die schreiben, die das irgendwie unglaubwürdig finden, also keine repräsentative Stichprobe, aber trotzdem bemerkenswert), dass die Story nicht plausibel ist. Handgranaten gelten als sehr zuverlässig, Blindgänger seien da nicht bekannt. Und auch in der Anwendung im Prinzip idiotensicher. Natürlich hat sich schon mancher Idiot selbst (oder Kameraden) in die Luft gesprengt, aber bei der Auslösung an sich kann man eigentlich nichts falsch machen. Es sei denn freilich, man schmeißt die Granate, ohne den Splint zu ziehen, aber das war ja hier nicht der Fall. Das ist ja auch naheliegend, denn die Dinger sind ja für Notfälle in Gefechtssituationen gemacht, anzuwenden unter höchstem Druck und in äußerster Hektik. Da können die nicht kompliziert in der Anwendung oder fehleranfällig sein. Die Dinger müssen auch unter Stress einfach funktionieren, auch dann, wenn dumme, verletzte, erschöpfte, sterbende oder unausgebildete Leute damit klarkommen sollen. Und genau das tun sie. Zumal die Dinger ja inzwischen rund hundert Jahre Entwicklung hinter sich haben und technisch eigentlich beherrschte Technik sind.

Entgegen der Vermutung mancher wurde in der Polizeipressekonferenz durchaus gesagt, um welches Modell es sich handelt, nämlich eine M52 aus dem ehemaligen Jugoslawien. Was nicht nur auf Schwarzmarkt hindeutet, sondern auch zeigt, dass die Granate schon mindestens etwa 20 Jahre alt sein müsste. Allerdings ist 20 Jahre für Kriegsmunition normalerweise kein Alter. Man sieht ja, wie die Bomben aus dem ersten und zweiten Weltkrieg noch funktionieren und hochgehen. Und das Zeug wird ja normalerweise nicht auf Verbrauch, sondern auf Vorrat und Bereitschaft produziert, ist also – wie nahezu alles militärische – als lagerfähig konstruiert.

Besonders möchte ich daher auf diesen Zeitungsartikel der TAZ hinweisen. Nicht wegen inhaltlicher Qualität, sondern wegen des Fotos. Denn auf der Polizeipressekonferenz wurde, wie auf vielen Bildern in vielen Artikeln gezeigt wurde, ein entschärftes Exemplar dieses Typs gezeigt. Das aber ist das einzige Foto, das ich bisher von dieser Konferenz gesehen habe, auf der der Polizist noch ein zweites Exemplar vorzeigt, und zwar ein aufgeschnittenes. Und daran sieht man, dass der Zünder unten nicht noch eine weitere Zündpille hat, sondern man nur den Zünder im Ganzen, samt Kopf, Hebel und Splint, das also irgendwie gar nicht so einfach ist, die Granate ohne Zünder zu werfen, denn dann fehlt ja der gesamte innere Teil und dann wäre sie erkennbar ungefährlich.

Interessant finde ich aber noch einen ganz anderen Hinweis: Der Einsatz von – auf dem Schwarzmarkt spottbilligen – Handgranaten sei in Deutschland gar nicht mal so selten und unüblich, es würde nur nicht darüber berichtet. Im Rockermilieu seien die verbreitet. Nur: Das Rockermilieu ist nicht das rechtsradikale, Anschläge auf irgendein Flüchtlingsheim gehört nicht gerade zu deren Einsatzgebiet, wenn da nicht gerade irgendwelche Konkurrenten im Bereich Prostitution oder Drogen unterwegs waren. Wohl aber gibt es da Überschneidungen mit der Türsteher- und Sicherheitsbranche, und das wurde ja schon erwähnt, dass es so aussieht, als habe der Anschlag (oder die Warnung) nicht dem Wohnheim, sondern der Wachmannschaft gegolten. (Die Polizei will allerdings auch nicht ausschließen, dass die Granate doch Richtung Wohnheim geworfen wurde und dort abgeprallt und vor den Container gefallen ist.)

Ich habe übrigens die Dummheit besessen, in der Silvesternacht nicht zuhause zu hocken, sondern auf einer Feier gewesen zu sein, und bin nicht mit dem eigenen Auto, sondern mit der U-Bahn gefahren (ich weiß, ganz blöde Idee). Dabei habe ich es gerade in den U-Bahnhöfen immer wieder so laut krachen hören, dass das eigentlich keine zulässigen Böller mehr gewesen sein können, sondern irgendwelche Polen-Böller. Und man sieht jede Menge Leute mit Schreckschuss- und anscheinend auch echten Pistolen rumballen (ich habe auf dem Fussweg von der U-Bahn-Station selbst zwei mit Knarre gesehen, von denen ich eine für eine Schreckschuss- und eine für eine echte Pistole gehalten habe).

Es ist eine Frage der Zeit, bis die Böller-Größe sich so hochschaukelt, dass da irgendwann mal wer mit echten Granaten wirft, mal ne Bushaltestelle oder sowas wegblasen. Nächste Eskalationsstufe nach illegalem Polen-Böller.

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Anonymous
30.1.2016 14:37
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