Ansichten eines Informatikers

Aufs falsche Pferd gesetzt

Hadmut
4.7.2016 19:25

Wie sich Linke durch einen fundamentalen Strategieirrtum zu den Kotzbrocken der Gesellschaft gemacht haben.

Fühlt Ihr das?

Riecht Ihr das?

Spürt Ihr das?

Es scheint eine epochale Zeitenwende bevor zu stehen. Als ich im Studium war, auch noch vor 10, sogar noch vor 5 Jahren, hatten es die Linken geschafft, sich als eine Art intellektuelle Sonderschicht, eine geistige Avantgarde darzustellen. (Sie waren es nie, aber sie haben es vermocht, die Leute das Glauben zu machen.) Jeder, der irgendwie auf intellektuell, auf Denker, auf Journalist oder Philosoph machen wollte, machte irgendwie auf links. Guckt mal die alten Fernsehdebatten aus den Siebziger Jahren, wo die da in irgendwelchen verräuchterten Diskussionsrunden sitzen, an ihren Pfeifen ziehen und schmauchen und paffen, so tun, als würden sie tief überlegen, um dann langsam, bedächtig und wie ein überragender Denker irgendwelche gedrechselten Sätze in den Rauch zu schicken. Sätze, die komplett geist- und sinnlos waren, was bei dem Publikum aber kaum einer gemerkt hat. Aus diesem Schwafelmilieu ist dann in den achtziger und neunziger Jahren so eine Grundtendenz geworden. Und die Idioten, die man damals gemacht und gezüchtet hat, sitzen heute in Politik, Wissenschaft, Justiz, Presse. Und lange Zeit haben sie so weitergemacht. Und sich immer weiter von der realen Welt entfernt.

Und nicht gemerkt, dass der normale Bürger von der Straße, der diesen Spinnern intellektuell weit überlegen ist – warum? weil er mit den Füßen auf dem Boden steht und deshalb das Hirn stabiler gelagert ist und Realitätskontakt hat – längt gemerkt hat, was für Spinner das sind.

Mir ist das in letzter Zeit an verschiedenen Stellen aufgefallen. Ich hatte das ja schon mal erwähnt, weil ich als Informatiker gerne auf das Bandbreitenmanagement zurückkomme, das wunderbar auch erklärt, warum es diese angeblich Förderung und „positive Diskriminierung” gar nicht geben kann, es immer eine Benachteiligung anderer ist. Neulich erwähnt am Beispiel des US-Supreme-Court-Urteils zur Bevorzugung Schwarzer an Universität (affirmative action).

Dann habe ich die Tage bei DRadio ein Interview mit dem Historiker Andreas Rödder gehört, der ab etwa 18:20 darüber spricht, dass diese „Kultur der Inklusion”, die man da jetzt macht, und die man für Homosexuelle, Transsexuelle, Frauen betreibt, ein Irrtum ist. Dass man etwa durch Verschiebungen von Gleichberechtigung zu Gleichstellung, von Voraussetzungen zu Ergebnissen zu einer Utopie gekommen ist. Er erläutert das an dem Werbespruch der Aktion Mensch „Inklusion ist, wenn Ausnahmen zur Regel werden”. Das nämlich bedeute bei Licht betrachtet, dass es nicht um Vielfalt geht, sondern darum, die Regeln zu ändern, eine neue Ordnung zu errichten. Parsons (Name? Nicht eindeutig verstanden…), der große Soziologe, habe schon in den 50er Jahren gesagt, dass jeder Inklusion neue Exklusion als logischer Schatten nachfolgt. Konkret hieße das, dass ein Homosexueller in Deutschland heute viel, viel besser und freier lebte. Eine junge Mutter, die nicht erwerbstätig ist, und selbst erzieht, dann müsse sie sich von der Bundesfamilienministerin (Schwesig!) sagen lassen, ihre Lebensform sei problematisch.

Im Prinzip exakt dieselbe Aussage wie meine Aussage über das Bandbreitenmanagement (z. B. in Internet-Routern). Jedes Vorziehen führt zwangsläufig zur Benachteiligung anderer.

Wenn man das macht, dann sollte man sich eben vorher gut überlegen, ob die, die man vorzieht, einem auch mehr Vorteile bringen, als es Nachteile bringt, dass die anderen dadurch sauer werden.

Und das haben sie nicht getan.

Seit Jahren sind die auf dem Frauen-Lesben-Homo-Transen-Gender-Trip, und schlagen dafür alles andere kurz und klein. Das Dumme daran: Es bringt ihnen nichts. Sie haben in Bevölkerungsschichten investiert, die einfach nur abkassieren, von denen kein Return-of-Invest kommt. Gleichzeitig haben sie große Bevölkerungsteile massiv verärgert.

Aufgefallen ist mir das auch heute in dem Interview mit Didier Eribon, einem französischen Soziologen, der beschreibt, wie seine ehemals stramm linke Familie zu Wählern des rechten Front National wurden. Nicht, weil sie das mögen. Sondern weil es die einzige verbliebene Möglichkeit ist, etwas anderes als den unerträglichen Mainstream zu wählen. [ Kommt mir sehr bekannt vor. Das geringere Übel. Die Notwehr-Wahl. Gleicher Effekt wie Pegida, Brexit und Trump.] Er erläutert das am Beispiel England. Dort gibt es eine riesige abgehängte Bevölkerungsschicht, die Arbeiter.

Eigentlich sollte man ja meinen, dass das die Hauptklientel der Linken ist (Marxismus, Klassenkampf und so). Aber:

Eribon: Die linke Politik steckt in einer schweren Krise, die sich seit Jahrzehnten angebahnt hat. Ich habe ein Buch darüber geschrieben, wie es dazu kommen konnte, D’une révolution conservatrice: In den Achtzigern haben linke Neokonservative mit Investorengeld Konferenzen organisiert, Seminare gegeben und mediale Debatten angezettelt mit dem Ziel, die Grenze zwischen rechts und links zu verwischen. Das war eine konzertierte Kampagne. Sie wollten all das abschaffen, worauf sich linkes Denken gründet: den Begriff der Klasse, die soziale Determination, die Ausbeutung der Arbeitskraft etc. Heute sehen wir, dass sie zum größten Teil erfolgreich waren.

ZEIT ONLINE: Woran sieht man das?

Eribon: Das beste Beispiel ist die sozialistische Partei Frankreichs: Wenn man heute einem sozialistischen Politiker gegenüber den Begriff der sozialen Klasse erwähnt, widerspricht er sofort und behauptet, so etwas existiere nicht mehr. Die französischen Linken glauben das wirklich und sind jetzt ganz verblüfft, weil sie feststellen, dass es doch noch eine Arbeiterklasse gibt. Es ist tragisch, dass die Arbeiter erst für den Front National, die AfD und den Brexit stimmen mussten, um auf sich aufmerksam zu machen. Der französische Premierminister Manuel Valls hat die französischen Demonstranten gerade abfällig “die alte Linke” genannt. Dabei ist es einfach die Linke. Das sind die Leute, die ihn gewählt haben. Doch statt ihnen zuzuhören, will er das Land modernisieren, und alle wissen, was das heißt: Abbau von Sozialleistungen, Einschränkungen von Arbeitnehmerrechten und so weiter.

Das ist im Prinzip die isomorphe Aussage zu dem, was ich gerade über die Frankfurter Schule geschrieben habe: Man wollte marxistisch sein, aber den Kapitalismus gut heißen, und hat sich als neuen Klassenkrampf die Sexualität ausgesucht. Und hier hört man nun, dass die Linke (konsequenterweise) keine Arbeiterklasse mehr sieht, sich dafür nur noch um Lesben, Transen, Schwule, Feministinnen kümmert.

Was eben ein enormer Irrtum war. Man hat seine Ur-Klientel nicht nur aufgegeben, sondern verprellt und zutiest verärgert, um sich im Austausch dagegen eine Klientel einzuhandeln, die sich effektiv als nutzlos, undankbar, kontraproduktiv, schädlich, überflüssig herausstellte. Man muss sich nur mal die typischen politischen Veranstaltungen anschauen um zu sehen, was für opportunistisches narzisstisches Gesindel man sich eingehandelt hat, und die sind eben nicht nur zahlenmäßig wenige, sondern alles andere als treu. Sie werden sofort jedem hinterherlaufen, der ihnen irgendwelche Vorteile verspricht. Man hat eine eigentlich breite und kadavertreue Wählerschaft gegen eine wertlose eingetauscht. Und die ehemals treue merkt das nun eben und ist dann so treu auch wieder nicht, als dass sie nicht verärgert abspringen würde. Das ist jetzt geschehen.

Die Konsequenz daraus wird hier beschrieben: Mehr Mißtrauen wagen.

Thomas Jefferson, einer der großen US-Präsidenten, die es in jenem Land ja einmal gab, sprach aus Erfahrung, als er die Bürger seines Landes zum Mißtrauen gegen die Herrschenden aufrief. Er hatte Angst vor den gewählten Despoten, die den Ursprung der Macht, das Volk und seine Vertreter, verachten. Sollte das Volk, schrieb er an einen alten Freund, jemals aufhören, sich um die öffentlichen Angelegenheiten zu kümmern, „werden wir alle, Sie und ich, der Kongreß, die Richter und die Gouverneure, wie wir da gehen und stehen, zu reißenden Wölfen werden“.

Sie züchten das Mißtrauen, das sie beklagen

Oder zu falschen Schlangen, schlauen Füchsen, diebischen Elstern, faulen Hunden, dummen Gänsen und geilen Böcken, wäre nach den Erfahrungen zu ergänzen, die wir in Deutschland mit Politikern wie Volker Beck oder Sebastian Edathy, Dirk Niebel oder Ronald Pofalla, Annette Schavan oder Claudia Roth gesammelt haben. Sie und andere Mitglieder ihrer Klasse stellen auf der nach unten offenen Skala der politischen Erbärmlichkeit immer wieder neue Rekorde auf. Sie züchten das Mißtrauen, über das sie sich beklagen.

Die Abneigung, die ihnen aus der Wählerschaft entgegenschlägt, beantworten die Machthaber im gleichen Stil, mit kaum verhohlener Verachtung. Sie machen es wie SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, der von „Pack“ spricht, wie Justizminister Heiko Maas, der von Mob und Gesindel redet, oder wie Wolfgang Schäuble, der seine Gegner eine Schande für Deutschland nennt. Das gründlichste Urteil stammt von einem christlich-demokratischen Spitzenpolitiker, dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich, der angesichts eines Straßenauflaufs zu der Erkenntnis kam, bei den Rädelsführern handle es sich um Verbrecher, „das sind keine Menschen“.

Die Personalisierung liegt im Zug der Zeit. Von den Medien gesteuert und ausgewalzt, treibt sie immer buntere Blüten, die schönsten davon in der Politik, wo die Sache hinter der Person längst verschwunden ist. Der jüngst verstorbene FDP-Politiker Guido Westerwelle hat diese Entwicklung mit dem Argument verteidigt, daß auch Personen ein Programm sein könnten; er dachte dabei offenbar an sich. Das mag so sein, macht die Sache aber nicht besser. Denn wer will schon Programme, die von solchen Personen verkörpert werden?

Alles, was sie sind, verdanken sie der Partei

Zum Beispiel von Birgit Fischer. Eine Frau, die alles, was sie ist, der SPD verdankt, einer Partei, die sich programmatisch der sozial genannten Gerechtigkeit verbunden fühlt. Wie das aussieht, kann man in Bochum erkennen, einer hochverschuldeten Stadt, die aufs Geld sehen muß und deshalb bei den Kindergartengebühren bundesweit an der Spitze liegt. Mit dem, was dadurch reinkam, wurden Veranstaltungen bezahlt, bei denen sogenannte Spitzenpolitiker für ein paar Stunden Small talk ein Honorar von 25.000 Euro kassierten.

Hier, in Bochum, nahm Frau Fischers segensreiche Laufbahn zum Wohl der kleinen Leute ihren Anfang; sie begann als Gleichstellungsbeauftragte. Schon bald saß sie im Landtag, wurde parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion und irgendwann dann auch Ministerin, zuständig für das, was ihr Parteichef Gerhard Schröder „Gedöns“ zu nennen pflegte, also Familie, Jugend, Gesundheit und so weiter. So brachte es die sozialdemokratische Sozialpolitikerin Birgit Fischer zur Herrscherin im Weltreich des Sozialen.

„Bereichert euch!“ heißt die Devise

Die im Ministeramt gesammelten Kenntnisse nutzte sie, um aus dem öffentlichen Dienst in die Versicherungsindustrie zu wechseln, zunächst als Stellvertreterin, danach als Vorstandsvorsitzende der Barmer Ersatzkasse. Wenig später dann ein zweiter Wechsel, diesmal zur Gegenseite, als Hauptgeschäftsführerin zum Verband Forschender Arzneimittelhersteller. Manch einer sprach von einem verblüffenden Seitenwechsel – der aber keinen verblüfft haben kann, der die sagenhaften Gehälter kennt, die in der Pharmaindustrie üblich sind.

„Bereichert euch!“ hieß die Devise der französischen Bourgeoisie, die deutschen Sozialdemokraten schon immer lieb und teuer war; vor allem teuer. Leute wie Walter Riester oder Birgit Fischer haben sich mit dem besten Gewissen der Welt bereichert; sie taten das in dem Bewußtsein, nicht ihren, sondern unseren Interessen zu dienen. Wenn sie sich der Versicherungswirtschaft, der Pharmaindustrie oder sonst einem Krösus in die Arme warfen, hatten sie nicht bloß Arbeit im Angebot, sondern akkumulierte Arbeit. Und daß die besser bezahlt werden muß als alles, was unsereiner anzubieten hat, wußte ja schon Karl Marx.

Und damit ist der Niedergang der Linken eigentlich beschrieben.

Inzwischen ist „Linke” zum Schimpfwort geworden. Und wenn dann noch linker Terrorismus dazu kommt, ist der Absturz perfekt.