Zur Entwicklung der Sozialforschung
Die spinnen, die Soziologen…
Es gibt ja Konferenzen, die einen Call for Papers rausgeben. Is OK.
Es gibt aber auch Konferenzen, bei denen reicht mal erst mal Vorschläge für Papers ein, und wenn sie angenommen werden, dann erst schreibt man das Paper. Find ich immer toll, wenn die schon wissen, was in einem Paper steht und wie sie es bewerten, bevor sie es geschrieben oder gelesen haben. Heißt natürlich auch, dass das alles irgendwie zusammengefaselt ist, denn Forschung geht nun mal nicht auf Bestellung und nach Termin.
Nun gibt es in den USA so einen Rat für Soziologie (naja, wie übersetzt man das korrekt? Eher für Soziologie-Studiengänge.), deren Slogan das seltsame Ziel „Preparing Students for College, Career, and Civic Life”. Es gab Zeiten, in denen war ersteres Aufgabe der Schulen und letzteres Aufgabe der Eltern.
Schaut Euch mal an, welche Themen die suchen.
Jetzt hab ich da drin was gefunden, was ich noch nicht kannte: post-qualitative. Gut, dass die Gender-Spinner Qualität generell ablehnen, wusste ich, aber so als Begriff?
Mal googlen. Komme auf das hier. Ein Text vom „Forum Qualitative Sozialforschung” von Januar 2014, also drei Jahre alt, quasi ein damaliger Ausblick in das, was jetzt schon passiert ist. Und da schreibt ein Reiner Keller dazu:
Ich möchte hier die weiter oben bereits bei Rainer WINTER angedeutete Frage aufgreifen, ob wir uns gegenwärtig auf die Phase der “post-qualitativen Forschung” (LATHER & ST. PIERRE 2013) zubewegen. WINTER hatte darauf hingewiesen, dass im Anschluss an Teile der US-amerikanischen Poststrukturalismusrezeption die Relativierung des Objektivitätsanspruchs wissenschaftlichen Forschens im Bereich qualitativer und interpretativer Vorgehensweisen mit der Forderung nach einer entschiedenen Politisierung verknüpft wurde. Wo Validität und Reliabilität keine wissenschaftsimmanenten Gültigkeitskriterien mehr sind, sollen das Interesse, Handeln und Urteil der “Betroffenen” der sozialen Validierung einer explizit politisch agierenden Sozialforschung gelten. Eine andere Reaktion auf die gleiche poststrukturalistisch begründete Ausgangsannahme – das Nichtzutreffen der herkömmlichen Gültigkeitskriterien – wendet sich jedoch zugleich gegen diese in ihren Augen “naive” Politisierung – denn warum sollte “den Betroffenen selbst” eine höhere Validierungsfunktion zugesprochen werden?
Soweit ich sehe, argumentiert die von Patti LATHER und vor allem von Elisabeth ST. PIERRE formulierte Position der post-qualitativen Forschung also in mehrfacher Hinsicht von der “Unmöglichkeit” qualitativen Forschens aus. Diese Unmöglichkeit liege wesentlich in der allgegenwärtigen Partikularität, Subjektivität und Selektivität der Forschenden, in einer radikalisierten Lesart des situierten Wissens, doch sie könne nicht durch betroffene Subjekte geheilt werden: So wie die Beforschten sich über die Gründe ihres Tuns und Erlebens nur täuschen könnten und als voice unbrauchbar seien, so wie jeder Versuch, soziale Phänomene empirisch aus sich selbst heraus zu erkunden, angesichts der immer subjektiven Perspektivität der Forschenden zum Scheitern verurteilt sei, so unmöglich sei qualitative Forschung. Sie produziere nichts anderes als Artefakte, die wissenschaftlichen Karrierezwecken genügen oder nicht, aber sie habe keinen privilegierten oder Erkenntnis fördernden Zugang zur Wirklichkeit. Deswegen gelte es, mit dem Mythos des Forschens und der Wissenschaftlichkeit
zu brechen, auch und gerade in qualitativen Kontexten (vgl. ST. PIERRE &
LATHER 2013).Stattdessen wird angeboten: Forschung durch Theorie zu ersetzen: “Thinking with Theory in Qualitative Research” (JACKSON & MAZZEI 2012). An die Stelle einer abduktiven Exploration des Datenmaterials solle eine theoretische Analytik treten, ein analytisches Lesen, das sich aus poststrukturalistischer Theoriebildung speist. Nicht die Daten sprechen demnach, sondern die poststrukturalistische, dekonstruktivistische, postkoloniale, queere, feministische Theorie – namentlich DERRIDA, SPIVAK, BUTLER, FOUCAULT, DELEUZE u.a. – liefere Konzepte und Fragerichtungen, die auf die Daten projektiert werden, als Suchscheinwerfer dienen müssten, um gehaltvolle Aussagen zu treffen und die beliebigen Interpretationen zu ersetzen.
Im erwähnten Band von JACKSON und MAZZEI wird dies illustriert: Interviews werden zu Fund- bzw. Belegstellen der Theoriekonzepte, und je nach theoretischen Einstellungen finden sich andere Belege in einem Text, mit denen das Zutreffen, die Eignung einer theoretischen Kategorie bewiesen und die Wirklichkeit über ihre Eigentlichkeit in Kenntnis gesetzt wird. Die Frage ist, was damit gewonnen ist – außer der Bestätigung der Theoriesprache.
Die versuchen erst gar nicht mehr, wissenschaftlich zu sein, und sind der Meinung, das geht überhaupt nicht mehr, und stürzen sich ganz bewusst und absichtlich in ein Polit- und Ideologie-Geschwafel, weil sie meinen, das gehörte so. Wissenschaft wäre sowieso nicht möglich.
Wisst Ihr, wo ich sowas ähnliches schon mal gelesen habe? In einem Vortrag der Verfassungsrichterin Susanne Baer und einem deutschen Gender-Buch. Da ging das so in die Richtung, dass Qualität ein Mythos sei und nicht existiert, und sich das böse Männer nur ausgedacht haben, um Frauen auszugrenzen, weil Männer gerne in Labors sitzen und Lernen und Frauen Work-Life-Balance bevorzugten, und deshalb jeglicher Qualitätsanspruch frauenausgrenzend und damit überhaupt der einzige Grund sei, warum die bösen Männer überhaupt Qualität wollten. Nur deshalb, weil Qualität Frauen rausekelt. Gleichstellung gehe mit Qualitätsverzicht einher.
Einen Unterschied zu durchgeknallten Sekten gibt es nicht mehr.
Und da beschimpfen die andere als „post-faktisch”…