Ansichten eines Informatikers

Die Wissenschaftsheuchler von Berlin marschieren

Hadmut
26.2.2017 12:38

Wann ist Wissenschaft unwissenschaftlich?

Eines der wichtigsten Grundprinzipien wissenschaftlichen Arbeitens und Denkens ist: Ganz oder gar nicht. Es gehört zu den schwersten Wissenschaftsfehlern, wenn man auf etwas nur dann zurückgreift, wenn es einem gerade in den Kram passt und die gewünschten Ergebnisse liefert. Weil dann die eigene Selektivität und nicht die betrachtete Quelle die Aussagen liefert (eng mit dem Simpson-Paradoxon verwandt).

Ein Laborexperiment ist wertlos, wenn man nur die Ergebnisse verwendet, die in das gewünschte Bild oder die vermeintlich gefundene Regel passen.

Und eine Wissenschaftsmethode ist wertlos, wenn man sie immer nur dann heranzieht, wenn sie gerade die gewünschten Ergebnisse liefert oder einem gerade in die Strategie passt.

Viele Menschen, selbst viele „Wissenschafter“, verstehen das nicht, und genau dieser Fehler wird heute ja sogar zur Tugend erhoben, indem man „interdisziplinär“ arbeitet, was ja auf deutsch nur heißt, dass man Methoden und Experimente (wenn man überhaupt je welche hatte) immer so aussucht, dass sie das liefern, was man gerade haben will. Grundprinzip der Gender Studies. Immer das Auswählen, was einem gerade in den Kram passt.

Mit der Methode kann man alles beweisen. Ich kann ohne weiteres beweisen und belegen, dass Einkommen, Körpergröße oder Reisehäufigkeit eines Menschen davon abhängen, an welchem Wochentag er geboren wurde oder wie seine Hebamme mit zweitem Vornamen hieß – sofern ich aus der Datengesamtheit einfach die Daten auswähle, die mir passen.

Häufig findet man Zeitungsartikel, in denen der Untergang der Welt, eines Landes, des Präsidenten von irgendwo vorhergesagt wird, weil die 103-jährige blinde Hellseherin Agathe das so vorhergesehen hat, und sie habe ja auch schon dies und das zutreffend vorhergesagt. Nur: Wen die seit 90 Jahren Vorhersagen trifft und da zwei erwähnenswerte Treffer dabei waren, kann’s nicht so dolle sein. So eine Trefferquote schafft auch Nachbars Lumpi, wenn er mit dem Schwanz wedelt.

Es gibt so eine wunderbare Betrugsmasche, mit der man jemandem einredet, man könnte die Aktenkurse vorhersagen. Man schickt 1 Million Empfänger eine Vorhersage für die Aktie A. Einer Hälfte sagt man, sie steigt, der anderen Hälfte sie fällt. Der Hälfte, bei der man falsch lag, schreibt man nichts mehr, der anderen Hälfte eine Vorhersage für die Aktie B, wieder je zur Hälfte „steigt“ und „fällt“. Nach 10 Runden hat man seinen Empfängerkreis auf ca. 1000 Leute reduziert, die aber glauben, man können hellsehen, weil man ja zehnmal richtig vorhergesagt habe, und denen kann man dann jeden Schrott andrehen.

Und wieder muss ich auf die geniale Karrikatur über die Creationist Method von John Trevor aus dem Albuquerque Journal von 1998 verweisen: Die wissenschaftliche Methode – hier sind die Fakten, was können wir daraus folgern. Die kreationistische Methode – hier sind die Folgerungen, welche Fakten können wir dazu finden.

Diese Selektivität zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte der Unwissenschaftlichkeit. Manche Journalisten und Redaktionen machen das gerne. Die gehen nicht auf die Straße und fragen die Leute nach ihrer Meinung, sondern suchen einen, der die Meinung hat, die sie als „repräsentativ“ darstellen wollen. Selektivität ist immer die große Methode zum Betrug. Und dass sie nicht entdeckt wird liegt oft an einem Mangel an Logik-Bildung: Vielen ist der Zusammenhang nicht klar, dass man eine These (in der Mathematik: Für alle x gilt…) durch eine große (oder vollständige) Gesamtheit belegen muss, sie aber durch einzelne Gegenbeispiele widerlegen kann. Man kann aber keine allgemein- oder zumindest weitgültige Thesen durch Beispiele belegen. Und gerade das wird häufig versucht.

Man kann das alles auch noch ein Stufe genereller betrachten.

Nämlich dann, wenn „Wissenschaft“ schlechthin nur dann betrachtet und beachtet und geachtet wird, wenn sie einem gerade gelegen kommt und das liefert, was man gerade braucht. „Wissenschaft bei Bedarf“ geht nicht. Dann ist es keine. Dann ist es Betrug wie der Aktienbetrug. Entweder ist man wissenschaftlich, oder man ist es nicht, aber so ein „Ach, da könnte einem Wissenschaft gerade mal nützlich sein, nehmen wir sie doch mal“ geht nicht. Wer so denkt, hat Wissenschaft nicht verstanden, ist kein Wissenschaftler, weil Wissenschaft auch bedeutet, gerade diesen Fehler nicht zu machen.

Die Berliner Zeitung berichtet darüber, dass „Berlins Wissenschaft“ (als ob das ein geschlossener Personenkreis wäre) einen „Science March“ veranstalten will, mit dem sie gegen „alternative Fakten“ demonstrieren.

Wissenschaft habe Navigationssysteme und Smartphones hervorgebracht, womit bewiesen wäre, dass Trump böse ist, weil er wissenschaftliche Fakten ignoriere.

Aha.

Man erhebt so einen universellen Wahrheitsanspruch der „Wissenschaft“ – was ein Wissenschaftler nie tun würde.

Es geht um Leugnung des Klimawandels und „andere Verschwörungstheorien“, aber bemerkenswerterweise nicht um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Es geht nicht darum, Argumente abzuwägen und auszufechten, sondern das zu beanspruchen, was sie Sozios so gerne als „Deutungshoheit“ bezeichnen. Im Prinzip nicht anderes, als die Universitäten als die oberste politische Instanz herzugeben wie eine Religionsbehörde. Jedem Wissenschaftler muss es da gruseln, macht aber nix, gibt ja kaum noch welche.

Twittern tun sie auch, unter #ScienceMarchBer.

Und eine Webseite haben sie auch noch.

Und wie bei diesen Aktionen eigentlich fast immer, haben sie auch kein richtiges Impressum, keine Anschrift (findet man über whois). Es wird nur eine Susann Morgner genannt. Man weiß nicht, wer das ist, aber es gibt zumindest eine Person gleichen Namens bei einer PR-Agentur, die vorher Pressesprecherin der Humboldt-Universität war (die Person, nicht die Agentur).

Wo aber waren diese Leute, als man die Universitäten mit linker Politik und mit den frei erfunden Gender Studies überrannt hat?

Wo waren sie, als man die Geisteswissenschaften auf Poststrukturalismus trimmte und allen einredete, dass es Fakten und Wahrheiten gar nicht gibt, dass eh alles nur durch Sprechakte geschaffen und genommen wird, und man Fakten und Wahrheiten als Frauenausgrenzend ablehnte, weil Frauen mit sowas überfordert wären und sie zur Gleichstellung abgeschafft werden müssten?

Warum hat man das jahrelang goutiert, als es von links kam, und warum kommen sie jetzt aus den Löchern, wenn die gleiche Masche von rechts kommt?

Wer die Wissenschaftskeule nur dann schwingt, wenn ihm das Ergebnis gerade in den Kram passt, der ist kein Wissenschaftler und war es nie. Der ist nur Heuchler.

Die Wissenschaftsheuchler von Berlin wollen marschieren. Am 22. April. Mit Navigationssystemen.