Jahreskonferenz Netzwerk Recherche 2018
Ich treibe mich gerade wieder unter (hauptberuflichen) Journalisten herum.
Ich bin gerade zum vierten Mal auf der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche im Norddeutschen Rundfunk in Hamburg. Ich habe mir den Tag über ein paar wenige Notizen gemacht und versuche in den nachfolgenden Artikeln, mit ein paar Stichworten und aus dem Gedächtnis zu beschreiben, welchen Eindruck die Veranstaltungen so auf mich gemacht haben.
Mein wichtigster Eindruck: Sie hatten kein Thema mehr. Ihnen fällt gerade nichts mehr ein.
Bei meinem ersten Konferenzbesuch (und das war der Grund, warum ich damals da überhaupt hingefahren bin) war das Thema „Experten”. Und darum ging es dann auch.
Bei meinem zweiten Besuch ging es um #Aufschrei, da hat Pro Quote getobt und die Konferenz unter Kontrolle gehabt, alles ging um Feminismus und Männerjagd, jeden Abweichler hat man an die Wand genagelt und gefoltert.
Letztes Jahr ging es um Trump und Fake News und Rechte und…
Dieses Jahr lief die Konferenz unter dem Motto „Alternative: Fakten”, und es ging um – nichts. Um allen möglichen Kleinkram, der sich halt so ergab, und so ständige Rubriken, aber kein greifbares Thema.
So zumindest mein Eindruck. Der mag täuschen, weil man bis zu 11 (!) Veranstaltungen gleichzeitig/parallel anbot, und ich immer nur in einer sitzen konnte (nein, ich bin nicht Hermine).
Ich fand das ärgerlich, und dem Vernehmen nach andere auch, die sich ebenfalls negativ darüber äußerten, dass man dadurch nur einen Teil der Veranstaltungen besuchen konnte, die einen interessierten.
Informatiker lösen solche Probleme mit einem Wunderwerk moderner Technik: Mit Videokameras. Über den CCC mag man unterschiedlicher Meinung sein und kann wohl viel über ihn sagen, aber ihre Konferenzen zum Download anzubieten, das bekommen sie exzellent hin. Beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen klappt das nicht so gut. Immerhin stand irgendwo, dass die Veranstaltungen aus dem großen Hauptsaal K1 live gestreamt und auch zum Download aufgezeichnet werden. Deshalb habe ich die Strategie gewählt, K1 zu meiden und die anderen, kleineren Säle zu besuchen und darauf zu spekulieren, dass es die Videos aus K1 tatsächlich zum Download gibt.
Deshalb war ich heute außer der Begrüßung nicht in K1. (Stilistische Anmerkung: Wenn man die Leute spontan und ohne Vorwarnung in eine stille Gedenkminute für einen Verstorbenen nötigt, muss man sich auch nicht wundern, wenn dann ein Handy dudelt. Wie Gedenkveranstaltungen auf mich persönlich wirken, in denen man bedauern muss, mit dem Verblichenen zerstritten gewesen zu sein und deshalb nicht mehr mit ihm gesprochen zu haben oder zu einem Gespräch gekommen zu sein, verkneife ich mir an dieser Stelle.)
K1 ist aber nunmal die große Halle des Jammerns, des Wehklagens und des – meist leeren – Geschwätzes, und vielleicht beruht mein Eindruck der Themenlosigkeit genau darauf, dass ich da eben nicht anwesend, sondern in anderen Veranstaltungen war.
Jedenfalls ist mir aufgefallen, dass diesmal selbst die drei, vier, fünf zentralen und wichtigsten Themen des modernen deutschen Journalismus kaum vorkamen .
- Feministisches Unterdrückungsgejammer nur am Rande,
- Weltuntergangswehklagen wegen sinkener Zahlen und lächerlicher Gehälter plötzlich gar nicht mehr, nicht mal Finanzierungsforderungen habe ich noch gehört,
- Einhacken auf Trump auch nicht mehr gab. Im Konferenz-Logo kam er noch vor, wurde ansonsten jedenfalls, da, wo ich war, überhaupt nicht mehr erwähnt,
- Einhauen auf Rechte auch nur am Rande, und dann anders,
- Reporter ohne Grenzen standen auch nur noch irgendwo rum,
- überhaupt nichts zu schwul, trans, LBQTTIQQ?@!, das Thema war einfach weg.
- überhaupt nichts zu „Hate Speech”
- Deniz Yücel: Letztes Jahr noch das Hauptthema des Hauptgehampels, da hätte ich dieses Jahr einen Erfolgsbericht, gegenseitiges Danken oder Yücel selbst erwartet: Nichts. Kein Wort. Totale Funkstille, als wäre das nie passiert.
Alle diese Zentralthemen kamen nicht mehr oder nur noch am Rande vor, sind offenbar ausgeleiert, abgeranzt, ausgekaut.
Zieht man das alles ab, bleibt fast nichts mehr übrig. Sie haben ja sonst nichts mehr.
Irgendwie hatte ich wiederholt den Eindruck, dass da nur noch eine Art hilflose Leere, Stille herrscht. Was den Tag inhaltlich echt noch gerettet hat, war, dass die Russen nach dem Doping-Skandal Hajo Seppelt nicht mehr reinlassen wollten und Sicherheitskreise meinten, es bestünde Gefahr, dass er eingebuchtet oder umgelegt wird. War gleich dreimal Thema. Ohne das wären sie aufgeschmissen gewesen.
Was mich dazu überaus erstaunte: Auch von der Fußball-WM und dem Mordanschlag auf eine Zeitungsredaktion gestern abend in den USA war nicht die Rede. Ich hätte gestern abend hoch gewettet, dass der Terroranschlag heute das alles überschattende Dauerjammerthema wird. Die Wette hätte ich total verloren.
Die Konferenz war irgendwie, naja, um es mit Trappatoni zu sagen: Wie Flasche leer. Da ist irgendwie nichts mehr drinne. Ausgelaugt, aufgebraucht, verbraucht.
Ein wesentlicher Grund dafür war sicherlich auch, dass der Journalismus in den letzten Jahren überaus aggressiv, arrogant, überheblich, selbstherrlich, dominant aufgetreten ist und verkündet hat, im Besitz der alles überragenden Wahrheit zu sein. Wie ich aber gestern abend schon zu Maybrit Illner schrieb: Die packt gerade das Grausen. Jahrelang haben sie pro-Migration und pro-Feminismus geprügelt, und beides ist nun geplatzt. Bei der Migration sind sich inzwischen mehr oder weniger alle bewusst geworden, dass das so einfach nicht klappt. Zu Frauen schreib ich in einem der folgenden Artikel noch was.
Sie wirkten auf mich still, leise, orientierungsarm, desorientiert, in einer Art Erschöpfungszustand. Es lief auch niemand mehr mit einer Fernsehkamera herum, um Leute zu interviewen oder hinzurichten.
Ich würde noch nicht sagen, dass sie sich wie normale Leute benehmen. Aber sie haben sich ein ziemliches Stück in diese Richtung bewegt. Nichts mehr von dem absurd-durchgeknallten Geschrei wie bei #Aufschrei. Nichts mehr von dem dämlichen Trump-Gebashe. Nicht mal Gender-Sprache, und keiner, der mir irgendwie noch vorschreiben wollte, wie ich über Schwule zu schreiben hätte, als ob der ganze Regenbogen-Scheiß komplett erledigt und im Altpapiercontainer gelandet wäre.
Vielleicht ist auch einfach nur das Ende von Merkel nahe, wie der Spiegel gerade trötet (Vorsicht: Totgesagte kleben länger – am Stuhl), und auch die politischen Gewissheiten nicht mehr gewiss. Vielleicht polt sich da gerade nur der Opportunismus um wie das Magnetfeld der Erde. Da sagen sie ja auch, dass es vor der Umpolung zum unkontrollierten Einsturz des alten Systems kommt. Vielleicht hat man diesen ganzen Scheiß hochgepumpt, solange man sich des Duos Infernale aus SPD und Merkel sicher war, um deren Speichel zu lecken. Nachdem sich nun sowohl SPD als auch Merkel erledigt haben dürften, ist mit solcherlei Opportunismus nichts mehr zu erreichen, und aufeinmal fällt diese ganze linke Deppensekte in sich zusammen. Auf einmal schalten die alle wieder auf neutral, richtungslos, orientierungslos, jederzeit bereit, neue Windrichtungen aufzunehmen.