Ansichten eines Informatikers

Der gefälschte Banken-Merkel-Brief

Hadmut
18.4.2019 19:21

Ja, aber…

Wie ich so gerne sage: Ich recherchiere oft nicht vor dem Publizieren, sondern durch das Publizieren. Die Kenntnisse von Tausenden Lesern, über die ganze Welt verstreut, sind durch nichts zu ersetzen (solange wir nicht Deep Thought bauen). Ich finde es ja immer erstaunlich, wenn einzelne Leser dann erwarten, dass ich etwas total ausrecherchiere, bevor ich es – nach Feierabend, in der Freizeit und kostenlos – publiziere und fertig verdaut serviere. Ich tue mir auch immer etwas schwer mit den Leservorschlägen, wie ich das oder jenes recherchieren könnte oder sollte oder „Mach doch mal das” oder „Warum machst du nicht dies?”. Da neige ich dann dazu zu fragen, warum machst Du es nicht mal selbst und berichtest mir über das Ergebnis?

Wie auch immer, die allermeisten Leser, gefühlt mindestens 99%, geben nützliche Hinweise und gutes Feedback.

In der Mehrzahl waren das Hinweise wie „offensichtlich gefälscht”, weil das Englisch so schlecht und fehlerhaft sei, und der angebliche Verfasser immerhin an einer amerikanischen (oder zumindest englischsprachigen) Universität studiert habe und Jurist sei, also garantiert besseres Englisch spreche.

Beachtlich ist auch, dass mir einige Leser, die sich entweder mit Panama- und Paradise-Papers vertieft auseinandergesetzt haben, oder als Insider im Bankenwesen unterwegs sind, dass das aus zwei Gründen nicht stimmen kann:

  • Solche Warnungen wie in diesem Brief gebe es tatsächlich, aber immer nur mündlich, damit es keine Beweise und Akten gibt. Manche sagte, es erfolge telefonisch, andere erklärten mir, dass in solchen Fällen ein Jurist der Bank dem Kunden einen diskreten persönlichen Besuch abstatte. Unglaubwürdig und unplausibel sei nicht der Vorgang an sich, sondern die Form.
  • Andere schrieben mir, dass an dem Vorgang vor allem eines realitätswidrig sei: Der viel zu kleine Betrag. Sowas sei „Spielgeld”, deshalb bewege sich da noch nichts.

Interessanter sind die Hinweise, die konkreter auf den Ursprung des Briefes eingehen. Es geht auf einen gewissen Rudolf Elmer zurück, der dafür tatsächlich verurteilt wurde und auch in Zusammenhang mit Banken-CDs steht. Der Schweizer Tagesanzeiger berichtete 2015 darüber, während bei Wikipedia von Oktober 2018 die Rede ist, aber auch von Bundesgericht. Scheint dann eine Berufung oder Revision zu sein, aber damit scheint geklärt, dass es eine Fälschung ist und wer der Fälscher ist.

Dazu Wikipedia:

Der “Merkel Brief” ist als eine offensichtliche und plumpe Fälschung für jeden Dritten erkennbar und gemäss Elmer wurde dieser als Versuchsballon produziert, um zu testen, ob WikiLeaks alle erhaltenen Informationen ohne Zensur publiziert. Die Publikation des Merkel-Briefs war für Elmer der Startschuss, um weitere Daten hochzuladen. Alle anderen Vorwürfe bzw. nicht zur anklagegebrachten Beschuldigungen bestritt Elmer.

Der Knackpunkt daran ist: Soooo gefälscht, wie viele das meinten, ist der Brief gar nicht. Denn erstens war Elmer tatsächlich Manager der Julius-Bär-Bank, und zweitens soll das Briefpapier echt sein.

Es handelt sich damit in gewisser Weise um einen echten Brief aus der echten Julius-Bär-Bank auf echtem Papier, nur dass die Unterschrift faul und der Inhalt falsch war. Da kann man sich jetzt trefflich überlegen, wo die Linie zwischen falsch und gefälscht verläuft.

Was mich aber zu dem zurück bringt, was mir durch den Kopf ging, als ich das heute morgen vor dem Weg zur Arbeit noch schnell rausgebloggt habe (um bis zum Abend Feedback zu bekommen):

Ich bin davon ausgegangen, dass es eine Fälschung, aber nicht falsch ist.

Ich hatte das gestern abend nach einem Leserhinweis gelesen, direkt bevor ich ins Bett gegangen bin, und dann im Bett so vor dem Einschlafen noch darüber nachgedacht.

Was würde Wikileaks in dieser Situation tun, um einem festgenommenen Julian Assage noch zu helfen? Mal unterstellt, Wikileaks läuft noch entfernt rational (was nicht sicher ist).

Ihr komplettes Pulver verschießen? Nicht schlau. Dann haben sie nichts mehr und das Strafmaß für Assange wird nur umso höher.

Lügen? Auch dumm, damit nutzen sie Assange überhaupt nicht und schaden ihm nur.

Was ergäbe einen Sinn?

Nur eine Warnung. Eine Warnung, die als Warnung beim Empfänger ankommt, aber das Pulver nicht verschießt.

Also ging mir so durch den Kopf: Was ist, wenn das eine Andeutung ist, im Sinne von: Wir wissen was, wir haben was. Aber so, dass das Pulver nicht verschossen ist. Also so, dass es den Skandal noch nicht gibt, weil es einfach doof und falsch aussieht. So dass es nur ein kleiner Personenkreis versteht.

Durch den Hinweis auf diesen Rudolf Elmer (das wusste ich nicht) sieht die Sache nun etwas anders aus. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das Ding zwar einerseits eine Fälschung ist, aber andererseits doch aus der Bank heraus erfolgte und insofern eigentlich keine Fälschung, sondern ein Testballon war. Eigentlich ist es keine Fälschung, es ist eine Probesendung mit Dummy-Inhalt. Denn wenn das so stimmt, dann war das Ziel nicht die Täuschung, sondern das Ausmessen der Publizierbereitschaft von Wikileaks.

Was meine Überlegungen von oben durchaus erhält, nur Zeitpunkt und Täter austauscht.

Warum würde jemand, der (echte) Interna publizieren will, vorher so lügen, um sich selbst ins Knie zu schießen und sich unglaubwürdig zu machen? Wenn man etwas publizieren, whistleblowen, einen Skandal auslösen will, dann stellt man sich doch nicht vorab selbst als Lügner dar.

Worin liegt da der Sinn?

Wieder drängt sich mir der Gedanke auf, dass das nur dann Sinn ergibt, wenn es eine realitätsnahe Aussage war, die nur zum Test oder zur Drohung so verfasst war, dass nur die Empfänger sie verstehen, die Öffentlichkeit aber für gefälscht hält.

Ich will’s mal so sagen:

Bevor ich damals im Herbst 2012 aus dem Müncher Raum nach Berlin wechselte, war ich drauf und dran, in die Schweiz zu wechseln. Ich hatte ein Bewerbungsgespräch bei einer Personalagentur in der Schweiz, die für eine Schweizer Bank einen IT-Sicherheitsberater suchten, und das lief auch gut, ich hatte schon ein fettes Gehaltsangebot, dazu hatten sie mir ausgerechnet, dass ich dort viel weniger Steuern zahle und wie gut die Altersversorgung sei (allerdings schlackert man bei den Lebenshaltungskosten in Zürich, wo das gewesen wäre, nur so mit den Ohren), und war schon drauf und dran, in den Züricher Raum umzuziehen, als urplötzlich die Absage kam: Irgendein deutschstämmiger Informatiker hatte bei einer Schweizer Bank eine CDROM erstellt und an die Deutschen verkauft. Deshalb sei die generelle Parole ausgegeben worden, gar keine Deutschen, schon gar keine Informatiker, mehr an die Banken zu lassen. Nix war’s.

Auf dem Rückweg hatte ich an der Autobahn nach einer Gelegenheit gesucht, irgendwas zu essen, und bin dabei in einem Einkaufszentrum gelandet, und weil ich auf die Schnelle auch nichts besseres gefunden habe, in die Kantine eines Schweizer IKEAs, auch weil ich noch eine von diesen kleinen LED-Klemmlampen (Jansjö) kaufen wollte, und es mir einfacher erschien, sie dort zu kaufen, wo ich sowieso vorbeikam, als in München dann noch raus ins Umland zu fahren. War alles genau wie in Deutschland, nur die Preise fast doppelt so hoch. Gerade mal online geguckt, ist immer noch so. Deutschland: 9,99 Euro. Schweiz: 19,95 CHF = ca. 17,60 Euro. Insofern hat mich das zumindest zu einem kleinen Teil über das entgangene fette Gehalt getröstet, aber die Nummer ist mir schon in Erinnerung geblieben. Da laufen anscheinend eine Menge Dinge, die das Tageslicht nicht sehen sollen.

Insofern kann ich mir das durchaus vorstellen, dass da die Whistleblower einiges zu blasen hätten.

Ich glaube, man macht es sich zu einfach, immer alles so völlig wegzuwischen. Irgendwann hatte ich mal einen Blogartikel in der Frühzeit des Blogs, in dem ich genau das aufgegriffen habe, nämlich dass man es sich damit, vieles als Fälschung wegzuwischen oder aus anderen Gründen sofort zu verwerfen, einfach sehr einfach macht und risikolos dem Mainstream folgt, und sich damit als schlau und überlegen hinstellt, obwohl man einfach nur jedes Risiko vermeidet.

Hinter Fälschungen stecken manchmal interessantere Absichten als hinter Echtigkeiten.