Panoramafreiheit als Symptom überforderter Gesetzgebung
Mal wieder was zur Fotografie.
Oder: Es wird oft gefragt, warum die Leute sich immer weniger an Gesetze halten.
Es geht nicht nur um den links so geheiligten „zivilen Ungehorsam” (aber wehe, wenn ein Nichtlinker gegen Recht verstößt), sondern generell um den Verfall der Sitten und des Bindungsgefühls an Gesetze. Wenn ich hier vorne an der Ampel stehe, fahren so ungefähr 70% der beobachten Radfahrer bei Rot, und zwar ohne auch nur im Ansatz zu bremsen oder zu schauen, ob frei ist. An einem Fußgängerüberweg bin ich bei grüner Fußgängerampel schon ein paarmal fast von Radfahrer angefahren worden, die trotz roter Ampel für den Verkehr ohne zu bremsen voll zwischen den Fußgängern durchfahren. Ich kenne einen Zebrastreifen, den zu überqueren besonders gefährlich ist, weil da dichter Verkehr herrscht und die Autos zwar halten, es aber meist Lieferwagen oder kleine LKW sind, und man dann, wenn man fast auf der Gegenseite angekommen und an den (von rechts) kommenden und stehengebliebenen Autos vorbeigeht, auf dem letzten Meter nicht noch ein Radfahrer vorbeigeschossen kommt, den man nicht sehen kann, der einen nicht sehen kann, und der sich für Zebrastreifen einen Scheiß interessiert.
Heute auf der Bildzeitung als Titelbild ein Foto, das irgendwer aus einem Rettungsfahrzeug auf der Autobahn gemacht hat, vorbildliche Rettungsgasse, aber in der Rettungsgasse fährt jemand gegen die Fahrtrichtung zurück, weil er keinen Bock auf Stau hat.
Irgendwie hält sich gar niemand mehr an irgendein Recht, außer vielleicht der alteingesessenen Bevölkerung, die man noch dazu erzogen hat.
Es hängt aber ganz wesentlich auch damit zusammen, dass unser Recht immer bescheuerter, immer widersprüchlicher und bekloppter wird. Was ursächlich damit zusammenhängt, dass unser Gesetzgeber, namentlich die Abgeordneten, die darüber abstimmen, immer unfähiger werden und immer weniger Ahnung haben. Sie etwa das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags dazu, dass eine CO2-Steuer verfassungsrechtlich nicht geht und man sich nicht einfach irgendwas ausdenken kann.
Man könnte jetzt natürlich die Frage aufwerfen, wie sich unsere Bevölkerungsveränderung darauf auswirkt, wieviele Leute überhaupt noch Gesetze gelesen haben und diese respektieren. Neulich hieß es irgendwo, dass Führerscheinprüfungen in großem Umfang manipuliert werden, auch die theoretischen, weil die Leute Straßenverkehrsrecht schlicht gar nicht erst verstehen. Oder sich nicht dafür interessieren. Oder meinen, dass sie darüber stehen. Es ist eine Frage der Zeit, wann man die Einhaltung der Verkehrsregeln in die Autos fest einbaut und nicht mehr dem Fahrer überlässt.
Panoramafreiheit
Nun schrieb mich einer an und wies mich auf eine Webseite hin: Im Juraforum gibt es eine Zusammenstellung von rechtlichen Anforderungen an die Panoramafreiheit.
Eine ordentliche Zusammenstellung, wenngleich ich so damit nicht ganz einverstanden bin, denn sie betrachtet nur die Panoramafreiheit, es gibt aber noch andere Rechte, die die Veröffentlichung einer nach sonstigem Recht verbotenen Aufnahme gestatten, denn Bilder von Personen unterliegen eben nicht alleine nur dem (ohnehin nie gesetzlich ausformulierten) Persönlichkeitsrecht, sondern auch dem Kunsturhebergesetz. Nur weil die Panoramafreiheit nicht zieht, heißt das noch lange nicht, dass man das Foto nicht machen darf, weil es eben auch andere Ausnahmebestände gibt.
Worauf ich aber hinaus will:
Schon bisher ist es ziemlich schwierig herauszufinden, ob man nun darf oder nicht, weil Panoramafreiheit, Kunsturheberrecht, Hausrecht, und dann eben noch das nur als Richterrecht bestehende und damit ziemlich undurchsichtige und schwer vorhersagbare Persönlichkeitsrecht munter durcheinander gehen.
Nun kommt aber, wie in diesem Artikel beschrieben, noch die DSGVO dazu, die dem widerspricht, und man weiß nun gar nicht mehr, was denn nun gilt.
Dazu kommen weitere Probleme. Ich frage – so’n Hobby von mir – seit etwa 10 Jahren immer wieder Juristen, das Recht welchen Landes eigentlich anzuwenden ist, wenn ich im Urlaub in Land X eine Person aus dem Land Y fotografiere und das Foto hier in D dann veröffentliche. Meistens antworten sie gar nichts, und wenn sie antworten, verteilt es sich gleichmäßig auf X und D, selten Y.
Bonusfrage: Ich stehe an der Grenze der Länder A und B und fotografiere von Land A aus eine Person in B. Gilt das Recht des Standort des Fotografen oder des Fotografierten? Da sagt jeder gerne, dass es auf den Fotografierten ankomme. Beim Panoramarecht kommt es aber auf den Standort des Fotografen an.
Dabei ist die Fragestellung gar nicht mal so abwegig.
Selbst ohne Person.
Ich war ja neulich in Neuseeland. Dabei bin ich – versehentlich – an einem Ort vorbeigekommen, an den ich eigentlich gar nicht wollte. Und den ich örtlich irgendwie in falscher Erinnerung hatte, denn ich bin da auf der letzte Reise 8 Jahre vorher trotz anderer Fahrtrichtung schon einmal vorbeigekommen, ohne dahin zu wollen, weil ich dachte, das muss ich mir nun wirklich nicht angucken, mich aber unterwegs ein Bedürfnis plagte. Die Rede ist vom Hundertwasserklo in Kawakawa. Also nicht seinem Klo, sondern die von ihm, Friedensreich Hundertwasser, gestaltete Bedürfnisanstalt. Hässlich, und weil man sie als Kunstwerk ja auch nicht anrühren will, nicht mehr im besten Zustand. Aber bunt. Also dachte ich mir, ich könnte ja mal ein paar Filmaufnahmen für’s Blog probieren, es stellte sich aber hinterher heraus, dass ich ein arges Mikrofonproblem hatte, weil zwei scheinbar gleiche Mikrofone doch nicht gleich waren und es grauslich endete, als ich mal das andere erwischte.
Die Frage ist aber nun: Dürfte ich denn das überhaupt zeigen? Gilt neuseeländisches oder deutsches Recht?
Oder um es etwas makabrer zu gestalten: Es gab ja vor ein paar Monaten diesen Terroranschlag in Neuseeland, bei dem der Massenmörder die Kamera mitlaufen ließ. Gilt für das Zeigen hier neuseeländisches oder deutsches Recht?
Technik
Was die Juristen wieder mal gänzlich außen vor lassen, ist der Fortschritt der Technik. Oder überhaupt der Technik. Es ist zwar klar, dass Leitern, Drohnen und so weiter nicht darunter fallen.
Aber was ist eigentlich mit einem Teleobjektiv?
Die sind ja in den letzten Jahren auch viel stärker und trotzdem günstiger geworden.
Oder einer 3D- oder stereoskopischen Kamera?
Im Prinzip gestattet die Panoramafreiheit die gewerbliche Verbreitung, Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe der Fotografie. Die Darstellung in 3-dimensionaler Form ist unzulässig. Die Fotografie selbst darf auf einem dreidimensionalen Träger angebracht werden.
Gemeint ist damit, dass man ein Kunstwerk zwar fotografieren, aber nicht nachbauen, nicht nachbilden darf.
Gesagt ist damit etwas anderes, denn die Formulierung ist unpräzise.
Was etwa, wenn man das Kunstwerk stereoskopisch oder 3-Dimensional, oder von verschiedenen Standpunkten aus fotografiert und dann in der 3D-Brille (virtual reality) zeigt? Ist das eine Fotografie oder eine dreidimensionale Abbildung?
Ich hatte mir auf einer Immobilienwebseite in Neuseeland verschiedene Häuser angesehen, die Makler dort anboten. Dabei gab es ein paar Häusern, die man mit einer mir nicht näher bekannten Technik aber offenbar mit einer an verschiedenen Orten auf Stativ stehenden 360°-Kamera (man sah aber nie den Fotografen, womöglich per Zeitauslöser oder Handy fernausgelöst) so durchfotografiert hatte, dass man sich durch das ganze Haus bewegen und in jedes Zimmer „gehen” konnte (aber immer an gewisse, rot aufleuchtende Stellen „gehen” musste, weil da offenbar jeweils eine Aufnahme gemacht wurde, und wo man sich dann 360° in alle Richtungen umsehen konnte. Da die Häuser dort oft zusammen mit der Möblierung verkauft werden, stand man per Computermonitor fast wie in einer möblierten Wohnung und hatte schier das Gefühl, man könnte sich da jetzt direkt in den Sessel setzen und den Fernseher anmachen. Auch wenn man nur vor dem schnöden Monitor saß und die Maus schob, fühlte man sich da, als wäre man irgendwie dort und drin.
Ist das nun eine Fotografie oder eine 3-dimensonale Darstellung?
Zweiklassengesellschaft
Dazu kommt, dass solcherlei Luxusrecht, also alles oberhalb von Mord, Totschlag und Vergewaltigung, eigentlich nur noch gegen einen Teil der Bevölkerung überhaupt angewandt wird, eben die mit konkretem, bekanntem Namen und Wohnsitz. Die Zahl der Personen, die nicht als passivlegitimiert eingesetzt werden können, oder gegen die das Recht nicht mehr durchsetzbar ist, steigt.
- Würde Urheberrecht gegen irgendwelche islamististischen arabischsprachigen Foren eingesetzt, die unerlaubt Bilder aus Deutschland darstellen?
- Würden Strafen gegen Leute durchgesetzt, die auf Hartz IV oder Asylleistungen gesetzt sind?
- Wieviele linke Foren, Webseiten, Publikationen gibt es, die kein erkennbares oder rechtskonformes Impressum haben? Im Bereich des linken, „politisch korrekten” Spektrums wird die Impressumspflicht praktisch nicht mehr durchgesetzt, finden sich zahllose Kampagnen- und Aktivistenseiten, die rechtlich nicht auf konkrete Personen zurückzuführen sind, jedenfalls nicht mit für einen Urheber vertretbaren und leistbaren Aufwand.
Bei „Fridays-for-Future” stört es niemanden, dass die als Rechtsperson nicht existieren und die Polizei will mir nicht sagen, wer da Veranstalter ist. Wie könnte man da etwa Urheberrechte gegen die durchsetzen, wenn es da eine Verletzung gäbe? Welches Gericht würde die überhaupt noch durchsetzen?
Wir haben nicht nur unklare und widersprüchliche Gesetze, auch die Durchsetzung ist nur noch willkürlich und nach politischer Windrichtung möglich.
Und dann wundert man sich, wenn sich immer weniger Leute an die Gesetze halten. Oder diese gar nicht erst kennen.
Neulich saß ich hier in Berlin in der U-Bahn und hörte mit, wie sich ein paar Jugendliche so vom Typ gymnasiale Oberstufe, wissen alles besser, untereinander unterhielten. Wen man wann wo wie fotografieren dürfe. Der mit der größten Klappe verkündete felsenfest, und alle glaubten ihm das sofort, dass wenn auf einem Foto mindestens 5 Personen drauf wären, könne man damit machen, was man wolle. Der Volksmund denkt sich gerne irgendwelche pseudomystischen Regeln aus. Früher ging mal die Legende um, dass man als Mieter die Kündigungsfrist nicht einzuhalten bräuchte, wenn man dem Vermieter drei Nachmieter präsentiere. Es sind Erscheinungen einer Gesellschaft, die Recht nicht mehr versteht, ihm nicht mehr folgt, es für eine Art unverständlicher Willkür oder Hexerei hält, und sich ein eigenes Recht mit Bauernregeln zusammenschnitzt.
Je komplizierter, widersprüchlicher, willkürlicher das Recht wird, und dazu gehören auch solche Schnapsideen wie die CO2-Steuer, desto weniger hält man sich an das Recht und desto kleiner wird die Bevölkerungsgruppe, für die es effektiv noch gilt.
Und mit der nur noch selektiven Anwendung verliert das Recht, das Gesetz, dann seine Legitimation der Allgemeingültigkeit.
Wir sind auf dem Weg in die Gesetzlosigkeit. Man muss nur noch die Nachrichten schauen, um viele weitere Symptome zu sehen.