Ansichten eines Informatikers

Vom Tod der Blasinstrumente

Hadmut
16.12.2022 21:47

Auch traurig.

So, bin gerade von -9 Grad zu kann man im T-Shirt aushalten zurückgekommen, nachdem ich ein paar Tage in Berlin war. Sollte ursprünglich nur das Wochenende sein, aber ein paar Angelegenheiten, unter anderem der Kellereinbruch (bei dem ich anscheinend – in analoger Anwendung zu St. Florian – davon profitierte, dass andere Nachbarn wertvollere Dinge im Keller hatten, mit Betonung auf hatten).

Ich war in Berlin in einem großen Musikgeschäft, die auch Mikrofone, Aufnahmegeräte und solches Zeug haben.

Verblüfft musste ich feststellen, dass die Abteilung für Blasinstrumente, wo sie Klarinetten, Saxophone, Trompeten, Posaunen, Querflöten und sowas hatten, einfach weg war. Und wenn ich im Nachhinein so nachdenke, anscheinend auch die Streichintstrumente.

Ich meine dabei jenes „weg“ im Sinne von „nicht mehr da“.

Aber jetzt nicht im räumlichen Sinne, es gab da kein Loch im Raum-Zeit-kontinuum, die Räume waren schon noch da. Aber es waren nur noch Dinge mit Klaviatur da, ob nun Flügel oder Keyboards, kleine, große, dicke, dünne, teure, billige, sogar welche zum Zusammenfalten (die sich auch genau so anhörten). Unglaublich viele Dinge mit Klaviertasten in den unterschiedlichsten Tastaturlängen.

Es gibt eine riesige Abteilung für Gitarren.

Auch eine für Schlagzeuge.

Eine für den ganzen Elektronikkram, Mikrofone, Aufnahmegeräte und so weiter.

Und eine ganz Abteilung für elektronische Geräte, von denen ich nicht verstanden habe, was man damit macht und wozu sie gut sind. Unglaublich viele Geräte in der Größe eines Schachbrettes mit vielen quadratischen Gummitasten, die bunt leuchten und den Verdacht erwecken, sie könnten Geräusche elektrischer Art veranlassen, nur eben nicht nach einem mir ersichtlichen Schema. Sie scheinen aber sehr beliebt zu sein, vielleicht, weil sie so bunt leuchten können. Ich habe mir die Packungen vieler solcher Geräte angesehen. Es steht nie drauf, wofür sie eigentlich gut sind.

Ich habe auch ein Gerät gesehen, das ich zwar auch nicht verstanden habe, das mir aber auch vom Erscheinungsbild neu war. Irgendwas mit Streaming, in Handy-Größe, aufladbar und mit Bildschirm. Tragbar, man kann es mitnehmen, es sah nett aus und es war im Angebot. Schon attraktiv.

Ich fragte den Fachverkäufer, ansonsten sehr kompetent, was das sei, wozu man das brauche, was man damit machen könne, welchen Vorteil es einem böte, ein solches, sehr tragbares und aufladbares Gerät mit sich zu führen.

Der Verkäufer sagte, das könne er mir leider nicht beantworten, das wisse er auch nicht. Er habe noch nicht verstanden, was das Gerät macht. Es sei tragbar, es sei im Angebot, es sehe gut aus, aber er zog sich auf den Standpunkt zurück, dass solange er nicht wisse, wozu man das brauche, er zu der kanonischen Ansicht neige, dass man es eben nicht brauche.

Seine Kollegen, ja, die wüssten oder vermuteten, wozu man das wohl brauche, er sehe aber davon ab, sich auf sie zu berufen, solange sie sich darin noch nicht einig seien. Er verfüge über die Geduld, das abzuwarten.

Ich grübelte einen Moment über die Frage, ob ein PR-Genie oder ein PR-Versager dahinter stecke, ein Gerät in den Markt zu bringen, bei dem man nicht so recht erkennt, wofür es eigentlich zu gebrauchen ist. Aber es ist tragbar, es ist aufladbar (USB) und es ist im Angebot.

Schöne neue Welt.

Ich ging also zurück dahin, wo früher so unelektrische Instrumente aus Blech und Holz standen, deren Gebrauch zwar nicht einfach und nicht durch Studium einer Bedienungsanleitung zu erschließen ist, deren grundsätzlicher Gebrauch und Nutzen sich aber unmittelbar erschließt und allgemein bekannt ist, und die man nicht aufzuladen braucht.

Und fragte, wo das alles geblieben sei.

Die Antwort fiel traurig aus, im Tonfall, als sei gerade der beliebteste Mitarbeiter gestorben.

Die Corona-Pandemie.

Die Nachfrage habe sich komplett verändert, manche Instrumente seien da einfach nicht mehr gefragt gewesen. Lockdown und so.

Und man habe eben bittere Entscheidungen treffen müssen, um die Krise selbst überleben zu können. Man habe das Sortiment danach umstellen müssen, womit man das Überleben des Geschäfts habe erreichen können. Also hat man jetzt billige Plastikkeyboards und solchen Kram, Elektronische Geräte, auf deren konkreten Nutzen es zumindest primär nicht so ankommt, und vor allem alles, was Youtuber, Podcaster und so weiter brauchen.

Möglicherweise ist das nachvollziehbar, denn Keyboards, E-Gitarren und sowas kann man mit Kopfhörer spielen, Gitarren auch leise. Schlagzeuge jetzt nicht so, aber da kommen auch die Elektronischen in Mode, die nur elektronisch Geräusche machen und sich ansonsten, so physisch, anhören wie ein verprügelter Radiergummi. Man muss(te) halt im Home-Office, im Lockdown üben und spielen und deshalb auf nachbarn- und familienschonendes Gerät umsteigen.

Gut möglich also, dass auch die Musik langfristigen und womöglich nicht wieder gutzumachenden Schaden an Corona genommen hat.

Ich kann mich erinnern, dass mal ein Landwirt, der gelegentlich Schulklassen zu Besuch hat, zu berichten wusste, dass viele Schulkinder nicht wissen, was eine Kuh oder ein Schwein ist, oder wo Butter, Milch, Schinken eigentlich herkommen.

Ich fürchte, es wird nicht mehr lange dauern, bis Schulkinder auch nicht mehr wissen, was eine Trompete, eine Klarinette oder Oboe, ein Saxophon, eine Querflöte ist, und die für eine App auf dem iPhone halten.

Derweil muss ich eben mit der reziproken Unwissenheit leben, dass ich nicht von jedem elektronischen Gerät weiß, wie man das verwendet. Ich habe so den Verdacht, dass einige der Geräte in die Kategorie „Sequencer“ fallen, mit der man das Musikspiel an den Computer delegiert.

Sie hatten auch noch seltsame Geräte, die als kleine nackte Platine gleichen Layouts, aber unterschiedlicher Namen mit Anzeige und den Tastenrümpfen für Zehnertestatur und Funktiostasten verkauft wurden, das Gehäuse dazu (passt für alle) separat. Auch da war mir nicht ersichtlich, wie, warum und wozu man die benutzt.

Aber wie sagt man so schön? Bei uns kommt die Musik aus dem Radio. Oder vom Streaming-Anbieter.

Apropos Musikgeschäft: So schnell landet man auf einer zypriotischen Facebookseite.