Ansichten eines Informatikers

Was wohl Darwin dazu sagen würde?

Hadmut
12.3.2008 22:00

Nun bin ich ja durchaus ein Anhänger der Evolutionstheorie (für Kreationismus habe ich nichts übrig). Es passieren auf dieser Welt aber Sachen, da muß man sich ernsthaft fragen, auf welchem Modell wir eigentlich gerade laufen.

Je härter die Umgebung, je stärker der Wettbewerb um knappes Gut, desto mehr gilt “Survival of the fittest”. In Ländern mit extremen Umweltbedingungen wie Australien wird man immer wieder damit konfrontiert, wie dieser Selektionsdruck erstaunliche Lebensformen und außergewöhnlichste Fähigkeiten und Eigenschaften hervorgebracht hat.

Das Problem daran ist: Unsere moderne Konsum-Gesellschaft hat den Selektionsdruck abgeschafft. Heute überlebt jeder. Ohne Selektion keine Evolution. Wir degenerieren gerade vom Homo Sapiens zurück zum Homo Erectus und sonstigen Mutanten.

Zwar gibt es den sog. Darwin Award, der posthum an Zeitgenossen verliehen wird, die dem menschlichen Genpool dadurch Schlimmes erspart haben, daß sie sich durch Dummheit selbst erledigten bevor sie sich fortgepflanzt haben, aber das sind einfach zu wenige, als daß es sich wirklich auswirken könnte.

Von einem besonders folgenschweren Fall der Abschaffung eines für die Menschheit wichtigen Selektionsdruckes berichtete heute die Tageszeitung.

In der Brick Lane, einer Fußgängerzone im Londoner Osten, hat man zahlreiche Hindernisse wie Laternenpfähle gepolstert, weil zu viele Leute, die mit dem Handy telefonierten oder SMS schrieben und nicht auf die Umwelt achteten, dagegen liefen. Laut einer Erhebung einer britischen Telefonauskunft käme es jährlich zu über 6 Millionen Zusammenstößen zwischen “Handybenutzern und Materie”. SMS sei am gefährlichsten. Wissenschaftler hätten festgestellt, daß 62 Prozent der Briten beim SMS-Schreiben ihre periphere Sicht verlieren. Es kommt zu blauen Flecken, aber auch Nasen- und Schädelbrüchen.

Zwar waren die Polster nicht ernst gemeint, sondern eigentlich nur ein Werbegag jener Teleonfauskunft. Die Briten fanden es aber so gut und wichtig, daß das jetzt offiziell gefordert wird. 44 Prozent der Befragten waren dafür.

Wieder ein Selektionsdruck weg. Wenn ich mich recht entsinne, wurde vor ein paar Jahren der offiziell erste Handy-Tote verkündet. Irgendwie war ein Japaner (?) mit dem Handy am Kopf so unglücklich gegen einen Baum gelaufen, daß er sich das Ding in den Schädel gerammt und das nicht überlebt hat.

Diesen Selektionsdruck wollen sie nehmen.

Aber dafür wollen sie etwas anderes einführen, was vielleicht noch viel besser wirkt:

Ein Drittel der Handy-Benutzer sei nämlich dafür, auf die Bürgersteige Linien aufzumalen, auf denen man gefahrlos beim Telefonieren Hindernisse umgehen kann.

Besonders diese Linien haben es mir angetan. Da könnte man geradezu darauf warten, daß da zwei in entgegengesetzter Richtung gegeneinanderrennen oder in unterschiedlicher Geschwindigkeit aufeinander auflaufen. Vielleicht würden auch ein paar Witzbolde die Linien ändern, so daß sie direkt gegen die Wand, in einen Abgrund oder auf die Hauptverkehrsstraße führen.

Erinnert mich an folgenden Sketch von Bastian Pastewka, (Gewinner der goldenen Rose von Montreux):

8 Kommentare (RSS-Feed)

Stefan
14.3.2008 7:30
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Das Video zu verlinken ist ja nicht schlecht.

Aber bei Darwin werde ich gerne hellhörig:

‘Je härter die Umgebung, je stärker der Wettbewerb um knappes Gut, desto mehr gilt “Survival of the fittest”.’

Das hieß doch “survival of the fit”, oder?
Wer an die Umwelt angepaßt ist, überlebt.
Aber nicht, wer am weitesten angepaßt ist.
Zu perfekte Anpassung macht inflexibel.

Der Mensch hat – das ist richtig – den Selektionsdruck insofern aufgehoben, als er sich nicht den Umständen anpaßt, sondern die Umgebung sich anpaßt. Bären und Löwen werden ausgerottet, die Futterproduktion industrialisiert, Heizungen in kalten Gegenden gebaut statt Jahrmillionen auf ein dichteres Fell zu warten usw.

Aber was ist diese Anpassung eigentlich jenseits des tautologischen “Verhalten, daß das Überleben sichert”.
Wenn das Rinderherden einwandern, und eine Gattung den Speiseplann auf Rind einstellt, und damit gut fährt, dann ist die Anpassung nicht, selbst ein Rind zu werden, sondern Rinder zu fressen.

Und wenn Mobiltelefone einfallen, dann muß man abwarten, ob ein Polstern der Laternen wirklich dümmer ist, als der SMS-Verzicht beim Gehen.

Das Richtungsproblem bei Markierungen läßt sich durch Pfeile leicht lösen. Hochauflösendes GPS im Funktelefon selbst mit Kollisionserkennung wäre aber wohl die passendere Antwort.

Eine der allgemeinen humanen Überlebenstechiken ist ja die Kooperation – d.h. einer erfindet was, und ein paar Jahrtausende oder Wochen später nutzt man die Technik am anderen Ende der Welt.


Hadmut
16.3.2008 12:09
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Und wenn Mobiltelefone einfallen, dann muß man abwarten, ob ein Polstern der Laternen wirklich dümmer ist, als der SMS-Verzicht beim Gehen.

Ja. Zumindest für die nächsten 10 Jahre bin ich der Meinung, daß das wirklich dümmer ist.

Zum “Survival of the fittest”: Es kann sein, daß das manchmal auch “Survival of the fit” heißt, aber zumindest in Australien, wo es nun wirklich extreme Umweltbedingungen gibt, wurde mir das in den Vorträgen usw. immer als “Survival of the fittest” vorgestellt. Das ist der Grund, warum es dort die giftigsten Schlangen und sonstigen Viecher gibt. Auf dem trockensten Kontinent überlebt der, der das stärkste Gift hat und dem deshalb am wenigsten Beute entkommt. Mag sein, daß man das deshalb sprachlich gesteigert hat.

Bei Wikipedia gibt es Survival of the fittest aber auch, Survival of the fit hingegen nicht. Scheint also doch der allgemeine Term zu sein.


Stefan
16.3.2008 21:02
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“Survival of the fit(test)” ist an sich schon eine tautologische Aussage.
Die Anpassung besteht darin, Überlebensstrategien zu entwickeln, und was das Überleben gesichert hat erscheint retrospektiv als Anpassungsleistung.

Überleben ist aber eine digitale Sache – entweder man überlebt, oder man überlebt nicht.
Mehr und weniger überleben gibt es nicht.

Sind also alle Arten die bis heute überlebt haben gleich gut (am besten) angepaßt, und die, die kürzlich ausstarben, am zweitbesten?

Entweder die Anpassung genügte zum Überleben, man war angepaßt, oder nicht.

“Giftiger sein” als “mehr angepaßt” aufzufassen würde die Frage aufwerfen, wo die ungiftigen Opfer der giftigen Räuber herkommen.
Geschwindigkeit, Tarnung, Reduktion des Energieverbrauchs sind ja andere Merkmale, die für die Fähigkeit zu überleben eine Rolle spielen.

Es überlebt nicht der, dem am meisten Beute, sondern der, der genug Beute macht.
Ist es zuwenig Beute, so nützt es nichts, daß es mehr Beute ist als beim Nachbarn.
Und ist es genug, dann schadet es nicht, wenn 2/3 der Beute entkommen ist.

Du bist doch sonst immer so logisch.


Hadmut
17.3.2008 1:21
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Na, also erstens bin ich der falsche Ansprechpartner für Beschwerden, denn ich hab den Spruch ja nicht erfunden.

Zweitens ist es nicht unlogisch.

Überleben ist keineswegs eine digitale Sache. Gut ernährte Tiere haben mehr, größere und gesündere Nachkommen als schlecht ernährte. Die Natur ist nicht digital.

Die Sache mit den ungiftigen Opfern stimmt auch nicht, denn Jäger mit Gift fressen nicht die eigene Species. Schlangen fressen Kleingetier, Nager, Mäuse, Beutler usw.. Die stehen deshalb aber nicht in Konkurrenz zu Schlangen, sondern sind Pflanzenfresser, denen Gift nichts bringen würde. Die Argumentation funktioniert also nicht.

Außerdem hat ja keiner gesagt, daß sich Survival nur durch Gift äußert. Beispielsweise ist das Känguruh ja genau deshalb entstanden, weil es die unter den dortigen Verhältnissen energiesparendste Fortbewegungsart ist.

Und das mit “am meisten” und “genug” Beute stimmt dann nicht mehr, wen die Beute knapp ist. Manchmal ist nur genug für einen da.

Vergleich halt mal Australien mit Afrika, dann leuchtet es ein.

Außerdem war es keine logische Schlußfolgerung, sondern eine empirische Beobachtung.

Außerdem ist “the fittest” keineswegs grammatikalisch nur Singular. Das kann auch Plural sein.


Stefan
17.3.2008 20:22
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Ja, Du hast den Spruch nicht erfunden.
Und ja, er bezieht sich nicht auf einzelne Individuen.

Ich will ja auch nicht Dich angreifen, sondern den Spruch. 🙂

Das Überleben einer Spezies über längere Zeit ist damit gemeint, nicht eines Individuums.

Die Frage bleibt aber, inwieweit man Fitness quantifizieren kann, oder wie man mehr oder weniger Fitness gegeneinander abgrenzt.

Wenn eine Population über längere Zeit stabil bleibt, ist sie weniger angepaßt, als eine andere die wächst?
Wenn die Schlangen zunehmen, und die Kängeruhs abnehmen, dann sind Schlangen besser angepaßt?

Solange die Kangeruhs noch existieren haben sie überlebt, und dann wäre der Satz widerlegt – es überleben mitnichten nur die best angepaßten Spezies.

Aber es ging Dir ja gar nicht um das Überleben der Arten, sondern um Briten mit gepolsterten Laternen – Darwin war nur ein Bonmot, und ich habe den Thread entführt.

Pardon dafür.

Als Werbeaktion finde ich das Polstern der Laternen ganz lustig.


yasar
19.3.2008 17:50
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Apropos Gift:

Auch Pflanzenfresser können von Gift profitieren. Das hindert andere daran Sie zu fressen (zumindest eine zeitlang, bis die Jäger sich angepaßt haben). Sogar Pflanzen haben diese Strategie mit dem Gift entwickelt, obwohl sie gar nicht jagen. 🙂


yasar
19.3.2008 17:52
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Ups, da ist das Zitat verlorengegangen und meine Kommentar stattdessen reingeraten. Folgendes sollte zitiert werden:

Die Sache mit den ungiftigen Opfern stimmt auch nicht, denn Jäger mit Gift fressen nicht die eigene Species. Schlangen fressen Kleingetier, Nager, Mäuse, Beutler usw.. Die stehen deshalb aber nicht in Konkurrenz zu Schlangen, sondern sind Pflanzenfresser, denen Gift nichts bringen würde. Die Argumentation funktioniert also nicht.


Hadmut
19.3.2008 22:47
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Ja, natürlich, da hatte ich mich etwas mißverständlich ausgedrückt, Pflanzenfresser jagen nicht mit Gift und stehen daher nicht in Beutewettbewerb mit Jägern.

Zur Verteidigung gibt’s da natürlich auch jede Menge extrem giftige Viecher in Australien.

Interessant sind auch die erheblichen Probleme mit der nach Australien eingeschleppten Cane Toad, ich glaub, auf Deutsch heißt sie Aga Kröte. Die wird ziemlich groß, frißt alles, was nicht niet- und nagelfest ist und ist selbst giftig. So giftig, daß sogar Krokodile dabei draufgehen, und das will was heißen. (Australische Jugendliche machen sich aus deren Gift berauschende Drogen.)

Es gibt übrigens dort eine Vogelart, ich glaube es sind irgendwelche Krähenvögel, die eine Methode entwickelt haben, diese Kröten zu fressen: Sie haben gelernt, daß sie die Oberseite vermeiden müssen. Sie schaffen es, die Kröten auf den Rücken zu drehen, ihnen den Bauch aufzureißen und die Organe herauszufressen, ohne die giftigen Teile mitzufressen.