Über das Kleingedruckte im Hosenbein
Und hier wieder eine neue Folge aus der heiteren Serie “Hadmut und die Sicherheit”. Oder: Warum passiert sowas eigentlich immer mir?
Hand aufs Herz: Wer liest sich schon vor dem Gebrauch einer Hose das tückische Kleingedruckte auf der Innenseite der Hosenbeine durch?
Ich jedenfalls werde es künftig öfter tun. Dabei fing der Tag heute so normal an.
Ich habe mir seit Jahren so meine typische Samstag-Mittags-Einkaufsrunde durch bestimmte Läden angewöhnt. Dank fortschreitender Globalisierung und Monopolisierung verbunden mit einem Absterben der Innenstädte mit dem typischen Einzelhandel zugunsten einem von wenigen Ketten bestimmten Gewerbegebiets-Handel bin ich in der Lage, meiner Gewohnheit in praktisch jeder größeren deutschen Stadt auf ein- und dieselbe Weise nachzukommen. Ob Karlsruhe, Ludwigshafen, Mannheim, Ulm, München, Dresden, Berlin – völlig egal, ich drehe stets dieselbe Runde durch dieselben Läden. Und weil die innen sowieso alle gleich aussehen, gleich organisiert sind und die gleichen Angebote haben, braucht man sich nicht umzuorientieren. Für die kleinen Unterschiede im Anfahrtsweg ist mein Navigationsgerät zuständig. Das fördert die Ubiquität als Mann von Welt.
Was Klamotten angeht, muß ich wieder einmal eingestehen ein Banause zu sein. Ich pfeife nämlich – außer in wenigen Sonderfällen – auf Marken und nehme, was mir gut und preisgünstig erscheint, völlig wurscht, was drauf steht. Und weil ich praktisch veranlagt bin und berufsbedingt öfters mal mehrere Wohnungen mit Inhalt zu bevorraten habe, neige ich dazu, Klamotten nicht einzeln, sondern in Packungen zu kaufen. Zumal ich doch inzwischen in einem Alter angekommen bin, in der mir bequeme Geräumigkeit wichtiger als topmodisches Aussehen ist. Außerdem bin ich faul und nehme Klamotten gerne auf meiner üblichen Samstagsrunde mit. Ich gestehe deshalb, daß ich Socken, T-Shirts, Unterhosen, Fleece-Pullis und Jeans meist verbrauchsmaterialmäßig bei Metro kaufe. Und Metro verdübelt seit ein paar Jahren fast alles, was sie verkaufen, mit Diebstahlschutz-Tags, vor allem Klamotten. Manchmal sind die Dinger noch nachträglich angebracht, vor allem bei teureren Sachen dann auch auffällig und außen, aber gerade bei der Massenware werden die Dinger immer öfter schon beim Hersteller tief drinnen eingenäht oder – bei anderen Gegenständen – in der Verpackung oder sogar im Gerät eingebaut. Ich hab mal im Batteriefach eines eingeschweißten Beschriftungsgeräts so ein Ding gefunden. Und diese Etiketten sind bei Metro ein nie versiegender Quell der Heiterkeit, wie schon mehrere Einträge in meinem Blog belegen. Es passiert regelmäßig, daß ich irgendwas kaufe, auch bezahle (!) und obwohl die Verkäuferin sich alle Mühe gab, die Ware in das Deaktivierungsgerät zu halten, gibt es immer wieder Alarm beim Verlassen des Marktes. Und jedesmal stehe ich dann mit der Marktaufsicht am Ausgang und probiere jedes Teil aus dem Wagen einzeln aus, ob es Alarm auslöst und nochmal deaktiviert werden muß. Passiert mir mindestens einmal im Monat. Als sie noch die alten Kassen hatten, war das noch lustiger, denn da waren die Deaktivierungsgeräte noch unter dem Kassentransportband angebracht, womit jedes Kleidungsstück dadurch als bezahlt gekennzeichnet wurde, daß es einmal durch Fruchtsaft, Fleischsaft, zermatschte Tomaten, ranzige Butter, Schmierfett usw. gezogen wurde – was halt gerade auf dem Band klebte. Bei den neuen Kassen haben sie ein separates Fach vorgesehen.
Nun, ich habe heute wieder ein paar Klamotten gekauft. Und wieder gab es Alarm. Nur etwas war anders als sonst: Der Alarm kam nicht vom Inhalt des Wagens, sondern von mir selbst. Der Inhalt des Einkaufswagens löste diesmal nichts aus. Aber jedesmal, wenn ich am Detektor vorbeiging, ging das verdammte Ding los und alles guckte mich an.
Wie kam das?
Ich hatte eine Jeans an, die ich vor ca. 3-4 Wochen bei Metro gekauft hatte. Sie war schon ein- oder zweimal in der Waschmaschine, aber selten getragen und sah aus, wie neu. Man könnte mit sowas also durchaus den Eindruck erwecken, als hätte man eine geklaute Hose an. Nun weiß ich aber genau, daß ich mit dieser Hose beim damaligen Kauf schon einmal durch den Dektor bin und sie diese Woche schon einmal anhatte, als ich bei Metro war. Da ist nichts passiert.
Der Mann von der Kassenaufsicht klärte mich dann aber auf: Diese Diebstahlschutz-Etiketten könnten sich wieder “aufladen”, also auch bei ordnungsgemäß gekauften und deaktivierten Kleidungsstücken nach gewisser Zeit wieder anfangen, den Alarm auszulösen. Aha. Gut, wenn man weiß, wie die Dinger funktionieren, erscheint das nachvollziehbar. Diese Etiketten gibt es in verschiedenen Bauformen. Mal als Streifen, der verschiedene Folienstücke enthält, mal als in Papier gepackten Aufkleber. Gemeinsamt ist den Teilen, daß sie eine Kapazität und eine Induktivität haben und damit einen einfachen Schwingkreis nachbilden. Die Detektorantennen senden Signale in der passenden Frequenz aus und erkennen, ob etwas in Resonanz mitschwingt. An der Kasse gibt es Geräte mit magnetischen Wechselfeldern, die das Etikett anders magnetisieren (ich weiß nicht, ob magnetisieren oder entmagnetisieren) und damit “verstimmen”. Die Etiketten sind dann nicht mehr genau in der Resonanzfrequenz und lösen keinen Alarm mehr aus. Und diese “Verstimmung” ist offenbar nicht immer von Dauer. Das kann ganz schön gefährlich werden. Wird man des Diebstahls bezichtigt und kommt dabei an einen ignoranten Richter der Sorte, der Scheckkartengeprellte wegen Betrugs verdonnert, weil sie notwendigerweise die PIN aufgeschrieben haben müßten, hat man verloren. Der Verkäufer sagte mir, man müsse sorgfältig darauf achten, daß man diese Labels zuhause aus der Kleidung herausschneidet. Mache ich normalerweise auch, aber die zu finden ist nicht immer leicht.
Na gut, ich fahre also weiter, zu Mediamarkt. Mal nach Notebooks gucken. Als ich bei Mediamarkt reingehen will, geht der Alarm los und diese Minischranken am Eingang blockieren, lassen mich nicht rein. Drei Versuche, immer dasselbe. Wieder guckt mich alles blöd an. Dabei weiß ich, daß ich mit dieser Hose auch schon einmal in einem (anderen) Mediamarkt war, ohne Alarm. Die Hose wurde also wirklich reaktiviert.
Mir reichts für heute. Ich habe den unwiderstehlichen Drang mich sofort meiner Hose zu entledigen und das verdammte Etikett herauszuschneiden. Das einzige, was mich davon abhält, ist der Gedanke als Exhibitionist gefilmt zu werden und am Abend in der Tagesschau als Argument für die Notwendigkeit von noch mehr Überwachungskameras herhalten zu müssen. Also ab nach Hause.
Komisch, ich finde das Etikett nicht. Normalerweise ist das Ding bei Metro ein kleiner, schmaler, aber dicker und gut zu fühlender Plastikstreifen, der in einen Stoffstreifen eingenäht und im Hosenbund befestigt ist, der einem beim Anziehen gleich auffällt. Hier aber nicht. Erst bei genauerer Untersuchung finde ich das Ding tief drinnen etwa in der Mitte des Oberschenkels unterhalb der Hosentasche. Nicht mehr die alten Plastikdinger, sondern ganz dünne weiche flache Papieraufkleber mit deutlich erkennbarem Schwingkreis (Spule und Kondensator), eingenäht in einen Stofffetzen in der Art der Waschanleitung. Fällt einem beim Anziehen überhaupt nicht auf, fühlt man nicht, sieht man auch nicht, wenn man nicht danach sucht. Im Schrank finde ich aber noch mehr solche Dinger in meinen Hosen:
Steht sogar drauf, daß man sie vor Gebrauch entfernen soll. Ich muß mir dringend angewöhnen, die Innenseiten meiner Hosen genauer zu lesen. Vermutlich auch der Socken.
Gut, heute war es nur ein Schwingkreis. Aber Metro ist einer der Vorreiter bei RFIDs. Was kommt dann in Zukunft, wenn ich unbemerkt mit so einem Ding in der Hose rumlaufe?
- Mediamarkt hat ja schon erkannt, daß ich mit einem Ding in der Hose rumlaufe. Beispielsweise könnte ich beim Betreten eines Ladens künftig individuelle Werbung bekommen wie: Sie haben Ihre Hose bei X gekauft und dafür Y Euro bezahlt, bei uns bekommen Sie sie für Z Euro. Oder: Sie haben Ihre Hose in A gekauft. Dürfen wir Ihnen Flüge nach A zum Sonderpreis anbieten? Oder auch: Sie tragen Unterhosen von uns und erhalten als Treueprämie … Vielleicht auch Wir haben bemerkt, daß Sie seit zwei Wochen dieselbe Hose tragen, und würden Ihnen daher gerne…
- Keinen Zweifel habe ich daran, daß zu der Liste der für Flugreisende zu übertragenden Daten bald nicht mehr nur Sitzplatz, Essen, Kreditkartennummer usw. gehören sondern auch die Seriennummern aller RFID-Tags die er bei sich oder in seinem Gepäck hat, damit man an Bahnhöfen, auf öffentlichen Plätzen usw. gleich bemerkt, wer da wo rumläuft.
- Und dazu sehe ich schon jetzt, wie in nicht allzu ferner Zukunft der ein oder andere Minister in den Nachrichten mit der Forderung kommt, daß jeder Laden natürlich die Seriennummern der gekauften Klamotten für zwei Jahre speichern und den Behörden auf Nachfrage zugänglich machen muß. Es wird eine EU-Richtlinie geben und die Industrie wird zum Zweck der Verfolgung körperlichen Diebstahls den Zugriff auf diese Datenbanken fordern. Es wird einen Auskunftsanspruch der Art “Wer steckte in dieser Hose” geben.
Um dem Überwachungsstaat zu widerstehen müssen wir also bald alle mit Burka und ohne Hosen herumlaufen, und die Socken sorgfältig durchlesen.
6 Kommentare (RSS-Feed)
1. Es gibt RFID-tags, die so mit dem Gewebe verwoben sind, daß sie davon untrennbar sind und auch ohne das genaue wissen so diese stecken praktisch unfindbar sind.
2. metro ist ja nicht nur nur der “Großhandel” metro sondern auch mediamarkt, saturn, real, etc.
Wenn man nun 1 und 2 Kombiniert, hätte die metro holding alle Möglichkeiten, alles üerb Ihre Kunden zu wissen:
a. Durch die Metro weiß man sofort, welcher Kunde (mit Namen und Adresse) was gekauft hat.
b. Falls man kein metro-Kunde ist, aber etwas größeres in einem der Tochtergesellschaften gekauft hat, bei dem man für die rechnugn Name und Adresse angegeben hat, weiß die Gruppe auch wer der Kunde ist.
c. Wenn man nun dafür sorgt, daß der Kunde immer genügend RFID-tags bei sich hat, die ihn identifizieren, kann man diesen natürlich heute schon auf Schritt und Tritt überwachen, auch wenn dies noch gesetzwidrig ist.
Schöne neue Welt.
PS: Ich weiß, daß ich paranoid bin.
PPS: Deswegen machen sie es trotzdem 🙂
Freilich sind wir paranoid von Berufs wegen. Aber daß man paranoid ist, heißt ja noch nicht, daß sie nicht hinter einem her wären…
Da hat mir doch gleich noch jemand den passenden Link zu einer Heise-Schlagseite geschickt: http://www.heise.de/ct/schlagseite/05/15/gross.jpg
Stilecht mit Linux-Waschmittel 🙂
Heute in der Metro:
Ich steh an der kasse und bekomme mit wie es an der Schleuse piept (Kundin hatte gerade vor mit bar bezahlt). Läuft dan mit Mitarbeiter weg und kommt, als ich beim herausgehen bin, wieder zurück, die Mitarbeiterin hält die Geldbörse der Kundin in die Schleuse. Es piept nichts und ich höre sie noch sagen “…. sie müssen damit rechnen, daß das irgendwann wieder passiert.”
Bein Geldbeutel ist da anscheinend kein Tag zum Wegschneiden. 🙁
Vor allem muß man solche reaktivierten Schwingkreise sammeln (möglichst: selbst reaktivieren können), und geschirmt mit sich führen, und Leuten die man nicht leiden kann bei passender Gelegenheit unterschieben.
Gut – das Hauptproblem ist: Wo bekommt man die Leute her, die man nicht leiden kann. 🙂