30 Seiten “komprimierte” Steuererklärung?
Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Staates als solchem.
So, mit einer Woche Verspätung (Krankheit, Werkstatt, Dienstreisen, sonstwas) ist es geschafft: Die Steuererklärung für 2007 ist fertig. Genauer gesagt: Ich bin geschafft und fertig.
Und es drängt sich mir der Verdacht auf, daß dieser Staat längst an seiner eigenen Bürokratie und Lobbykratie zu ersticken droht.
Ich möchte gar nicht daran denken, wieviel Zeit ich jetzt damit verbracht habe, auch bis spät in die Nacht und am Wochenende Belege zu sortieren, zu erfassen und zusammenzurechnen, nur um heute noch über einen halben weiteren Tag allein für das Ausfüllen der Formulare mit Hilfe der Elster zu verbringen.
Das fängt damit an, daß man unbedingt Windows braucht. Da ich normalerweise Windows nicht oder nur sehr selten verwende, lasse ich as höchstens mal in einer virtuellen Umgebung laufen. Meine uralt-VMWare-Lizenz ist mangels Kernel-Unterstützung unter einem 2.6.25-Kernel nicht mehr so zum Laufen zu bringen, daß das stabil läuft. KVM funktioniert zwar ganz nett (falls man ein Board mit gnädiger BIOS-Unterstützung hat), aber es kommt zu schweren Problemen mit der Maus: Irgendwie ruckelt das immer und der Mauszeiger läßt sich nicht in alle Richtungen schieben. Die Maus selbst ist OK, unter X11 tut sie einwandfrei. Liegt’s an KVM? Oder Windows? Oder Elster? Warum setzen die überhaupt ein kommerzielles Betriebssystem voraus?
Dann die Eingabemaske, wie aus der Geisterbahn: Da mußte unbedingt das Papierformular nachgeahmt werden, damit die Beamtenseele sich nicht zu sehr umgewöhnen muß. Sowas beklopptes. Um die Beschriftung lesen zu können, muß man das so groß einstellen, daß das Formular nicht mehr auf den Bildschirm paßt. Benutzt man aber das Scroll-Rad zum Scrollen, scrollt nicht das Formular, sondern oben links die Liste der bereits eingefügten Formulare.
Und dann die Hin- und Herspringerei zwischen verschiedenen Formularen. Sie wollen hier was eingeben? Das Feld ist grau, also kommt die Eingabe erst später in irgendeinem anderen Formular. Warum macht man das Feld dann überhaupt da hin und fragt nicht gleich in der richtigen Reihenfolge?
Dann die Kapitalerträge. Hat irgendwer diese in- und ausländischen Formulare völlig verstanden? So viele verschiedene Felder mit seltsamen Bezeichnungen? Und jedes Feld ist der Einschlag irgendeiner Lobby, die da ihre persönlichen Steuervorteile durchgesetzt hat… Dummerweise schickt einem jede Bank den Nachweis in anderer Form. Besonders schön die Postbank: Da steht vor jeder Zeile die Zeilennummer in der Steuererklärung. Man muß nicht denken und nicht überlegen. Einfach die Zahl in die angegebene Zeile schreiben und fertig. Malen nach Zahlen. Schön, das ist Kundenservice. Aus den Bestätigungen anderer Banken werde ich nicht recht schlau, die machen es sich einfach und drucken nur irgendwas.
Und dann kommt’s dicke: Die Anlage EÜR. Die Einnahmen-Überschuß-Rechnung. An sich ja nicht verkehrt, aber eine herbe Kombination aus hanebüchenem Formular und Software-Bugs. Nachdem man schon vorher eine Umsatzsteuererklärung ausgefüllt hat, sollte man eigentlich meinen, daß die eigentliche Gewinnermittlung dann Netto erfolgt, weil Umsatzsteuer und Betriebsergebnis eigentlich ja zwei verschiedene Sachen sind. Von wegen. In der EÜR wollen sie dann wieder die abgeführte Umsatzsteuer, die Vorsteuer usw. haben, um sie in die Ermittlung einfließen zu lassen. Warum zum Kuckuck wollen sie das doppelt haben, einmal in der EÜR und in der Umsatzsteuererklärung? Wußte da die eine Hand nicht, wie die andere den Steuerzahler gerade schikaniert? Jedenfalls gibt man die Einnahmen netto an und listet die Umsatzsteuer separat auf, und zieht davon die geleisteten Vorsteuern und abgeführten Umsatzsteuerbeträge wieder ab. Und das ist unlogisch: Denn wenn ich mehr Umsatzsteuer eingenommen als abgeführt bzw. durch Vorsteuer ausgegeben habe, dann habe ich keinen Gewinn, sondern eine Umsatzsteuerschuld erzeugt. Meines Erachtens ist dieses Formular betriebswirtschaftlich fehlerhaft und systemwidrig.
Durch die eingebaute Elster-Plausibilitätsprüfung kam die Anlage EÜR auch nicht: Es meckert, daß ich keine Einkommensart angegeben habe. Gebe ich aber wahrheitsgemäß “selbständige Arbeit” an, meckert das Ding, daß das nicht geht, weil die Anlage GSE fehlt. Will ich aber bei der Auswahl der zur Verfügung stehenden Formulare GSE hinzufügen, kommt nur jedesmal eine neue EÜR dazu, statt einer GSE. Ein Teufelskreis, die Plausibilitätsprüfung ist nicht zu schaffen, und ohne Plausibilitätsprüfung keine Übermittlung an das Finanzamt. Irgendwann – ich weiß nicht, warum es auf einmal ging – war die Elster dann doch bereit, statt jeweils einer weiteren EÜR eine GSE hinzuzufügen. Dummerweise aber nur eine. Es gibt höchstens eine GSE für den Steuerpflichtigen, und eine für den (nicht vorhandenen) Ehepartner. Nu hab ich aber zwei EÜR. Und bekomme nur eine GSE. Und muß auch noch froh sein, denn eine Stunde lang habe ich gar keine GSE bekommen.
Als ob das alles nicht genug wäre, nervt die Elster zusätzlich mit den an allen Ecken und Kanten ungefragt hochpoppenden Erklärungskästchen. Ich meine, bei vielen Sachen ist das schon wichtig, weil vieles einfach überhaupt nicht klar ist. Man weiß einfach nicht, was sie von einem wollen, da sind Erklärungen schon hilfreich. Dumm ist dann aber, wenn so ein Kästchen erst ungefragt hochkommt, dann nicht mehr weggeht und dabei ein Eingabefeld verdeckt. Muß das denn sein? Muß man mit Gewalt ein dämliches Papierformular auch vom Erscheinungsbild her nachahmen und dann zu solchen Erklärungskrücken greifen? Warum geht da nicht ein richtiges, schönes, normales Web-Formular mit normalen Erklärungstexten?
Egal, jetzt scheint’s halbwegs zu stimmen, also raus damit.
Vorher kontrollesen geht nicht, das dämliche Ding druckt erst nach der Übermittlung, also wenn es zu spät ist. Glücklicherweise habe ich einen PDF-Drucker zwischengeschaltet. Und der Druckertreiber meldet fröhlich, daß man mir soeben 30 Seiten “komprimierte Steuererklärung” erzeugt hat. Wenn das die komprimierte ist, dann will ich die unkomprimierte erst gar nicht sehen.
Des Rätsels Lösung:
Die doofe Elster druckt die Steuererklärung ungefragt gleich zweimal aus. Einmal zum Unterschreiben fürs Finanzamt und einmal für die eigenen Akten. Die doofe Elster macht das in einem Druckauftrag hintereinnander. Ich hätte erst das PDF lesen sollen, bevor ich es auf den richtigen Drucker rausjage. Die Elster ist nämlich wirklich doof. Zweimal 15 Seiten Steuererklärung hintereinander. Als ein Druckjob. Auf einem Duplexdrucker. Die erste Seite des zweiten Ausdrucks hängt also auf der Rückseite der letzten Seite des ersten Ausdrucks. und der Rest ist dann jeweils um eine Seite verschoben. Wer schreibt denn solche Software?
Anstatt daß man einfach auf Knopfdruck ein PDF erzeugt und es dann dem Benutzer überläßt, ob, wann und wie oft er das ausdruckt oder archiviert, muß das Ding einen damit bevormunden, daß es direkt nach der Übermittlung genau zweimal druckt. Scheint wohl dem Zweck zu dienen, nachträgliche Änderungen zu erschweren. Das könnte man auch viel besser, nämlich durch Angabe einer Prüfsumme o.ä. Das ist wieder so ein Gemurkse zur Benutzergängelung.
Man merkt der Elster an allen Ecken und Kanten an, daß da irgendwer auf Windows-Niveau den Vorgang des Formularausfüllens möglichst originalgetreu nachahmen wollte. Das ist keine Steuer-Software, das ist gewolltermaßen ein Bürokratie-Emulator. Damit der Bürger auch ohne Formulare noch das Gefühl hat, Formulare auszufüllen.
Es ist eine Frage der Zeit, bis der Staat an sich selbst erstickt. Und ich habe das Gefühl, daß wir schon mittendrin in diesem Prozeß sind.
Ist es nicht möglich, eine vernünftige und ordentlich bedienbare Software zu schreiben, bei der man nicht in einem Papierformular herumscrollen muß obwohl man vor einem Bildschirm sitzt? Eine, bei der man nicht ständig in Gesetzestext blättern muß um zu verstehen, was sie meinen und wollen? Eine, die betriebssystemunabhängig ist? Eine, die vielleicht mit einem ganz gewöhnlichen Webbrower zu bedienen wäre?
Schöne Zukunftsmusik wäre, daß man von jedem anderen, der einem irgendeine Kauf- oder Spenden- oder Sonstwas-Quittung ausstellt gleich noch einen XML-Schnipsel bekommt, in dem alles wesentlich drin steht. Am Jahresende könnte die Steuersoftware alle Schnipsel einlesen und gut ist. Oder man könnte etwas ähnliches als Barcode aufdrucken. Am Jahresende fahre ich einmal mit dem Stift über die Blätter und automatisch wird alles richtig gebucht und einsortiert. In Deutschland geht sowas nicht, das wäre schlicht zu einfach. Wenn’s zu einfach ist, kann es nicht echt sein.
Man müßte mal ausrechnen, welcher volkswirtschaftliche Schaden dadurch entsteht, daß Leute im Stau stehen. Und genauso müßte man mal ausrechnen, welcher Schaden der Volkswirtschaft dadurch entsteht, daß jeder im Jahr mal so 1-3 Tage mit Steuererklärung beschäftigt ist. Zwei reguläre Arbeitstage sind mir dadurch flitzen gegangen. Das kostet den Angestellten Urlaub und den Freiberufler Geld.
Ich bin mal gespannt, was da in den nächsten Jahren noch kommt…
Es fällt mir jedenfalls auf, daß die, die die Elster-Software schreiben, erstens ziemlich Windows-lastig sind und zweitens nicht so sonderlich viel von Benutzerschnittstellen wissen. We rauch immer das geschrieben hat, ich wüßte zu gerne, wie er an den Auftrag gekommen ist.