Stirbt nach der Musik-CD nun das gedruckte Buch?
Au weia. Da läuft mal wieder eine Sau durchs Dorf – pardon – will sagen, ein Thema durch die Presse. Alle schreiben sie in diesen Tagen etwas über E-Books und die Revolution auf dem Buchmarkt. Ich auch.
Nach mehreren Anläufen der letzten Jahre, die technisch unausgegoren und viel zu teuer waren, scheint es nun doch langsam taugliche Geräte zu geben. Das dürfte im wesentlichen auf drei Entwicklungen zurückgehen, nämlich den Preisverfall der Elektronik und die Umorientierung auf kleine, leichte, energiesparende Geräte allgemein, dann den Preisverfall bei Speicher, RAM wie Flash, und auf die Verfügbarkeit geeigneter Displays zurückzuführen sein. Inzwischen gibt es Displays (“digital ink” oder wie die heißen), die darauf basieren, kleine schwarze Farbkügelchen in einer weißen Suppe hin und herzubewegen und dadurch nicht nur ein Darstellung zu erhalten, die (angeblich) dem Druck auf Papier sehr, sehr nahe kommt, sondern auch noch stromsparend zu sein: Das Display braucht keinen Strom um seine Anzeige zu halten. Strom braucht man nur noch zum Umblättern, die Akkulaufzeit wird deshalb nicht mehr in Stunden sondern in Seiten angegeben. Und teilweise sollen die Dinger sogar Mobilfunk eingebaut haben, damit man Bücher gleich nachladen kann.
Nun bin ich auch ein Freund des gedruckten Buches. Ich habe mal eine Zeitlang Safari bei O’Reilly ausprobiert, bin damit aber nicht glücklich geworden, vor allem wegen des Kostenmodells. Da zahlt man monatlich, ob man liest oder nicht. Und wenn man nicht mehr zahlt, dann kann man auch nicht mehr lesen.
Und es ist halt einfach angenehm, wenn man im Flugzeug, im Zug, in der Wartehalle, auf dem Klo normal lesen kann.
Was aber, wenn die Computertechnik nicht nur den Inhalt darstellt, sondern auch die Eigenschaften des gedruckten Buches hinreichend emuliert?
Dann könnte es sehr schnell zu einem Umschwung kommen. Bequemlichkeit siegt. Was hab ich mir schon einen Bruch gehoben an Büchern, die ich durch die Gegend geschleppt habe? Erst neulich wieder. Ungute Erinnerungen an die Schulzeit kommen hoch, zu meiner Zeit waren die Lehrer noch der Meinung, daß man für jede Stunde eine ganzen Stapel Bücher in die Schule und zurück schleppen müßte. Könnte sich alles demnächst erledigen.
Hat nicht der Buchhandel schon seit Jahren Probleme, weil es inzwischen viel bequemer ist, über Amazon zu bestellen? Wo man den Einzelhandel einfach aus der Vertriebskette ausgehängt hat?
Wäre die nächste Konsequenz nicht, auch den Buchdruck aus der Vertriebskette herauszunehmen? Ist der Buchdruck in Auflagen überhaupt noch zeitgemäß? Da gibt es zwar Bücher wie Harry Potter, deren Inhalt unveränderlich in Stein gemeißelt ist. Aber andere Bücher, wie viele Informatikbücher oder juristische Werke sind ja schon nach kürzester Zeit überholt. Und Fehlerlisten zum Herunterladen nicht selten. Wäre es da nicht einfacher, sich von der Auflage (Version n) zu verabschieden und wie bei Software die Version x.y.z einfzuführen? Wenn man Bücher morgens aktualisiert wie Software?
Haben wir da nicht eine ähnliche Entwicklung wie bei der Musik-CD, bei der ein großer Teil des Umsatzverlustes ja nicht auf Raubkopien zurückgeht, wie oft behauptet wird, sondern darauf, daß einfach der Vetrieb über ein physikalisches Medium nicht mehr zeitgemäß ist? Bei der Downloads den Einzelhandel und die CD-Pressung ersetzen?
Könnte das auch dem Buch blühen? Daß Buchgeschäfte und Buchdruck sich in einer Abschwungphase befinden? Sicherlich nicht so stark wie die Vinyl-Schallplatte, aber in der Richtung ähnlich? Werden wir uns als alte Knacker heimlich in Kellern treffen und alte Bücher lesen, während die Jungen verdutzt fragen, was das für seltsame Dinger sind? Werden Archäologen in zweitausend Jahren froh sein, daß sie den Mist nicht mehr finden, den wir da heute so produzieren? (Wird Archäologie in zweitausend Jahren überhaupt noch vom Herumstochern in Müllkippen zu unterscheiden sein?)
Oder verliert das Buch seinen Wert als unveränderliche “Urkunde”? Kann dann plötzlich Big Brother die Vergangenheit ändern indem man auf Knopfdruck alle alten Zeitungen verändert, statt sie wie 1984 noch üblich zu verbrennen und neu zu drucken?
Sicherlich besteht erhebliche Gefahr für die Verlage. Auch in der Musik-Branche wechseln ja immer mehr Musiker in den Online-Vertrieb, weil sie die Methoden der Musik-Labels satt haben. Wer online vertreibt, oder sogar Musik auf seiner Webseite zum gratis herunterladen anbietet, der ist nicht mehr auf Musik-Labels und deren Willkür angewiesen.
Immer mehr wissenschaftliche Veröffentlichungen, Skripten, Bücher bekommt man auch als PDF zum Herunterladen. Es gibt gerade massive Bestrebungen in der Wissenschaft, sich aus dem Griff der Verlage zu lösen und Ergebnisse direkt zu publizieren und öffentlich zugänglich zu machen. Bisher waren die Verlage da der parasitäre Geldsauger, die unter dem Vorwand des Lektorats und der Qualitätskontrolle in großen Mengen Papier gedruckt haben, das für teures Geld ungelesen in Bibliotheken gehortet wurde. Das Geld haben viele Universitäten nicht mehr, zumal die Flut der Fachzeitschriften und Fachbücher kein Ende nimmt. Das E-Book könnte das ändern, denn hier könnte es zu einer ganz wesentlichen Verlagerung kommen, in dem das Werk nicht mehr in allen Bibliotheken für alle möglichen Leser sondern nur noch beim Herausgeber gelagert wird, und das vor allem elektronisch. Der Lageraufwand steigt nicht mehr quadratisch mit der Zahl der Wissenschaftler, sondern nur noch linear, und das eben nicht mehr prophylaktisch, sondern nur auf Anforderung.
Der Wert eines Buches wird sich nicht mehr notwendigerweise am Umsatz orientieren, auch Nischenbücher wie Skripte und dergleichen, die man früher mal in kleinen Dissertations- und Wissenschaftsdruckereien in Kleinauflagen herstellen ließ und die manchmal schon nach kürzester Zeit vergriffen waren, könnten nun eine längere Verfügbarkeit haben.
Ähnlich wie bei Open-Source-Software könnte es vielleicht – Anlehnung an Wikipedia – zu Open-Source-Büchern kommen, an denen viele Autoren weltweit zusammenarbeiten ohne sich persönlich zu kennen. Letztlich unterscheidet sich das Erstellen eines Buches in vielen Bestandteilen mit TeX und verwaltet mit Subversion kaum von der Erstellung von Software. Vielleicht werden Open-Source-Bücher zu ähnlichen Alternativen wie Open-Source-Programme. Vielleicht gibt es gar eine alternative Wissenschaft, die sich zur etablierten Verlags- und Veröffentlichungsmeierei verhält wie Linux zu Windows. Wie war das mit “The Bazaar and the Cathedral” ?
Dann werde ich mich irgendwann mal daran machen, Adele und die Fledermaus als E-Book aufzubereiten.
5 Kommentare (RSS-Feed)
Stimmt, als ich klein jung war, gehörte es zum Standardinventar jedes gebildeten Menschen (oder der so erscheinen wollte) den Brockhaus in x Bänden im Wohnzimmer stehen zu haben. Schon lange nicht mehr.
Dann kam der Brockhaus auf CD. Auch nicht mehr.
Nun geht nur noch alles online.
Das Buch ist immer noch unschlagbar. Kochbuch, Malbuch für Kinder – und einfach das haptische Erlebnis.
Leg mal ein E-Book neben den Herd mit Fettspritzern …
Unser 6-Jähriger ‘frisst’ gerade alle verfügbaren Kinderlexika – Offline.
Ich lese viel Online – das ist voellig anders als ein Buch. Adele+Fledermaus ist nicht gerade kurz, doch kein Buch. Heise ist keine Tageszeitung. Man kann nichts anstreichen, nichts rausreissen, keine Seite einknicken um einen Knoten im Taschentuch zu haben (Ok, die Funktion gibts).
Ich nutze Wikipedia UND Brockhaus. Für mich sind das zwei voellig verschiedene Schuhe. Ich spiele Akkustik und E – warum sollte das eine das andere ersetzen?
Gruß BA
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@Hadmut – es funktioniert immer noch nicht. Ich wollte eigentlich auf das Huenchen antworten. Das funktionierte nicht, so hab ich hier Senf abgegeben 🙂
Dort bin ich einfach nicht eingeloggt.
@Battleaxe: Wenn Du das gleiche Problem hast wie ich (nämlich keins, aber Dein Browser dasselbe wie meiner), dann mußt Du nach dem Einloggen auf der Seite, die Du kommentieren willst, ein Refresh/Reload/Aktuelle Seite neu laden machen.
Ich bringe meinen Kindern bei wie man lexika benutzt, bevor ich sie auf Wikipedia loslasse. Und meinen Studenten predige ich auch, daß Wikipedia nicht der Weisheit letzter Schluß ist.
Ich denke, daß Buch als solches wird weder vom “Internet” noch von “ebbooks” verdrängt werden. Gut, die Auflagen werden niedriger werden. Aber es geht einfach nichts über ein normales gedrucktes und gebundenes Buch.
Und wegen der errata: mit print-on-demand, daß es ja inzwischen eingermaßen zu vernünftigen Preisen gibt, könnte man auch Fachliteratur einigermaßen zum Kaufzeitpunkt auf aktuellem Stand bekommen. Nachdem es bei Aldi/LIDL/DM usw. einigermaßen preiswert gute Fotobücher gibt, könnte man dieses System “mißbrauchen”, um auf diese Weise Books-on-Demand anbieten zu können (einfach latex tiffs/jpgs rendern lassen statt dvi).
Was ich für wünschenswenswert halten würde, wäre vielleicht ein Buch so wie es in der Serie “Angel, Jäger der Finsternis” vorkommt:
Ein dicker Foliant mit vielen hunderten leeren Seiten, dem man nur sagt welches dedruckte Werk man lesen will und beim Aufschlagen hat man genau dieses vorliegen. Im Prinzip eine Art ebook in klassischem gewand. 🙂 Und wenn man wirklich ein Regal voll Bücher fürs Wohnzimmer benötigt (aus welchem Grund auch immer) kann man sich viele von diesen hinstellen.
gruß
yasar
Um nicht nur korrektiv tätig zu sein: Ich denke das Buch stirbt zumindest langsamer als die CD.
Als Bildungsbürgerliches Möbel dürfte es nur mit enormer Trägheit verschwinden. Göthes Erben werden sich vielleicht ob der einbrechenden Umsätze wundern, wenn niemand mehr Bücher aus representativen Gründen erwirbt.
Die Sache mit war Basar und Kathedrale war umgekehrt – eine von Kathedrale und Basar: http://www.catb.org/~esr/writings/cathedral-bazaar/
Interessant finde ich, daß ich beim Lesen von Abschnitt 2 auch gleich daran dachte, wie einfach sich Schwärzungen implementieren lassen. Aber für die meisten Romane und Erzählungen sind Schwärzungen nach juristischen Auseinandersetzungen oder Aktualisierungen wohl unnötig.
Interessant wäre zu wissen, wie sich der Preis eines Buches zusammensetzt. Korrekturlesen und Satz ist wohl nicht das teuerste daran – Übersetzungen vielleicht schon eher. Werbung, Lagerung, Verwertungsrechte? Taugen Verlage vielleicht als Filter und Verstärker, die schlechte Bücher gar nicht erst auf den Markt lassen, und gute befördern?
Sowenig wie die meisten Musiker sich mit Audiokompression und dem Betrieb eines Webservers auskennen, um selbst ihre Musik unters Volk zu bringen, so wenig werden Autoren von der Idee halten ihren Text selbst zu setzen und zu vertreiben.
Regale, die auf Chipgröße schrumpfen und Platz machen für anderes (Technik 🙂 ), haben auch Vorteile. In der Innenstadt wird Platz für neue Wettbüros.
Wenn die Gesellschaft Bücher um Größenordnungen billiger machen kann, dann wäre das ein enormer Vorteil. Der Erfolg der Spezies Mensch besteht wohl vornehmlich in der Fähigkeit Wissen zu transferieren.
Allerdings ist die Frage, wie die Produzenten des Wissens entlohnt werden können. Eher sehe ich mehrere inkompatible E-Book-Standards auf uns zukommen plus verschiedene DRM-Systeme, weil die Politik die Potentiale nicht erkennt, und den Markt machen läßt. Ohne Korsett von außen wird der Markt aber seine eigenen Korsette schnüren.