Fehler im Beschluß des OLG Zweibrücken: Dynamische IP-Adressen
Wie schon in allen Blättern besprochen (Heise, SPIEGEL) hat das OLG Zweibrücken mit Blick auf die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der sog. “Vorratsdaten”, die inzwischen bzw. spätestens ab 1.1.2009 bei den Providern erhoben werden, entschieden, daß die Zuordnung dynamischer IP-Adressen für die Urheber-Industrie doch zugänglich sei (4 W 62/08, Beschluß vom 26.9.2008). Da stecken ein oder zwei Fehler drin:
Die Entscheidung ist im Volltext hier nachzulesen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im März vorläufig angeordnet, daß die sogenannten “Vorratsdaten” nach § 113a/b TKG nicht mehr ohne weiteres und wie im Gesetz herausgegeben dürfen, sondern nur dann, wenn eine schwere Straftat, die im Einzelfall wiegt (§ 100a Abs. 1 StPO) und im Katalog des § 100a Abs. 2 StPO aufgelistet ist, herausgegeben werden darf (Presseerklärung, Beschluss).
Das OLG Zweibrücken war nun in diesem Fall der Meinung, daß die Verwendung von Daten (Zuordnung von dynamischen IP-Adressen) für Zivilklagen nach dem Urheber-Gesetz zugänglich seien, weil IP-Adressdaten nicht per se unter den Schutz der Anordnung des BVerfG fallen. Obwohl es dieselben Daten sind, werden die Daten nämlich prinzipiell zweimal gespeichert: Einmal speichert der Provider für sich selbst, soweit er dies zur Vertragsabwicklung, Erbringung der Dienste und Störungsssuche benötigt (§§ 95, 96, 100 TKG), und dann eben nach der Vorratsdatenspeicherung (§ 113a TKG). Die Daten werden dazu in verschiedene Datenbanken geschrieben, unterschiedlich lange gespeichert, mit unterschiedlichem Zugriffsrecht. Ob jemand die Daten erhalten darf hängt nicht allein an der Natur der Daten, sondern auch daran, nach welchem Recht sie gespeichert wurden. So kann es passieren, daß jemand nach Daten der einen Datenbank fragen darf, nach der anderen nicht – obwohl es die gleichen Daten sind.
Darauf hob nun das OLG Zweibrücken ab. Es sagte, daß diese Anordnung des BVerfG sich nur auf eine der beiden Datenbanken bezieht, nämlich die Vorratsdatenbank. Für die anderen Daten bestünde die Einschränkung, daß Zugriff nur bei Vorliegen schwerer Straftaten erlaubt ist, nämlich nicht. Und weil in diesem Fall der – nicht namentlich bezeichnete und als “D… T… AG” anonymisierte Provider – die Auskunft gab, bis zum 1.1.2009 gar keine Vorratsdatenspeicherung zu betreiben, schloß das Gericht, daß die Daten, woher sie auch kommen mögen, jedenfalls nicht durch die BVerfG-Anordnung geschützt sein können:
In seiner Entscheidung führt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich aus, dass durch die von ihm vorläufig angeordnete Untersagung der Weitergabe so gewonnener Daten “den Strafverfolgungsbehörden die ihnen schon bisher eröffneten Möglichkeiten des Zugriffs auf die von den Telekommunikationsdiensteanbietern im eigenen Interesse, etwa gemäß § 97 i. V. m. § 96 Abs. 1 TKG zur Entgeltabrechnung, gespeicherten Telekommunikations-Verkehrsdaten erhalten bleiben“ (WM 2008, 706, 709, 710). Das Bundesverfassungsgericht geht somit davon aus, dass der Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf die nach bisheriger Praxis gespeicherten Daten keinen Verstoß gegen Grundrechte darstellt und weiterhin zulässig ist. Nur darum geht es aber in dem hier zu entscheidenden Fall. Die Staatsanwaltschaft hat nicht auf Daten zugegriffen, die von dem Provider allein nach den neuen gesetzlichen Vorschriften zur „Vorratsdatenspeicherung“ gespeichert waren. Im Januar 2008 führte die D… T… AG die „Vorratsdatenspeicherung“ für Internetdaten noch gar nicht durch, da den Anbietern von Internet-Diensten gemäß § 150 Abs. 12 b TKG eine Übergangsfrist bis zum 1. Januar 2009 eingeräumt wurde.
Davon ausgehend spricht schon die tatsächliche zeitliche Abfolge eindeutig dagegen, dass die Staatsanwaltschaft im Streitfall auf Daten zugegriffen hätte, die allein aufgrund der neuen Pflicht zur „Vorratsdatenspeicherung“ gewonnen wurden. Nach dem glaubhaft gemachten Vortrag der Antragstellerin wurde das Computerspiel im Rahmen der Tauschbörse am 11. Januar 2008 angeboten. Am 15. Januar 2008 stellte die Antragstellerin Strafantrag und bereits am 18. Januar 2008 erteilte die D… T… AG die von der Staatsanwaltschaft angeforderte Auskunft. Bei diesem Zeitablauf ist davon auszugehen, dass hier keine Daten aus der „Vorratsdatenspeicherung“, sondern vielmehr Daten mitgeteilt wurden, die die D… T… zu eigenen, nämlich Entgeltzwecken, gespeichert hatte.
Ist somit von einer rechtmäßigen Weitergabe der Daten auszugehen, kommt ein Beweisverwertungsverbot im Verfahren zur Durchsetzung zivilrechtlicher Unterlassungsansprüche nicht in Betracht.
Und da steckt ein saftiger Fehler drin. Das Gericht nimmt nämlich ohne nähere Untersuchung an (“davon auszugehen”), daß Daten, die nicht nach der Vorratsdatenspeicherung gespeichert wurden, damit zwangsläufig als Daten zu Entgeltzwecken gespeichert wurden und damit rechtmäßig erhoben und weitergegeben wurden.
Nur weil etwas nicht dem Verbot des BVerfG unterliegt, ist es noch lange nicht rechtmäßig und noch lange nicht zu Entgeltzwecken erhoben worden.
Der allererste Schritt wäre nämlich gewesen erst einmal festzustellen, auf welcher Rechtsgrundlage die Daten überhaupt erhoben und gespeichert wurden. Da hätte man der Reihe nach die Rechtsgrundlagen des TKG zur Speicherung untersuchen müssen (§§ 95, 96, 100, 113a,… TKG). Und dann würde man sehen, daß dann, wenn der Kunde wie heute fast allgemeinüblich eine Flatrate hat, es keine Rechtsgrundlage für eine Speicherung gibt, die Daten also gar nicht erst hätten gespeichert werden dürfen. Dann besteht nämlich höchstwahrscheinlich durchaus ein Beweisverwertungsverbot.
Und das ist sehr gefährlich: Denn plötzlich steht der Urheber-Industrie der Zugriff auch auf unrechtmäßig erhobene Daten offen. Und das übernehmen natürlich sofort die Artikel- und Buchschreiber und die anderen Gerichte.
Da haben das OLG und/oder der gegnerische Anwalt aber ganz schön geschlampt.
Der zweite Fehler könnte darin liegen, daß dies ohne triftigen Grund die Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Während der Internet-Nutzer, der – warum auch immer – einen Volumentarif hat oder vielleicht so etwas wie einen Einzelverbindungsnachweis für IP-Adressen haben will, auf jeden Fall “dran” ist, hat der Kunde mit dem Flatrate-Tarif, jedenfalls dann, wenn sich der Provider an Datenschutzrecht hält – gute Chancen, unbehelligt davon zu kommen. Das erscheint ziemlich willkürlich. Nicht alles, was aus der Rechtstheorie-Küche des BVerfG kommt, ergibt auch einen durchgängigen Sinn.
Einzuräumen ist allerdings, daß die dynamischen IP-Adressen keinen wirklichen Schutzzweck erfüllen, sondern nur so nebenbei entstanden sind. So gesehen gibt es auch keine “statischen” Adressen, denn irgendwo ist jede Telefonnummer oder IP-Adresse nur für einen vorrübergehenden Zeitraum zugewiesen. Eine zeitliche Grenze, bis zu der es eine dynamische und geschützte Adresse sei, und oberhalb derer es eine statische und ungeschützte sein soll, wäre mir nicht plausibel erkennbar und letztlich willkürlich gewählt. Insofern ist der Tanz um die dynamische IP-Adresse sowieso nicht ganz nachvollziehbar.
Mal sehen, was sich da bei IPv6 ergeben wird.
2 Kommentare (RSS-Feed)
Ich wähle mich ja nicht mit der IP ein, sondern wähle mich ein, und bekomme vom Provider eine IP zugewiesen. Da weiß er ja schon, daß ich mich eingewählt habe. (Jemand von meinem Anschluß, um korrekt zu sein.) Zumindest bei den Telekom-Anschlüssen bzw. den Anbietern, die diese mitnutzen, ist die Einwahl nicht an den Anschluß gebunden. Ich probiere manchmal mit meinen Zugangsdaten andere (T-COM)-Anschlüsse, um festzustellen, ob ein Einwahlproblem an falschen Zugangsdaten oder an etwas anderen liegt.
Das einzige was passiert, ist, daß, falls man mit den gleichen Daten woanders schon angemeldet ist, diese andere Verbindung unterbrochen wird und ggf, wenn die Leitung, an der man sich einwählt eine höhere Bandbreite hat als die für “daheim” gebuchte, zusätzliche Gebühren fällig werden.
Ich hatte vor Jahren, als T-Online noch kein POP/IMAP über andere Proovider zugelassen hat, sogar gleichzeitig T-Online und 1und1 auf derselben DSL-Leitung am laufen.
Zum Thema:
Für die Rechnungsstellung, bzw deren Nachweis sind als Einzige Daten die Kundenkennung und ggf. der Anschluß über den man sich eingewählt hat u.U. mit Uhrzeiten/Transfervolumen, falls man keine flatrate hat, notwendig. Alles andere sind unnötige Daten, die für die Rechnungsstellung unerheblich sind.
Als ich noch einen Volumentarif hatte hat mein Provider auch meine IP nicht zur Rechnungslegung benötigt.
Interessant ist doch nur, daß man Mittwochs 17 MB, Donnerstag 23 MB, Freitag … – insgesamt 531 MB Transfer hatte.
Welche IP ich dabei jeweils hatte, und ob diese aus 4 Primzahlen bestand oder aus keiner einzigen, das hat für die Rechnung auch keinerlei Relevanz.
Kann der Provider mit einer IP belegen, daß wirklich ich das war? Schlecht.
Kann ich mit der IP leicht widerlegen, daß ich das war, wenn ich es nicht war?
Ich kann einen Zeugen herbeirufen, und meine IP aufschreiben, wenn ich ständig falsche Rechnungen bekomme, und dann mit dem Zeugen im Schlepptau die Rechnung anfechten – ansonsten ist die Erhebung der IP m.E. schon ein Verstoß gegen das Datensparsamkeitsgebot.
Ich wähle mich ja nicht mit der IP ein, sondern wähle mich ein, und bekomme vom Provider eine IP zugewiesen. Da weiß er ja schon, daß ich mich eingewählt habe. (Jemand von meinem Anschluß, um korrekt zu sein.)
Aber ein Beweisverwertungsverbot – gibt es das in Deutschland überhaupt? Ich dachte daß nicht?