“Wir sind das Volk!”
(Zitat: Bürger der DDR). Anmerkungen zur heutigen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Wahlcomputer (Wahlprüfungsbeschwerde gegen den Einsatz von NEDAP-Wahlmaschinen).
Ich war heute als Zuhörer in der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über Wahlcomputer. Und ich war sehr froh, daß ich dort war, ich habe sehr viele interessante Aussagen gehört und dabei ebenso positive wie auch haarsträubend schlechte Aussagen gehört. Leider konnte ich mir die nicht alle merken und habe lieber zugehört als mitgeschrieben. Vielleicht bekomme ich irgendwann eine Niederschrift der Aussagen.
Sinngemäß aus dem Gedächtnis:
Positiv überrascht war ich davon, wie aufmerksam und teils mit wieviel List und Schläue die Richter fragten. Ich finde es auch immer wieder angenehm, daß da nicht die an anderen Gerichten übliche Grabesatmosphäre herrscht, sondern es auch sehr heiter und locker zugehen kann. So erklärte jemand von der Regierung (wenn ich es richtig mitbekommen habe jemand vom Wahlprüfungsausschuß, muß ich nochmal nachgucken), daß man seit 1973 keine mündliche Verhandlung über Wahlbeschwerden mehr brauchte, weil man die Beschwerden allesamt schon vorab als unbegründet oder unzulässig verworfen hatte. Eigentlich ist es ziemlich dumm, so etwas einem Bundesverfassungsgericht zu sagen. Prompt kam auch die spitze Rückfrage eines Richters, ob die wirklich alle unbegründet waren oder ob das nicht doch etwas damit zu tun hätte, daß ihnen das zu anstrenged sei. Auf Deutsch: Als ob sie zu faul seien Wahlbeschwerden zu prüfen. Gleichzeitig vertrat man den Standpunkt, daß man noch nie eine Manipulation nachgewiesen habe – kein Wunder, wenn man Beschwerden nie nachgeht und sie seit 1973 alle verworfen hat.
Ebenso seltsam die Logik der Bundesregierung (?, muß nochmal nachfragen, wer genau das war), daß Wahlcomputer fehlerfrei zählen. Auf die Frage eines Richters, was daran so schlimm wäre, wenn man doch noch zusätzlich einen Papierbeleg forderte, um das Wahlergebnis im Zweifel überprüfen zu können, kam die Antwort, daß das unerwünscht sei, weil das ja sein könnte, daß der Computer etwas anderes gezählt hat. Man nimmt also in Kauf, daß die Dinger falsch zählen, und will keinen Papierbeleg, weil es blöd aussieht, wenn man es nachprüt und es nicht stimmt.
Die Logik ist subtil: Zusätzliche Kontrollzettel seien unnütz. Denn diese dürften nur nachgezählt werden, wenn es konkrete Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gibt.Da der Computer aber nur ein Endergebnis ausspuckt, kann es nicht zu Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten kommen, weshalb die Zettel auch nie nachgezählt werden können. Deshalb seien sie überflüssig. Außerdem würde das mit dem Nachzählen ja aucn nichts bringen, denn man wisse ja nicht, ob der Computer etwas anderes gezählt hat.
Interessant auch die Auffassung des Staates (wer war das?), daß es ja gar nicht erst zu Manipulationen käme, denn diese müßten ja einen Zweck haben, und welchen Zweck sollte dies haben? Außerdem habe ja noch nie jemand Wahlcomputer manipuliert, warum sollte das also in Zukunft passieren? Freilich, in den Niederlanden habe man es geschafft, Wahlcomputer zu manipulieren. Aber das sei auf Deutsche Verhältnisse nicht zu übertragen.
Und überhaupt, Manipulationen gingen vielleicht im Labor, aber unsere Wahlcomputer stünden ja nicht im Labor, sondern draussen. Und was heißt das schon, daß jemand in 60 Sekunden die Software eines Wahlcomputers austauschen könnte? Man könnte ja in weniger als 30 Sekunden eine herkömmliche Wahlurne gegen eine mit anderen Stimmzetteln austauschen.
Selbstverständlich habe die Physikalisch-Technische Bundesanstalt die Computer geprüft. Wie, die Software? Nein, die war nicht Teil der Prüfung.
Und die Bundesregierung sieht auch keine Manipulationsgefahr. Man halte es da mit der Verzahnungstheorie (oder Zahnradtheorie? Hats irgendwer genau aufgeschrieben?) Was das ist? Wissen wir auch nicht so genau.
Wie man eine Maschine auf Übereinstimmung mit dem Muster prüft? Ja, mei, das könnte schon einen Tag dauern. Man schaut halt mal rein.
Außerdem seien die Maschinen versiegelt, da sein nichts zu machen. Eine Richterin wendet ein, daß sie immer wieder Haftbeschwerden von Gefängnisinsassen hat. Denen gestattet man keine versiegelten Elektrogeräte, weil man darin Drogen verstecken kann und diese Siegel angeblich nicht sicher hinzubekommen wären und immer wieder überwunden würden. Was da bei den Siegeln der Wahlmaschinen anders sei, will sie wissen. Weiß man nicht so genau.
Ach, der war auch noch gut: Unregelmäßigkeiten müßte man ja gar nicht an der Manipulation des Verfahrens erkennen, sondern an den allgemeinen Ergebnissen. Wenn beispielsweise die Stimmen der Linken plötzlich hochgingen, müßten sie das auch in den anderen Wahlbezirken. Fassungslosigkeit bei einigen Richtern.
Ein “Sachverständiger meint, daß man Softwaremanipulationen nicht verhindern, aber entdecken würde, weil die Maschine ihr EPROM nicht schreiben könnte. Andererseits könne jede Prüfmethode ausgehebelt werden.
Und so weiter, und so weiter. Die Aussagen von Seiten der Bundesregierung waren in meinen Augen eine Farce und sorgten immer wieder für Gelächter. Erschreckend, wie naiv und blauäugig, aber auch zynisch und ignorant man da ist. Manipulationen sind verboten und stehen unter Strafe, also gibt es sie nicht. Basta.
Ein wesentlicher Punkt, auf den ich hinaus will, ist eine Frage, mit der sich das Gericht eine Zeit beschäftigt hat aber keine Antworten bekam. Da hat sich jeder gedrückt. Die Frage nach dem Maßstab. Bis wohin muß eine Wahlmaschine nachprüfbar sein, und ab wann ist sie verboten?
Manchmal würde ich gerne aufspringen und nach vorne stürmen. Aber man ist als Zuschauer nicht Beteiligter und hat gar nichts zu sagen. Zwar betrifft einen dann die Entscheidung, und man kann dann auch keine Beschwerde mehr erheben, aber gefragt wird man nicht.
Wo ist der Maßstab?
Als Informatiker, Sicherheitsspezialist und Verfassungsgucker sehe ich diesen Maßstab:
Nach Art. 20 haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand gegen jeden, der es unternimmt, unsere Ordnung zu beseitigen. Das heißt, daß wenn es an die Grundfesten der Demokratie geht, gilt die Devise ‘Selbst ist der Mann’.
Und genau diesen Gedanken sehe ich auch für die Überprüfbarkeit bei Wahlen. Das erscheint absurd und weit hergeholt?
Vor knapp 20 Jahren, also eigentlich gerade erst gestern nachmittag, gingen Bürger der DDR auf die Straße und revoltierten. “Wir sind das Volk!” Eine Form friedlicher Gewalt im besten Sinne einer Demokratie, der Souverän selbst jagte eine Regierung, ihren Apparat und ihre Wahlverfahren zum Teufel. Man stürmte damals STASI-Gebäude und untersuchte, was die da getrieben hatten. Schon vorher nahmen Bürgerrechtler auch mal Abhöreinrichtungen auseinander.
Und genau das ist ein Maßstab, eine Obergrenze. Eine Menschenmenge wie diese damals, die die STASI-Einrichtungen stürmt und herauszufinden versucht, was da gelaufen ist, muß meines Erachtens in der Lage sein, Wahlmaschinen auf Manipulation zu überprüfen. DDR-Bürger hatten keine Sachverständige, an die sie sie schicken konnten.
Deshalb bin ich der Meinung, daß ein Wahlverfahren so ausgelegt sein muß, daß man die Verfahren und Geräte unmittelbar, also normalen menschlichen Sinnesorganen, und durchschnittlicher Bildung auf Funktionsweise und Manipulationen untersuchen kann. Weder ein Mikroskop noch Sachverständige oder sonstige Hilfsmittel dürfen benötigt werden.
Jeder wenigstens durchschnittliche Mensch muß sich selbst und ohne Abhängigkeit von einer Elite oder privilegierten Gruppe von der Funktionsweise überzeugen können.
Und damit scheidet Elektronik aus.
Nachtrag: Siehe auch Heise Newsticker und SPIEGEL.
3 Kommentare (RSS-Feed)
“Dummdreist” ist die Vokabel, die mir immer häufiger in den Sinn kommt.
“Wenn beispielsweise die Stimmen der Linken plötzlich hochgingen, müßten sie das auch in den anderen Wahlbezirken.”
Ich habe neulich das folgende Bild gefunden: http://www.chauvi.de/images/USA_Vergleich_einarmigerBandit_Wahlcomputer.gif
Ich weiss dass die Verhältnisse nicht direkt übertragbar sind, aber ich finde den Vergleich sehr nett und bin sicher, dass ein ähnlicher Vergleich in Deutschland auch möglich ist.
Ceterum Censo (um es mit Cato zu sagen): Nur einfache mechanische Wahlmaschinen sind das höchste der Gefühle.