Ansichten eines Informatikers

Wie Von der Leyens Schuß nach hinten losgehen kann

Hadmut
22.11.2008 11:12

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen prescht gerade vor, daß sie die Kinderpornos im Internet beenden, den Zugang sperren, den Markt austrocknen will. Als ob zuvor noch keiner auf diese Idee gekommen wäre. Der Schuß kann nach hinten losgehen.

Mal ganz abgesehen davon, daß das technisch bei weitem nicht so einfach ist, wie Politiker sich das vorstellen, ist die Vorgehensweise strategisch fragwürdig und kann den entgegengesetzten Effekt haben.

Denn der Kinderpornomarkt ist international und in seiner finanziellen Existenz wohl kaum auf die deutschen Konsumenten angewiesen. Es gibt genügend Länder, in denen Kinderpornographie nicht strafbar ist, um den Markt an sich aufrechtzuerhalten. Also wird ein Austrocknen des Marktes so nicht funktionieren.

Die Frage ist allerdings, welche Wirkung die geplante schwarze Liste des BKA haben wird. Wer an die Liste kommt, weiß sofort, wie und wo er Kinderpornos finden kann – was normalerweise ja so einfach gar nicht ist. Eine solche Liste könnte, wenn sie in Umlauf gerät, und das wird sie, also den Zugang im internationalen Maßstab vereinfachen und damit den Markt sogar ankurbeln. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß die Ministerin damit den Kinderpornomarkt effektiv sogar noch ankurbelt.

Außerdem wäre es ein leichtes, die Sache auch juristisch auszuhebeln, man muß die Kinderpornos nur auf einen virtuellen Server packen, und unter derselben IP noch normale, reguläre Inhalte laufen lassen. Dann läge darin eine Verletzung des freien Zugangs zu öffentlich zugänglichen Informationen (Art. 5 GG). Und eine Deep Packet Inspection wäre nicht nur ein unverhältnis hoher technischer und finanzieller Aufwand (und leicht dadurch zu sabotieren oder erschweren, daß man den HTTP-Header in 1-Byte-Pakete schneidet), sondern meines Erachtens eine verfassungswidrige Verletzung des Fernmeldegeheimnisses. Als würde man sämtliche Briefe und Postpakete nach Kinderpornos durchsuchen. Und wie die das dann bei IPv6 machen wollen, ist mir auch unklar.

Natürlich will, soll, muß man Kinderpornos bekämpfen, keine Frage. Meines Erachtens ist das aber der falsche Weg und zeugt nicht allzusehr von Kompetenz.

Meines Erachtens muß man auf drei anderen Wegen angreifen:

  • Die Überwachung muß verbessert werden. Wenn ich mir ansehe, wieviel Chaos und Wirrwarr die Bundesregierung bei den TKG-Abfragen nach § 113 und 113a TKG produziert, muß man sich nicht wundern, wenn das nicht läuft. Man sollte erst einmal die “Prozesse aufräumen” bevor man sich mit politischen Forderungen in die Presse begibt.
  • Es ist erstaunlich, wieviele Leute in Deutschland von ihrem Internet-Zugang aus Kinderpornos rauf- oder runterladen, obwohl das ja nachverfolgbar ist und auch in rauhen Mengen verfolgt wird. Ich glaube es hätte wesentlich mehr Wirkung, wenn man das einfach mal richtig publik machen würde, daß man bei Nutzung eines deutschen Anschlusses mit hoher Wahrscheinlichkeit erwischt und bestraft wird.
  • Wenn man den Markt austrocknen will, muß man die Geldströme verfolgen. Ich hielte es für sinnvoller, wenn man (ggf. durch verdeckte Ermittler als Kunden) herausfindet, wo die Geldziele liegen. Auf irgendeine Weise müssen die Kunden das Geld ja transportieren (jedenfalls zielt von der Leyen ja auf die kommerziellen Anbieter ab). Und da gibt es wesentlich weniger Varianten als bei den ständig wechselnden IP-Adressen der Server. Da kann man dann das Geld blockieren und die Zahlungen rückverfolgen, was meines Erachtens sehr viel sinnvoller wäre.

Meine große Befürchtung ist aber die:

Es erinnert mich sehr stark an die Debatte vor 11-12 Jahren um das damals geplante Kryptoverbot. Damals wollte die Politik das und fragte danach (vgl. Adele). Obwohl auch das erheblichen technischen Schwierigkeiten begegnete, gab es da kein klares Statement in der Anhörung. Stattdessen wurden im Interesse der Geschäftsmacherei sogar bewußt falsche Aussagen getroffen (vgl. die Sache mit dem Beweis zum Kryptoverbot, daß man inwischen sogar gerichtlich “festgestellt” hat, daß man in n Bit Nachricht auch n+1 Bit übertragen kann). Ich fürchte, daß man hier wieder aus pseudo-wissenschaftlichem Opportunismus, der ja inzwischen nur noch größer geworden ist, und Geschäftsinteressen der Regierung wieder Falschinformationen unterschiebt.

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yasar
24.11.2008 18:25
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Übrigens:

Vor 25-30 Jahren (wahrscheinlich sogar schon früher) war es ein “Geheimtipp”, die Veröffentlichungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (oder so ähnlich) zu abonnieren, um an die wirklich “interessanten” Sachen zu kommen. In diesen war nämlich alles aufgeführt, was indiziert war und somit über normale Wege nicht in Erfahrung zu bringen war.