Ansichten eines Informatikers

Und wieder Kinderpornofilter gefordert, neue Variante

Hadmut
15.12.2008 21:27

Diesmal fordert der Innenminister von Niedersachsen Uwe Schünemann Kinderpornofilter, zu deren Gebrauch sich der Kunde gegenüber dem Provider vertraglich verpflichten soll.

Zeigt wieder einmal, daß “Fordern” leicht und üblich ist und politische Forderungen in Deutschland nicht von Sachkunde getrübt sein müssen. Und daß Kinderpornos wieder mal als Vehikel für Wichtigtuerei und andere Interessen herhalten müssen. Terrorismus ist wohl gerade etwas aus der Mode gekommen. Jetzt müssen halt Kinder herhalten.

Der Kunde soll sich gegenüber dem Provider vertraglich verpflichten, Kinderpornofilter einzusetzen, und der Provider soll prüfen, ob die installiert sind, anderenfalls den Zugang sperren.

  • Wie soll der Provider denn das feststellen, ob da ein Filter installiert ist? Wenn gerade kein Rechner eingeschaltet oder der Rechner mit einer Software-Firewall geschützt ist, wird dann der Internet-Zugang gesperrt?
  • Was ist, wenn man einen Rechner verwendet, für den es keine Filter gibt? Linux oder Solaris oder irgendetwas exotisches? Darf man dann nicht mehr ins Internet?
  • Was ist mit Geräten, die mit dem Web gar nichts zu tun haben? Wieder mal ein Politiker, der den Unterschied zwischen Web und Internet nicht kennt?
  • Was ist mit ausgeschalteten PC, die von aussen erst eingeschaltet werden?
  • Und was ist mit Einfach-Hardware, sogenannten Embedded Devices und Kleinstrechnern? Können jetzt die Einbrecher einbrechen, weil die netzwerktaugliche Webcam keinen Internetzugang mehr bekommt? Videostreamer, Kühlschränke und Drucker bekommen auch keinen Internet-Zugang mehr?
  • Und was ist, wenn da ein medizinischer Notfall vorliegt, man dringend die Polizei oder die Feuerwehr braucht und das dumme VoIP-Telefon keinen Kinderpornofilter eingebaut hat und keinen Internetzugang bekommt? Dann verbrennt man eben? Was ist mit der Pflicht der Telefonprovider zum Anbieten von Notrufen? Notrufe nur mit Kinderpornofilter?
  • Ich bekomme nur noch Internet, wenn ich Geld an einen Dritten abdrücke, von dem ich gar nichts will? Ein Verletzung des freien Zugangs zur Information ist verfassungswidrig:

    Artikel 5 Absatz 1 GG: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.

    Jedem den Zugang zu sperren, der keinen Pornofilter installiert, ist aber eine solche Behinderung.

  • Was ist, wenn der Filter false positives liefert? Mit Filter geht’s dann nicht, und ohne auch nicht.
  • Was ist denn, wenn da hinter dem Router zwei PCs hängen, einer mit und einer ohne Pornobremse? Gibt’s dann Internet oder nicht?
  • Was ist, wenn am Internet-Anschluß ein zertifiziertes medizinisches Gerät hängt? Ich habe vor einiger Zeit als Security Consultant einem Klinikum, das zwingend Personal einsparen mußte um überleben zu können, einen IPSec-Tunnel für einen Tomographen installiert, in denen das anwesende medizinische Personal im Notfall Schwerverletzte steckt. Im weit entfernten größeren Krankenhaus gibt es auch nachts genügend Notärzte, Internisten und Chirurgen, die dann sofort eine Ferndiagnose stellen können und das weitere Vorgehen koordinieren, beispielsweise eine Abholung mit dem Rettungshubschrauber oder umgekehrt das Einfliegen von Ärzten. Medizinische Geräte dürfen aber nicht mit Zusatzsoftware erweitert werden. Also gibts kein Internet mehr, keine Notärzte und so.
  • Und was mache ich, wenn ich einfach nicht will? Wenn ich es für gefährlich halte, solche Fremdsoftware auf meinem Rechner zu installieren? Wär ja nicht das erste Mal, daß mit dem Zeugs die Lücken erst reinkommen.
  • Wie soll das überhaupt funktionieren? Wie funktionieren Kinderpornofilter? Und selbst wenn er bezüglich der Erkennung funktionierte, wie soll der verhindern, daß man am Filter vorbei eine TCP-Verbindung aufmacht? Wollen die das ganze Betriebssystem umkrempeln?

Echt gruselig, was die da wieder fordern.

Das schlimme ist aber, daß man zunehmend Probleme hat, sich gegen sowas vor Gericht zu wehren. Selbst einfache technische Sachverhalte sind vor Gericht mangels seriöser Gutachter nicht mehr zu beweisen.

5 Kommentare (RSS-Feed)

Battleaxe
15.12.2008 22:59
Kommentarlink

Artikel 5 Absatz 1 GG: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort…
Das gilt auch für Unsinn und Schünemann.
Der hat das gleiche Recht wie Öttinger: Regelmäßig eine Sau durchs Dorf treiben und sehen was an Echo kommt.
Echo gut -> ausbauen.
Echo schlecht -> Die Zeit heilt alle Wunden und tilgt Erinnerungen.
So wird man in BW Ministerpräsident 🙁


Hadmut
15.12.2008 23:01
Kommentarlink

Politik nach dem Prinzip Trial and Error?


Battleaxe
15.12.2008 23:36
Kommentarlink

Wie ich die Karriere Ö’s gesehen habe mit Forderungen zur Streckensperrung für Motorräder (da fiel er mir erstmals auf) und auch jetzt immer wieder mal eine Sau durchs Dorf.
Scheint zu funktionieren. Wobei Schavan auch nicht der Lottogewinn gewesen währe – wie immer, das kleinere Übel bei mangelhafter Informationslage und das Volk durfte nicht einmal entscheiden.
Unsere Demokratie ist absolut nicht sauber. Von wegen Herrschaft des Volkes. Eher Herrschaft der Volksbetrüger und Klüngler (ist Köln, weiss ich, drückt es jedoch aus).


XL
16.12.2008 0:18
Kommentarlink

Ist ja alles ganz richtig … aber trotzdem am Thema meilenweit vorbei.

Beim “Krieg gegen die Kinderpornos” gings ja eigentlich mal um die Kinder. Was man sich wünschen würde, wäre entschlossenes Vorgehen gegen die Produzenten. Und Händler. Schon bei bezahlenden Kunden stellt sich die Frage, ob die nicht eher in die Psychiatrie gehören als in den Knast.

Der Filter hilft keinem einzigen Kind. Wenn das Kind erst mal vergewaltigt wurde und das Foto gemacht ist, dann ist der Schaden doch schon eingetreten – was macht es dann noch für einen Unterschied ob das 100 oder 1000 Leute sehen?

Nach Schünemanns Rezept könnte man auch Zeitungsredaktionen verpflichten Filter zu installieren, die schlechte Börsennachrichten unterdrücken. Und das dann als Maßnahme gegen die Finanzkrise verkaufen.

Wenn wir es nicht sehen, dann passiert es nicht. Einfach unglaublich, für wie bescheuert unsere Politiker ihr Volk halten.


Stefan
16.12.2008 8:14
Kommentarlink

XL: Das ist aber Quatsch, bzw. das Kind mit dem Bade ausschütten, oder zu schlechten Argumenten greifen, ohne Grund.

Das mißbrauchte Kind möchte ich sehen, dem es egal ist, ob 100 oder 1000 Leute Zeuge seines Mißbrauchs geworden sind. Oder lieber nicht sehen. Eine solche Ignoranz gegenüber dem Opfern ist wirklich unappetitlich.

Der Vergleich mit der schlechten Börsennachricht paßt nicht.


Die Filterfunktion ist aber doch ganz offensichtlich: man macht einfach, was schon bei Viren nicht hilft: eine Blacklist (verbotener Dateinamen, später aufrüsten: md5sum der Datei).

Kosten werden auf die User umgelegt,

Der Vorteil des Filters ist, daß er für zukünftige und verwandte Polizeiaufgaben leicht erweitert werden kann. Spontane Ideen: Bombenbauanleitungen, Chemieexperimente, Haßpredigten, NPD-Propaganda.

Da kann sich der aufrechte Mittewähler schlecht verschließen, oder?

Im nächsten Schritt dann auch erweiterbar auf Propagandamaterial von Parteien links und rechts der großen Koalition.