Ansichten eines Informatikers

Fragwürdige Praxis der Kommunikationsüberwachung

Hadmut
3.1.2009 17:44

Ich halte die derzeitige Praxis der Kommunikationsüberwachung nach §§ 100a ff. StPO und 113 TKG für zunehmend fragwürdig.

Schon vor einiger Zeit habe ich dem Bundesdatenschutzbeauftragten eine Liste von Problemen und Bedenken vorgetragen. Inzwischen habe ich noch mehr Zweifel an der Praxis.

Eigentlich sind bei der Bundesnetzagentur die Ansprechstellen der Provider für Überwachungsmaßnahmen hinterlegt. Eigentlich sollten sich anfragende Behörden dort informieren, an wen sie sich wenden sollen. Dummerweise hat das den Polizeien niemand gesagt. Das läuft so nach dem Schema “Hier, recherchier das mal, schau zu, wie Du klarkommst!” Also setzt sich der wackere Polizist hin, und versucht mit Allgemeinwissen voranzukommen. Fragt erstmal bei Ripe bzw. die Whois-Daten ab. Und schickt seine Anfrage dann an den Kundenservice, die Störungsstelle, den Vorstand oder wen auch immer beim Provider. Wird schon stimmen. Und dann gehen höchst vertrauliche Daten, etwa Anfragen, gegen wen gerade in welcher Sache wegen Mord, Drogenhandel oder Kinderpornographie ermittelt wird, durch viele Hände, durch die sie nicht gehen sollten. Einerseits will unsere Regierung immer mehr überwachen, immer tiefer reinblicken. Anderseits schafft sie es nicht einmal, die bestehenden Überwachungswege zu organisieren. Schon der Status Quo führt zu laufenden Datenschutzverletzungen. Vielleicht sollten wir erst einmal den in Ordnung bringen als immer mehr draufzupacken.

Es heißt, daß der nichts zu befürchten habe, der nichts zu verbergen hat (was die Frage aufwirft, warum dann unsere Regierung so viel zu verbergen hat). Das stimmt so nicht, selbst wenn man die Richtigkeit dieser Bauernregel unterstellt. Denn manchmal weiß man selbst noch nicht, was man zu verbergen hätte. Vielleicht ermittelt die Staatsanwaltschaft ja zu Unrecht wegen der Verbreitung oder dem Konsum von Kinderpornographie. Vielleicht war es ein Bot. Vielleicht war es keine Kinderpornographie. Vielleicht hat man eine IP-Adresse verwechselt. Oder grundsätzlich was an der Technik nicht verstanden. Und plötzlich hat selbst der ehrlichste und offenste Bürger ein Ermittlungsverfahren am Hals, von dem er noch gar nichts weiß, weil solche Überwachungen ja naheliegenderweise ohne Kenntnis des Betroffenen durchgeführt werden. Also kann auch der, der noch gar nicht weiß, daß er was zu verbergen haben wird, gefährdet sein. Ich halte solche auf Sammtischparolen reduzierte Hau-Drauf-Politik nicht für vertretbar.

Nicht besser sieht es mit dem Richtervorbehalt aus, der ja immer als Rechtfertigung für Eingriffe herhalten muß. Da herrscht immer die Auffassung, daß wenn es ein deutscher Richter genehmigt hat, es auch rechtmäßig sein muß. Von wegen.

Ich hatte schon einige Überwachungsbeschlüsse auf dem Tisch, an denen man erhebliche Zweifel haben muß. Die in sich widersprüchlich waren. Oder unvollständig. Oder die im Rundumschlag zur Überwachung eines Mobiltelefons im Rundumschlag an 12 verschiedene Provider erging, auch an solche, die gar keinen Mobilfunk anbieten. Die Logik ist die, daß man ja nicht nur die Anrufe haben will, die von diesem Handy aus getätigt werden, sondern auch die Anrufe an dieses Handy. Also ordnet ein Richter einfach mal so an, bei allen Providern die Telefonate aller Deutschen danach zu durchsuchen.

Fragt man dann nach, dann bekommt man von den Ermittlungsrichtern häufig sehr defensive, zurückhaltende Antworten. Ja, man kenne sich damit ja auch nicht so genau aus. Wie das gemeint sei, das wisse doch sicherlich das LKA oder die Staatsanwaltschaft, die das beantragt hat. Wie bitte!? Der Richter weiß selbst nicht, wie sein Beschluß gemeint ist und sagt, die die das beantragt haben, müßten das doch genauer wissen? Ist das der Richtervorbehalt? Oder auch gut ist die Antwort, daß man dazu ja gar nichts mehr sagen könnte, weil man die Akten ja gar nicht mehr habe. Da kämen jeden Tag so viele rein, daß man die ganze Akte höchstens für eine halbe Stunde habe, innerhalb derer das alles ablaufen muß und die Anordnung ausgefertigt werden muß. Da bleibe keine Möglichkeit, sich irgendetwas dazu zu merken. Nichts ist nachprüfbar, nichts ist erklärbar. Soll das der Richtervorbehalt sein?

Wenn es dann wenigstens so wäre, daß die Staatsanwälte und LKA erklären könnten, was sie da vorhaben. Schon mehrfach haben mir dann Staatsanwälte am Telefon gesagt, daß ich das doch den Richter fragen müßte, der hätte das doch unterschrieben. Sie wüßten auch nicht so genau, wie sich der Richter das dann vorgestellt hat. Die Pflicht zur richterlichen Genehmigung müsse doch bedeuten, daß der Richter und nicht die antragstellende Staatsanwaltschaft die Verantwortung hat, sonst bräuchte man ja den Beschluß und die Unterschrift des Richters nicht. Im Prinzip richtig, aber wer hat denn dann die Verantwortung?

Da paßt es dann ganz gut, daß man zu dem Ergebnis kam, daß für die Abfrage des Nutzers einer IP-Adresse keine richterliche Genehmigung notwendig ist, weil es nur eine Abfrage von Bestandsdaten sei, die nicht unter das Telekommunikationsgeheimnis falle. Mal ehrlich: Welchen Zweck hätten solche wie die oben beschriebene richterliche Genehmigung dann noch, wenn die doch sowieso alles durchwinken und ein Standardformular unterschreiben? Der einzige Effekt wäre, daß die Ermittlungsrichter bei der Fülle der Kinderpornographieermittlungen noch viel mehr zu tun und damit für den einzelnen Fall noch weniger Zeit hätten. Der vorgebliche Rechtsstaat führt sich selbst ad absurdum.

Der Richtervorbehalt ist jedenfalls das Papier nicht wert. Er führt nur dazu, daß man hinterher gar keinen mehr hat, den man verantwortlich machen kann. Würde man auf den Vorbehalten verzichten und dem, der den Antrag stellt, erlauben, sich selbst zu genehmigen bzw. auf die richterliche Anordnung verzichten, dann wüßte man wenigstens, wen man hinterher packen kann, wenn es faul war.

4 Kommentare (RSS-Feed)

Empirius
4.1.2009 2:15
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Soweit ich es weiß, ist eine Ablehnung eines Antrages der Staatsanwaltschaft mit einem ausführlichen Schriftstück zu rechtfertigen. Die Zustimmung leider nicht.


yasar
4.1.2009 11:21
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Mal ‘ne andere Frage: Darf man, wenn so ein Richter und ein Staatsanwalt nicht wissen, was sie denn da geschrieben (oder gemeint) haben das ganze zurückschicken und wie in der Schule sagen: “Nochmal schreiben, aber diesmal ohne Fehler!”


yasar
4.1.2009 11:40
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Zum Thema “Wer nichts zu verbergen hat”: wie ich schon in dem Kommentar zur Selbstüberwachung (https://www.danisch.de/blog/2009/01/02/der-trend-geht-zur-selbstuberwachung/) geschrieben habe, ist es heute gang und gebe, daß es bei freiwilligen DNA-Tests im Prinzip keine Freiwilligkeit mehr gibt. Nun sollte man bedenken, daß man als “unschuldiger” normalerweise keine Gedanken daran verschwendet, daß man irgendwo seine DNA hinterläßt: z.B. Spucke auf dem Boden oder an der Zigarette, ein benutztes Papiertaschentuch, Ein Kondom (auf manchen Autobahnparkplätzen wimmelt es nur so davon), Haare (o.k. Bei Dir Hadmut weniger ein Problem, oder hat Du inzwischen eine andere Frisur? SCNR), Blut wenn man eine Verletzung mit einem Papiertaschentuch abgewischt hat oder menstruierende Frauen, die Ihre Binden/Tampons im normalen Abfall entsorgen, denn ins Klo darf man das ja nicht werfen.

Da wäre es nicht verwunderlich, wenn man irgendwann mal in Verdacht kommt, weil man seine DNA an der falschen Stellen hinterlassen hat. Hingegen wird ein einiermaßen “intelligenter” Täter es möglichst vermeiden, Spuren zu hinterlassen.

Und schon sind wir wieder beim Thema, daß man gar nicht wissen kann, ob man etwas zu verbergen hat.

Andererseits wäre es natürlich zu diskutieren, ob eine Gesellschaft, in der jeder alles über jeden wissen darf und kann, insbesondere über die, die gleicher sind als andere, funktionieren kann, auch wenn ich nicht in so einer Gesellschaft leben möchte.


Hadmut
4.1.2009 11:42
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@Empirius: Stimmt leider, die Annahme des Antrages kann so kurz sein, daß nur in ein Formular das Aktenzeichen, an der richtigen Stelle ein Kreuz und die Unterschrift (bzw. der Beglaubigungsstempel) eingetragen werden.

Rechtlich wirklich geprüft werden nur Ablehnungen. Die müssen dann auch begründet werden, weil die Staatsanwaltschaft ja Rechtsmittel zur höheren Instanz einlegen könnte. Bei der Annahme eines Antrags gibt es kein Rechtsmittel. D.h. rein formal gibt es das Rechtsmittel schon, aber der Betroffene weiß ja nichts von der Maßnahme, kann das Rechtsmittel also nicht einlegen.

@Yasar: Einem Richter oder Staatsanwalt kann man immer einen Brief schicken und reinschreiben, daß er da Mist gebaut hat oder es unverständlich oder unvollständig ist. Nur: Das nutzt nichts. Denn erstens kann man höllisch Ärger bis hin zur Anklage wegen Strafvereitelung bekommen, wenn man dem Beschluß nicht nachkommt, sofern man nicht hieb- und stichfest beweisen kann, daß er unerfüllbar ist.

Zweitens kann der Richter aus formalrechtlichen Gründen nicht mal seinen eigenen Beschluß ohne weiteres überarbeiten. Man müßte dagegen Beschwerde zum OLG (bin jetzt nicht ganz sicher ob LG oder OLG, aber ich glaube es ist das OLG) einreichen, was den Provider aber gleich wieder Geld (Anwaltsgebühren usw.) kostet – und auch nicht viel nutzt, weil es keine aufschiebende Wirkung hat. Man müßte trotzdem bis zur Entscheidung dem Beschluß nachkommen. Und dann wird das OLG sagen “Was wollt Ihr denn, es geht doch…”. Hilft also auch nichts.

Im Endeffekt gibt es überhaupt keine Rechtskontrolle bei Überwachungsmaßnahmen.