Déjà-vu? Das BKA jagt Anbieter von Kinderpornographie
Ich mach meinen Job ja nun auch nicht erst seit gestern. Und entsprechend viel Zeugs sammelt sich in meinem Archiv an. Gerade beim Ausmisten gefunden, man könnte diese Artikel von vor 10-13 Jahren heute fast unverändert erneut drucken. Erstaunlicherweise sind noch einige der Artikel tatsächlich online.
DIE WELT vom 18.12.1998 brachte unter dem Titel “Immer mehr Kriminelle nutzen das Internet” einen Artikel von Peter Scherer über die Jagd des BKA auf Anbieter von Kinderpornographie. Zitat:
Die meisten Anbieter von Kinderpornographie operieren nach Feststellungen des BKA aus den USA, aus Japan und zunehmend auch aus Rußland. Ihr einschlägiges Material wird in der Regel zunächst “zum Anbeißen” im offenen Internet und ohne allzu große Hürden angeboten. “Die wollen damit Kunden anlocken und Geschäfte anbahnen oder suchen Tauschpartner”, sagt ein Fahnder. Weitergehende Kontakte würden dann freilich in speziell “abgeschotteten Räumen” abgewickelt. Insgesamt gesehen, so die Befürchtung in der deutschen Polizeizentrale, “stehen wir aber erst am Anfang der Kriminalitätsentwicklung im Internet”.
Auch der Heise Newsticker hat gute Archive. So hieß es am 16.12.1998 unter der Überschrift “BKA will Provider zur Sperrung illegaler Inhalte verpflichten” u.a.:
Nach dem Willen der Behörden sollen Provider künftig bei der Bekämpfung von Internet-Kriminalität besser mit Polizei und Staatsanwaltschaften zusammenarbeiten. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat daher einige ausgewählte Provider nach Wiesbaden zu einer Tagung eingeladen, […] “Wir wollten eine bestehende Rechtsunsicherheit vor allem auf Seiten der Provider auflösen”, sagte Leo Schuster, Direktor des BKA. Schuster regte an, daß die Provider im kommenden Jahr eine Selbstverpflichtungserklärung unterzeichnen sollten.
Auch Telepolis hatte am 16.12.1998 einen Artikel von Christiane Schulzki-Haddouti im Angebot: “Provider kooperieren mit BKA”. Zitat:
Im kommenden Jahr sollen die Provider eine Selbstverpflichtungserklärung unterzeichnen, die in einer kleinen Arbeitsgemeinschaft gemeinsam mit Vertretern der Staatsanwaltschaft, der Polizei, der Ministerien und des Datenschutzes “in Kürze” erstellt werden soll. […]Der Entwurf des BKA wurde während des Workshops nicht öffentlich diskutiert, nachdem man sich am Montag nach Gesprächen mit den Providern darauf geeinigt hatte, vom Tagesordnungspunkt “Selbsterklärung der ISP und Online-Dienste zur Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden” abzusehen.
Der Entwurf hatte vorgesehen, daß “sämtliche Teilnehmer des Internets durch verantwortungsbewußtes Handeln und Ausschöpfen der eigenen Möglichkeiten auch ohne expliziten gesetzlichen Auftrag dazu beitragen, die Mißbrauchsmöglichkeiten im Internet einzuschränken”. Internet-Provider sollten “im Rahmen ihrer tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten entgegenwirken”, daß illegale und unzulässige Inhalte “angeboten und zu Nutzung vermittelt werden”.
Überhaupt war Christiane Schulzki-Haddouti damals sehr aktiv. So am 07.04.1999 mit dem Artikel EU: Abhören und Filtern gegen Kinderpornographie und am 07.01.1998 mit Knüppel im Sack, wo man lesen kann:
In einer Machbarkeitsstudie für Sperrungen von Web-Adressen waren mehrere Gutachter zu dem Ergebnis gekommen, daß Sperrungen von inkriminierten Webangeboten technisch “problematisch”, datenschutzrechtlich “nicht tragbar” und möglicherweise “rechtswidrig” sind.
Und schon am 29.10.1997 schrieb sie über dieses Gutachten WebBlock für Deutschland?, wo ausgiebig diskutiert wird, was technisch möglich und rechtlich zulässig ist, und was nicht.
Es war aber nicht auf Kinderpornographie beschränkt. Am 3.9.1996 gab ECO eine Mitteilung heraus, daß die Bundesanwaltschaft die Provider laut einem eingegangen Fax auffordere, zwei Webseiten und einen Link auf einer anderen Seite zu sperren, weil dort strafbares Werben für eine terroristische Vereinigung sowie das Billigen von und das Anleiten zu Straftaten stattfinde. Die Provider würden darauf hingewiesen, daß sie sich
“…möglicherweise einer Beihilfe zu diesen Straftaten strafbar machen, soweit Sie auch weiterhin den Abruf dieser Seiten über Ihre Zugangs- und Netzknoten ermöglichen sollten.”
ECO erklärte übrigens, dieser Sichtweise der Bundesanwaltschaft (Beihilfe usw.) materiellrechtlich nicht folgen zu können. Ein Filtern sei wegen der fehlenden Möglichkeit, die Inhalte zur Kenntnis zu nehmen, nicht möglich. Außerdem stellte der Jurist von ECO klar, das man das betreffende Dokument, das gesperrt werden sollte, sicherlich politisch mißbilligen könnte, strafbar sei es aber nicht.
Schon am 12.2.1996 hatte auch der SPIEGEL über einen ähnlichen Fall berichtet: “Schweinkram drauf” Da ging es vor allem um neonazistisches Gedankengut. Verschiedene Provider und das DFN hatten damals den Zugang gesperrt, ich kann mich noch entfernt erinnern, daß es damals deswegen Tumulte an den Universitäten wegen der Zensur gab. Aber auch hier spielte Kinderpornographie wieder mit rein:
Ende November vergangenen Jahres hatte die Staatsanwaltschaft München der deutschen Niederlassung von Compuserve, einem der größten Online-Anbieter der Welt, einen Besuch abgestattet. Der Vorwurf: In einigen Internet-Diskussionsforen, die über Compuserver zugänglich sind, sei mit Kinderpornographie gehandelt worden. Die Ermittler überreichten rund 200 Namen sogenannter Newsgroups, die an irgendeiner Stelle des Titels das Wort Sex führen, und legten Compuserve nahe, “entsprechende Schritte” zur Überprüfung zu unternehmen. “Wenn wir die Inhalte dieser Foren selektieren müßten, würden wir Zensur ausüben, und das lehnen wir ab”, erklärte Compuserve-Sprecherin Marielle Bureick. In bizarrer Logik sperrte die Firma daher sämtliche fraglichen Newsgroups, und zwar, weil es technisch nicht anders ging, gleich für alle weltweit über vier Millionen Kunden. Bei amerikanischen Onlinern gilt Compuserve seither als Feigling, die Rolle des Buhmanns fällt wiederum den deutschen Behörden zu. Denn Compuserves undifferenzierter Notbremsung fielen nicht nur schmuddelige Digitalpornos zum Opfer, sondern auch Foren von Selbsthilfegruppen und Safer-Sex-Informationen. Medienwirksam ließen protestierende Schwulenorganisationen vor dem Goethe-Institut in San Francisco Beck’s Bier in den Gully rinnen. Mit der Verfolgung der Newsgroups haben sich die Ermittler auf Treibsand begeben – Vorschriften über diese Form der Nachrichtenverbreitung gibt es in keinem Gesetz.
Erstaunlich. 10 Jahre lang war praktisch Ruhe. Und plötzlich kommt es wieder als Neuigkeit hoch, muß plötzlich ganz dringend und im Galopp bearbeitet werden. So gesehen müßten wir demnächst auch wieder ein Kryptoverbot diskutieren (was in manchen Ländern oder bei der Einreise in dieselben heute de facto schon gilt).
Irgendwie komme ich mir gerade sehr alt vor.
Weiter kommentieren werde ich das hier jetzt nicht. Möge sich jeder selbst was bei denken.
Internetsperren Zusammenfassung…
Die Provider wollen nicht, und schon gar nicht ohne Rechtsgrundlage. Die Gesprächsrunde endete eine halbe Stunde früher als geplant, wobei beide Seiten laut Teilnehmerbekunden “gerade noch um einen Eklat herumgekommen sind”. Die Gespräche in der g…