China/Peking: Die Langnase frißt wie ein Barbar
Über kulturelle und sprachliche Inkompatibilitäten und Mißverständnisse.
Das Essen in Peking war sehr gut und üppig. Wenn auch bisweilen etwas ungewohnt und speziell beim Einkauf auf eigene Faust im Supermarkt gelegentlich geschmacklich und/oder optisch gewöhnungsbedürftig. (Dazu später mal mehr.) Aber gerade in den Restaurants war ich sehr zufrieden und gut versorgt. Es war zwar etwas teurer als erwartet, aber immer noch preisgünstiger als hier in Deutschland. Man kann durchaus in einem besseren Restaurant (selbst in den Hotel-eigenen) für unter 80 Yuan (ca. 10 Euro) gut speisen. So ganz einfach ist die Sache aber nicht.
Die ersten Restaurant-Besuche fanden unter Leitung unseres chinesischen Reiseleiters statt, der hat das organisiert. Hinsetzen und essen, was aufgefahren wird. Lecker! 🙂 Das bei mir übliche Abnehmen auf Fernreisen fiel diesmal aus, es wurde viel und reichlich gegessen. Was nicht ungefährlich ist, denn wie uns der Reiseleiter erklärte, geht man in China davon aus, daß das üppige Essen Ursache der meisten Übel ist. “Wenn Du krank wirst, selbst schuld. Zuviel gegessen.” Es folgten Ausführungen dazu, daß man in China früher hungerte und gewisse Krankheiten nicht kannte. Seit man reichlich zu essen hat, breiten sich auch die “kapitalistischen” Krankheiten wie Übergewicht, Kreislauferkrankungen usw. usw. usw. in China aus.
Dabei habe ich einige Beobachtungen gemacht, die mir zunächst als belanglos und Angelegenheit des Einzelfalles erschienen. Erst im Lauf der Reise und mit einem chinesischen Buch zur Einführung der “Langnasen” (chinesische Bezeichnung für Leute westlicher Herkunft analog unseren “Schlitzaugen”) in die chinesischen Sitten, Gebräuche, Gepflogenheiten und Notwendigkeiten habe ich bemerkt, daß da wesentlich mehr Regelmäßigkeit dahintersteckt.
So war es keine Eigenheit dieser Restaurants, sondern die Regel, daß man an einem runden Tisch mit 10 Plätzen sitzt. In der Mitte eine drehbare Glasscheibe, auf der die Speisen in Schüsseln stehen. Das typische persönliche Besteck und Geschirr besteht aus Stäbchen, einem chinesischen Suppenlöffel, einem kleinen Schüsselchen und einem winzigen Tellerchen, das nach unseren Maßstäben gerade als Untertasse durchginge. Die Scheibe wird gedreht, damit jeder mal an jede Schüssel kommt und sich was auf das Tellerchen oder in das Schüsselchen laden kann, aus dem dann mit Löffel und Stäbchen gefuttert wird. Es wird nicht individuell bestellt oder geliefert, sondern auf den Tisch kommen größere Schüsseln von diesem und von jenem, aus dem sich dann jeder bedient. Es zahlt auch nur einer, aber dann alles zusammen. (Laut besagtem Buch gibt es dann noch allerlei gesellschaftliche Regeln über die Rangordnung, die Sitzordnung, die Reihenfolge beim Zugriff, wer wieviel aus dem Glas trinkt und solches mehr, das schenke ich mir jetzt hier mal). Beispielsweise ist für Chinesen unsere Sitte, daß jeder separat bestellt und bezahlt, völlig unverständlich. Denn wer separat zahlt signalisiert damit, daß er darauf achtet, dem anderen nichts zu schulden und ihm auch nichts auszugeben, also eigentlich mit dem anderen überhaupt nichts zu tun haben will. Warum Langnasen miteinander essen gehen und sich an einen Tisch setzen und sich miteinander unterhalten, obwohl sie gleichzeitig signalisieren, daß sie mit dem anderen auf gar keinen Fall etwas zu tun haben wollen, ist für Chinesen nicht nachvollziehbar.
Wie gesagt, ich habe das für eher lokale Gegebenheiten gehalten und nicht gleich Regeln daraus gezogen.
Eines Abends hatte ich mich mal selbständig gemacht und war alleine durch die Straßen von Peking gepilgert, durch jede Menge von Geschäften und Restaurants, um schließlich an einem riesigen fünfstöckigen hyperluxuriösen Einkaufszentrum anzukommen, in dem ich noch rumschlenderte. Da gibt’s alles, was gut und teuer ist. Ein tierisch teurer Schimmel-Flügel im roten Colani-Design für knapp 3.000.000 Yuan? Haben die dort mehrere vorrätig zum Mitnehmen. In Deutschland habe ich noch kein so großes und auf so hohem Niveau agierendes Einkaufszentrum gesehen. Von sowas bekommt man Hunger.
Allerdings, und das war die Ursache des Verhängnisses, war dieses Einkaufszentrum überhaupt nicht für Ausländer oder Touristen eingerichtet. Ich habe auch nur Chinesen dort gesehen. Auf Englisch war da einfach überhaupt niemand eingestellt.
Im 5. Stock gab es eine ganze Freßetage nur mit Restaurants. Ein gutes Dutzend große chinesische Restaurants allein auf einer Hälfte der Etage, bis zur anderen bin ich nicht mehr gekommen. Sah alles gut und lecker aus. Dumm nur: Es gab keine englischsprachigen Speisekarten, alles nur in chinesisch. Zwar ist es in China – wie in vielen Teilen Asiens – üblich, daß vor dem Restaurant ein oder zwei Frauen als Greeter herumstehen und vorbeigehende Leute ansprechen, sie mögen doch gerne dieses Restaurant besuchen. Aber die konnten alle kein Wort Englisch, nur chinesisch.
Also bin ich in ein Restaurant, in dem die Speisen von aussen gut aussahen und das Speisekarten mit Bildern und teils sogar englischen Bezeichnungen hatte. Die haben dann sogar irgendwoher eine Frau aufgetrieben, die so notdürftig ein paar Brocken englisch konnte. Und die mich verwundert und etwas ungläubig fragte, ob ich alleine käme oder noch jemand nachkommt.
Das war der erste kulturelle Fehler. In Deutschland gehe ich ins chinesische Restaurant, bestelle Ente süß-sauer oder sowas und bekomme eine Portion mitsamt Beilagen und Reis usw. In China ist das aber unüblich, alleine in ein Restaurant zu gehen. Mit Einzelgästen tun die sich schwer, das ist so irgendwie nicht vorgesehen. Das habe ich aber nicht gleich kapiert, erst im Nachhinein, mit weiteren Besuchen und durch das Buch.
Jedenfalls bekam ich einen Platz zugewiesen. Auf dem Tisch lag an jedem Sitzplatz das übliche Geschirr mit Tellerchen, Schüsselchen, Löffelchen, ein Getränkeglas, alles zusammen in Plastikfolie eingeschweißt. Außerdem und separat Stäbchen in der üblichen Papiertüte.
Es ging ans Bestellen. Dummerweise war die, die ein paar Worte englisch konnte, wieder weg. Ich hatte da eine Kellnerin, die nur chinesisch konnte, und keine Getränkekarte. Kommunikation fast nicht möglich. Sie wollte mir ein Bier anbieten, war aber sehr verdutzt, als ich ihr zu verstehen gab, daß ich kein Bier mag. Nach viel hin und her und nachdem ich allerlei probiert habe, was mir einfiel, von dem sie nichts verstand, kamen wir doch an den Punkt, daß sie ein langsam gesprochenes “orange juice” verstanden hatte. Sie verschwand und kam nach einer ganzen Weile mit einem Tetrapack Orangensaft wie aus dem Supermarkt zurück, mir dann doch mit drei oder vier englischen Wörtern radebrechend erklärend, daß sie leider nur das hätten und es ihnen leid täte, nichts besseres bieten zu können. Nachdem ich den Eindruck hatte, daß es ihnen unangenehm sei, wenn ich hier mit einer Tüte Tetrapack auf dem Tisch im Restaurant sitze (wobei ich mich wunderte, daß sie das nicht einfach in ein Glas geschüttet haben), gab ich zu verstehen, daß ich auf den Saft verzichte, um sie nicht in Bedrängnis zu bringen. Mein zweiter Fehler. Ich hätte den Orangensaft annehmen müssen. Denn – wie mir später auch aus dem Buch klarwurde – Chinesen sind so erzogen, ihre eigenen Leistungen immer in tiefer Bescheidenheit als ungenügend und zu schlecht herabzukanzeln. Sicherlich haben die sich alle Mühe gegeben, um für den seltsamen Fremdling Orangensaft aufzutreiben, und dann winkt der einfach ab. Ich habe das einfach falsch verstanden.
Nun kam sie mit einem Vorschlag und formulierte etwas, was sich wie “Yoghurt” anhörte. Vom Inder kenne ich Lassi. Wußte nicht, daß sie sowas in China haben, aber gut, um das abzukürzen, nehme ich alles. Sie kam wieder mit einem Tetra-Pack, diesmal eine Tüte Milch. Darauf hatte ich jetzt keine Lust, ich winkte erneut ab. Glücklicherweise bekam am Nachbartisch jemand eine Flasche der chinesischen Ausgabe von Sprite. Ich zeigte darauf, und sie brachte mir eine Dose Sprite. Weil ich nicht aus der Dose trinken wollte, riß ich das eingeschweißte Geschirr auf und nahm das Glas heraus.
Ähnlich schwierig war das mit dem Essen. Die Zeit wurde nämlich knapp, die machten gleich zu. Zwar war die Speisekarte mit Bildern und teils englischen Bezeichnungen versehen, aber vieles weckte dann doch nicht meinen Appetit. Fritierte Seegurken, Quallen, Seetang usw. sind nicht direkt so mein Leibgericht. Auch habe ich darin überhaupt nichts gefunden, was so nach komplettem Menü aussah. Naja, wird schon so stimmen. Plötzlich fand ich was, was mich erstaunte: Goose. Gebratene Gans. Ich habe in chinesischen Restaurants schon die seltsamsten Dinge im Angebot gesehen, aber noch nie eine Gans. Und Gänsebraten ist mit meinem Geschmacksprofil sehr kompatibel. Ich fragte, ob da irgendwelche Beilagen oder Reis mit dabei wären, weil auf dem Bild nichts zu sehen war. Sie verstand kein Wort. Naja, ich habs halt durch Gesten bestellt, irgendwas werden sie schon dazutun. Sie schaute etwas ungläubig, wollte aber nicht noch länger herumrätseln, schriebs halt auf und ging.
Nach einer Weile kam das Gänsefleisch. Da kam extra einer aus der Küche um mir das zu bringen. Ein großer tiefer Teller voll nur mit Gänsefleischstückchen. Ich hatte den starken Eindruck, daß der einfach mal sehen wollte, welcher Spinner sich da eine Schüssel Gänsefleisch und nichts dazu bestellt. Der guckte sich mich genau an und ging lachend wieder in die Küche zurück. Irgendwie wurde mir da klar, daß ich irgendetwas außerordentlich lächerliches getan haben müßte.
Immerhin hatte ich jetzt was zu essen. Weil dieser Teller ungefähr die Größe dessen hat, was bei uns ein normaler Restaurant-Teller ist, habe ich mir das Ding halt vorgenommen und mit Stäbchen draus gegessen. Ich dachte, das wäre ein normaler Teller, den man so vorgesetzt bekommt. Wobei mir auffiel, daß ich von den Nachbartischen gelegentlich fragende oder erstaunte Blicke bekam.
Sonderlich gut war die Gans nicht. Denn nach asiatischer Sitte war die zwar in kleine stäbchentaugliche Stückchen zerhackt worden, aber eben nur nach der Hau-Tsu-Methode, ohne die Knochen vorher zu entfernen. Das heißt, an jedem Stücken Fleisch hingen zersplitterte Knochenstücke, die sich als äußerst spitz, scharfkantig und zahnfleischverletzend herausstellten. Mir wurde gerade klar, warum ich schon als Kind gelernt hatte, niemals einem Hund Geflügelknochen zu geben. Die Röhrenknochen splittern und werden dann hochgefährlich und scharf. Genau das passierte mir gerade. Außerdem schmeckt Gans ohne alles auch nicht. Ein klein wenig geriebene Karotte war als Verzierung in einer Ecke des Tellers, das half aber auch nicht viel.
So richtig satt wurde ich nicht, ich hatte nach einer Weile einfach keine Lust mehr, auf den scharfkantigen Knochen herumzunagen. Es ging ans bezahlen. Seltsam. Zwei Sachen hatte ich bekommen – Gans und Sprite – aber vier Posten waren auf dem Kassenzettel, allerdings unlesbar chinesisch. Auf meinen Fingerzeig und entsprechende Gesten bedeutete mir der Kellner (da kamen ständig andere), daß ein Posten die Gebühr für das aufgerissene Geschirr war, ein anderer Posten irgendetwas – vermutlich der Orangensaft – was er auf dem Tisch nicht sehen konnte und dann doch wieder stornierte. Aus seinen Blicken entnahm ich, daß ihm an mir allerhand mißfiel.
Erst so im Nachhinein, durch Nachdenken, durch Beobachten, mit wachsender Erkenntnis, nach einigen Rückfragen und mit Hilfe des Buchs ist mir dann klar geworden, daß ich mich da wohl ultimativ danebenbenommen und ein ziemlich barbarisches Bild abgegeben haben muß.
Aus deren Sicht ist die Sache wohl sicherlich so:
Obwohl die Tische dort meist kleiner und rechteckig waren und die meisten keine solche Drehplatte aufwiesen, ist es auch dort üblich, daß man in Gruppen essen geht. Man bestellt diverse Komponenten in Schüsseln, die dann jeweils eine Speise für 4 Personen enthalten. Davon bestellt man mehrere Schüsseln um ein ausgewogenes und vollständiges Menü zu erhalten. Die stellt man in die Mitte vom Tisch, jeder nimmt sich davon und ißt dann von dem kleinen Tellerchen oder aus dem Schüsselchen im Geschirr.
Jetzt muß man sich das mal bewußt machen:
Da kommt auf einmal so eine Langnase rein, allein, nicht in einer Gruppe, spricht außer “Guten Tag” und “Danke” kein Wort der Landessprache, weist beleidigend den mühsam beschafften leckeren Orangensaft zugunsten einer Dose Sprite zurück, bestellt sich zu Essen ausschließlich eine einzelne Beilage aus nacktem Fleisch, nichts dazu, dafür aber in der Menge für 4 Personen, benutzt keinen Teller und frißt direkt aus der Schüssel und die Dekoration gleich mit.
Kein Wunder, daß da sogar der Koch aus der Küche kam. Die werden dem gesagt haben, da draußen sitzt ein Barbar, das glaubst Du nicht, den mußt Du gesehen haben. Deshalb auch die seltsamen Blicke vom Nachbartisch.
Man lernt eben so dazu. Solche Beobachtungen konnte ich bisher nirgends machen. Ich geh nicht nur in Deutschland oft zum Chinesen, sondern war auch in London, vielen Städten der USA, in Australien in den Chinatowns essen, war in Singapur, Hong Kong, Malaysia, und nirgends wären mir solche Besonderheiten oder Problemchen begegnet. Überall gab es erwartungsgemäß Einzelportionen auf einem normalen Teller.
Reisen bildet.
2 Kommentare (RSS-Feed)
Naja, doch, der Koch hat gelacht, als der mir die Schüssel voll Gans brachte. Der sah aus, als wäre er extra wegen mir aus der Küche gekommen und müßte jeden Augenblick losprusten.
Hehe, voll daneben benommen, aber das ist als Langnasen Tourist auch garnicht zu vermeiden. Ich hätte dazu nur eine kleine Frage:
Hat Dich niemand ausgelacht? So wie ich Dich (vom Blog lesen) kenne, hättest Du das sicher erwähnt. Also bei meinem Fehlverhalten in China war immer mindestens eine Bedienung da, die mich tierisch ausgelacht hat, natürlich hinter vorgehaltener Hand, die aber auch nix verborgen hat. Einmal sogar so krass, dass die Bedienung auf dem Weg zu unserem Tisch so einen Lachanfall hatte, dass sie umdrehen musste, und dann eine andere kam.
Und noch ein Tipp: Einfach im Restaurant zu irgendeinem Tisch gehen, wo Dir das Essen gefällt. Blödes “Ich dummer Ausländer, sorry, dass ich mich total danebenbenehme und kein Wort der Sprache kann”-Lächeln aufsetzen. Verbeugen. Auf das Essen/Trinken zeigen, dass Du willst (am Besten noch “eins” zeigen, so wie ein “Victory”-Zeichen, halt nur mit dem Zeigefinger). Hoffen, dass der Kellner blickt, worauf Du hinauswillst 😀