Inkompetenz wird erste Bürgerpflicht
Ich glaube, das Zeitalter der Aufklärung und der Wissenschaft geht ziemlich rapide zu Ende. Die Regierung will uns zunehmend dumm halten.
Ich habe mir heute einen Teil der Live-Übertragung aus dem Bundestag angehört. Da sagte doch der CDU-Abgeordnete Ingo Wellenreuther, laut Webseite ehemals Staatsanwalt und Vorsitzender Richter am Landgericht (steht zwar nicht dabei, damit aber sicherlich im Strafrecht), aus dem Raum Karlsruhe, daß es erschreckend sei, daß bereits Anleitungen zur Umgehung von Kinderpornographiesperren im Internet kursieren.
Als wäre man unter die heilige Inquisition gefallen. Was im Internet kursiert sind profane Anleitungen, wie man an seinem Rechner einen anderen Nameserver einstellt. Internet-Grundwissen und tägliche Administrationsarbeit. Hat überhaupt nichts mit dem Umgehen von Sperren zu tun, sondern eher damit, daß die geplanten DNS-Sperren so lächerlich unsinnig sind, daß man sie gar nicht ernsthaft zu umgehen braucht. Trotzdem stellt sich jemand, der Staatsanwalt und Vorsitzender Richter war, in den Bundestag und erklärt, es sei erschreckend, daß so etwas im Internet kursiert, als ginge es um Bombenanleitungen. Der offenbar keine Ahnung hat (oder haben will), wovon er redet, was ihn aber nicht davon abhält, loszuzetern.
Nun stellt Euch vor, daß jemand, der nur ein bischen Ahnung von dem hat, was er tut (was von Politikern anscheinend als sehr bedrohlich, kriminell und ungewöhnlich empfunden wird) an solche Richter und Staatsanwälte kommt. Solche Staatsanwälte wie dieser Politiker oder die, denen das Bundesverfassungsgericht gerade auf die Finger gehauen hat, weil sie ohne triftigen Grund und nur aufgrund irgendeines Links in einem Forum eine Hausdurchsuchung vorgenommen haben. Wer solchen Juristen in die Hände fällt, hat verloren, und zwar schon deshalb, weil er sich mit dem auskennt, was er tut. Was als “erschreckend” angesehen wird.
Und solche Leute machen als Bundestagsabgeordnete unsere Gesetze.
Schon kürzlich hat unsere Familienministerin von der Leyen in einem Interview zur Kinderpornosperre verkündet (siehe auch Telepolis):
Wir wissen, dass bei den vielen Kunden, die es gibt, rund 80 Prozent die ganz normalen User des Internets sind. Und jeder, der jetzt zuhört, kann eigentlich sich selber fragen, wen kenne ich, der Sperren im Internet aktiv umgehen kann. Die müssen schon deutlich versierter sein. Das sind die 20 Prozent. Die sind zum Teil schwer Pädokriminelle. Die bewegen sich in ganz anderen Foren. Die sind versierte Internetnutzer, natürlich auch geschult im Laufe der Jahre in diesem widerwärtigen Geschäft.
Man muß sich mal diese subtilen Formulierungen genau anschauen, die diese Frau verwendet. 80 Prozent der Internet-Benutzer sind “ganz normal”. In dem Sinne, daß sie nicht wissen, was sie tun und wie es funktioniert. Die anderen 20 Prozent (woher die Zahl kommt, ist wie immer nicht nachvollziehbar) werden damit als nicht normal hingestellt.
Und dann diese Stimmungsmache: Man solle sich mal überlegen, wen man kennt, der “Sperren aktiv umgehen” kann. Als ginge es um kriminelle Tätigkeiten statt nur um das Einstellen eines DNS-Servers, was Internet-Grundwissen ist. Es wird aber vom Umgehen von Sperren geredet, als wären schon solche einfachen Grundkenntnisse böses Hexenwerk. Sicherlich wird jeder Leute kennen, die in der Lage sind, die DNS-Server-Einstellung zu ändern. Ist ja auch ganz einfach. Jede Oma, die sich von ihrem Enkel den DSL-Zugang einrichten läßt, kennt so einen. Aber die Formulierung unterstellt etwas anderes. Nein, so böse Leute kennt man natürlich nicht. Oder doch? Kennt man einen, der das kann? Vielleicht der nette Kollege, der einem bei PC-Problemen immer hilft? AHA, SIE KENNEN ALSO DOCH EINEN KINDERSCHÄNDER! An ihren Internet-Kenntnissen könnt Ihr sie erkennen. Seht Ihr, wie viele Kinderschänder rumlaufen und immer so freundlich tun, als würden sie sich aus harmlosen Gründen mit dem Internet auskennen?
Und dann die Wortwahl “versiert”. Da fliegt doch schoh so ein G’schmäckle durch den Raum. Das hat doch so einen Geschmack wie eBay-Betrüger und Falschgeld. Und dann die Verbindung mit “zum Teil schwer Pädokriminelle”. Die Einschränkung “zum Teil” heißt dann wohl, daß der Rest mindestens “leicht Pädokriminelle” sind. Und insbesondere heißt es, daß die schwer Pädokriminellen sich nur unter den 20 Prozent der “versierten” finden, die Sperren umgehen können (was die Frage aufdrängt, was die dann bringen sollen). Und es wird im Prinzip gesagt, daß Sachkunde, diese “Versiertheit” der 20 Prozent, hauptsächlich daher kommt, daß man “in diesem widerwärtigen Geschäft jahrelang geschult” ist. Kinderpornographie als Ursache der Internet-Sachkunde.
Man muß sich mal überlegen, von was für Leuten man da regiert wird, denen Sachkompetenz so suspekt ist, für die sie geradezu ein Ausfluß des Bösen ist.
Die Wirkung, die hier erzielt wird, ist, daß jeder, der sich mit dem, womit er arbeitet, auskennt, gleich in die kriminelle Ecke gestellt wird. Wer sagt, wie man einen DNS-Server einstellt, leitet gleich in “erschreckender” Weise zu Straftaten an. Sagt der Staatsanwalt, Vorsitzende Richter und Gesetzemacher Ingo Wellenreuther, der damit gleich alle drei Staatsgewalten repräsentiert, die Exekutive, die Judikative und die Legislative. Und die führen sich dabei auf wie Inquisitor der mittelalterlichen Kirche zum Zeitpunkt der Hexenjagden und der Verfolgung aller, die die Erde für eine Kugel und die Sonne für den Mittelpunkt der Planetenbewegung hielten, weil sie sich mit dem auskannten, was sie am Himmel sehen.
Der gute Bürger ist ohne jeden Zweifel inkompetent, von einfachem Gemüt und – wenn man sich das alles so anhört – fromm und gottesfürchtig. Inkompetenz und nicht zu wissen, wie man mit einem Computer umgeht, wird erste Bürgerpflicht.
So langsam wird mir klar, was hinter der dubiosen Forschungspolitik der CDU steckt. Leute, die von der Universität kommen, sollen über solche Fachkompetenz nicht verfügen.
3 Kommentare (RSS-Feed)
Man kann sich leicht denken, was als nächstes kommen wird: dass die Rechtsprechung jegliche Handlungen, die als Umgehung der Sperren ausgelegt werden könnten, zur Straftat erklärt. Also die Benutzung freier DNS Server, Proxies, VPN Tunnels und natürlich der Anonymisierungsdienste, sofern sie nicht unter der Kontrolle des BKA stehen.
Tja – also selbst auf die Idee kommen, die DNS-Einträge zu ändern, und ohne Hilfe eine geeignete IP dafür finden – das gelingt nicht mal 2% der Internetuser, wette ich.
Aber sobald hört, daß es möglich ist, kann das jeder – da gehört ja nun keine Versiertheit zu, eine paar Zeichen in ein Textfeld einzugeben, daß könnte eine nur mäßig hochgezüchte Pilzkultur, wenn sie Finger hätte.
Ich habe mich nie für Kinderpornos interessiert, aber so langsam möchte ich doch ein paar URL kennenlernen, um sie bei passender Gelegenheit in Gästebüchern zu hinterlassen.
Apropos URL – steht das für URsuLa, oder URsula Leyen?
Ich helfe mehrmals wöchentlich Leuten (gegen eine Obulus, da ich davon lebe) die Netzwerkeinstellungen Ihrer Systeme richtig zu konfigurieren, damit sie arbeiten können, insbesondere wenn sie per VPN in ihrem Home-Office arbeiten müssen und die Angaben die der DSL-Router den Kisten mitteilt manchmal widersprüchlich zu den Bedürfnissen des VPN sind. Ich stand ja schon bisher mit einem Bein im Knast, weil ich Netzwerkprobleme mit tcpdump/snoop, nmap, netcat, nessus u.v.a. mehr lösen kann. Jetzt werden ich mich wohl darauf einstellen müssen, daß demnächst jemand im Morgengrauen vor der Tür steht, weil ich weiß, wie man DNS einrichtet.
PS. Echt jetzt, ich habe schon die Befürchtung, daß irgendwann diese Wissen einem zur Last gelegt werden kann, obwohl es einfachtes Grundwissen eines jeden IT-Beraters im Netzwerkumfeld ist.