Wenn mehr drin ist, muß man mehr zahlen!
Über das nicht-exakte, analog-mathematische Zahlenempfinden und den Dreisatz an und für sich.
Eben komm ich auf dem Nachhauseweg (Freitag nachmittags und herrlicher Sonnenschein, das Wochenende winkt) am Supermarkt vorbei. In der Auslage haben sie lecker rote Johannisbeeren, für 99 Cent die Schale. Leuchten herrlich rot in der Sonne. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ich liebe Johannisbeeren. Also gleich eine Schale geschnappt, rein in den Suppermarkt, und noch für den Abend ein paar Kleinigkeiten gekauft. An der Kasse einen Kleingeldbetrag gezahlt, sowas worüber man nicht so nachdenkt. Den Zettel hätte ich auch fast liegen lassen. Wie ich so rausgehe, drückt mich meine Proportional-Drüse. Irgendwie sagt mir die Drüse, daß das, was ich da in der Hand habe, eigentlich nicht 4,20 Euro kosten kann.
Gut, bei gezahlen 4,20 und unbestreitbar auf der Hand mitgetragenen Lebensmitteln kann der Schaden durch falsche Preise nicht so schlimm sein, aber wenn die Drüse drückt, guckt man halt mal auf den Zettel. Aha. Für die Schale Johannisbeeren haben sie 2,13 Euro berechnet. Und weil ich ja noch kurz hinter der Kasse stehe, mal zurück und gefragt. Fehler können ja immer mal vorkommen, die Leute sind im Streß, die Kassen gern mal falsch programmiert, fehlerfrei ist keiner, ich will niemandem einen Vorwurf machen. Aber wenn sie schon damit werben, dann kann man ja mal fragen.
Sofort kommt der Marktleiter angeschossen. Was es gäbe. Na, sage ich, da draußen bei den Johannisbeeren steht, daß die Schale 99 Cent kostet und hier wurden 2,13 Euro berechnet.
Könnt ja gar nicht sein, sagt der Marktleiter, die Abrechnung sei richtig.
Na kommen Sie mal her, sage ich, gucken Sie da raus, da steht groß und breit 0,99 Euro.
Ja, ja, sagt der Marktleiter in belehrendem besserwissenden Ton. 99 Cent. Aber pro was?
Ich versteh nicht ganz, worauf er hinaus will. Steht doch groß dran: Pro 500-Gramm Schale.
Sehen Sie, sagt der Marktleiter, und nun schauen Sie mal auf Ihren Kassenzettel, was Ihre Schale wiegt.
Ich bin etwas verblüfft. Sowohl Gewicht als auch Größe der Schale sagen mir in Kooperation mit meiner Lebenserfahrung, daß ich da eine 500-Gramm-Schale in Händen halte, und nicht etwa ein Kilo. Zumal ich ja seit den letzten Sommermonaten andauernd Johannisbeeren fresse. Also gucke ich auf den Kassenzettel. Der Verkäufer an der Kasse hatte die Schale ja gewogen. “Da steht 534 Gramm” sag ich.
Sehen Sie, sagt der Marktleiter triumphierend, deshalb kostet es auch mehr.
Meine sonnige Laune kühlt sich gerade etwas ab. Jetzt geht’s aber los. Er möge doch mal nachrechnen, fordere ich ihn auf. Weil statt 500 in der Schale 534 Gramm drin wären, könnte das doch nicht mehr als doppelt soviel kosten. Er möge doch die Güte haben, einen Dreisatz anzuwenden.
Der Marktleiter reagiert verständnislos. Was ich eigentlich wolle. Wenn mehr drin ist, dann muß man auch mehr zahlen, das sei doch klar. Wollte das absolut nicht einsehen. Es sei völlig korrekt, daß die Schale 2,13 kostet. Eine Kollegin kommt zur Verstärkung hinzu und pflichtet ihm bei.
Da kommt mir die rettende Idee. Wie gut daß wir in der Europäischen Union sind. Es gibt Preisauszeichnungsvorschriften. Also zeige ich mit dem Finger auf das Preisschild draußen und weise deutlich darauf hin, daß das draußen ganz winzig klein unter dem Preis pro Schale noch steht 1,98 EUR pro kg und auf dem Kassenzettel steht 3,98 EUR pro kg. Der Groschen ist gefallen, er hats gefressen, er wiegt die Schale an einer anderen Kasse neu und gibt mir die Differenz.
Dreisatz ist schwer. Nicht, daß ich jetzt erwarten würde, daß man das exakt im Kopf rechnet. Aber so dieses analoge Schätzen, dieses Kann das überhaupt sein? Stimmt die Größenordnung? scheint im Taschenrechner- und Computerzeitalter verloren gegangen zu sein. Früher konnten Kaufleute sowas sehr genau.
Der Vergleich der Kassenzettel zeigte dann auch die Ursache. Laut Artikeldaten der Kasse waren die für 3,98 pro kg die JOHANNISBEER und die für 1,98 die JOHANNESBEER. Ein Buchstabe Unterschied.
3 Kommentare (RSS-Feed)
Ich war lange kein Freund des kopfrechnenden Überschlagens, bis ich anfing großzügig mit meinen Schwächen zu sein. Ein Tag hat bei mir schonmal 25 Stunden, so kommt man auf 100 Stunden in 4 Tagen. Oder 1000 Tage = 1 Jahr. Wenn man noch Pi-mal-Daumen im Kopf behält, ob man nun zu hoch oder zu niedrig greift, kommt man auch ohne gedankliche Hochleistung sehr weit. Das große Einmaleins habe ich nie gelernt, und beim kleinen schlinger ich immer bei 6,7,8 (6*7, 7*8 und 8*6). Acht mal 6 ist ja fast 10 * 6 bzw. mehr als 8*5 also vielleicht 10*5=50? Gut -n mal 6 ist n*5 + n bzw. (10n)/2 + n, also 48, und das ist ja an 50 wirklich nah dran. Weniger als 5% Fehler. 🙂
Die anderen können besser rechnen, aber weil es zu anstrengend ist, unterlassen sie es, und der eigenen Faulheit nachzugeben fehlt den meisten der Mut.
Also wieder ein typischer Eingabefehler in des Kassensystem. Das kommt übrigens viel häufiger vor als man denkt. Merkt man aber nur, wenn man regelmäßig auf den Kassenzettel schaut. Meistens liegt das daran, daß diejenigen, die die Preise an der Ware/im Regal auszeichnen es versäumt oder nicht mitbekommen haben, daß die preise sich geändert haben.
Und daß die Leute nicht mehr verschiedene Größenordnungen auseinanderhalten können ist sehr verbreitet. Überschlagsrechnung wird heute anscheinen nicht mehr beigebracht (zumindest 1. bis 7. Klasse nicht) . Wir haben das damals mit dem Rechenschieber gelernt.
Zum Thema ‘Mathematisches Unverständnis’ habe ich auch eine kleine Geschichte zum Besten zu geben:
So Mitte der 90er hatte ich im Studium mal ein Sprachprogramm an der Uni Exeter besucht. Es hat sich so ergeben, daß ich in meiner Gruppe sowohl der einzigste Naturwissenschaftler als auch der einzigste Mann war. Ansonsten nur Frauen mit Studienfachrichtungen wie Psychologie, Germanistik usw.
Eines Tages hatten wir einen ziemlich populärwissenschaftlichen psychologischen Text diskutiert. Es ging um irgendwas wie ‘krankhafte Eifersucht’. In dem Text wurde behauptet, daß ca. 10% der Gesamtbevölkerung und ca. 7% aller Männer dazu neigen.
Prompt ging unter den anwesenden Damen die Lästerei los; daß man hier mal wieder genauestens sieht, wie schlimm doch die Männer seien.
Auf meine erstaunte Frage, wieso, in dem Text würde doch eindeutig stehen, daß Frauen wesentlich mehr als Männer zu krankhafter Eifersucht neigen würden, wurde ich mit eiskalten Blicken gestraft, und daß ich doch nicht so einen Blödsinn hier erzählen sollte. Es wäre doch ganz eindeutig: 10% – 7% = 3% Frauen, die dazu neigen, ergo: Männer sind viel schlimmer als Frauen…