Über Politiker, unsere Verfassung und “rechtsfreie Räume”
Immer öfter hört man es, sogar der SPIEGEL schreibt in seiner aktuellen Aussage darüber: Das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein. Gedanken und Beobachtungen zu einem der dümmsten Sprüche, die jemals in der Politik in Mode waren.
Es werden immer mehr. Erst gestern meldete sich eine zu Wort, deren politisches Programm – gemessen an dem, was man über sie so liest – sich darin erschöpft, blond zu sein, und die dringend etwas braucht, um in die Zeitung zu kommen. Heute kommt schon wieder einer, der nicht mal blond ist, aber dem sonst auch nichts mehr einfällt, womit er noch in die Zeitung käme. Und die da ist auch nicht blond und der fällt sonst auch nichts anderes ein. Bemerkenswert, daß das überhaupt noch funktioniert. Der Politiker schwätzt was von Internet kein freier Raum und so, und die Journallie, die im Sommerloch sonst auch nichts mehr zu drucken hat, druckt es. Aber solange das funktioniert, wird es weiter Politiker geben, die sich auf die Art und Weise in die Medien bringen. Hee, Journalisten, hört mal, ich hätte ne neue Idee: Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein, sofort abdrehen. Komm ich jetzt ins Fernsehen? Oder wenigstens auf irgendwelche Zeitungswebseiten, wo die dann doch sowieso alle das gleiche schreiben?
Eins muß ich zugeben: Der Spruch hat auch Vorteile. Selten war es so einfach, unter den Politikern die Dampfschwätzer, Fähnchen-in-den-Wind-Halter und Auch-in-der-Zeitung-stehen-Woller zu detektieren. Wer sich solch platter und dummer Sprüche bedient merkt entweder gar nicht, was für einen Unfug er schwätzt – oder er weiß es und es stört ihn nicht. Man muß eigentlich nur noch Google fragen, ob ein Politiker auch schon mal den Dummspruch abgelassen oder etwas in der Art gefordert hat.
Böse daran ist aber, daß es erstens ein gigantisches Ablenkungsmanöver ist. Denn die Politik stellt sich damit als Law-and-Order-Verfechter dar, während die Politik selbst im Hintergrund an immer mehr Stellen rechtsfreie Räume und Korruptionskochtöpfe aufbaut. Unser Recht wird zunehmend abgeschafft und ausgehebelt. Böse ist es zweitens, weil es die Staatsgewalt umdreht, denn laut Grundgesetz soll die Staatsgewalt vom Volke ausgehen, indem das Volk, der Souverän, die Politik kontrolliert, während man hier den Spieß umdreht und es immer stärker dazu kommt, daß die Politik das Volk kontrolliert.
Einige Beobachtungen:
- Die ganze Debatte übersieht, daß die größte rechtsbrechende Organisation immer noch und immer mehr der Staat selbst ist. Und der Staat treibt das immer weiter, wie sich etwa darin zeigt, daß man in den letzten Jahren den Finanz- und Verwaltungsrechtsweg immer mehr eingeengt und verkürzt hat. Ob Renten, Steuerbescheide, Baugenehmigungen, Hochschulprüfungen, Akteneinsicht – der Staat in Form seiner Beamten hält sich immer weniger an sein eigenes Recht und macht, was er will, wohl wissend, daß dem Bürger die Gegenwehr gegen den Staat immer mehr und immer systematischer erschwert wird. Es gibt bei den Angehörigen der drei Staatsgewalten – der Neoliberalismus läßt grüßen – praktisch keinen Druck mehr, sich an geltendes Recht zu halten. Richter pfuschen zunehmend in Gerichtsverfahren herum, in Strafverfahren hat man sogar ganz offiziell den “Deal” eingeführt. Erlaubt ist, wogegen es keine wirksame Gegenwehr gibt. Und die schränkt man immer weiter ein. Wenn man einen rechtsfreien Raum sucht, dann sollte man sich deutsche Amststuben und Gerichtssäle ansehen. Recht ist eigentlich nur noch dazu da, den Bürger zu gängeln, es ist nur noch gegen den Bürger da. Der ganze öffentlichrechtliche Bereich wird zum rechtsfreien Raum.
- Wie man – gerade an den Universitäten oder den Machenschaften des parteienspendenden Geldadels – immer wieder merkt, wird Recht nur sehr selektiv angewandt. Der normale Mensch muß für nahezu jeden Rechtsbruch mit Verfolgung rechnen, nicht aber die, die unter dem Schutz der Politik stehen. Weil Staatsanwälte nicht unabhängig, sondern politisch weisungsgebunden sind, Staatsanwälte unterliegen der politischen (meist nur mündlich übermittelten und nicht zu protokollierenden) Weisung. Wenn ihnen jemand sagt, daß sie die Finger von einem Fall oder einem Verdächtigen lassen sollen, dann müssen sie das tun. Und selbst wenn sie keine direkte Weisung bekommen – auch Staatsanwälte wollen Karriere machen und in höhere Positionen aufsteigen. Das machen sie nicht, indem sie sich in der Politik unbeliebt machen. Also agieren sie mit und nicht gegen den politischen Wind. Dazu wurde schon viel geschrieben, aktuell beschreibt ein Richter eines Finanzgerichts, wie das mit der Abhängigkeit der Staatsanwälte aussieht. Weil die Politik größten Wert darauf legt, daß die Politik per Fingerzeig festlegen kann, wo Strafrecht gilt und wo man lieber rechtsfrei bleibt.
- Fefe fordert, die Immunität von Politikern aufzuheben, weil das Parlament kein rechtsfreier Raum sein darf. Schade nur, daß er dann polemisch wird. An sich ist die Forderung ein interessanter Denkanstoß, wenn auch nicht ganz korrekt. Denn die Immunität von Politiker besagt ja nicht, daß sie gar nicht verfolgt werden, sondern daß zunächst ein anderes Verfahren zur Aufhebung der Immunität durchzuführen ist. Wie man ja gerade am Abgeordneten Tauss sieht, dem die Staatsanwaltschaft im Nacken sitzt. Bedenkt man allerdings den Zeitpunkt, drängt sich schon der Gedanke auf, daß diese Strafverfolgung auch nur auf politischen Wunsch hin erfolgte.
- Interessant ist auch, daß gerade die, die den Bürger immer mehr überwachen wollen, es selbst gar nicht brauchen können, wenn der Bürger sie überwacht. Die alte Nummer von Wasser predigen und Wein saufen. Die großen Parteien, vor allem CDU / CSU sperren sich massiv gegen die Informationsfreiheit, und auf Bundesebene hätten wir es auch nicht, wenn es nicht in der letzten Periode noch schnell durchgedrückt worden wäre. Daß man trotz Informationsfreiheitsgesetz ständig gegen Wände läuft, wenn man vom Staat etwas wissen will, habe ich ja schon einige Male beschrieben. Wenn ich etwa erlebe, daß die Ministerin Schavan die Akten der Exzellenz-Initiative sofort vernichten ließ, damit man sie nicht einsehen kann, und die DFG und der Wissenschaftsrat gegen jede Art von Akteneinsicht und Auskunft geschützt sind, dann weiß ich, wo ein rechtsfreier Raum ist. Nur daß da im Gegensatz zur Kinderpornographie tatsächlich Milliardengeschäfte gemacht werden. Der Staat pumpt jedes Jahr Milliarden aus Steuergeldern da rein und weiß selbst nicht mal, unter welchen Voraussetzungen. Warum muß man eigentlich das Internet überwachen, nicht aber die Deutsche Forschungsgemeinschaft? Ganz einfach: Weil der Staat den Bürger überwacht, aber der Bürger nicht den Staat überwachen darf. Es wird sehr genau darauf geachtet, auf welcher Seite rechtsfreie Räume bestehen dürfen.
In genau diese Kerbe stoßen gerade die Grünen, fordern Informationsfreiheit in Niedersachsen und rügen das “Kartell der Amtsverschwiegenheit in Niedersachsen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen. Interessant. Sind die nicht alle CDU/CSU-regiert? In Niedersachsen ist Christian Wulff Ministerpräsident. War das nicht der, der kürzlich die Laudatio zu einer Schmiergeldpromotion gehalten hatte? Ist das nicht schon ziemlich rechtsfrei? Die Outlaws von der Titelhandelswirtschaft und der Schmiergeldwissenschaft? Wenn ich mich recht erinnere, habe ich vor ein paar Tagen gelesen, daß da noch mehr Aktionen zur Überwachung des Internet stattfinden sollen, unterstützt von – na? – Wulff. (Dummerweise finde ich den Link nicht mehr.) Das Internet wird überwacht, die Regierung wird nicht überwacht. In Sachsen ist Stanislaw Tillich, CDU, Ministerpräsident. Wenn der genauso ist, wie sein Stellvertreter, dann wird der auch das eine oder andere zu verbergen haben und deshalb gegen die Informationsfreiheit ist. Hessen hat ebenfalls einen CDU-Ministerpräsidenten, und Bayern und Baden-Württemberg sind nach meinem Eindruck sowieso die beiden Hochburgen der (Hochschul-)Korruption. Kein Wunder also, daß die zwar den Bürger überwachen, sich aber nicht selbst überwachen lassen wollen. Wie war noch der andere Dummspruch? Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten. Die scheinen allerhand zu verbergen zu haben. Und für sich selbst rechtsfreie Räume zu bevorzugen.
- Besonders gefährlich ist dabei, daß Politiker nicht mal mehr behaupten, daß sie das tun, um das Recht aufrechtzuerhalten, sondern ganz offen zugeben, daß sie bei den Internetsperren den Verfassungsbruch in Kauf nehmen. Wer ist da eigentlich der größere Rechtsbrecher, wer baut den größeren rechtsfreien Raum auf? Ein paar Pornoserver oder Politiker, die gleich das Grundgesetz, das Rückgrat unseres Rechtsstaates und ihren Diensteid brechen? Muß ich mir ausgerechnet von denen Leuten, die bewußt und absichtlich das Grundgesetz brechen und die Informationsfreiheit blockieren, erzählen lassen, wie Recht auszusehen hätte? Und das auch noch mit der dreisten Behauptung, man müsse “rechtsfreie Räume” abbauen?
- Kurios ist dabei, daß CDU/CSU dem Bürger durchaus Einblick anbieten. Nur eben nicht in ihrer Regierungsarbeit und Akten, sondern in Politikertitten. Weil man der Meinung ist, daß man den besten Wahlkampf gerade mit Oberweiten macht. Ich faß es nicht. Und dann ausgerechnet noch die, die ich lieber nicht gesehen hätte.
Nichts ist für unsere Politiker zu dämlich, um im Wahlkampf in die Zeitung zu kommen. Wenn wirklich gar nichts mehr geht, dann eben die Forderung nach Internetsperren oder Titten zeigen. Ähnliches Niveau, und die Zielgruppen unterscheiden sich auch nicht allzu sehr. Wobei letztere Methode – das muß man einräumen – fürwahr das geringere Übel ist. Aber wenn das schon so sein muß, dann hätte vielleicht doch lieber die junge, blonde…
Wir sollten uns darauf konzentrieren, die vielen rechtsfreien Räume in der Politik zu bekämpfen.
[…] “Über Politiker, unsere Verfassung und Rechtsfreie Räume” Der Herr Danisch beschreibt den Sumpf sehr gut :/ […]