OLG Frankfurt „legalisiert“ wissenschaftlichen Betrug durch falsche Autorenangaben
Ich habe zunehmend den Eindruck, daß der wissenschaftliche Betrug nicht einfach nur so ab und zu mal passiert, sondern daß die Politik, die Strafverfolgung und die Rechtsprechung so sehr in den gesellschaftlichen Wandel in Richtung Korruptionsstaat vertieft sind, daß man inzwischen sagen muß, daß Korruption und Betrug in diesem Land systematisch aufgebaut werden.
Wieder mal hat mich ein Leser auf etwas aufmerksam gemacht, auf einen Blog-Eintrag bei Internet-Law, der wiederum auf eine Webseite einer Kanzlei verweist, die das Urteil des OLG Frankfurt vom 1.9.2009, 11 U 51/08, wiedergibt.
Soweit sich aus dem Urteil entnehmen läßt, hat da ein Honorarprofessor für eine Zeitschrift einen Artikel unter seinem Namen eingereicht, den er wohl von seinem Mitarbeiter hat schreiben lassen. Der Mitarbeiter hatte zunächst Angst vor seinem Chef und mitgespielt, später haben sie sich aber in die Wolle bekommen und der Mitarbeiter will nun, daß dieser Honorarprofessor es unterläßt, das Werk als seines auszugeben. Das LG und das OLG Frankfurt haben die Klage abgewiesen – und halten es offenbar für legal, wenn man sich als Autor eines fremden Werkes ausgibt.
Das Gericht führt aus, daß nach § 10 UrhG aus, daß gesetzlich zunächst die im Werk genannte Person als Autor vermutet wird, der Kläger dies aber widerlegen konnte, zumal der Beklagte (Honorarprofessor) auch zugegeben hat, nicht der Autor zu sein. Das Gericht hat also bewußt festgestellt, daß das Werk nicht von dem stammt, der als Autor genannt ist.
Dann aber kommt der Hammer. Zitat:
Die Veröffentlichung des Aufsatzes in der Zeitschrift X unter dem Namen des Beklagten war jedoch nicht widerrechtlich, weil der Kläger wirksam in diese Veröffentlichung eingewilligt hatte.
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Kläger nach seinem eigenen Vortrag der Veröffentlichung in der X unter dem Namen des Beklagten zugestimmt hat (LGU Seite 4). Diese Tatsachenfeststellung ist gemäß §§ 314, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO für den Senat Entscheidungsgrundlage. […] Nach der Klageschrift war die Einwilligung des Kläger nur dahin eingeschränkt, dass eine von ihm vorgegebene Danksagung mit veröffentlicht würde (Bl. 3 d. A.). […] Die Einwilligung des Klägers ist nicht nach § 138 Abs. 1 BGB wegen der Ausnutzung einer Zwangslage nichtig. […]
Die Einwilligung ist auch nicht deshalb sittenwidrig, weil der Kläger dem Beklagten damit gestattet hat, sich wahrheitswidrig als Autor zu bezeichnen. Bei einer Ghostwriter-Vereinbarung verpflichtet sich der Urheber einerseits zum Verschweigen der eigenen Urheberschaft, andererseits soll der Namensgeber die Möglichkeit erhalten, das Werk als eigenes in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Derartige Vereinbarungen werden soweit ersichtlich allgemein für zulässig gehalten, soweit es um politische Reden und Texte aktuellen politischen Inhalts geht (Dustmann in: Fromm/Nordemann, UrhR, 10. Aufl., § 13 Rn. 19; Dietz in: Schricker, Urheberrecht, 3. Aufl., § 13 Rn. 28; Dreyer in HK-UrhG, 2. Aufl., § 13 Rn. 41; Bullinger in Wandtke/Bullinger, UrhR, 3. Aufl., § 13 Rn. 22; Kroitzsch in: Möhring/Nicolini, Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl., § 13 Rn. 22).
Über diesen Bereich hinausgehend wird einerseits vertreten, eine solche Abrede sei grundsätzlich zulässig, weil der Ghostwriter nicht endgültig auf seine Urheberschaft verzichte, sondern die Abrede nach 5 Jahren kündigen könne (vgl. Dreier/Schulze, § 13 Rn. 31). Andererseits wird für Ghostwriterabreden bei Wissenschaftlern mit Blick auf die beruflich eminent wichtige Ehre als Wissenschaftler teilweise angenommen, eine solche Vereinbarung könne im Einzelfall sittenwidrig sein (vgl. Kroitzsch a.a.O.). Als problematisch angesehen wird eine Ghostwriter-Vereinbarung insbesondere im Verhältnis eines Hochschulprofessors zu seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern (vgl. Leuze, GRUR 2006, 552, 556 m.w.N.).
Jedenfalls in der hier vorliegenden Fallgestaltung ist die zwischen den Parteien getroffene Veröffentlichungsabrede nach Auffassung des Senats nicht sittenwidrig. Der Beklagte war zwar Lehrbeauftragter und später Honorarprofessor. Das Verhältnis der in einem Wirtschaftbetrieb tätigen Parteien entsprach jedoch nicht dem eines Hochschulprofessors zu seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern im universitären Forschungsbetrieb. Es ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass es sich um die Veröffentlichung von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen handelte, die ein besonderes wissenschaftliches Renommee hätten begründen können. Zu berücksichtigen ist zudem, dass es sich um eine Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift mit einer geringen Auflage handelte, die hauptsächlich von Bibliotheken bezogen wird.
Manchmal fragt man sich, was sich die Richter dabei gedacht haben. Oder ob überhaupt. Oder ob da nicht generell Korruptionsinteressen dahinterstehen.
Das OLG Frankfurt unterstellt einfach, daß das – anscheinend in diesem Einzelfall und sicherlich im Allgemeinen in vielen Fällen vorliegende – Einverständnis des Ghostwriter genügt, daß der andere sich als Autor ausgeben kann. Nur unter bestimmten Konstellationen könnte das vielleicht so ein bischen sittenwidrig sein. Es wird aber generell als zulässig und üblich hingestellt.
Juristisch gesehen unterstellt das OLG Frankfurt, daß man die Autorenschaft durch Rechtsgeschäft übertragen kann.
So ein vergorener Blödsinn.
Freilich kann man Urheberrechte durch Rechtsgeschäft auf einen anderen übertragen. Dazu gehören das Recht zur Veröffentlichung und die Verwertungsrechte. Die Nennung als Autor ist aber kein Urheberrecht, sondern ein Urheberpersönlichkeitsrecht. Und das ist nicht übertragbar.
Der eigentliche Urheber hat nach § 13 UrhG das Recht auf Nennung als Autor und kann bestimmen, ob er als Autor genannt wird oder nicht. Auch das unterliegt dem Rechtsgeschäft. Man kann sich gegenüber jemand anderem rechtsgeschäftlich verpflichten, auf die Nennung als Autor zu verzichten. Das ist beispielsweise oft bei Arbeitsverträgen der Fall, wenn man als Angestellter für den Arbeitgeber Publikationen, Webseiten, Werbematerial usw. erstellt, wo der Arbeitgeber ein Interesse hat, daß da nicht jeder Mitarbeiter als Autor drauf steht. Der Ghostwriter könnte also – wenn die Vereinbarung wirksam ist – keinen Anspruch geltend machen, doch noch als Autor genannt zu werden. Das ist durch Rechtsgeschäft weg.
Was aber nicht möglich ist, ist jemand anderen durch Rechtsgeschäft zum Autor bzw. Urheber zu machen. Dazu sagt § 7 UrhG kurz und knackig:
Urheber ist der Schöpfer des Werkes.
Es gibt also rechtlich nur einen einzigen Weg, Autor eines Werkes zu werden, nämlich indem man es selbst schreibt. Man wird nicht Autor, weil irgendwer anderes rechtsgeschäftlich damit einverstanden war.
Egal, was der Ghostwriter da getrieben hat und womit er einverstanden war, der Honorarprofessor war unter keinen Umständen befugt, sich als Autor auszugeben. Man hätte höchstens noch darüber diskutieren können, ob der Ghostwriter da noch auf Unterlassung aktivlegitimiert war oder ob er nicht gerade wegen der Sitten- und Rechtswidrigkeit seiner Beteiligung am Geschäft das Klagerecht verloren hätte. Aber zu dem Ergebnis, daß der Professor befugt war, sich als Autor zu nennen, hätte das Gericht auf gar keinen Fall kommen dürfen.
Das Urteil verstößt noch in einer weiteren Hinsicht gegen das Gesetz, denn § 10 UrhG sagt ja, daß die Urheberschaft dessen, der als Autor genannt ist, vermutet wird. Wenn das Gericht aber unterstellt, daß man sich einfach als Autor nennen kann, nur weil der Ghostwriter damit einverstanden war, dann ist diese Vermutung nicht mehr haltbar. Dann kann man gar nichts mehr glauben.
Entweder hatten diese Richter nicht allzuviel Ahnung vom Urheberrecht, oder es wurde aus politischen Erwägungen oder aus Staatsräson heraus entschieden. Würde man den Ghostwritern das Recht einräumen, Professoren zu verklagen, würde das ganze Wissenschaftssystem (und vermutlich auch die Gerichte) und der Klagelawine zusammenbrechen.
Aber es ist schon erstaunlich, wie sich die Justizentscheidungen zugunsten von Korruption und Betrug häufen:
- Die Staatsanwaltschaft Darmstadt meint, daß es normal und nicht zu beanstanden wäre, wenn Professoren sich ihre Werke von Mitarbeitern schreiben lassen.
- Jetzt bestätigt auch das OLG Frankfurt den Ghostwriter-Betrug. Was bemerkenswert ist, weil die Staatsanwaltschaft Darmstadt ja in deren Gerichtsbereich liegt. Der Frankfurter Raum scheint sich als Hochburg des Wissenschaftsbetrugs zu etablieren.
- Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe will nicht gegen Schutzgelderpressungen und Schmiergelder bei Prüfungen und Ehrendoktorgrade gegen Geld vorgehen.
- Die Staatsanwaltschaft München geht über Unstimmigkeiten bei Berufungsverfahren hinweg.
…und noch einige Fälle mehr, die noch nicht alle blog-reif sind.
Man muß leider feststellen, daß Korruption, Wissenschaftskriminalität, Forschungsbetrug unter dem Einfluß der Politik aus dem lichtscheuen Schattenbereich heraustreten und mehr und mehr zum Normalzustand werden. Stellt man dem die Substanzlosigkeit des Wahlkampfes und die Bedeutungslosigkeit des Ankreuzens bei der Wahl gegenüber, zeigt sich, daß wir in der Metamorphose von der Demokratie zur Korruptionsgesellschaft mit feudal-mittelalterlichen Machthierarchien begriffen sind.
Die Frage ist nun, was daraus wird.
Als Zyniker vermag ich diesem Urteil sogar etwas Positives abzugewinnen. Mann kann jetzt nämlich jede Veröffentlichung eines Professors anzweifeln und unterstellen, daß die vom Ghostwriter gekauft ist, denn das ist ja nun legal. Außerdem wird die bisherige Praxis der Berufungen nur umso fragwürdiger, denn die gehen alleine nach der Länge der Veröffentlichungsliste. Und wenn man sich die jetzt einfach einkaufen kann, hängt die Berufung nur noch mit dem Kontostand zusammen.
Das große Einkaufen von Veröffentlichungen bei Ghostwritern dürfte damit aber nun eröffnet sein.
2 Kommentare (RSS-Feed)
“… sehr in den gesellschaftlichen Wandel in Richtung Korruptionsstaat vertieft sind …”
Wandel?? Stimmt, früher war alles besser!!!
Bevor ich den Links folgte hatte ich mit mir selbst gewettet, dass
sich das ganze in einer wissenschaftsfernen Disziplin abspielte.
Und in der Tat
| Im September 2002 erschien in Heft 5 der X der
| betriebswirtschaftliche Aufsatz mit dem Titel[…]
Abgesehen davon stimme ich Deiner Kritik zu, es kann wohl kaum
der Sinn der Sache sein, demnächst bei Literaturangaben fein
säuberlich nach “selbst veröffentlicht” und “selbst geschrieben”
ordnen zu müssen.