Ansichten eines Informatikers

Sechs Stockhiebe

Hadmut
21.12.2009 23:46

Da herrscht gerade eine Diskussion darüber, daß in Malaysia eine junge Frau zu sechs Stockhieben verurteilt wurde – weil sie ein Bier getrunken hat.

Ich bin vor 20 Jahren einmal quer durch Malaysia gereist. Damals schien das alles noch friedlich und gemäßigt zu sein. Viele Malayen erzählten mir damals, daß sie das dort alles nicht so eng sehen. Wie mehrfach zu lesen war, soll sich das Land jedoch gewandelt haben und inzwischen ziemlich straff islamisch orientiert sein. Deshalb habe die Religionspolizei die Frau beim Trinken eines Biers umstellt und sie sei verurteilt worden. Zu 6 Stockhieben. Im ZDF heute Journal kam gerade ein Bericht darüber, in der sie einen sportlich-feschen Polizisten zeigten, der das Führen des peitschenartig langen Stockes vorführte. Und man sah auch Bilder von Gezüchtigten mit den fingerdicken Striemen am Hintern. Es hieß, daß man die Narben ein Leben lang hätte – für ein Glas Bier. Weil man nach der Scharia urteile.

Ich halte es – nach unseren Wertmaßstäben – für inakzeptabel, wegen eines Glases Bier so weitreichend in die körperliche Integrität einzugreifen. Wie ich vor wenigen Tagen hier schrieb, bemühe ich mich, die Sitten und Gebräuche in anderen Ländern so weit wie möglich zu respektieren. Fraglich ist, wo man die Grenze sieht – immerhin scheint es bei uns einen Konsens zu geben und als moralisch gerechtfertigt angesehen zu werden, gegen die in manchen afrikanischen Ländern häufig vorkommende weibliche Beschneidung (genauer gesagt, die Verstümmelung des gesamten Genitalbereiches) vorzugehen. Es ist eine interessante Frage, wo genau die Grenze der Akzeptanz verläuft. In gewisser Weise könnte man sagen, daß die Frau hier sich die Strafe ja selbst eingebrockt hat, denn sie hat ja eine verbotene Handlung begangen, im Gegensatz zu den Mädchen, die ohne jedes Eigenverschulden lebenslang leiden müssen. So einfach ist es aber nicht, denn die Frau ist die erste, die in Malaysia für das Trinken von Bier bestraft wird. Bisher hat man das nicht getan.

Toleranz und Respekt hin oder her – unabhängig von der Frage, ob wir das in Malaysia tolerieren muß man sich überlegen, wie man dem Islam und der Scharia hier in Deutschland gegenübersteht. Darf eine muslimische Frau in Deutschland ein Glas Bier trinken? Ist es die Verpflichtung des Staates dafür zu sorgen, daß sie das ohne Angst vor Repressalien tun kann? Wie weit sollte die Gesellschaft also die Symbole einer Religion, die viel mehr ist als eine Religion, und sich von solchen Methoden nicht lossagt, erlauben? Was wiegt stärker, das Recht des einen, die Symbole seines Glaubens, seiner Weltansicht aufzustellen, oder die Freiheit der anderen, frei, unbekümmert und ohne Angst im Sommer im Biergarten ein Glas Bier zu trinken?

Anlaß zur Überheblichkeit bietet es nicht. In australischen historischen Gefängnissen kann man noch sehen, mit welchen – weitaus barbarischeren Methoden – dort noch bis in das letzte Jahrhundert hinein Leute für Nichtigkeiten aus ausgepeitscht wurden, daß ihnen Haut und Fleisch in Streifen vom Rücken hingen. Prinzip neunschwänzige Katze, äußerst harte Schnüre mit Knoten drinnen, die zuvor in Salzwasser getaucht und dann trocknen gelassen wurden. Wirkt laut Aussage der Touristenführer wie Stacheldraht. Strafen bis zu 500 Hieben. Ein Vielfaches dessen, was man überleben kann. Auspeitschen als Mittel der Machtausübung, im Namen der britischen Krone.

Die Sache in Malaysia nimmt eine überraschende Wendung. Die Frau und ihre Anwälte sagen, wenn schon Scharia, dann richtig. Sie will nicht hinter verschlossen Türen in einem Frauengefängnis geprügelt werden, sondern – wie es die Scharia vorschreibt – öffentlich. Treffer. Und schon ist es der malayischen Regierung plötzlich sehr peinlich. Erst machen sie auf Islam und Scharia, und wenn die Verurteilte fordert, es dann richtig nach Scharia zu machen, dann ist ihnen das plötzlich sehr unangenehm. Anscheinend wollten sie nur Scharia light, Halb-Islam. Also volle Stockhiebe, aber so, daß es keiner sieht. Sack drüber und so.

Also erkläre ich meine Hochachtung vor der Frau und ihrer Konsequenz. Und ihrer Logik, daß der Staat Malaysia sich öffentlich für das schämen solle. Das erleichtert mir nämlich den Konflikt zwischen Toleranz und Respekt einerseits, und der Courage andererseits (deren Abwesenheit wir gerne als Toleranz und Respekt vor anderen Kulturen schönreden).

Also wird unsere Aufgabe darin bestehen, wenn wir uns nicht einmischen, ganz genau hinzusehen. Es möge gefilmt, im Fernsehen gezeigt und auf Youtube verbreitet werden, und in allen Zeitungen stehen. Die Frau möge Einladungen in Talkshows bekommen und ihre Narben zeigen. Auf daß es Malaysia äußerst peinlich sein möge. Oder in asiatischer Sichtweise beschrieben, daß Malaysia das Gesicht international verlieren möge. Das Gesicht eines Staates gegen den Hintern einer Frau. Denn wichtiger als daß wir darüber diskutieren ist, daß die dort selbst darüber diskutieren – und es in Frage stellen.

Damit ist nicht vorgegeben, zu welchem Ergebnis die Diskussion führt. Aber wenn sie schon Leute dafür verprügeln, daß die ein Glas Bier trinken, dann sollen sie auch dazu stehen und sich internatioal als Prügelstaat zu erkennen geben, und nicht so tun als ob. Nicht nach vorne raus auf toleranten und offenen Drei-Völker-Staat (Malayen, Chinesen und Inder/Tamilen) machen und dann heimlich hinter den Mauern prügeln, sondern dann bitte auf dem Marktplatz.

Ich bin gespannt, ob sie es durchziehen (böse Doppelbedeutung des Wortes).

Und ich bin gespannt, wie es sich auf das Tourismusgeschäft von Malaysia auswirkt, wenn in allen Nachrichten kommt, daß man dort für ein Glas Bier verprügelt wird. Das Bild des sportlich-grinsenden feschen Polizisten, der so elegant-dynamisch den Stock schwingt, wäre doch sicher was für die Reisekataloge. Wär mal was anderes. Was authentisches.

Nachtrag: Für Frauen verwenden sie leichtere Stöcke als für Männer.

Nachtrag 2: Wer dazu neigt, immer alles – auch bei uns – mit Toleranz und Religionsfreiheit begründen zu müssen, möge mir erklären was er unter Religionsfreiheit versteht: Das tun und lassen zu dürfen, woran man selbst glaubt, oder das tun und lassen zu müssen, woran andere glauben?

11 Kommentare (RSS-Feed)

yasar
22.12.2009 0:44
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Hallo Hadmut,

ich habe mich letztens zurückgehalten, obwohl Du da ziemlich viel in einen Topf zusammengeworfen und umgerührt hast. Vielleicht kommentiere ich das auch noch.

Aber hier zu diesem Thema:

Toleranz in der Religionsausübung:

Meiner Meinung gehört dazu, nach den Regeln der Religion leben zu dürfen, die man sich ausgesucht hat. Allerdings mit der Einschränkung, niemand anderem (selbst den eigenen Kindern!) diese aufzuzwingen. Und wenn jemand Bier trinken will, so sollte er das mit sich ausmachen. Wenn man nicht will, daß die Leute Bier trinken, so darf man auch Bier ausschenken (über die Vor- und Nachteile eines Alkoholverbots brauchen wir uns hier wohl nicht auszulassen).

Zu dieser Toleranz gehört es auch, wenn jemand in Säcke verhüllt herumlaufen möchte, weil er der Meinung ist das aus seinen Religionsschriften herausinterpretiert zu haben, dann soll es ihm gestattet sein, auch wenn das hierzulande als unhöflich angesehen wird, das Gesicht zu verhüllen. Diese Toleranz hört da auf, wo man andere dazu zwingt, sich zu verhüllen (Töchter, Ehefrauen, Schwestern, etc). Das Dilemma ist natürlich nun festzustellen, ob jemand der verhüllt herumläuft diese aus freien Stücken tut oder dazu gezwungen wird. Aber deswegen ein generelles Vermummungsverbot zu verhängen wäre sicher unverhältnismäßig.

Das andere Problem ist natürlich, daß die Religion immer gern als Begründung für irgendwelche reglementierungen herhalten muß, egal ob diese Ihre Ursachen in weltlichen oder Religiösen Dingen begründet sind.

Die Scharia selbst ist ein Regelwerk, daß zu einer Zeit entstanden ist, als drastische Strafen nichts ungewöhnliches waren und die Leute es durchaus angemessen empfanden harte Strafen zu verhängen. Auch in den meisten islamischen Staaten hat sich das Regelwerk in vielen Staaten weiterentwickelt und, auch wenn es vielleicht mit der europäischen Strafauffassung nicht vergleichbar ist, in vielen Punkten doch humaner geworden. Das ändert aber nichts daran, daß eine ewiggestrige immer die Zeit versuchen zurückzudrehen. Malaysia scheint so ein Beispiel zu sein.

Wie soll man nun mit so einem Land umgehen? Einmarschieren? So wie es die Amis vormachen? Sicher nicht. Wegschauen? Auch nicht richtig. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht was angemessen wäre. Auf jeden Fall nicht auf sich beruhen lassen. Handel/Tourismus mit denen einschränken? Warum dann nicht mit Iran und Saudi Arabien, wo die Scharia viel konsequenter eingesetzt wird?

Was man aber ganz sicher sagen kann: Hierzulande sollte man sofern die Religionsregeln zum Schaden von Personen gereicht, diese nicht akzeptieren und ggf. verbieten. Das betrifft aber nicht solche Dinge wie Verhüllungen, solange diese den betreffenden Personen nicht aufgezwungen wird. Da würde ich eher damit anfangen, den Alkoholkonsum unter Strafe zu stellen, sofern dieser zu einem Blutalkoholgehalt von über 0,5 promille führt, egal ob dabei ein Fahrzeug geführt wird oder nicht, oder ob das im privaten Bereich ist oder öffentlich geschieht. Sobald Blutalkoholwerte über 0,5 promille Ordnungswidrigkeiten werden und Werte über 1 Promille als Straftat gewertet werden, könnte man vermutlich einiges Schlimme verhindern, was direkt oder indirekt auf den Alkoholkonsum zurückzuführen ist. Von Nervengiften, die inhaliert werden, will ich gar nicht erst anfangen.

Ach ja: Ob nun der Muezzin oder die Glocke vom Turm herunterlärmt, ist im Endeffekt egal. Beim Muezzin könnte man das wenigstens dadurch lindern, daß man ihm einfach aufträgt es auf die althergebrachte Weise zu tun:

Täglich fünfmal den Turm hochklettern (ohne Aufzug) und von oben mit der natürlichen Stimme ohne Lautsprecher oder Megaphon als Verstärker seinen Spruch abzulassen. Das würde die “Belästigung” deutlich reduzieren.

Bei Glocken ist das schon schwieriger, weil man hier die Lautstärke schlecht regulieren kann.

yasar


Hadmut
22.12.2009 1:40
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Naja, die Diskussion dient ja der Erhellung.

Ich vermag dem aber nicht zu folgen, daß der Glaube alles für sich selbst rechtfertigt und der andere es hinzunehmen hat. Das führt nämlich dazu, daß jemand mit einem extremen Glauben – egal welcher Richtung – mehr darf als einer mit einem dezenten Glauben. Und das darf nicht sein, daß der schwachgläubige insgesamt weniger darf als der starkgläubige, daß der schwach- oder dezentgläubige also benachteiligt wird.

Und wenn man einem Glauben anhängt, der gebietet, dem gemeinsamen Gottesdienst nackt beizuwohnen, würde das an vielen Stellen auch nicht geduldet.

Ich wehre mich dagegen, daß man unter der Flagge der Religionsfreiheit immer versucht, Kritik und abweichende Meinungen zu dämpfen.

Mag sein, daß ich am Islam vieles nicht verstanden habe und Mist daherrede. Die machen es einem aber auch nicht leicht, sie zu verstehen.


Stefan W.
22.12.2009 1:18
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Das ist doch nach unserem Recht Körperverletzung. Müßte der Staatsanwalt nicht auch dann ermitteln, wenn das Opfer mit der Strafe einverstanden ist, und selbst keine Anzeige erstattet – ist das nicht ein Offizialdelikt?

§ 223
Körperverletzung

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

http://dejure.org/gesetze/StGB/223.html


@Stefan W.
Du möchtest in Malaysia einmarschieren, um dort unser StGB durchzusetzen?

Carsten

Die Freiheit wird nur zu Hause verteidigt, alles andere sind Raubzüge!
Gast-Redner


energist
22.12.2009 14:00
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@ Stefan W: Es gibt die juristische Konstruktion der „Körperverletzung mit Einverständnis“, die straffrei ist. Sie trifft z.B. bei bestimmten Sportarten (Boxen, Säbelfechten) oder bei heftigeren sexuellen Handlungen zu. Inwieweit das auch hier der Fall ist kann ich allerdings mangels Sachkenntnis nicht einschätzen.


yasar
22.12.2009 18:56
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Wenn man schon irgendwo einmarschieren wollte, um europäische oder deutsche Richtlinien durchzusetzen, würde mir als erstes die USA einfallen. Aber das geht ja nicht, die sind ja unsere Freunde.


Bob
23.12.2009 0:31
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@Carsten: Ich glaube, Stefan W. bezieht sich auf den Satz ” Darf eine muslimische Frau in Deutschland ein Glas Bier trinken?”


yasar
24.12.2009 0:35
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Ohne jetzt die Geschichte in Malaysia verharmlosen zu wollen:

“Zurück-zur-historischen-Rechtsprechung”-Anhänger gibt es in jedem Lager. Beispiel Israel:

Da haben kurzerhand einige orthodoxe Juden randaliert, weil jemand es gewagt hatte am Sabbat zu arbeiten:

http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/der_zorn_der_gottesfuerchtigen_1.4326081.html

Und der Staat hält still, um es sich mit denen nicht zu verscherzen.

Das bestärkt mich in der Überzeugung, daß Religionsfreiheit nur bedeuten kann, daß jeder seinen Glauben solange frei ausüben darf, solange er andere nicht dazu zwingt, nach seinen Überzeugungen zu leben.


Stefan W.
28.12.2009 4:53
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Ich möchte in Malaysia nicht einmarschieren, und auch nicht Urlaub irgendwo machen, wo die Scharia gilt, oder Todesstrafe droht.

Was die Malayen machen ist einerseits ihre Sache, aber ich würde sie ermutigen zu einem weniger krörperlich züchtigendem Recht zu kommen, die Todesstrafe und die Religion abzuschaffen.

Die Religion zurückzudrängen stünde auch uns gut zu Gesicht, aber obwohl man sagt, daß etwa 1/3 der Bevölkerung gottlos ist, hat bei der Regierungsbildung wieder jeder einzelne Minister zur Gottesbeschwörung gegriffen. Wenn also selbst diese Halbeliten, die uns regieren, dem Okulten huldigen, dann ist das wohl auch für uns noch ein weiter Weg.

Ich finde das peinlich.


yasar
3.1.2010 17:07
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Übrigens muß man gar nicht so weit in ferne Länder gehen. Auch in Europa gibt es Entwicklungen, die die Zeit zurückdrehen wollen. Momentan sind es zwar nur Geldstrafen, aber wer weiß, was den Katholiken noch alles einfällt:

http://www.gulli.com/news/irland-blasphemie-wird-zur-straftat-2010-01-03


Hadmut
3.1.2010 18:11
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Naja, schon übel. Aber rate mal, wer dahinter steckt. Die Begründung für das Gesetz war ja, daß das alte Gesetz gegen Blasphemie nur die katholische Kirche schütze…

Apropos Blasphemie: Gucke mal die da.