Ansichten eines Informatikers

Die Ver-wikipedia-isierung von Linux

Hadmut
22.12.2009 2:45

Ich bin ja ein echter Hard-core-Linux-Fan. Aber langsam entwickelt sich Linux zum Ärgernis.

Vor so ca. 3-4 Jahren war Linux eine ziemlich solide, stabile, robuste, leicht zu bedienende Angelegenheit. Inzwischen jedoch degeneriert Linux durch Wucherung.

An immer mehr Stellen habe ich richtig Ärger mit Linux:

  • Drucker/Datenkonvertierung
  • Desktop
  • Netzwerkmanagement
  • Adressbücher/Akonadi
  • Desktops
  • (USB-Bus)

Und faßt immer stößt man dabei auf dieselben Grundstrukturen und Ursachen: Irgendwelche Leute, die zwar Lust, Zeit, Ambitionen und den nötigen Idealismus haben, sowas zu programmieren, aber – meist korrelieren diese Eigenschaften mit jüngerem Alter – einfach nicht die handwerklichen Programmierfähigkeiten und die Erfahrung dafür haben. Fast immer sind es dieselben Ursachen: In eine immer komplexere Umgebung mit immer komplizierteren Schnittstellen werden immer neue Funktionen hinzugepackt, ohne die alten stabil zu halten oder zu machen. Hauptsache, das hat alles irgendwelche schönen Klicki-Bunti-Schnittstellen. Hauptsache das Design stimmt. Aber eine Doku oder ordentliche Schnittstelle, um im Fehlerfall den Fehler einzugrenzen, oder überhaupt mal zu erkennen, was das Zeug da treibt, wird immer schwieriger. Warum beispielsweise Cups nicht druckt, wenn es nicht druckt, welchen Weg die zu druckenden Daten durch unzählige Konvertierungen gehen, wie das Backend funktioniert (das man nicht einmal ohne weiteres von der Kommandozeile aufrufen kann), wie die Rechte für dieses oder jenes Backend zu setzen sind – nicht mehr zu durchschauen. Das muß man erst einmal fertigbringen, ein so komplexes Drucksystem zu bauen, das man nicht modular testen kann.

Wenn man die Leute aber auf irgendwelche Fehler oder Designmacken hinweist, (fast) immer dieselben Reaktionen: Nein, das müsse so sein, alles andere wäre falsch. Wenn etwa Desktop-Leute meinen, die Netzwerkkonfiguration müsse über den D-Bus verteilt werden, weil D-Bus jetzt schick ist (bis er wieder mal durch was neueres ersetzt wird) ohne daß es irgendeinen dokumentierten Weg gebe, das mal zu überprüfen oder aus einem Skript abzufragen. Systematisch kaputt-designed. Oder wenn ein separater SQL-Server im Userspace gestartet werden muß, nur um 3 Adressbucheinträge abzulegen. Und keiner weiß, wie es funktionieren soll. Und so weiter, und so weiter. Wenn ein Networkmanager-Entwickler nicht einsieht, daß es pre-up und pre-down-Phasen geben muß, weil – wie er sagt – das Netzwerk auch ausfallen könnte, also alles erst in der post-Phase laufen könnte. (Warum fahren wir Rechner eigentlich runter und ziehen nicht einfach den Netzstecker?)

Ich habe den starken Eindruck, daß die ursprünglichen starken Leute, die meistens einen ordentlichen Unix-Hintergrund hatten, entweder alt geworden sind oder einen ordentlichen Beruf haben, und die Leute, die heute an Linux dran sind, das nicht mehr packen, es aber auch nicht einsehen. Völlig beratungs- und kritikresistent, blind und taub, in ihrer Ideologie gefangen. Linux (d.h. das ganze Drumherum) degeneriert durch unkontrolliertes Wuchern.

Ich habe den Eindruck, daß ein ähnlicher Effekt wie in der Wikipedia stattfindet. Die seriösen und vernünftigen Autoren sind gegangen, übrig sind da noch ein paar Privat-Krieger, die ihre persönlichen Ansichten gegen den Rest der Welt durchdrücken wollen.

6 Kommentare (RSS-Feed)

ck
22.12.2009 13:11
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Ist das ein genereller Rundum-Schlag oder auf einzelne Distributionen bezogen?


Hadmut
22.12.2009 13:17
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Weder noch. Auf eine gewisse Sorte Projekte – einschließlich des Kernels – bezogen. Und die dann mehr oder weniger in allen Distributionen auftauchen.


nadar
22.12.2009 17:47
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Was mit linux passiert, müsste mit eigentlich bei WP geschehen und anders herum. Bei WP läuft, wie man so hört, eine Diskussion zwischen Inklusionisten und Exklusionisten, weil erstere alles™ drin haben wollen, letztere aber vieles rauswerfen, was deren Ansprüchen nicht genügt.

Wäre das bei Linux der Fall, hättest du keinen Grund zur Beschwerde, sondern nur wirklich stabile, relevante (nach Meinung einiger Leute) Sachen drin.


yasar
22.12.2009 20:36
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Nunja, ich sehe das inzwischen pragmatisch.

Ich habe inzwischen auch nicht mehr die Zeit, mir “mein” jeweiliges Linux so zurechtzubiegen, wie ich es gerade benötige. Ich habe letztens wieder eine jahrelang gepflegte Installation entsorgt. das war irgendeine alte kanotix mit mehreren dist-upgrades bei debian, die dann per dist-upgrade auf ubuntu umgezogen ist und dort bis jaunty gelaufen ist, und das ganze mit bisher 4-maligem Wechsel der Hardware darunter. Einen dist-upgrade auf karmic hat sie zwar überstanden, aber hinter hatte es an zu vielen stellen geknirscht und dafür war mir die zeit zu schade. Da war es erheblich einfacher einfach eine frische karmic-installation zu nehmen und alles wichtige dahinzukopieren.

Daher habe ich hier meist mehrere Systeme laufen (Windows/BSD/Linux) und verwende einfach immer gerade das was die Aufgabe im Moment am besten löst (meistens mit linux).

Was die langfristige Stabilität angeht, wird es zwar mit linux nicht besser werden, aber ich habe die Hoffnung, daß zumindest einige große Distributionen (Redhat, SuSE, Ubuntu) die Instabilitäten soweit abfangen, daß das System wenigstens benutzbar bleibt.


dasuxullebt
23.12.2009 4:29
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Das Hauptproblem ist ja gerade, dass inzwischen um der Effizienz Willen jedes kleine Programm seine eigenen Schnittstellen hat. Aber ich glaube nicht dass die Probleme daran liegen, dass unerfahrene Programmierer die Projekte programmieren. X11 wird zum Beispiel nicht wirklich von solchen Leuten programmiert – und trotzdem ist es ein grottiges System.

Besides all that, die kommerziellen Distributionen, die die notwendige diktatorische Komponente hinzufügen, sind eigentlich immernoch ganz gut.


pepe
23.12.2009 7:05
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Durch Debian wirst du zwar Probleme mit CUPS, KDE und hal/udev/devicekit/foobar nicht los, aber dort reicht es immerhin, den Kram einmal bei der Installation korrekt zu konfigurieren. Dann pfuscht dir da keiner mehr rein, auch bei Distri-Upgrades bleibt alles weitgehend stabil.

Die Probleme mit dem GUI-Kram gibt es schon laenger. Ich dachte mir damals das ist halb so wild, dann benutzt man eben alternative WMs und Tools und ignoriert die grossen Desktop-Umgebungen. Leider stoesst man hier auch langsam an die Grenzen, zB sind die so ziemlich besten pdf/ps/dvi viewer Evince und Okular schwer von Gnome bzw KDE abhaengig. Das ist technisch kein grosses Problem, nur ziehen sie diverse libs nach sich und starten/benutzen irgendwelche Hintergrunddienste. Wenn Subversion und Firefox irgendwann mal ein zentrales Passwort-Management unterstuetzen, wird es wahrscheinlich sowas wie Gnome Keyring sein, was dann wieder 20 andere Dienste und libs benoetigt.

Der grundsaetzliche Fehler ist vielleicht, dass die graphischen Tools nicht mehr nur Frontends sind. Wo man vorher ein Tool gebaut hat, dass genau eine Aufgabe gut und flexibel erledigt, wird heute die Implementierung mit DAU-Kompatibilitaet und Desktop-Integration vermischt.