Ansichten eines Informatikers

Richter, Maultaschen und die Doppelmoral

Hadmut
29.12.2009 20:49

Es gibt gerade ziemlichen Zoff um eine Äußerung der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Schmidt, wonach selbst Bagatelldiebstähle die Entlassung von Angestellten rechtfertigen, weil es zeige, daß der Anstand fehle. Eine kritische Rückfrage.

Was sie da sagt, ist zunächst mal eine Meinung. Eine, die man nicht gut oder richtig finden muß, aber zumindest mal eine Meinung, die man haben kann.

Was mich daran stört ist diese unsägliche Doppelmoral der deutschen Rechtsprechung, denn niedere Angestellte werden hier völlig anders behandelt als Vorstände und insbesondere als Richter oder Beamte.

Wenn beispielsweise Professoren sich hemmungslos an Uni-Eigentum bedienen, etwa die Mitarbeiter ihre Privatarbeiten erledigen lassen, mit Uni-Geldern ihre Verwandten beauftragen, ihre Vereinspost durch die Frankiermaschine ziehen und so weiter und so weiter, dann kräht kein Hahn danach. Auch nicht, wenn sie von Prüflingen Schutzgeld kassieren oder gegen Geldspenden Doktorgrade verschleudern. Niemand erhebt da Anklage, leitet ein Disziplinarverfahren ein. Da passiert gar nichts.

Wenn ein Richter – wie ich es mehrfach erlebt habe – Protokolle fälscht, bewußt falsche Gutachten beauftragt und annimmt, Schriftsätze zurückhält, andere Richter falsch informiert, ober überhaupt die Sache manipuliert, dann ist das zwar keine unmittelbare eigene Bereicherung, aber mit Anstand hat das auch nichts zu tun. Trotzdem passiert dem gar nichts. Ich finde es erstaunlich, daß man vom einfachen Arbeiter so viel mehr Anstand verlangt als von hohen Beamten und Richtern.

Es erinnert mich an eine Textstelle aus dem Buch Furchtbare Juristen. Nach dem Krieg sprach man die Richter der Nazi-Zeit, die Unrechts- und Todesurteile gesprochen hatten, frei, weil man ihnen zugestand, daß sie so in das Denkschema der Nazis eingebunden waren, daß sie das Unrecht ihres Handelns nicht hätten erkennen können. Eine einfache Bauersfrau, die damals obrigkeitskonform jemanden angezeigt hatte, der dann später verurteilt wurde, verurteilte man ihrerseits später deshalb, weil man ihr – einer völlig ungebildeten einfachen Frau – unterstellte, daß sie das Unrecht der Nazizeit hätte erkennen müssen.

Wir befinden uns auf einem höchst gefährlichen Weg in eine Stände- und Kastengesellschaft mit ganz unterschiedlichen Moralanforderungen. Anstand ist nur eine Verpflichtung der abhängig Angestellten.

Ein Kommentar (RSS-Feed)

Mephane
30.12.2009 15:31
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“Wir befinden uns auf einem höchst gefährlichen Weg in eine Stände- und Kastengesellschaft mit ganz unterschiedlichen Moralanforderungen. Anstand ist nur eine Verpflichtung der abhängig Angestellten.”

Es geht doch gar nicht um den Anstand als solchen. das ist den besagten oberen Kasten/Ständen völlig egal. Gefügig, gehorsam und genügsam sollen “die da unten” gefälligst sein. Und natürlich müssen in solchen Gesellschaften die höheren Schichten stets in jeder Hinsicht den längeren Hebel haben, dazu gehört eben, den normalen kleinen Arbeiter wegen absoluter Lapalien (und auch ohne auch Beweise) rauswerfen zu können, da – noch so eine Perversion der heutigen Zeit – der gewöhnliche Arbeiter total abhängig ist vom Arbeitgeber, andersherum aber verfahren wird wie mit billiger Massenware.

Zwar mag es auch einzelne Angehöriger höherer Gesellschaftsschichten geben, denen es um eine (Doppel-)Moral aus Prinzip geht, aber für die meisten ist es doch nur Mittel zum Zweck: Die Menschen abhängig und machtlos halten.