Wie Bananen in der DDR
Alle schreiben über Lena Meyer-Landrut. Ich auch. Aber was anderes.
Ich wundere mich darüber, daß ARD, ZDF, Pro7 ausflippen.
Ministerpräsident Christian Wulff flippt auch aus, aber das wundert mich nicht. Der kommt ja schon bei Schmiergeldpromotionen zur Laudatio und zur Eintragung ins goldene Buch, da ist es klar, daß er bei Lena wie ein Konfirmand mit Blumenstrauß an den Flughafen kommt und brav wartet, bis eine 19-jährige ihn erhört. Da wird ein Bundesland von einem Mann regiert, der sich Belanglosigkeiten unterordnet.
Nicht daß ich Lena schlecht fände. Den Contest hat sie zu Recht gewonnen. Weil die anderen so spießig-langweilig waren, mit ihren aufgesetzten albernen Shows und dem Einheitsklang, daß eine 19-jährige da einfach nur sich selbst im einfachstmöglichen Kleidchen und ohne jede Choreogaphie oder Show auf die Bühne stellen mußte, um zu gewinnen. Durchaus, sie sieht gut aus, ihre Freude und Austrahlung wirken ansteckend, und das Lied war – naja, es war flott und was zum mitsingen oder mittanzen. Aber mehr auch nicht. Und um ganz ehrlich zu sein, sonderlich gut gesungen war es auch nicht. Objektiv betrachtet, kann Lena (noch) nicht singen. Woher auch? Der hervorstechende Wert an ihr ist, daß sie darauf pfeift und sich überhaupt nicht daran stört. Einfach geraderaus.
Tanzen kann sie eigentlich auch nicht. Das sind schlacksige, ungelenke, unsortierte Bewegungen, denen man ansieht, daß da noch Reste der Pubertät dahinterstecken. Aber dafür sieht es locker und sie gut aus. Aber – ganz ehrlich gesagt – nichts besonderes.
Alle reden davon, daß sie Europa verzaubert. Sie habe ihren eigenen Stil, ihre eigene Sprache. Ich finde – ganz ehrlich gesagt – daß vieles von dem, was sie da daherredet, eigentlich Stuß ist. Daß sie sich darin verheddert, daß sie etwas sagen will, aber nichts zu sagen weiß, und sich deshalb in Sätzen und Geräuschen verwickelt. Was soll’s, die Öffentlichkeit will es gut finden, als nennt man es charmant. Oder eigenen Stil. Oder ungezwungen natürlich. Wenn ich das gleiche machte, dann würde man es nicht natürlich, sondern peinlich, albern, ungebildet nennen. So natürlich kann’s also nicht sein.
Das meine ich – auch wenn es sich vielleicht nicht so anhört – durchaus nicht negativ. Ich habe derzeit fast nur mit gesetzten, studierten, berufserfahrenen Leuten ab Mitte 30 zu tun, und damit verbiegt man sich die Maßstäbe. Das Mädel ist im Abiturientenalter, und da ist das einfach nicht so. Mein jüngster Bruder ist in dem Alter, und ich erinnere mich noch so, wie ich in dem Alter war. Man darf da gar nicht mit diesen Maßstäben daherkommen, die man gerne an Profis anlegt. Für ihr Alter ist Lena toll. Und sich da so locker hinzustellen und ein Lied zu singen – alle Achtung. Einen trockenen Vortrag anhand von Folien vor 30 Leuten zu halten ist ja schon nicht so ganz einfach.
Nein, kritisierenswert ist nicht Lena. Sondern der ganze Rest außenherum.
Was ist denn nun passiert? Ein 19-jähriges Mädchen, die noch nichts gelernt hat, die noch nicht singen und noch nicht tanzen kann, präsentiert sich selbst und gewinnt. In einem Wettbewerb von erheblicher Unerheblichkeit, von weitreichender Belanglosigkeit. Das Lied hat gefallen, und das war’s schon. Nicht, daß ich das schmälern wollte, ich könnte es ja nicht entfernt nachmachen. Aber ich will es einordnen. Wir haben hier in Deutschland Millionen von Menschen, die ihre jeweilige Sache besser machen. Die Verkäuferin im Supermarkt um die Ecke macht ihren Job seit Jahren und hat dafür sicherlich mehr gelernt. Und würde vielleicht auch einen Wettbewerb gegen 24 Verkäuferinnen anderer Länder gewinnen. Nur interessiert das keinen.
Warum aber bewerten wir es so hoch, wenn jemand ein Liedchen singt? Plötzlich gibt es eine Sondermaschine, roten Teppich, einen Ministerpräsidenten, die Kanzlerin läßt Grüße ausrichten, das Fernsehprogramm wird umgestellt. Als wäre etwas wichtiges passiert.
Ich glaube, es wäre interessant, die Mechanismen dahinter zu erforschen.
Ein Teil ist sicher Marketing. Die Musik-, Film- und Urheberbranche schafft es, sich selbst zu feiern und hochzupushen. Wer ordentlich ein Lied singt, ist viel mehr wert als jemand, der ordentlich ein Handwerk kann. Weil dahinter eine Marketing- und Vertriebsstrategie steht. Bilder und Töne sind im digitalen Zeitalter beliebig übertragbar und zu vervielfältigen, also wird die Leistung hochgerechnet. Gut, wer viele Schallplatten verkauft, der wird dann auch viel Geld bekommen. Das tun aber andere auch, ohne daß der Ministerpräsident den Teppich ausrollt und die Sender die Programme umstellen.
Ich habe den Eindruck, daß der Lena-Erfolg einen anderen Kern hat. Den Wunsch der Deutschen, anders zu sein als sie sind. Die Deutschen sind steif, verkrampft, penibel, fleißig, arbeitsam, gelten als humorlos, international unbeliebt. Das Bild vom Deutschen ist, daß wir frühmorgens am Pool die Liegen mit Handtüchern belegen und den Tag exakt durchplanen. Lachen nur, wenn es vorher im Kalender steht. Diszipliniert und scharfgezeichnet wie Nicole oder von der Leyen. Und nun kommt da eine krakeelige 19-jährige daher, und ist einfach anders. Und kommt damit im Ausland so ganz undeutsch gut an.
Und plötzlich wollen sich alle eine Scheibe davon abschneiden. Nein, wir werden nicht locker. Wir veranstalten eine Stellvertreter-Lockerheit, in dem wir die Vorzeige-Lockere bejubeln und ihre Eigenschaften auf uns projizieren. Das ist in Deutschland so: Man stellt sich gerne neben Leute, die Eigenschaften haben, die man auch gerne hätte aber nicht hat, um durch Nähe den Eindruck zu erwecken, als hätte man sie auch. Plötzlich haben wir eine Vorzeige-Deutsche, die pappen wir uns als Button auf’s Revers, und schon ist alles gut. Eigentlich nur so ein ganz billiger Trittbrettfahrer-Effekt, so wie wenn irgendeine lausige Universität einem Promi einen Ehrendoktor verleiht, der sich nicht wehren kann, weil sich in Wirklichkeit die Uni mit dem Ruf des Promis schmückt und nicht umgekehrt.
Ein anderer, verwandter Punkt dürfte sein, daß es in diesem Land eigentlich fast nur noch schlechte Nachrichten gibt. Jeden Tag kommt eine andere Hiobs-Botschaft. Griechenland, Steuererhöhung, Ballack hat nen Bänderriß, den Amis läuft das Öl aus. Irgendwo ist Krieg, der Euro stürtzt ab, im Osten ist Hochwasser, der Bachelor ist ne Katastrophe, die FDP ist ganz runter, die Politik kann sich nicht einigen, Schäuble ist krank, Koch hat die Schnauze voll, Mehrheiten gibt’s nicht. Und Fußballweltmeister werden wir wohl auch nicht. Sogar das Wetter ist Mist. Nur solche Negativ-Nachrichten, wohin man blickt. Nichts positives.
Und plötzlich gewinnt jemand. Und strahlt in die Kamera. Hurra. Als hätten alle nur gierig darauf gewartet, daß es endlich mal etwas Positives gibt. Als gäb’s Bananen in der DDR. Und schon machen sich alle zum Narren. Seht alle her, uns ist der Gegenbeweis geglückt: Es gibt in Allemania entgegen allgemeiner Auffassung doch jemanden, der sich locker gibt und mal ein Lied singt und sich dabei freut. Überraschung!
Mir geben diese weit überzogenen Reaktionen zu denken. Natürlich war’s ne tolle Leistung, aber es war ne Show-Bühne, also hätten die Reaktionen auf den Show-Bereich beschränkt bleiben sollen. In einer gesunden Gesellschaft sollte es so viele lockere und natürliche Leute geben, daß sie nicht mehr einzeln im Fernsehen vorgeführt werden müssen. Und natürlich darf auch ein Ministerpräsident locker sein. Wenn er sich aber zum Kasper macht und da auf auf dem Rollfeld rumsteht und auf ne Schülerin wartet, dann ist das nicht locker. Dann hat’s einer nötig.
8 Kommentare (RSS-Feed)
Apropos tanzen: Bin ich denn der einzige, der dabei an Joe Cocker denken musste? 🙂
Wenn sie auch musikalisch in Joe Cockers Fußstapfen tritt, soll mir’s recht sein.
PS: Das erinnert mich auch an die tollen “Fußballspieler” der Nationalmannschaft und der Bundesliga, hochgejubelt, hochgelobt, hochbezahlt, aber vermutlich weniger drauf als der Bezirksliga-Kicker, der nicht nur Fußball spielt, sondern ganz nebenbei noch einem Beruf nachgehen muß, um sich sein Hobby leisten zu können.
Weder sind alle oder so viele Deutsche so steif, wie die übelsten Klischees glauben machen wollen, noch ist Lena so sensationell locker.
Der Typus des natürlichen, leicht unbeholfenen Mädels ist auch nicht so sensationell originell, sondern eine von 10 Matritzen, die ständig neu zusammengemischt werden.
Ich meine – ohne mich in der Szene auszukennen – dass 2-Raumwohnung so ein ähnliches Image hat. Oder Björk.
Daneben gibt es den Vamp, das Glamourgirl, die hochgeschlossene Künstlerin mit Klassik-Background, das flippige Girlie usw. Je nach Lage wird das neu zusammengemischt – die Vorausscheidung sorgt dann dafür, dass das Publikum die Person wählt, die den Typ auch glaubwürdig rüberbringt, und dem die Leute auch nicht z.Zt. gerade überdrüssig sind.
Der Hype ist dabei etwas, was Publikum und Medien gemeinsam produzieren – zu beiderlei Vorteil. Die Wünsche und Projektionen des Publikums, verbunden mit dem Fieber und der Aufregung führen dazu, dass die Künstlerin mit den Glücksgefühlen angesichts des Sieges identifiziert wird. Eine harmlose Sache wie Fußball oder der große Spielfilm, solange es nicht arg missbraucht wird.
Hallo Hadmut, wunderbar auf den Punkt gebracht!
Ich hab sie bis kuerzlich noch gar nicht gekannt, aber dann viel der Name ja sogar in der Tagesschau…wie du schon sagtest, immerhin wirkt sie (noch) echt.
Zur Unerheblichkeit der ganzen Geschichte: Ich hab gestern die “New Straits Time” am Imbiss durchgeblaettert und nicht schlecht gestaunt, eine Meldung ueber Lena’s Erfolg zu lesen. Dreiviertel Seite mit Bild.
Andererseits, wenn man sieht wie sehr sich die Asiaten fuer Handyspiele begeistern und ihre eigenen belanglosen Shows vergoettern, bedeutet das wohl auch nicht allzu viel..
Fast hätte ich Glück gehabt und mir wäre die Existenz einer “Lena” nicht zur Kenntnis gelangt. Das hat einen ganz einfachen Grund: Ich habe keine Lügen- und Propagandamaschine mehr im Wohnzimmer stehen.
Leider haben nur nur sehr wenige Menschen eine wirksame Firewall zwischen Massenmedien und ihrem Gehirn. Die Firewall heißt “kritisches Denken” und filtert Lügen/Propaganda/Bullshit und andere Schadsoftware effektiv aus. Auf den meisten Gehirnen läuft aber eine ältere Windows-Version ohne Antivirensoftware mit allen sich daraus ergeben Konsequenzen.
Bedauernswerterweise wurde der “Lena-Exploit erfolgreich in die Gehirne vieler Mitbürger hereingeladen und installiert. Wie zu erwarten war begannen diese ferngesteuerten Zombies schon nach kurzer Zeit euphorisch darüber zu bloggen. Zombies sind wahre SPAM/Virenschleudern und funktionieren wie Papageien: Fernsehen sagt Lena ist toll und der Papagei plappert das dann auch gerne nach. Das klappt auch bei einem frei erfundenen Klimawandel, bei der idiotischen Peak-Oil-Theorie oder frei erfundenen terroristischen Bedrohungen. Es soll sogar Menschen geben die sich für reine Kommerz- und Machtinteressen dankbar am Hindukusch erschießen lassen – oder in die Luft sprengen – soviel Demokratie muß sein. 😉 Eigene Gedanken sind kaum anzutreffen und richten sich – sofern vorhanden – nur auf die primitiven Grundfunktionen Sex, Essen, Schlafen und Arbeiten.
Die Gehirnhardware ist an sich sehr leistungsfähig, allerdings werden bis zu 90% der Leistung sinnlos verbraten, für z.B. “Die BRD-GmbH sucht den Superidioten”, politische Marionetten die ihre Sprechblasen in Scheindebatten entleeren, ein total hippes Gadged oder – ihr habt es schon befürchtet – Lena.
Naja wie dem auch sei, bei vielen Blogs habe ich schnell angewidert weggeklickt.
In einem Blog stieß ich sogar eine echte Information:
Der Vater von Lena ist ein Bilderberger.
Und dann bin ich hier gelandet. Endlich mal ein autonom denkendes Wesen. Jemand der den Titel “Mensch” zurecht trägt und Dinge kritisch hinterfragt. Vielen Dank dafür.
Well Said! Mich wundert es auch immer wieder, zu welchen Begeisterungsstürmen sich die Leute hinreißen lassen. Das selbe gilt für die “kollektive” Trauer bei dem Selbstmord von diesem Torwart. Anscheinend ist die Gier der Menschen, Teil irgendeiner Emotionalen Bewegung immer oder wieder seehr groß. Mittlerweile versteh auch was Helmut Schmidt meinte, als er vor kurzem die Deutschen ein leicht verführbares Volk nannte.