Ansichten eines Informatikers

Lebenssteuersatz gegen Akademiker-Progression

Hadmut
12.6.2010 10:04

Eine Argumentation gegen das Steuersatzgerede unserer Politik.

Ich kann’s nicht mehr hören. Das Pauschalgerede der Politiker. So wie sie kürzlich alle dahergeredet haben, das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein (obwohl es längst unter Rechtsvermüllung leidet und der illegale Müllabladeplatz politischer Inkompetenz ist), so reden sie jetzt alle davon, besonders die Linken, daß die Belastung durch Steuern, Sozialabgaben, Krankenkassenbeiträge usw. die „Starken” stärker belasten müsse. Solche Stammtischparolen wie „Starke Schultern können mehr tragen” machen die Runde. Nichts ist Politikern zu dämlich um es zu sagen, und nichts ist vielen Wählern zu dämlich um es zu wählen.

Freilich kann man die Auffassung vertreten, daß jemand, der mehr Einkommen hat, auch mehr zahlen soll. Aber dann muß man auch richtig rechnen. Und das tun viele eben nicht.

Wir kennen alle das Beispiel der kalten Progression. Die Steuersätze steigen mit dem Einkommen, die Steuern müssen also überproportional gezahlt werden. Weil zwar nicht die Realeinkommen steigen (sondern in vielen Berufsgruppen sogar sinken), aufgrund der Inflation aber die rein zahlenmäßigen Einkommen in Euro steigen und die Steuerberechnungsgrenzen seit Jahren nicht angehoben werden, ergibt sich trotz formal unveränderter Steuersätze durch die kalte Progression eine Steuererhöhung. Obwohl die Leute weniger Realeinkommen haben, müssen sie davon einen immer höheren Anteil dem Staat abgeben.

Einen ähnlichen Effekt gibt es für Akademiker. Ich nenne ihn mal die Akademiker-Progression. (Weiß jemand, ob das irgendwo schon mal beschrieben wurde?)

Wer einen einfachen Ausbildungsberuf erlernt, sich vielleicht sogar das Abitur spart und nach der mittleren Reife damit anfängt (also so ungefähr mit 16 in die Ausbildung geht und nach 3 Jahren seinen ersten Berufsabschluß hat), kann durchaus mit 19, 20, 21 schon ganz ordentlich im Beruf stehen. Und das müssen durchaus nicht niedrig bezahlte körperliche Arbeiten sein, da gibt es auch einige gehobene Arbeiten. Geht derjenige mit 65 in Rente, dann hat er 45 Jahre gearbeitet.

Der Abi macht (und vielleicht wie ich noch bei der Bundeswehr war), der fängt mit 20 überhaupt erst einmal an zu studieren. 10-14 Semester sind bei Leuten meiner Altersgruppe nichts ungewöhnliches (ist das heute mit Bachelor/Master noch so?), meist muß man nebenher noch als Billiglöhner was arbeiten, um überhaupt über Wasser zu bleiben. Das heißt, daß man mal so um die 27 ist, bis man sein Diplom oder seinen Master in der Tasche hat. Dann vielleicht noch ein paar Jahre Promotion oder in manchen Berufen erst einmal niedrig oder gar nicht bezahlte Zeiten als Praktikant, Referendar, Hilfsarzt oder irgendsowas. Geld verdienen geht dann eher mal so mit 30 los. Geht der auch mit 65 in Rente, hat er 35 Jahre gearbeitet.

Der Akademiker erzielt zwar dann (meist, auch nicht immer, viele werden inzwischen lausig bezahlt) ein höheres jährliches Gehalt, mußte aber eine viel längere Ausbildung hinnehmen. Gegen die 3 Jahre Berufsausbildung für eine normale Berufsausbildung hat der Akademiker etwa 3 Jahre Abi plus ca. 6-7 Jahre Studium, dazu Anlauftätigkeiten, sagen wir mal 10 Jahre hingelegt und in dieser Zeit meist nichts oder sogar negativ verdient, nämlich wenn er mit Schulden aus dem Studium geht. Der Akademiker muß danach 45/35 mal so viel, also knapp 30 Prozent mehr verdienen, um überhaupt dasselbe Lebenseinkommen zu erreichen. Und das reicht nicht, denn er muß ja gegebenenfalls noch Schulden zurückzahlen. Und es ist zu berücksichtigen, daß sich der Akademiker während des Studiums kein Haus, keine Wohnung bauen/kaufen kann, sondern zur Miete in irgendeinem Loch haust. Diese Jahre gehen ihm bei der Abzahlung eines Eigenheims verloren.

Das heißt, daß der Akademiker gar nicht so viel mehr verdient, wie es nach dem Jahresgehalt laut Lohnsteuerkarte (oder eben beim Freiberufler) aussieht. Wenn es pro Jahr gesehen überhaupt mehr ist. Der Akademiker verdient sein Lebenseinkommen vor allem in kürzerer Zeit, weil er später damit anfängt. Und ob alle Akademiker dann jährlich die 40 bis 50 % mehr als die Nicht-Akademiker verdienen, sei dahingestellt, ich glaub’s nicht.

Womit übrigens noch eine Zinsdifferenz dazukommt, wenn selbst wenn beide über das Leben hinweg gleich viel verdienen bekommt der Nichtakademiker sein Geld früher und kann es anlegen.

Und da liegt das Problem: Damit zahlt der Akademiker für den Teil seines Lebenseinkommens, der dem eines nicht-akademischen Berufes entspricht, wegen der Progression schon einen drastisch höheren Steuersatz. Das Gerede von den stärkeren Schultern stimmt also nicht, das ist eine Milchmädchenrechnung. Durch die überproportionale Besteuerung wird der, der akademisch verdient, steuerlich viel höher belastet, selbst wenn er nicht mehr verdient. Aber ordentlich rechnen will in der Politik ja heute auch keiner mehr.

Fair wäre es, wenn der Akademiker dann, wenn er endlich gut verdient, noch die niedrigen Steuersätze nachholen könnte, die er während seiner Studienzeit mangels Einkommen nicht ausnutzen konnte. Oder anders gesagt: Um mit dem gleichbehandelt zu werden, der stattdessen Busfahrer, Pilot, Schauspieler, Feuerwehrmann, Metzger, Fotograf oder was auch immer geworden ist, müßte ich heute das Recht haben, mein jetziges Gehalt rückwirkend in die Steuerjahre meiner Schuljahre nach der mittleren Reife und das Studium zurücktragen können, den Zinsverlust obendrein.

Ich würde viel weniger Steuern zahlen müssen, wenn ich mein jetziges Einkommen in die Jahre 1983 bis 1994 bzw. 1998 zurückfüllen könnte, als ob ich es damals verdient habe (was ich ja durch die im Abi und im Studium geleistete Arbeit ja im Prinzip auch getan habe).

Oder wieder anders gesagt: Wir bräuchten keinen Jahressteuersatz, sondern einen kumulativen Lebenssteuersatz.

Das könnte dann so aussehen: Ein gewisses Jahresgrundeinkommen, das unbedingt zum Leben gebraucht wird, ist steuerfrei. Und alles was darüber verdient wird, wird über die Lebenszeit aufaddiert und darauf dann ein proportionaler oder progressiver Steuersatz gelegt. Womit ein Akademiker dann, wenn er endlich mal was verdient, erst einmal weniger Steuern zahlt als ein Nicht-Akademiker, bis er mit diesem aufgeschlossen hat.

Es hätte den eigentlich wünschenswerten Nebeneffekt, daß die Leute, die sich in jungen Jahren erst einmal ihr Haus aufbauen müssen, weniger Steuern zahlen, während die Älteren, die inzwischen fett verdienen, mehr Steuern zahlen müssen und sich dann auch überlegen, ob sie früher in Rente gehen und Arbeitsplätze freigeben.

Jedenfalls würde es die Akademiker nicht so drastisch benachteiligen.

5 Kommentare (RSS-Feed)

Christian
12.6.2010 11:14
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Aus Eigennutz würde ich so etwas nicht ablehnen. Allerdings nutzt der Akademiker während seiner Ausbildung auch Bildungseinrichtungen. Sich hier nach dem Studium von den nun Besserverdienenden etwas zurückzuholen ist also nicht grundsätzlich falsch. Besser sollte das den Hochschulen zur Verfügung stehende Geld effektiver verteilt werden und Studiengebühren abgeschafft um Einstiegsbarrieren abzubauen.


Heavy
12.6.2010 12:12
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Dieses Thema taucht immer mal wieder in der Presse auf. Es wird aber von den Kritikern sehr schnell damit abgekanzelt, dass ja der Akademiker vom Staat 5-7 Jahre lang die teure Ausbildung bezahlt bekommt. Die Progression ist also sozusagen der Ersatz für Studiengebühren.

Allerdings besteht die Ungerechtigkeit auch innerhalb der gleichen Berufsgruppe, sogar bei identischem Stundenlohn. Man denke sich einen Angestellten, der acht Jahre lang 35h/Woche arbeitet, und einen anderen, der sieben Jahre 40h/Woche arbeitet und dann ein Jahr lang unbezahlt aussteigt. Beide haben unter dem Strich gleich viele Stunden gearbeitet und das gleiche Bruttoeinkommen erzielt. Beim Netto klafft dagegen eine ziemliche Lücke.


pepe
12.6.2010 14:04
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Die Rechnung geht im anglo-amerikanischen System vielleicht auf, hier bei uns gilt aber immernoch dass das Studium jedem ermoeglicht wird und ggf durch Bafoeg und anderes unterstuetzt wird.

Bei uns ist die akademische Ausbildung immernoch eine Sache(oder sollte eine sein, auch das aendert sich..), die man aus Prinzip macht, nicht wegen des hoeheren Gehalts. Das Studium wird selbst im anglo-system als die besten Jahre des Lebens (gleich nach der Schule) bezeichnet, obwohl man dort sehr viel mehr Geld (=Nebenjobs) investieren muss.

Von daher ist das ueberhaupt nicht zu vergleichen.

Man muss auch sehen wer mit den besserverdienenden ueberhaupt gemeint ist. Wir haben einen historisch niedrigen Einkommensteuerspitzensatz. Damit will man nicht denen an die Waesche, die ihre 4-5000 Euro im Monat verdienen. Die interessieren keinen. Die reichsten 10 Prozent der Deutschen besitzen inzwischen fast zwei Drittel des Volksvermögens. An die muessen wir ran. Was nuetzt es uns denn, die unteren 80% auszuquetschen, die haben gerade mal 20% des Vermoegens.

Ich empfehle Ulrike Herrmann, Hurra wir duerfen zahlen. Nicht das Buch, dazu hat keiner Zeit, sondern die Rezension bei den NachDenkSeiten oder besser noch den podcast vom SR2
http://pcast.sr-online.de/play/fragen/2010-05-24_herrmann230510.mp3


Mephane
14.6.2010 22:00
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“Der Akademiker muß danach 45/35 mal so viel, also knapp 30 Prozent mehr verdienen, um überhaupt dasselbe Lebenseinkommen zu erreichen. Und das reicht nicht, denn er muß ja gegebenenfalls noch Schulden zurückzahlen. Und es ist zu berücksichtigen, daß sich der Akademiker während des Studiums kein Haus, keine Wohnung bauen/kaufen kann, sondern zur Miete in irgendeinem Loch haust. Diese Jahre gehen ihm bei der Abzahlung eines Eigenheims verloren.”

Ich verstehe die Problematik vollkommen.

Aber ich denke du zäumst das Pferd von hinten auf. Ist nicht die Tatsache, dass ein solches Studium mit hohen persönlichen Unkosten, evtl Schulden, u.U. mieser Lebensqualität bei Dauerstress verbunden ist, das eigentliche Problem? Die Kombination steigender Lebenshaltungskosten, Studiengebühren in verschiedensten Formen, Studienspezifischen Unkosten, unbezahlter Praktika etc. bewirkt ja letztlich vor allem eines: Studieren wird mehr und mehr auch zu einer finanziellen Frage. Nicht Fähigkeiten oder Leistung zählen, sondern Geld und Vitamin B. Wie du ja selbst oft genug aufzeigst… 😉

Der normale Akademiker gehört im sog. “Klassenkampf” (so ausgelutscht und oft missbraucht der Begriff auch ist), der ja tatsächlich von oben geführt wird, genauso zu denen “da unten” wie der normale Arbeiter. Am Ende zählt nur, gehört man zur Geld- und Machtelite oder nicht. Und um dazuzugehören, ist irgendein Doktortitel nur schmückendes Beiwerk, bei Bedarf einfach gekauft. Aber gerade die, die sich ihren Abschluss ehrlich erarbeiten, gehören effektiv eigentlich zu den 80% langfristigen Verlierern dieser Gesellschaft.

Dazu kommt, wie pepe schon gesagt hat, dass es bei der Steuerdiskussion nicht um den normalen Akademiker geht, sondern um die oberen 20%, wo sich all das ansammelt, was den restlichen 80% real immer mehr fehlt.


UschaSu
10.8.2010 23:25
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Es ist eigentlich noch viel schlimmer.

Mit aufgesetztem Bedauern sprechen Politiker in den Medien gerne von den ach so ungebildeten Niedriglöhnern, die aufgrund der Globalisierung nun leider, leider keinen besseren Arbeitsplatz mehr bekämen. Da ist natürlich was dran. Zweifellos haben die am schlechtest Ausgebildeten die geringsten Chancen am Arbeitsmarkt – sofern sie die fehlende formale Bildung nicht mit besonderer Pfiffigkeit und Geschäftstüchtigkeit wett machen, vielleicht auch erst im Verlauf des Lebens. Das ist es aber auch.

Pauschal führt die Aussage in die Irre, und zwar immer deutlicher und, ich fürchte, mit System. Schon längst findet man unter Zeitarbeitern nicht nur Ungelernte, sondern vorwiegend Leute mit richtig “guten” Berufen. Im Gegenteil, diese sind bei weitem in der Mehrzahl. Und es sind immer mehr Akademiker dabei. Mir ist sogar ein promovierter Ingenieur in einer boomenden Exportbranche begegnet!

Vor 50 Jahren bedeutete ein Studium praktisch die sichere Eintrittskarte in eine Zukunft mit komfortablem Einkommen, Karrierechancen und interessanten, der Ausbildung adäquaten Aufgaben. Heute ist nichts davon mehr sicher. Oft verdient der Akademiker mal gerade so viel wie der Kollege mit Berufsausbildung, mit Glück ein paar Hunderter brutto mehr. Aber nicht jeder bekommt überhaupt einen passablen Job. Überall unbezahlte Praktika oder solche mit Minivergütung, befristete Arbeitsverträge, an deren Ende alle halbe oder auch zwei Jahre die Arbeitslosigkeit droht (wenn die Befristung faktisch nur eine Formalie wäre, ging’s ja), lausig bezahlte Zeitarbeit, und ab einem bestimmten Alter nur noch Absagen.

Besondere Ironie: auch ein Akademiker, dessen Qualifikation nicht exakt zur Stelle passt, ist gefühlt unterqualifiziert (obwohl de facto fehlqualifiziert). Unterhalb dieser Qualifikations- und Gehaltsstufe muss er sich sagen lassen, er sei überqualifiziert. Wenn er dann aus Not bei einer Zeitarbeitsfirma anheuert, interessieren solche Feinheiten kaum noch. Zeitarbeiter werden, da prinzipiell auf Widerruf, meist für die weniger spezialisierten Aufgaben einer Stellengattung eingesetzt, damit entfällt Bildung als Unterscheidungsmerkmal. Die grundsätzliche Lohndifferenzierung im Tarifvertrag, also höhere Löhne für mehr Qualifikation, entfällt in der Praxis ebenfalls. Wer z.B. “im Büro” arbeitet, wird mit dem entsprechend passenden untersten Tarif bezahlt, gleich ob Berufseinsteiger ein Jahr nach der Lehre, Praktiker mit zwanzig Jahren Erfahrung oder Akademiker. Die Aufgaben sind dementsprechend, oftmals auf Lehrlingsniveau. Die Übernahmechancen sind seit langem nur noch ein Märchen. (Natürlich gibt es Leute, die Glück haben, hinsichtlich Einstufung, Aufgaben oder Übernahme, aber sie werden beständig weniger.)

Ein Studium mag zwar notwendige Bedingung für viele Positionen sein, hinreichend ist es längst nicht mehr. Wer nicht den perfekt passenden Qualifikationsmix (Hard Skills, Soft Skills plus biographische Daten) mitbringt, fällt bei vielen Firmen durch’s Raster. Warum einen Mitarbeiter mühsam einarbeiten, wenn es doch sooo viele Bewerber da draußen gibt. Schließlich arbeiten in Firma X nur die Besten – eine Sache des Prestiges. Im Zweifelsfall sucht man für einen ganz normalen Absolventenjob schon mal über ein Jahr. Die Zwischenzeit wird mit einem ebenfalls bestqualifizierten Zeitarbeiter überbrückt. Der Witz ist, viele Jobs, die heute an Akademiker vergeben werden, waren vor zehn, zwanzig Jahren noch eine Domäne der Lehrberufe – die wiederum durch die damit verbundene Geringschätzung demotiviert und ins Abseits manövriert werden.

Wer nach Studium und mauen Anfangsjahren am Ende des Berufslebens womöglich vorzeitig in Rente entsorgt wird, dessen finanzielle Aufholphase verkürzt sich noch mehr. Betriebswirtschaftlich rechnet sich da gar nichts mehr. Wer gar das Pech hat, in mittleren bis reiferen Jahren in HartzIV zu fallen, hat ohnehin fast alles aufgebraucht.

Als Motivation, zu studieren, bleiben, neben der intrinsischen wie Neugier oder dem Interesse an einem bestimmten Beruf, das immer noch hohe gesellschaftliche Ansehen des Akademikers und die vage Hoffnung, zumindest langfristig dadurch mehr Chancen zu haben. Immerhin könnten sich die Zeiten irgendwann ändern …