Bundestag und Internet-Enquete mauern – und verschaukeln die Bürger
Ich hatte es kritisiert, daß in der Internet-Enquete-Kommission des Bundestags Leute – insbesondere „padeluun” – als „Sachverständige” auftreten, deren Klarname und Befähigung nicht erkennbar sind. Und deshalb nach dem Informationsfreiheitsgesetz 18 Fragen gestellt. Heute kam die Antwort des Deutschen Bundestags auf meine Anfrage.
Als ich das Schreiben aus dem Briefkasten nahm, war mir schon klar, worauf es hinausläuft. Der Brief war viel zu dünn und kam vom „Referat Geheimschutz ZR4”. Sie lehnen das Auskunftsbegehren pauschal ab (Scan des Schreibens):
Ihrem Auskunftsbegehren kann leider nicht entsprochen werden, da dieses nicht vom Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erfasst ist.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 IFG findet dieses Gesetz auf den Deutschen Bundestag nur Anwendung, soweit er öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnimmt. Der spezifische Bereich der Wahrnehmung parlamentarischer Angelegenheiten bleibt hiervon aber ausgenommen. Hierzu gehört nach der Gesetzesbegründung (vgl. Bundestagsdrucksache 15/4493, S. 8) die Gesetzgebung, die Tätigkeit der Ausschüsse und die Kontrolle der Bundesregierung durch das Parlament. Die Arbeit der Ausschüsse dient gerade der Vorbereitung der Verhandlungen des Detuschen Bundestages (§§ 54 ff der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages) und damit der (künftigen) Gesetzgebung. Dies trifft auch für die Arbeit der Enquetekommission zu.
Der Bundestag handelt lediglich dann verwaltungsrechtlich, wenn ihm einfach-gesetzliche Aufgaben zugewiesen sind, die er nicht als Verfassungs- sondern als Verwaltungsorgan wahrzunehmen hat (vgl. Rossi, IFG, § 1, Rn. 60; Jastrow/Schlatmann, IFG, S. 40, Rn. 30). Nur bezüglich solcher Informationen über die er im Rahmen seiner Verwaltungstätigkeit verfügt, ist er auskunftspflichtig.
Ich will das nun mal beleuchten.
Denkfehler – Geheimniskrämerei
Sie schreiben:
„Ihrem Auskunftsbegehren kann leider nicht entsprochen werden, da dieses nicht om Informationsfreiheitsgesetz erfasst ist.
Sie meinen aber:
„Ihrem Auskunftsbegehren muß glücklicherweise nicht entsprochen werden …
Das Informationsfreiheitsgesetz ist aber nicht der alleinige Informationszugang. Die tun gerade so, als müßten sie alles geheimhalten, könnten sie nicht beantworten, was nicht vom Informationsfreiheitsgesetz erfasst wird. Dabei heißt das nur, daß der Bürger dann keinen einklagbaren Anspruch aus dem IFG herleiten kann. Daß man es nicht beantworten könnte, heißt es nicht. Im Gegenteil könnte der Bundestag ohne weiteres und ohne Probleme diese Fragen eines Bürgers beantworten, beispielsweise einfach so, aus demokratischem Willen, aus Transparenz. Die könnten schon, die wollen bloß nicht.
Dazu sollte man sich auch vor Augen führen, daß im Einsetzungsbeschluß für diese Enquete-Kommission (BT-DS 17/950) auf Seite 4 unter III. heißt:
„Die Enquete-Kommission bezieht die Öffentlichkeit in besonderem Maße in ihre Arbeit mit ein. Über die Arbeit der Kommission wird regelmäßig und so transparent wie möglich auf der Internetseite des Deutschen Bundestages informiert.”
So sieht also „so transparent wie möglich” nach Lesart unserer Politik aus. Daran halten sie sich nicht, und an die Vorgabe, daß die Kommission aus Abgeordneten und „Sachverständigen” bestehen sollte, halten sie sich auch nicht. Diese Enquete hat noch nicht einmal richtig angefangen und ist schon als Bürgerverarsche entlarvt. An dieser Kommission stimmt gar nichts, reine Augenwischerei und Ablenkungsmanöver für’s dumme Volk.
Die haben sich mit einigen Fehlentscheidungen – Kinderpornosperre, Vorratsdatenspeicherung, De-Mail – heftig die Finger verbrannt und ordentlich öffentliche Haue bezogen. Und die verschiedenen Lobbygruppen wie die Urhebervertreter dreschen auch unentwegt auf die Politik ein. Also hat man einen „Blitzableiter” gebaut, an denen sich die verschiedenen Interessengruppen abrubbeln können und Ruhe geben. Deshalb packt man da auch Leute wie Alvar Freude und padeluun rein. Wer mitmischt wiegelt schon nicht mehr so einfach Volk auf, denkt man sich wohl.
Wäre diese Kommission seriös und ernsthaft – welchen Grund sollten sie haben, diese Fragen nicht zubeantworten? Die bräuchten sich gar nicht aufs Informationsfreiheitsgesetz zu beziehen, die könnten einfach so eine gestellte Frage beantworten.
Daß es aber nicht tun, zeigt, welchen Stellenwert diese Politiker dem Bürger entgegenbringen. Um ein solches Versteck- und Vernebelungsspiel zu treiben bedarfs es schon einiger Bürger- und Wählerverachtung. Die sind mehr als überheblich. Die sind sich selbst genug. Der Souverän stört nur. Der Bundestag pfeift auf die Wähler und deren Anspruch, sich eine politische Meinung zu bilden.
Leute, fühlt Euch mal wie Dreck behandelt. Die Politik stellt hier eindeutig klar, daß es das Volk nichts angeht, wie im Bundestag Meinungen und Entscheidungen zustandekommen. Das Volk hat das Ergebnis zu akzeptieren und fertig. Erinnert Ihr Euch noch, wie die Kanzlerin Merkel kürzlich über das Internet gesagt hat, daß es das Regieren schwierig macht? Weil es nicht mehr nur die von der Politik unterwanderten Presse- und Rundfunkredaktionen gibt, sondern plötzlich unkontrollierte Privatleute Fragen stellen und die Antworten darauf publizieren können. Das Volk soll dumm gehalten werden, sich die Show angucken und mit dem zufrieden sein, was man da auf den Enquete-Webseiten präsentiert, hinterher die Ergebnisse fressen und sich darüber freuen, als Volk beteiligt gewesen zu sein. Der „18. Sachverständige”.
Leute, wir werden hier gerade sowas von verarscht, das könnt Ihr Euch nicht vorstellen.
Entwertung von Sachkunde
Die haben sich im Bundestag mit ihrer Schlabber- und Vetternwirtschaft selbst in eine Zwickmühle gebracht. Was hätten sie beispielsweise auf die Frage, was der Bundestag unter einem Sachverständigen versteht, antworten können?
- Hätten sie greifbare Anforderungen genannt, wäre meine nächste Frage gewesen, welche dieser 17 „Sachverständigen” (und anderer Enquete-Kommissionen) diese erfüllen. Das würde sehr schwierig werden, denn wie will jemand wie padeluun, der als Ex-Punker, Künstler und Super-8-Filmer auftritt, vernünftige Anforderungen an Sachverständige erfüllen? Da laufen noch mehr Leute rum, die solche Anforderungen nicht erfüllen.
Was wäre dann die Konsequenz gewesen? Die Enquete auflösen? Eingeladene Leute wieder ausladen und sich öffentlich blamieren? Darauf verzichten, in zukünftigen Enquetes die gut zahlenden Lobbyisten drin zu haben?
- Oder hätten sie die Anforderungen so niedrig formulieren sollen, daß selbst ein Ex-Punker, Künstler, Super-8-Filmer als Sachverständiger durchgeht? Damit hätten sie sich ultimativ und dauerhaft lächerlich gemacht und festgelegt. Bei jeder Aussage, bei jeder neuen Kinderpornosperre müßten sie fürchten, daß man sich wegen der Niveaulosigkeit der Sachverständigen über den Bundestag lustig macht.
- Oder sollte man am Ende noch zugeben, daß „Sachverständiger” (und damit letztlich auch „Sachverstand”) im Bundestag eigentlich gar nichts bedeutet, daß das eigentlich jeder sein kann, und man das nur schreibt, weil es sich besser und seriöser liest? Explizit zugeben, daß die ganze Politik nur Schwindel und Augenwischerei, nur Hantieren mit Buzzwords ist? Geht auch nicht.
Denen bleibt gar nichts anderes übrig als sich um die Antwort zu drücken. In der Situation, in die die sich gebracht haben, wäre jede Antwort eine gefährliche Antwort.
Trotzdem sollte man sich bewußt machen, wie dieser Bundestag mit „Sachverstand” umgeht. Sie ignorieren ihn, sie entwerten ihn, sie machen ihn zur Karrikatur. Diese Enquete, diese Politik, dieser Bundestag sind eine einzige Verhöhnung, eine einzige Mißachtung, eine einzige Beleidigung jedes Menschen, der Jahre oder gar Jahrzehnte seines Lebens investiert hat, um einen Beruf zu erlernen, sich Sachkunde anzueignen, Berufserfahrung zu sammeln.
Schaut Euch an, was die meisten der Politiker von Beruf sind. Und trotzdem wechseln sie wie nichts vom Wirtschafts- zum Innen- oder auch Verteidigungs-, vom Familien- zum Gesundheits- oder doch eher zum Arbeitsminister. Die Theologie macht Politiker, eine Physikerin wird Bundeskanzlerin, und so weiter und so weiter. Die Leute haben keinen Bezug zu Sachkunde, die machen in oberflächlichem Gerede. Daher kommt auch die Affinität zu ebensolchen „Sachverständigen”. Es geht nicht um Sachkunde. Es geht um einen Marktplatz von Meinungen und Namen.
Informationsfreiheitsgesetz
Ob das überhaupt juristisch richtig ist, was die da schreiben, da habe ich auf den ersten Blick Zweifel. Sie berufen sich auf § 1 Abs. 1 Satz 2 IFG
Für sonstige Bundesorgane und -einrichtungen gilt dieses Gesetz, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen.
und auf die Gesetzesbegründung (BT-DS 15/4493, S. 8 )
Satz 2 stellt klar, dass auch Bundestag, Bundesrat, Bundesverfassungsgericht, Bundesgerichte und Bundesbank einbezogen werden, soweit dort öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrgenommen werden. Dabei sind Behörden und Einrichtungen, die nur teilweise öffentlich-rechtlich tätig werden, nur insoweit zum Informationszugang verpflichtet. […]
Nach § 1 Abs. 1 soll nur der spezifische Bereich der Wahrnehmung parlamentarischer Angelegenheiten (insbesondere Gesetzgebung, Kontrolle der Bundesregierung, Wahlprüfung, Wahrung der Rechte des Bundestages und seiner Mitglieder – z. B. in Immunitätsangelegenheiten, bei Petitionen und bei Eingaben an den Wehrbeauftragten – parlamentarische Kontakte zu in- und ausländischen sowie supranationalen Stellen), der Rechtsprechung und sonstiger unabhängiger Tätigkeiten vom Informationszugang ausgenommen bleiben.
Nur so klar, wie die behaupten, stellt dieser Satz 2 das nämlich nicht. Ein zu einer Enquete-Kommission geladener Sachverständiger wird nicht Mitglied des Parlaments. Und Gegenstand der Gesetzgebung ist – oder wird – vielleicht, was der Sachverständige sagt, aber nicht wie er heißt. Eine ganz allgemeine Frage, was der Bundestag eigentlich meint, wenn er beschließt, Sachverständige zu berufen, ist keine gesetzgeberische Einzelheit.
Und wie ein Sachverständiger heißt und wieviel das gekostet hat, ist ganz eindeutig eine Verwaltungstätigkeit.
Man sollte mal einen Blick in dieses Urteil werfen (VG Berlin 2 A 102.06). Darin wurde der Bundestag verpflichtet, auf einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu antworten. Ein Reporter der BILD-Zeitung hatte angefragt, wie mit den Bonuspunkten aus dem Miles & More-Programm der Lufthansa für Mandats-Dienstreisen verfahren wird. Das wollten sie auch nicht sagen, mußten es dann aber in dem Umfang, in dem sie diese Informationen tatsächlich auch haben. Und weil die Erstattung von Fahrkosten eine Verwaltungstätigkeit ist, mußte der Bundestag Auskunft geben.
Wenn aber die Erstattung der Abgeordneten-Spesen eine auskunftspflichtige Verwaltungstätigkeit ist, warum sollte dann für die Kosten für Sachverständige, nach denen ich gefragt hatte, etwas anderes gelten?
Warum sollte es keine Verwaltungstätigkeit sein zu erfassen, wer Sachverständiger ist? An Gerichten gelten die Abrechnung usw. von Sachverständigen auch als Verwaltungstätigkeit.
Und auch die Frage, wer als Sachverständiger die nötige, objektive Qualifikation mitbringt, ist keine gesetzgeberische, sondern eine öffentlich-rechtliche Frage.
Ich werde jetzt zunächst mal eine Meinung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit einholen. Und dann voraussichtlich Widerspruch beim Bundestagspräsidenten einlegen.
Wer noch Ideen oder juristische Hinweise usw. hat – werden gerne genommen, als Kommentar oder E-Mail.
3 Kommentare (RSS-Feed)
Ich hab jetzt erst einmal einen Monat Zeit mir Gedanken zu machen. Bis dahin wird sich sicherlich noch was ergeben.
Wenn Du eine Partei, oder einen inzwischen parteilosen Abgeordneten weisst, der das ähnlich sehen könnte wie Du – vielleicht einfach, weil er nur die gleichen Leuten angreifen will, dann könntest Du den bitten das zu seiner Angelegenheit zu machen, als kl. Anfrage oder sowas.
“Ich werde jetzt zunächst mal eine Meinung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit einholen. Und dann voraussichtlich Widerspruch beim Bundestagspräsidenten einlegen.”
“und dann”? Ob das wohl zeitlich passt?