Ansichten eines Informatikers

Auf dem Weg in den Moral-Zensur-Staat – die „entartete Kunst” ist wieder da

Hadmut
31.7.2010 14:07

Der Weg führt über die Deintellektualisierung (vulgo: Verblödung) der Politik. Oder: Warum Cartoon-Figuren aus politisch-juristischen Gründen künftig große Brüste haben müssen.

Auf zwei Links bin ich heute morgen via Law Blog aufmerksam geworden.

In Schweden hat man nun jemanden wegen des Besitzes von Mangas verurteilt – wegen Kinderpornographie. Der vorgebliche Schutz des Kindes spielt da überhaupt keine Rolle mehr, es gibt keinen Täter, kein Opfer, keinen erkennbaren Zusammenhang. Braucht es auch nicht mehr, denn laut TAZ ist die Begründung nun ganz allgemein gefaßt:

Der schwedische Gesetzgeber wollte demzufolge nicht nur das konkret abgebildete Kind, sondern Kinder generell schützen. Und solche Comic-Zeichnungen kränken Kinder „auf einem generellen Niveau“, so die Urteilsbegründung.

Das heißt, es geht gar nicht mehr darum, Kinder vor einem irgendwie erkennbaren Mißbrauch oder einer Entwicklungsgefährdung zu schützen. Es geht darum, sie nicht zu „kränken”.

Was kommt als nächstes? Dürfen wir dann auch über Pfarrer, Politiker, Polizei nicht mehr kritisch berichten, weil sie das „kränken” würde? (Und dann noch die dämliche Begründung, daß man es malen oder zeichnen, nur eben nicht verbreiten dürfe?)

Irgendwie habe ich immer stärker den Eindruck, als ginge es bei der ganzen Zensurdebatte nur darum, das dezentrale Internet mit seinen staatlich nicht kontrollierten Inhalten wieder zurück zu einer zentral gelenkten Meinungsmache zu bringen. Unsere eigene Kanzlerin Merkel hat ja kürzlich noch beklagt, daß das Internet das Regieren schwierig mache. Das ist natürlich klar, wenn man wie die CDU massiven Einfluß auf das und im ZDF ausübt, wenn ein Regierungssprecher Intendant beim bayerischen Rundfunk wird und dafür ZDF-Nachrichtensprecher Steffen Seibert Regierungssprecher wird. Natürlich wird das Regieren einfacher wenn man selbst die Berichterstattung darüber lenken kann. Nur ist das eben seit dem Aufkommen des Internet nicht mehr der Fall. Und mit unabhängigem Nachfragen hat diese unsere Regierung (und die schwedische vermutlich auch) ein massives Problem.

Was aber steckt dahinter? In der CDU werden die moralkonservativen Kreise immer stärker und einflußreicher, und das könnte auch in Schweden der Fall sein. Ein heimliches Erstarken erzkatholischer Strömungen? Schon beim Gedanken kommt mir das Gruseln.

Eine andere mögliche Ursache ist diese neue Denkweise, daß man sich nicht mehr kritisieren lassen müßte. Jedes kritische Wort steht heute in der Gefahr, abgemahnt zu werden. Es wird heute als selbstverständlich angesehen, daß man mit Anwälten, Agenturen und Beziehungen sein Bild in der Öffentlichkeit formt, indem man eigene Darstellungen lanciert und seinen Wikipedia-Eintrag professionell frisieren und pflegen läßt, und alles niedermäht, was da nicht reinpaßt. Wie war die Begründung für das Manga-Verbot? Sie würden Kinder auf einem generellen Niveau kränken. Mit der Begründung kann man jede Form von Kritik unterdrücken. Und genau das ist wohl das Ziel, mit der Kinderpornographie als immer entfernteren Vorwand. Inzwischen sind wir beim generellen Niveau angekommen. Und da das der Denkweise der EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström entspricht, dürfte uns das bald EU-weit blühen. Und weil dieser mein Blog-Eintrag sie vermutlich auf einem generellen Niveau kränken dürfte, komme ich wohl auch bald in den Knast.

Der Deutsche Journalisten-Verband rügt übrigens, daß die Pop-Gruppe „Silbermond” nach den ersten drei Stücken die Fotoausrüstung abnimmt. Das dürfte auch damit zusammenhängen, daß die ihr Bild in der Öffentlichkeit formen und vermutlich auch nur noch ihre eigenen Fotografen dranlassen wollen, Vermarktung und so. Nun liegt die Sache da etwas anders, als oben angesprochen. Wer ein Konzert gibt, hat damit im Prinzip zunächst mal eine Privatveranstaltung und das Hausrecht, und weil es sich um Personen und geschlossene Räume handelt, auch das Urheber- und Verbreitungsrecht. Solange das nicht von überragendem öffentlichem Interesse (wie beispielsweise der Unglücksfall Love Parade) ist (und was wäre an einem Silbermond-Konzert schon überhaupt erwähnenswert oder von irgendwelchem öffentlichem Interesse?) ist das wirklich deren Angelegenheit, das können sie tun. Aber man muß es nicht gutfinden. Man kann dieser Formung der Berichterstattung auch sehr kritisch gegenüberstehen, insbesondere da Prominente, Musikgruppen usw. ja ganz wesentlich von der Berichterstattung abhängig sind und diese haben wollen (was wären Lothar Mathäus oder Boris Becker, die ja nun beide außer reich gar nichts mehr sind, tun und können, wenn die Presse nicht andauernd über jede noch so flache Belanglosigkeit berichten würde?). Insofern müßte man sich meines Erachtens dann auch mal entscheiden – entweder will man in der öffentlichen Presse sein, muß dann aber hinnehmen, daß die berichten wie sie es für richtig halten, oder man wirft sie raus und verzichtet dann auf sie. Insofern finde ich den Standpunkt des DJV genau richtig: Einfach gar nicht mehr über die Konzerte berichten, denn darin liegt ja keine Information der Öffentlichkeit, sondern eine Gefälligkeit gegenüber Silbermond, für die sie keine Gegenleistung bringen. Jedenfalls muß man endlich mal weg von dieser vorgeformten, PR-Abteilungs-dirigierten Presse.

Das Schweden-Manga-Beispiel mit der Kränkung zeigt schon sehr gut, worauf es hinausläuft (sofern die TAZ das richtig dargestellt hat, was ich denen auch nicht so richtig glaube, zumal sich alle deutschsprachigen Seiten dazu auf die TAZ beziehen, die also zum single point of failure geworden sein kann. Allerdings berichtet eine englischsprachige schwedische Zeitung ähnliches, nur für diese Kränkungssache habe ich noch keine Beleg außerhalb TAZ gefunden). Etwas mehr zu dem Fall findet man per Google, man kommt da auf eine – zugegebenermaßen dubiose – Manga-Webseite mit einem Artikel darüber. Hintergrund des Streites war wohl eine Scheidung mit Streit um das Kind, wobei die Mutter angeblich den Vater fälschlich des Kindesmißbrauchs beschuldigt hatte und sie dann bei ihm – einem bekannten Manga-Übersetzer – Mangas gefunden haben, nachdem sie einfach mal so ins Blaue eine Hausdurchsuchung vorgenommen haben. Und da findet man dann auch die Empfehlung, daß Comic-Figuren jetzt einfach alle große Brüste haben müssen, damit sie nicht als Kinderporno ausgelegt werden können.

Wenn aber selbst einfachste Strichzeichnungen wie Mangas jemanden schon ins Gefängnis bringen können (mit allen Konsequenzen für die Existenz), dann halte ich das für überaus gefährlich. Wenn man sich künftig schon in einem einfachen, gewöhnlichen Comic-Laden fürchten muß, sich selbst zu ruinieren. Mir kommt es so vor, als wäre es genau das Ziel, nämlich so eine unterschwellige Angst vor jeder nicht-offiziellen, staatlich abgesegneten Informationsquelle Angst zu schüren.

Ganz, ganz böse.

8 Kommentare (RSS-Feed)

Johannes
31.7.2010 15:34
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>Mir kommt es so vor, als wäre es genau das Ziel, nämlich so eine unterschwellige Angst
>vor jeder nicht-offiziellen, staatlich abgesegneten >Informationsquelle Angst zu schüren.

Genau das empfinde ich immer wieder.

Da wird vor dem “so vor Fehlinformationen strotzenden” Wikipedia gewarnt, davor nicht so einfach nach Krankheitssymptomen zu googeln usw.

Davon, dass vor Lesen der Süddeutschen oder dem Konsum des ZDF (nur um auch mal 2 explizit zu benennen) das Gehirn einzuschalten ist hört man wenig.

Dabei kann einen ein unbedarftes Nachschlagen im Gesundheitsratgeber leichter in die Bredouille bringen als das Durchlesen von 3-4 Webseitenlinks. Sobald sich 1 und 2 widersprechen 3 was ganz unsinniges erzählt und 4 eher so zu 2 tendiert 1 aber nicht ausschließt, weiß man das es so einfach nicht ist.


Jim
31.7.2010 19:48
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Es gibt / gab ähnliche Kriminalisierungsbestrebungen in Deutschland
http://oraclesyndicate.twoday.net/stories/4146485/
http://oraclesyndicate.twoday.net/stories/4226762/


yasar
31.7.2010 20:46
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Einfach große Brüste zeichnen wird bei der Entwicklung aber auch nicht lange gutgehen. Dann werden die Enkelinnen von Alice Schwarzer und die katholische CDU-Fraktion zusammentun und wegen diffamierung der Frau und Reduzierung auf Ihre Brüste alles mögliche verbieten.


Hadmut
31.7.2010 20:47
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Hmm. Hängetitten?


rjb
1.8.2010 3:35
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Hängetitten könnten traumatisierend wirken.
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen/disziplinarverfahren-gegen-lehrerin-ein-paar-unbedachte-sekunden-1.960897
“Eine Lehrerin zieht vor ihren Schülerinnen den Pulli aus und für einen Moment ist der BH zu sehen – das löst eine Lawine aus. Gegen die Lehrerin läuft jetzt ein Disziplinarverfahren.”


Hadmut
1.8.2010 10:17
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Jetzt hab ich’s: Comicfiguren nur noch mit tätowierten und gepiercten Brüsten. Das ist in Deutschland erst ab 18 erlaubt, womit die Comicfigur zwangsläufig volljährig sein muß. Na, ist das nichts?


nullplan
1.8.2010 10:34
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Viel deutlicher können die Behörden doch nicht mehr sagen, dass KiPo nur der Vorwand für Zensur ist, oder? Sieht man an der ganzen Veranlagung (u.A. wollten sie doch Server blacklisten, die Blacklist aber nicht veröffentlichen, etc. pp.)

Und seit Alice Schwarzer Werbung für Bild macht, sollte ihre Glaubwürdigkeit so um 0 liegen.

Aber die Idee ist gut, schreib doch mal an die Schweden, warum sie Mangas für entartete Kunst erachten. Vielleicht wachen sie auf… naja, man wird ja wohl hoffen dürfen.


Hadmut
1.8.2010 10:47
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Die Schweden haben genug eigene und kompetente Kritiker, die noch dazu in der Lage sind, das Urteil in der Originalsprache zu lesen. Da brauchen die mich nicht. Ich bin mit den Zuständen in Deutschland schon mehr als ausgelastet.