Ansichten eines Informatikers

Spinnen die jetzt alle?

Hadmut
20.8.2010 0:22

Rinderwahnsinn ist gar nichts gegen die deutsche Google-Street-View-Hysterie. Noch ein paar Anmerkungen zur kollektiven Verblödung der Deutschen.

Vor ein paar Tagen hatte ich ja schon was über das Street-View-Theater geschrieben. Ich muß aber nachlegen. Es ist alles so blöd und traurig, so unfassbar beknackt. Und zeigt sehr schön, daß in Deutschland zwei Dinge gar nichts taugen und nicht auszuhalten sind: Von Politikern regiert zu werden und basisdemokratisch vom Volk regiert zu werden.

  • Im BILDblog hat Stefan Niggemeier eine schöne Aufstellung erstellt, was für Dummes Zeug da über Street View geschäumt wird. Lesenswert! Besonders gut erscheint mir der Vorschlag, doch statt der dusseligen Meinungsumfragen endlich mal eine Wissensumfrage zu machen. Damit man mal sieht, worauf die Deutschen ihre Meinung eigentlich so stützten. Das Ergebnis wäre sicherlich katastrophal.

    Es ist verblüffend wieviele Leute über StreetView wettern und nicht einmal verstanden haben, daß die nur einmal ein Bild machen und keine dauerhafte Überwachung. Die glauben jetzt alle, die werden dauerhaft beobachtet, daß da die Kinderschänder den Kindern beim Spielen zugucken. Und ein Polizeigewerkschaftsmensch überlegte, ob man im Gegenzug nicht virtuelle Streifenfahrten mit StreetView unternehmen könnte. Jau, jeden Tag Streife fahren und sich jeden Tag die Bilder angucken. Wollen wir hoffen, daß die Feuerwehr schlauer ist und nicht jeden Tag mit Blaulicht ankommt, wenn Google irgendwo ein Feuer fotografiert hat.

  • Ein paar gute Punkte zum Thema gibt es bei Meedia.
  • Jeanette Biedermann (auch bekannt als Fachfrau für Kommunikationstechnologie) verkündet in der BILD (dem deutschen Fachblatt für Kommunikationstechnologie)

    „Ich werde mein Haus schwärzen lassen. Ich glaube nicht, dass die Verantwortlichen von ,Street View‘ glücklich wären, dass man ihnen beim Nacktbaden im Garten zuschaut.”

    Das ist noch dämlicher als die, die sich fotografieren ließen weil sie sich nicht fotografieren lassen wollten. Klare Sache das: Wenn man nicht möchte, daß einem irgendwer beim Nacktbaden zuguckt, daß man also so ganz privat und unbeobachtet ist, dann schreibt man das in die BILD-Zeitung, damit’s auch jeder weiß, daß man ein schönes Haus mit Garten hat, bei dem man im Freien nackt badet, und zwar so, daß Google das sehen würde.

    Und überhaupt: Warum soll es dagegen helfen beim Nacktbaden beobachtet zu werden, wenn das Haus geschwärzt wird? Sollte Jeanette nicht lieber sich selbst schwärzen lassen? Die sah mal ziemlich hübsch aus, aber das ist lange her. Wer schon in der BILD davon schwafeln muß, daß er sich nicht beim Nacktbaden im Haus beobachten lassen möchte (fehlt eigentlich nur noch eine Liste der festen Termine) muß es inzwischen ziemlich nötig haben, daß noch jemand guckt.

    Das erinnert mich an den Spruch, daß es das Schlimmste an der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz sei, wenn man dabei übergangen wird. Stell Dir vor es ist StreetView, Du redest vom Nacktbaden und trotzdem guckt keiner.

    Da lob ich mir unsere Bundes-Lena (immerhin auch mehr als 10 Jahre jünger und frischer): Die kann wenigstens im selben meinungsmaßgeblichen Wissenschaftsjournal für Informationsrecht und Kommunikationstechnologie ausgiebig über die Größe ihrer Brüste reden, ohne dabei ein einziges mal Google zu erwähnen, und dabei ist sie noch nicht einmal blond. Merke: Frische Titten brauchen kein Street-View-Gezeter um noch ein Thema zu sein. (Was besseres als das scheint ihr aber auch gerade nicht mehr einzufallen.)

  • Ich hatte ja kürzlich hier im Blog auch schon überlegt, ob man nicht einfach mal die Häuser der Politiker kraft Panoramafreiheit fotografieren und ins Netz stellen soll, damit das blöde Gerede endlich ein Ende hat. Da ist schon jemand anderes auf die Idee gekommen.

    Was immer noch die Frage aufwirft, wie man eigentlich ein Haus so schwärzt oder verpixelt, daß es nicht nur bei Street View sondern auf allen Bildern so erscheint. Ich greife die schon angesprochene Lösung wieder auf und schlage vor, daß wir alle Häuser mit einer Fassade mit Grob-Pixel-Muster versehen, alle Konturen aus Quadraten bauen und – wie ein Kommentator vorschlug – noch ein ganz großes Mauszeiger-Symbol aufs Haus pappen. Dann sieht jedes Foto so verpixelt aus. Die Alternative wäre, es wie die Engländer oder die Amerikaner zu machen, nämlich ganze Straßenzüge und Stadtviertel aus den immer gleichen Häusern zu bauen. Deshalb stört die das dann nicht so, sieht ja alles gleich aus.

  • Richtig dämlich – oder demagogisch – wird es, wenn der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus Voussem in Euskirchen fordert, „Privates soll privat bleiben”. Die Straße ist aber nicht privat, die ist öffentlicher Raum. Und deshalb gibt es die Panoramafreiheit. Aber seit wann interessiert es CDU-Politiker, ob das auch stimmt, womit sie das Volk aufwiegeln?

    Es ist aber kein CDU-spezifisches Problem, der rheinland-pfälzische SPD-Innenminister Karl Peter Bruch ist auch nicht schlauer und hat der Bundesregierung vorgeworfen, sie habe lange gezögert und kein Konzept vorgelegt, um Bürger vor unbefugten filmischen und fotografischen Aufnahmen zu schützen, obwohl die Problematik im Zusammenhang mit Online-Kartendiensten bereits seit 2008 bekannt sei. Nur: Wenn’s kein Gesetz dagegen gibt (und das macht er ja zum Vorwurf), dann ist es auch nicht verboten, und dann ist es auch nicht unbefugt. Die Panoramafreiheit ist eine Befugnis.

    Es steht zu befürchten, daß solche Politiker unsere Freiheiten viel, viel mehr verletzen als es Google je könnte. Nämlich daß der Privat-Raum jetzt auf die Straße ausgedeht und die Unterlassungs-Klage-Republik noch weiter ausgebaut wird. Man wird bald nicht mehr fotografieren können und dürfen. Denn wenn Google es nicht mehr darf, werden wir es auch nicht mehr dürfen.

  • Ein schöner Artikel über diese Borniertheit und die Schrebergärtner-Mentalität war auch in der Süddeutschen zu lesen.

Ich hab heute schon mit Kollegen gewitzelt, daß man ja eigentlich mal im Elektronikladen ein paar billige Kameraattrappen kaufen könnte (so doof, wie dieser Streit geführt wird, müßte eigentlich auch Stück Alu-Rohr aus dem Baumarkt genügen), „Google Street-View”-Aufkleber draufpappen, die Dinger an irgendwelche Straßenlaternen kleben und mit der Stoppuhr warten, wann das Medienentsetzen darüber hereinbricht und Politiker Maßnahmen gegen Straßenlaternen fordern. Und wann der erste Betrugsfall passiert, der auf dem Irrglauben beruht, daß man in StreetView Leuten live und dauerhaft zugucken könnte, ist auch nur eine Frage der Zeit.

Ich habe manchmal den Eindruck, daß unseren Politikern gar nichts zu blöd oder absurd ist, um als Treibstoff für irgendein künstliches Gezeter zu dienen und den Leuten vorzugaukeln, sie würden deren Interessen vertreten. Man sagt ja, jedes Volk habe die Regierung, die es verdient habe. Wer diese „Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein!”-Politiker noch nicht ersäuft abgewählt hat, der verdient’s auch nicht besser.

Was mich an solchen Debatten immer am meisten stört: Die Deutschen tun immer so, als wären sie das Volk der Dichter und Denker. Wieviele hatten wir denn davon? 5, 10, 20? Und alle schon lange tot. Dafür haben wir Millionen aktuell lebender Deutscher, die so einen Mist daherreden ohne zu wissen, wovon sie reden. Aber ein Volk der Schwätzer, der Bornierten, der Ungebildeten und Technikfeindlichen, der wetternden Vorgartenstrategen und der Morgens-Liege-mit-Handtuch-Reservierer, das wollen wir trotzdem nicht sein. Sind wir aber. Und dann kommt zu allem Überfluß noch die Enquete-Kommission des Bundestages daher, und fragt blöd, wie man die Medienkompetenz steigern könnte.

Alles so schlimm. Ich mag nicht mehr.

10 Kommentare (RSS-Feed)

Christian
20.8.2010 3:45
Kommentarlink

Sehr schöne Zusammenfassung. Ich finde es auch unfassbar, wie wenig die Leute verstehen, dass es keine Live-Bilder sind.

Was Lena angeht: Die hat die Bildzeitung von Anfang an boykottiert (wie Stefan Raab). Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass dieser Artikel (wie die anderen zuvor) ohne ihre Mitwirkung entstanden ist. Die Bildzeitung war in der Vergangenheit recht kreativ beim Erfinden von Lena-News.


Stefan W.
20.8.2010 4:33
Kommentarlink

Ich habe wieder eine neue Idee: Das Haus mit Werbung bekleben, dann schluckt es der AdBlocker von Firefox. 🙂

Idee Nr. 2: Statt Kameras aufzustellen einfach mit Leiter und Google-Aufklebern (muß man wohl selbst machen (lassen)) zu existierenden Kamera fahren, und diese dekorieren. So, dass es keine Sachbeschädigung wird.

Idee Nr. 2a: Eigene Kameras auch mit Google-Aufklebern verzieren, und Mobimpressionen sammeln.

Idee Nr. 2b: Touristen, die fotografieren, fragen, ob sie von Google sind? Nein? Also von MS_Bling? 🙂 Mit vorgefertigten Google-Signets per Kletthaftung für andere Leute sichtbar machen.


yasar
20.8.2010 9:07
Kommentarlink

Einfach einen Aufkleber an jede Straßenlaterne mit der Aufschrift “Im Auftrag von google-Streetview”. Mal sehen, wie schnell die Stadtverwaltungen gestürmt werden. 🙂


yersinia
20.8.2010 9:49
Kommentarlink

Abgewandelt dazu passt dann auch:
Jedes Volk bekommt genau die Zeitung, die es verdient! (Das trifft wohl die Engländer am härtesten…)
Aber wo doch zur Zeit alles mögliche abgemahnt/verklagt wird:
Läßt sich eigentlich auch eine Zeitung wegen Volksverdummung/Volksverblödung abmahmen/verklagen? Oder hatte schon jemand die Idee?


Steffen
20.8.2010 11:35
Kommentarlink

Erinnert mich an einen Zwischenfall, der in einem Nachbarörtchen meines beschaulichen Heimatdörfchens im badischen südlich von Karlsruhe passiert ist:

Es war vor ca. 10 Jahren, und es wurde ein Handy-Mast im Dorf aufgestellt. Sofort kochte die Volksseele hoch. Die Betreiber waren so nett, und haben zu einer Informationsveranstaltung eingeladen.

Dort wurden dann schrecklichstes berichtet: Es wurde über rasende Kopfschmerzen, schlaflose Nächte, Müdigkeit, Schlappheit und weiteres furchtbares mehr geklagt. “Das kommt alles von dem Elektro-Smog! Seitdem das Ding da steht!”

Zum Ende der Veranstaltung dann hatten die Betreiber verkündet, daß sie trotzdem vorhaben, den Handy-Mast dann in drei Wochen in Betrieb zu nehmen…


HF
20.8.2010 14:25
Kommentarlink

@yasar: Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr gefällt mir die Idee. Aber nicht “Im Auftrag”, das könnte ein Nachspiel haben. Einfach nur das bunte Google-Logo nehmen, das reicht völlig!


Herbert
20.8.2010 14:28
Kommentarlink

“Und ein Polizeigewerkschaftsmensch überlegte, ob man im Gegenzug nicht virtuelle Streifenfahrten mit StreetView unternehmen könnte.”

Der Mann, der das fordert, scheint nicht so ganz im Bilde zu sein über den unfassbaren Aufwand, den solch eine Sicherheitspolitik mti sich bringen würde. Irgendwer muss die Bilder ja anschauen und auswerten!
Oder aber, es schaut sie keiner an und sie versumpfen einfach irgendwo, dann ists ne teure Spielerei.
Sowas endet dann eher so wie der US-amerikanische Sicherheitsapparat, wo 800000 Leute arbeiten und keiner mehr weiß, was der andere macht. Aber alle haben gepimpte, neuste technische Spielzeuge, die auch keiner bedienen kann. Dafür produzieren sie 5000 Berichte pro Tag, die allerdings inhaltslos sind und die ausserdem kaum jemand liest.


“Und ein Polizeigewerkschaftsmensch überlegte, ob man im Gegenzug nicht virtuelle Streifenfahrten mit StreetView unternehmen könnte.”

Der müßte mal gezwungen werden, da drin 100km Streife zu fahren. Mal sehen, ob er dann grün im Gesicht wird.

DAB >> dümmster anzunehmender Bulle

Komplette Hysterie, aber lenkt ab von den wirklichen Problemen, eine Art Rauschgift.

Carsten

http://ruthe.de/cartoons/strip_0404.jpg


Jens
20.8.2010 21:14
Kommentarlink

“Was Lena angeht: Die hat die Bildzeitung von Anfang an boykottiert (wie Stefan Raab). Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass dieser Artikel (wie die anderen zuvor) ohne ihre Mitwirkung entstanden ist.”

In dem Artikel wird ja nur wiedergegeben, was sie Neon erzählt hat.


quarc
24.8.2010 17:12
Kommentarlink

Das Haus schwärzen? Auch eine Idee
Hör’ mal hier ab Minute 18:49.