Religion bedroht unsere Verfassung
Die Tage wird ja viel darüber berichtet, daß der Islam (oder eher irgendwelche Spinner am extremen Rand) unsere Demokratie und Verfassungsmäßigen Grundordnung bedroht, weil sie nichts außer dem Koran akzeptieren und die Scharia über unsere Rechtsordnung stellen.
Da ist im Prinzip auch was dran. Der Islam hat das Problem der Asymetrie und Doppelmoral. In Algerien steckt man nichtmuslimische Bauarbeiter ins Gefängnis, weil sie während des Ramadan belegte Brote gegessen hatten. Umgekehrt sind viele in westlichen Ländern lebende Muslime nicht bereit, die hiesigen Sitten und Gesetzte in derselben Weise zu respektieren und als für alle maßgeblich anzuerkennen, wie man es in muslimischen Ländern einfordert.
Deshalb gibt die Diskussion um den Islam den Medien gerade trefflich Futter für Berichte über die Bedrohung des Rechtsstaats durch den Islam. Das Schema, was gerade überall verbreitet wird ist, daß Muslime unsere Verfassung nicht respektieren und daher verfassungsfeindlich sind.
Man sollte dabei aber nicht vergessen, daß die katholische Kirche auch nicht besser ist und eine über der Verfassung stehende Unabhängigkeit in Anspruch nimmt (und aus mir unverständlichen Erwägungen heraus auch erhält). Die katholische Kirche ist ein gigantisches Industrieunternehmen, ein Moloch, ein Machtapparat, eine monströse Loge, die faktisch vom Staat unabhängig ist, ein Staat im Staat.
Der europäische Gerichtshof hat die Entlassung eines Chorleiters durch die Katholische Kirche wegen dessen Privatleben als menschenrechtswidrig aufgehoben. Menschenrechtswidrig. Gut, daß denen das mal einer sagt. Schlecht, daß wir in Deutschland nicht selbst dazu in der Lage sind.
Lest dazu auch mal diesen und diesen Artikel in Focus.
Ich habe ja nichts dagegen, wenn jemand an Gott glaubt und gläubig ist. Aber wieso glauben so viele, die an Gott glauben, daß ausgerechnet dieser angeblich allmächtige und barmherzige Gott einen dubiosen Laden wie die katholische Kirche zwischenschalten müßte, um mit den Menschen zu kommunizieren? Warum geht man da hin? Warum unterstützt man sowas? Warum gibt es diesen Popanz noch? Müßte man nicht aus der Grundannahme des Glaubens, daß es einen Gott gäbe, zwangsläufig schlußfolgern, daß es so etwas wie die katholische Kirche in diesem Schöpfungskonzept nicht geben kann und darf, und die in beiden Fällen Scharlatane sind, ob es Gott nun gibt oder nicht?
Kommen wir zurück auf die Eingangsfrage.
Ich halte es für notwendig und unverzichtbar, über die Frage zu diskutieren, in welchem Grad und Umfang Angehörige des islamischen Glaubens unseren Staat, unsere Rechtsordnung, unsere Grund- und Menschenrechte akzeptieren und respektieren. Ich halte es aber für falsch und eine unzulässige Instrumentalisierung, wenn man diese Diskussion nur gegen den Islam führt, wie es gerade in allen Medien zu lesen ist. Man kann nicht einerseits unterstellen, daß die katholische Kirche über bzw. außerhalb des Rechts steht, und das als normal hinnehmen, aus dem gleichen Umstand aber dem Islam selektiv einen Vorwurf machen.
Und man kann einem Islam auch nicht vorwerfen, sich nicht in unsere Sitten und Lebensweisen zu integrieren, wenn es doch gerade hier üblich ist, daß die Kirchen das nicht tun. Wäre man zynisch, könnte man es ja sogar gerade als gelungene Integration ansehen, wenn Muslime genauso auf unsere Grundordnung pfeifen wie die katholische Kirche.
Man muß es dem Islam bzw. den Muslimen vorhalten, kritisieren, bekämpfen, wenn diese unsere Rechtsordnung nicht respektieren. Scharia, Zwangsverheiratungen, Ehrenmorde, Kopftuchzwang usw. geht hier nicht. No go.
Mit derselben Konsequenz und Deutlichkeit muß man aber auch der katholischen Kirche entgegentreten und denen Grenzen aufzeigen. Es kann nicht angehen, daß der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands sich nicht an allgemeines Arbeitsrecht, an Privatspähre, an Datenschutz hält, und es keine Betriebsräte gibt. Da fragt man sich, wieviel unser Staat und unsere Rechtsordnung überhaupt wert sind, wenn es darin so riesige Löcher gibt und erst der europäische Gerichtshof kommen muß, um das Problem anzugehen. In diesem Staate ist doch gewaltig etwas faul.
Die Bedrohung unseres Rechtsstaates heißt nicht Islam. Der ist nur eine Ausprägung davon. Das Problem heißt Kirche bzw. die Strukturen der Glaubensinstitutionen.
Je mehr ich über die Kirche lese, desto mehr drängen sich mir die Parallelen zum Wissenschaftszirkus auf. Der Hochschulbereich ist auch ein Staat im Staat (geworden), der jeder Kontrolle von außen enthoben ist, an dem Gesetze und unsere Grundordnung fast nichts mehr gelten, wo Recht nicht mehr durchsetzbar ist, bei dem man klerikale Strukturen fördert und es den Hierarchien überlest, sich selbst zu kontrollieren und zu regulieren, mit fatalen Auswirkungen. Sogar die Gewaltenteilung hebt man auf.
Die Parallelen gehen weiter: In beiden Institutionen nehmen sich die Hierarchien heraus, im Namen Dritter (Gott/Wissenschaft) willkürlich und monopolistisch festzulegen, was wahr und was falsch sein soll, und betreiben alberne Veranstaltungen (im Ausland sogar in ähnlich albernen Gewändern). In beiden Institutionen pilgert das Volk in kathedralartige Bauten um dem Gerede eines Hierarchieträgers kritiklos zu lauschen. In beiden Institutionen ist man in den unteren Dienstgraden Hungerlöhnen und nahezu einer Versklavung unterworfen, während man in den höheren Dienstgraden faktisch unkündbar ist, selbst übelste Vergehen stets unter den Teppich gekehrt werden, man auf Kosten der Öffentlichkeit üppige und überhöhte Gehälter bezieht, die der Staat zwangsweise einzieht, und man sich mit Würden, Feierveranstaltungen und fiktiven Phantasietiteln überhäuft, um dem einfachen Volk Kompetenz und Exzellenz vorzutäuschen. Das Grundprinzip ist eigentlich das gleiche. Willkür, Inkompetenz, Korruption, Hierarchie, Zirkus.
Es wird Zeit, daß wir üben, Kritik zu äußern.
9 Kommentare (RSS-Feed)
Daß in Großbritannien mehr als 10000 Leute gegen den Papst demonstriert haben, ist doch schonmal was.
Für Europa sehe ich weniger Gefahr als für die USA. Europa ist mit Abstand der säkulärste Kontinent der Welt, und das ist gut so. Der Economist hatte letztens folgende Graphik:
http://www.economist.com/node/16767758?story_id=16767758
Es ist interessant, die Kommentare dazu zu studieren. Die US-Amerikaner waren größtenteils entsetzt (Was? So wenig Leute gehen bei euch in die Kirche?), während bei den europäischen Kommentatoren eher das Gegenteil der Fall war (Ach? So viele gehen noch in die Kirche?). Der Kampf zwischen Irrationalität (Intelligent Design, Young Earth Creationism, “Burn a Koran Day”) und Rationalität findet derzeit hauptsächlich in den USA statt, und wird dort mit härtesten Bandagen geführt.
Zurück zu Europa: Daß der Papst bei seinem Großbritannienbesuch Atheismus mit Nationalsozialismus gleichsetzt (was völliger Humbug ist), zeigt eigentlich, wie sehr denen hier bereits der ‘Arsch auf Grundeis’ geht.
Kritik wird schon lange an den Kirche geäußert; und speziell bei der jüngeren Generation zeigt das Früchte. Spanien zum Beispiel, früher einer der Stützpfeiler der katholischen Kirche, ist inzwischen europaweit mit der Spitzenreiter an der Zahl der jungen Bevölkerung, denen die Kirche völlig hinten vorbeigeht.
Oder als letztens der Salzburger Bischof sich mit geschmacklosen Kommentaren zur Loveparade-Katastrophe äußerte, hat er damit einen Sturm an Entrüstung hervorgerufen.
Die Abstimmung mit den Füßen ist in Europa schon lange im Gange. Das bringt aber mit sich, daß sich abgekapselte Parallelgemeinschaften bilden, die aus Trotz dann extra radikal werden. Und das ist meiner Meinung nach die eigentliche Gefahr, und nicht daß die Kirche (die definitiv ein reaktionärer, antidemokratischer, inhumaner Laden ist) hier wieder ihre Macht basierend auf Rückhalt in der Bevölkerung ausbaut, wie es noch in den 50ern der Fall war. Auch aufpassen müssen wir auf Evangelikale wie z.B. unserem Bundespräsidenten, die versuchen sich subtil einzuschleichen.
Dass du die wissenschaftliche Landschaft gleichzeitig mit den Kirchen kritisierst ist mutig, vor Allem im Hinblick auf die vielen Fundi-Atheisten (“Humanisten”), die den Atheismus gerne für sich beanspruchen – du feindest dich also mit beiden Parteien an (erinnert ein wenig an http://xkcd.com/774/ *scnr*).
Hierarchische Strukturen jenseits dessen was der Staat vorschreibt bilden sich aber auch in Ämtern und Behörden. Die Frage ist, inwieweit man das vermeiden kann.
Zur katholischen Kirche ist zu sagen, dass ihr wohl eine gewisse Krise bevorsteht (oder sie bereits in einer ist), andererseits existiert sie nun doch schon seit mehr als einem Jahrtausend und hat schon mehrere Krisen überstanden – was sie meines Wissens immer dadurch erreicht hat, dass sie sich wieder so weit an die sich verändernden Moralvorstellungen anpasst wie es unbedingt notwendig ist.
Und der Islam? Nunja, ich halte es für eine Moralpanik, und Moralpaniken gehen in der Regel so schnell wie sie kommen. Der Islam wird genau wie die christlichen Kirchen lernen sich anzupassen.
Dass sich gesetzlich viel ändert, das glaube ich ehrlichgesagt nicht. Wobei ich in Deutschland eigentlich das System ganz gut finde: Es basiert im Wesentlichen auf einen gesellschaftlich akzeptierten “Nichtangriffspakt”, einer (unter vielen) Gründen, warum ich durchaus für staatlich mitkontrollierten Religionsunterricht an Schulen bin. Und ich glaube, das System hat für alle Beteiligten so lange so gut funktioniert, dass keiner sich drauf einlassen wird, viel daran zu ändern.
Vorsicht, ich kritisiere nicht Atheisten. Ich kritisiere den Wissenschaftszirkus. Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.
Ich kritisiere übrigens auch nicht die Wissenschaft, sondern die Wissenschaftler. Beides hat nämlich nicht viel miteinander zu tun.
@dasuxullebt
“Der Islam”? Den gibt es nicht, genauso wie es “Das Christentum” gibt. Es gibt da sehr viele Ausprägungen davon. z.B. die Aleviten oder die Sufis entsprechen z.B. gar nicht dem üblichen Islambild.
Außerdem: Religionsunterricht hat an einer Schule gar nichts verloren. Das ist Sache der Eltern! Und wenn man überhaupt Rleigion an den Schulen unterrichten wollte, so dürften da auf gar keine Fall Thelogen unterrichten, sondern staatlich ausgebildete Lehrer, die in einem gemeinsamen(!) und nicht nach Konfession/Religion getrennten Unterricht alle Abarten der Religionen durchnehmen.
Da hast Du Recht.
Ich nutze die möglichkeit, einfach mal Danke zu sagen, für eine Meinung die ich nicht immer teile, die ich aber achten kann. Danke für diesen Blog.
Zum Thema:
Wie andere hier, denke ich das Religion nichts in der Schule verloren hat, außer von einem neutralen Standpunkt aus betrachtet. Religion gehört zu unserer Geschichte, kann paralellen zu Ethik haben, muss es aber nicht.
Ich denke wir sollten das Ideal der Trennung zwischen Staat und Religion voran treiben. Jeder mag glauben, was er will, aber dieser Glauben, egal welcher Art sollte nicht durch den Staat, also die Gemeinschaft, unterstützt werden (müssen).
@Hadmut Du kritisierst die Wissenschaftler, das habe ich schon verstanden, doch mit denen wird sich oft identifiziert. Letztendlich sind sie es auch, die Studien publizieren, auf deren Basis später Entscheidungen getroffen werden.
@yasar Wenn man den Eltern den Religionsunterricht überlässt, wird das zwangsläufig genau das Gegenteil des Erhofften bewirken: Es wird fundamentalistische Subkulturen geben, und die werden schnell an Einfluss gewinnen. So wie es jetzt ist ist der Religionsunterricht zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle, und das ist auch gut so.
@dasuxullebt
Ich glaube nicht, daß momentan der Staat wirklich die Kontrolle hat, was im Religionsunterricht gelehrt wird. Zumindest, nachdem was ich zu meiner Schulzeit mitbekommen habe und jetzt teilweise über meine Kinder mitbekomme.
Michel Serres behauptet in “Elemente zu einer Geschichte der Wissenschaften”, dass Kirche=Wissenschaft schon länger so ist (“Paris 1800”) beschreibt besispielhaft Ort und Jahreszahl des Übergangs der Kirche in die Wissenschaft.
Einer der witzigsten Text, die ich je gelesen habe.