Über die zunehmende Gefahr des öffentlichen Fotografierens
Ist öffentliches Fotografieren eine Tätigkeit, die es so bald nicht mehr geben wird? [Update]
Kürzlich ist mir in Auckland etwas seltsames passiert. Ich gehe abends bei Dunkelheit über eine Hauptstraße in der Innenstadt, und bekomme spontan Lust, die bunt beleuchteten Geschäfte auf der gegenüberliegenden Seite zu fotografieren. Kurz auf der Straße stehen geblieben und ein einzelnes Foto gemacht (war eh für den Müll weil unscharf und falsch belichtet, aber bei einer Digitalkamera kann man es ja mal probieren, kost ja nix). Waren eben so nach vorne offene Geschäfte, wie man sie bei uns nicht kennt, sie aber in Südostasien häufig vorkommen. Auf einmal springt da einer auf, rennt wild gestikulierend und auf mich zu und brüllt mich ziemlich aggressiv an, was mir einfällt, ihn zu fotografieren, ich soll ihm sofort die Kamera geben und das Bild löschen und überhaupt. Von Aussehen und Akzent her vermutilch ein Italiener, so um die 50. Ich habe nur kurz gesagt, daß ich ihn nicht fotografiert habe und habe ihn einfach stehen gelassen und bin in der Menge verschwunden, wobei es vielleicht falsch war, dem den Rücken zuzudrehen, aber ich habe es einfach mal drauf ankommen lassen, daß jemand, der nicht fotografiert werden will und das so wichtig nimmt, auch sonst nicht in der Menge auffallen und gegebenfalls von der Polizei näher beleuchtet werden will.
Ein Mafioso, der in Neuseeland untergetaucht ist und nicht wollte, daß sein Bild auf irgendeiner Webseite öffentlich wird, wo man ihn entdecken kann?
Jedenfals schien der Mann sich einzubilden, daß er in einem Umkreis der Sichtweite um ihn herum jedem das Fotografieren verbieten dürfte. Dabei war er, wie ich später überprüft habe, auf dem Foto überhaupt nicht zu sehen.
Gestern ist mir in Berlin etwas ähnliches passiert. Ich komme an einer leeren Straße vorbei. Nichts besonderes. Ich hatte aber gerade so eine kleine neue Kompaktknipse dabei, die ich mal ausprobieren wollte, und dachte, man kann ja mal so ein Fluchtpunktfoto machen, wenn ich schon mal an einer leeren engen Straße mit interessanten Fluchtpunktlinien vorbeikomme. Die Straße war leer.
Wie das bei diesen Kompaktknipsen nunmal so ist (obwohl diese sogar einen kleinen Sucher hat), habe ich die halt so vor mich hingehalten und auf dem Monitor geguckt, ob’s gerade ist. Die Straße schien mir leer, das war mir wichtig.
Nach dem Foto auf dem Monitor geguckt, ob’s gerade ist. Ja, is ok. Als ich gerade dabei war, die Kamera wegzupacken, kommt mir einer entgegen und schreit mich an. Türkisch oder arabisch, dem Akzent und den Deutschfehlern nach zu schließen. Huch, wo kam denn der jetzt her? Was mir einfiele, ihn zu fotografieren, und warum ich es nicht beachten würde, wenn jemand nicht fotografiert werden wollte. Ich weiß erst nicht, was der von mir will, und sage, daß ich nicht ihn, sondern die Straße fotografiert habe. Und die sei – wie ich dachte – leer gewesen. Aber selbst wenn ich ihn fotografiert hätte, wir wären hier in Deutschland, da dürfe man eben Straßen fotografieren, selbst wenn jemand drin rumläuft. Nöh, wollte der gar nicht einsehen. Er wolle das nicht, das dürfe man nicht, das könne man nicht. Ziemlich aggressiv. Nach kurzem Wortgefecht, und nachdem ich wieder mal einfach gegangen bin, hat sich das Problem gelöst, zumal er dann doch nicht sagen konnte, wo das verboten sein sollte. Aber er war fest davon überzeugt, daß wenn er eine Straße entlang geht, er in der gesamten Straße jedem das Fotografieren verbieten könne. So als würden die Leute so 300 Meter eigene Gesetzgebungskompetenz mit sich herumtragen.
Ich habe später mal auf dem Foto geguckt, der Mann ist drauf und hält gerade die Hand vor das Gesicht, das er offenbar nicht fotografiert haben wollte. Der muß da gerade hinten rechts hinter dem weißen Haus hervorgekommen sein, und ich habe das auf dem Winzmonitor der Kompaktkamera einfach nicht gesehen, daß da einer um die Ecke kam.
Die Entwicklung ist sehr gefährlich. Durch solche heißen und populistischen Diskussionen wie um das Urheberrecht oder StreetView hat sich die Überzeugung festgesetzt, daß jeder anderen Leuten alles verbieten könnte, was ihm nicht paßt. (Ich hab jetzt die Quelle nicht zur Hand, aber gerade kürzlich mußte erst wieder höchstrichterlich entschieden werden, daß es keinen Rechtsanspruch darauf gibt, daß andere nicht negativ über einen schreiben dürfen.)
Denkt man das zuende, dürfte man eigentlich nur noch in der eigenen Wohnung oder in der Wüste fotografieren. Man könnte das fotografieren von Häusern, Straßen usw. einfach dadurch dauerhaft verhindert, daß sich als Dauerwache jemand davorsetzt, der das Fotografieren verbietet. Das Panoramarecht wäre ausgehebelt.
In Australien gibt es seit einiger Zeit ziemlich Streit um ein solches Thema. Zunächst wurde das Fotografieren in einigen der Nationals Parks ohne Lizenz verboten. Was ich ja noch in gewisser Weise nachvollziehen kann, denn die treiben da inzwischen viel Aufwand mit der Hege und Pflege, und warum soll ein (gemessen an der Zahl der Einwohner) relativ kleines Land wie Australien Geld dafür ausgeben, damit dann irgendwelche Leute Geld verdienen, indem sie es fotografieren? Da ist es zumindest nicht so völlig abwegig, einen Obulus einzufordern. Ob es schlau ist, ist eine andere Frage, denn Australien lebt vom Tourismus. Und einige Künstler haben sich schon beschwert, daß sie diese Gebühren nicht aufbringen können. Inzwischen greift das aber um sich, es soll inzwischen schon verboten werden (oder ist schon verboten worden), beispielsweise das Sydney Opera House ohne Lizenz zu fotografieren. Das heißt, daß man schon höllisch aufpassen muß, wenn man einfach seine Reisebegleitung mal im Hafen fotografiert. Dagegen gibt es einige, die aufbegehren, siehe Arts Freedom Australia, insbesondere diesen und diesen Artikel.
Freilich muß man dazu relativierend anbringen, daß Australien darauf achten muß, daß in der dortigen Natur nicht noch mehr Schaden angerichtet wird, und daß man beispielsweise die Kultur der Aboriginals achtet, was durchaus eine Genehmigungspflicht notwendig macht. Auch bei uns muß man ja bei Aufnahmen auf Privatgrund eine Genehmigung vom Besitzer einholen. Und natürlich müssen die auch durch Aufpasser usw. achten, daß kein Schaden angerichtet und kein Dreck hinterlassen wird. Und freilich können die dafür auch die Kosten wieder reinholen. Aber das Ergebnis ist absurd. Sowas ist für Stadtgebiete nicht mehr plausibel, und warum man irgendwohin einfach so reisen können, aber dann für das Foto eine Genehmigung benötigen soll, ist auch nicht verständlich. Da treibt der Urheberschutz wieder seltsame Blüten.
Kürzlich schon habe ich mich wundern müssen, als ich zufällig mitbekommen habe, daß es in Dubai keine allgemeine Panoramafreiheit gibt. Sie wird nur für sehr alte Gebäude, regelmäßige erscheinende Presseerzeugnisse und Privataufnahmen gewährt. Will man moderne Gebäude fotografieren und das Bild für mehr als die reine Privatsache nutzen, braucht man eine Genehmigung des Inhabers.
Fotografieren in der Öffentlichkeit wird zunehmend gefährlich. Man läuft zunehmend Gefahr, angegriffen oder mit Strafen belegt zu werden.
Und Leute, die beispielsweise polizeilich gesucht werden, werden immer aggressiver, wenn sie fotografiert werden. So ist es heute nicht nur denkbar und technisch möglich, sondern auch gar nicht mal so unwahrscheinlich, daß die Suchmaschinen im Auftrag der Geheimdienste auch die Gesichtsgeometrie aller Bilder von Personen untersucht und mit einer Datenbank gesuchter Personen abgleicht. Ach, sie mal an, die Person X wurde von einem Touristen zufällig in der Innenstadt von Auckland fotografiert, also muß er dort gewesen sein. Oder hing auf einer Betriebsfeier der Firma Y angesoffen im Ausschnitt der Mitarbeiterin Z.
Ist fotografieren ein Grundrecht?
Wir haben die Kunstfreiheit.
Wir haben die Berufsfreiheit.
Wir haben die Wissenschaftsfreiheit.
Wir haben die Pressefreiheit.
Die werden alle zunehmend beschränkt.
[Update:] Man lese diesen Artikel im SPIEGEL. Es könnte demnach lebensgefährlich sein, versehentlich (so wie ich hier) in Berlin jemanden zu fotografieren, der nicht fotografiert werden will, vor allem wenn er einen gewissen Akzent hat.
8 Kommentare (RSS-Feed)
Seit es das Internet gibt, ist es nicht mehr so locker zu sehen, wenn man fotografiert wird.
Da fotografiert dich einer und stellt dein Gesicht unter dem Text “Pickelgesicht” auf sein Blog. Wenig später wirst du bei Google-Bildusche unter “Pickelgesicht” als erstes gefunden. Man freut sich nicht….(alles so ähnlich passiert).
Und was Häuser, Gärten etc. angeht: es ist halt immer noch ein Unterschied, ob da ab und zu mal einer vorbeikommt, der reinguckt, oder ob das einer fotografiert und es dann im Netz zum Hype wird – das paßt einfach den meisten Leuten nicht.
Da könnten Verarsche draus gemacht werden analog dem berüchtigten “Maschendroatzaun” und so weiter. Insofern: Internet ist das Problem.
Noch ein Beipiel: du hast Besuch in deinem Garten, und der knipst einmal rundum. Später stellt er die Bilder auf Panoramio ein, wo sie fortan per Google Earth weltweit sichtbar sind. Manchen ist das nicht egal. Also neigen sie zur Forderung: keine Fotos auf meiner Gartenparty.
Ich verstehe das Problem. Es ist eins.
Für die andere Seite ist es aber auch eins. Woher soll der Mann wissen, dass er nicht gerade mit einem 12x-Zoom portaitiert wird? Das ist natürlich ein an den Haaren herbeigezogenes Argument, aber völlig abwegig ist es auch nicht.
Richtig lustig wird es aber erst, wenn Google mal ein richtige Gesichtserkennung in seine Bildersuche einbaut (die Person auf diesem Foto ist auch auf folgenden Fotos zu sehen …).
Ist mir auch schon ein paarmal passiert, dass ich auf der Straße von Dahergelaufenen angepöbelt wurde, die mir das Fotografieren verbieten wollten. Da schalte ich die Kamera dann immer in den Moviemodus, filme deren Wutanfall mit und stelle das dann in meine Idiotensammlung bei Youtube rein. Wer mir in mein Recht reinpfuscht, darf dann eben auch nicht auf seins pochen.
Wie Usul schon sagt, das Photographieren ist in dem Moment zu einem Problem geworden, als die Photos mit Hilfe des Internet praktisch jedem zugänglich geworden sind.
Es sind hier zwei sich widerstrebende Interessen abzuwägen:
Das des Photographen, der Bilder machen will (und u.U. damit auch seinen Lebensunterhalt bestreitet) und das des photographierten, der nicht will, daß die ganze Welt üebr ihn lacht. Es muß ja nicht immer der Mafioso oder der Ehebrecher sein, der irgendwo erwischt wird, sondern auch ein unbescholtener Mensch, der zufällig im Umfeld von “Terroristen” photographiert wurde und dadurch sofort unter Generalverdacht fällt.
Der Knackpunkt dürfte eher sein, wie man eine Kompromiß findet, der beiden Seiten gerecht wird. Die eine Lösung, keine Personen (als Beiwerk) mehr fotografieren zu dürfen, dürfte genausowenig unpraktiabel sein, wie zwar fotografieren zu dürfen, aber keine Bilder mehr veröffentlichen zu dürfen.
Tatsache ist aber, daß solceh Konflikte imho in nächster Zeit stark zunehmen werden, bis eine Lösung gefunden worden ist.
PS: Ich denke mal, sofern man wirklich mal einen Mafioso erwischt, wird der das Problem sicher sehr schnell lösen, egal ob einem das paßt oder nicht.
Die Beleutchtung des Eiffelturm bei Nacht zu Fotografieren und ins Internet zu stellen ruft eine Urheberrechtsverletzung auf den Plan.
In China musst du auch in jedem Dorf einzeln eine Foto-Lizenz einholen.
(Siehe http://www.thelongestway.com/ )
Mit Urheberrecht hat das bei Personen wenig zu tun, das ist eher das Recht am eigenen Bild. Und in meinem Bekanntenkreis habe ich das Gefühl, dass das letztlich keiner mehr kennt. Von daher kann man gar nicht sicher sein, ob das Foto nicht ohne Einverständniserklärung veröffentlicht wird …
Das „Recht am eigenen Bild” und eine Reihe von Fällen, in denen man das Einverständnis nicht benötigt wird, stehen im Kunsturhebergesetz.
Und soweit ich jetzt aus dem Stand weiß, betrifft das Recht am eigenen Bild auch nur die Veröffentlichung und nicht schon die Anfertigung des Bildes.
Ich glaube nicht, dass die Leute “böse” sind, oder die Kunstfreiheit einschränken wollen. Ich glaube eher, die Leute haben Angst.
Wo in älteren Zeiten hin und wieder mal ein Fotograf unterwegs war und man sich eher freute, auf dessen Panorama zu sein, kann man sich heute vor Kameras kaum retten, und vor Allem weiß man nicht, was die Person damit alles machen kann.
Ich teile diese Angst. Ich mag es auch nicht, fotografiert zu werden.