Jeden Morgen, jeden Abend
Höflichkeit ist nicht immer hilfreich.
Jeden (Arbeits-)tag gehe ich zur Arbeit. Morgens hin, abends zurück. Dabei gehe ich jeden Tag quer über eine Straße, morgens in die eine Richtung, abends in die andere. Einen Zebrastreifen gibt es dort nicht. Aber so eine kleine Mittelinsel.
Und nahezu jeden Tag passiert das gleiche:
In einer oder beiden Richtungen kommt ein Auto daher. Man sieht, daß ich da am Rand oder auf der Insel stehe und hinübermöchte.
Und dann passiert etwas sehr seltsames: Die Autos halten an, um mich über die Straße zu lassen. Fast immer. Obwohl sie es ohne Zebrastreifen nicht müßten. Und die bleiben da stehen und warten, bis man drüben ist. Also ganz anders als in Peking, wo die immer volles Rohr und volles Risiko draufhalten ohne zu bremsen. Seltsam vor allem deshalb, weil man in München und Umgebung einen, na, ich will mal sagen, sehr bayerischen Dialekt der Straßenverkehrsordnung fährt. Das, was die hier fahren verhält sich zum ordentlichen Straßenverkehr, wie Bayerisch zu Hochdeutsch – einschließlich der Umgangsformen. (Kürzlich auf der CSU-Veranstaltung, über die ich hier gebloggt habe, erwähnt jemand, ich glaube es war Horst Seehofer, daß das, was man woanders für eine Beleidigung hält, in Bayern eine ganz normale Anrede ist. So ungefähr fahren die hier auch.) Außerdem fällt mir beim Autofahren oft auf, daß die meisten hier ein kognitives Problem damit haben, sich in die Situation des anderen hineinzudenken, zu erkennen, was jemand vorhat. Muß so eine ethnisch-kulturelle Schwäche sein. Umso mehr erstaunt mich, daß fast alle Autofahrer penetrant anhalten und stur warten, bis man über die Straße gegangen ist.
Das (Mini-Luxus-)Problem dabei ist: Sie halten einen damit auf. Denn nicht immer sieht man sofort, daß die Bremsen. Oder jetzt im Winter ist nicht immer klar, ob sie auf Glatteis auch ordentlich bremsen, da muß man also schon warten, bis sie eindeutig langsamer werden und man sich sicher ist, daß sie einen nicht über den Haufen fahren. Und das dauert. Vielleicht noch zu-, rüber- und dankewinken.
Würden die einfach ohne zu bremsen durchfahren, wäre man als Fußgänger – obwohl man warten muß, bis der vorbei ist – früher auf der anderen Straßenseite, weil der Brems- und Verständigungsvorgang eben beide Seiten Zeit kostet (und auch noch umweltschädlich und energievergeudend ist).
Nicht, daß es jetzt ein nennens- oder gar beklagenswertes Problem wäre. Ich freue mich ja auch über soviel Freundlichkeit und Aufmerksamkeit. Und es geht ja auch nur um ein paar Sekunden.
Aber was als höflich und rücksichtsvoll gilt, ist es nicht in jedem Fall auch so wirklich.
(Das erinnert mich an die Situation, wenn mir jemand eine Tür aufhält, obwohl ich noch 50 Meter weg bin, und ich dadurch zum Sprinten genötigt werde, um nicht meinerseits als unhöflich zu erscheinen, was mich dann mehr anstrengt und nervt, als wenn ich mir die Tür selber aufmachen würde…)
Oder hab ich mir jetzt einen Informatiker-Dachschaden mit einsetzender Weltfremdheit eingehandelt?
9 Kommentare (RSS-Feed)
Nein, du hast keinen “Dachschaden”. Mir geht es ähnlich, nur mit dem Fahrrad. Da ist es sogar noch schlimmer, wenn ein Autofahrer es “gut” meint. In der Regel muss ich auf Null abbremsen und komme, da ich damit nicht rechne, nur schwer wieder in Gang. Würde das Auto normal weiterfahren hätte ich es viel einfacher.
Genauso bei dem Vorlassen von Autos aus Seitenstraßen. Alle Autos hintendran müssen bremsen, nur weil vorne einer “höflich” sein will. Volkswirtschaftlich gesehen ein “Totalschaden”.
Aber wie du schon schriebst: Ein Mini-Luxus-Problem 😉
Ein Mini-Luxus-Problem?
Hadmut muss nur die Polizeiuniform ausziehen, dann bekommen
die Autofahrer auch keinen “Rappel” mehr.
🙂 🙂 🙂
“Man bekommt als Fahrradfahrer manchmal die Vorfahrt “geschenkt”, obwohl einem das nicht wirklich was nützt,”
Ich halte dann penetrant an, stelle den Fuß auf den Boden und gucke genervt.
Genau über die Situation reg ich mich als Autofahrer auf. Bei mir um die Ecke ist auch so eine Insel und durch das ständige Rüberlassen durch meine “Autofahrkollegen” glauben dort tatsächlich viele Menschen schon, dass diese Insel einem Zebrastreifen gleichkäme. Wenn ich dann also durchfahren will, rennt irgendein Idiot über die Straße, sodass ich bremsen muss. Daraufhin bekomme ich häufig böse Blicke zugeworfen und die Leute denken vermutlich, dass ich derjenige sei, der in der Fahrschule nicht aufgepasst hat. Ergebnis des ganzen? Ich fahr selbst schon übervorsichtig und langsam diese Stelle entlang, nach Sprintern ausschauhaltend, und behindere so den restlichen Verkehr.
Das gilt übrigens nicht nur für diese Inseln, sondern auch Geschwindigkeitshügel in 30er Zonen, die genau an Stellen stehen wo Fußgängerwege sich kreuzen. Die werden von vielen auch für Freigehwege gehalten. Dort stört es mich allerdings weniger, weil man eh schon nur 30 fahren soll am besten noch langsamer ist, weil der Hügel maximal mit 20 überfahren werden kann.
Ja das Mitdenken, das ist immer das Problem bei den meisten:
Wenn man das einzige Auto ist, ist anhalten und den anderen vorlassen (Fußgänger, Fahrrad, Auto aus Seitenstraße) meist kontraproduktiv.
Aber es spricht nichts dagegen, wenn man in einer langen Kolonne unterwegs ist und die anderen deswegen keine Chance hätten, bei regulärer Vorfahrtsregelung auf absehbarer Zeit durch- oder reinzukommen, höflich zu sein und einen reinzulassen. (z.B. bei Berufsverkehr oder Heimspielen des lokalen Bundesligisten (hier TSG Hoffenheim)).
PS: Es gibt auch manchmal nette Autofahrer, die für Fußgänger auch ohne Mittelinsel oder Zebrasteifen anhalten und diese dann in Gefahr bringen, weil der Gegenverkehr sich nicht “höflich” verhält.
@yasars PS:
Die Fußgänger dürfen auch gern mitdenken. 🙂
Das Problem hätte ich auch gerne. Da wo ich wohne (bei Berlin) erlebe ich nie das Autofahrer anhalten und so freundlich sind. Ehrlich gesagt wurde ich schon öfters beinahe auf Zebrastreifen um gefahren worden. Das Verkehrsverhalten würde ich hier als äußerst rücksichtslos bezeichnen. Dabei ist es egal um was für eine Art Verkehrsteilnehmer es sich handelt.
@Andreas Das sind die Bayern!
Ich hab vergleichbare Beobachtungen bei einer ähnlichen Situation gemacht: Man bekommt als Fahrradfahrer manchmal die Vorfahrt “geschenkt”, obwohl einem das nicht wirklich was nützt, sogar einen in gefährliche Situationen bringt (was der andere aber nicht bedacht hat, es ist manchmal schwierig, sich als Nicht-Fahrradfahrer in die Entscheidungsprozesse eines Fahrradfahrers hinein zu versetzen). Schön ist auch immer die Situation, wenn jemand einem die Vorfahrt schenken will, dafür mit der Hand winkt – aber man das selber nicht (oder kaum) sieht, weil derjenige sich in seinem Auto hinter einer der heute üblich getönten Scheiben versteckt und man bei passenden Lichtverhältnissen einfach keine Chance hat, in den Wagen zu schauen und das Winken zu bemerken. Das sorgt dann schön für Frust auf beiden Seiten, jeder denkt, warum fährt der Idiot ist nicht …
Anderes schönes Detail: Es ist ja der Fairness halt üblich, dass wenn jemand aus einer Seitenstraße auf eine Hauptstraße will, sich dort aber eine elend lange Autoschlange entlang bewegt, dass jemand mal abbremst und den anderen mit Lichthupe aus der Seitenstraße rausholt, im quasi seine Vorfahrt schenkt. Sowas ist natürlich immer mit Risiko verbunden (Mißverständisse etc.) und ich ärger mich da jedes mal, wenn das jemand tut, um mir einen Gefallen zu tun, derjenige aber das letzte (!) Fahrzeug in der Kolone ist – ich also nach ihm ganz normal/legal aus der Seitenstraße herausfahren könnte, er mich aber in diese unsichere Manöver hineinzwingt …