Ansichten eines Informatikers

Übercomputerisierung führt zu Degeneration der Fähigkeiten

Hadmut
31.8.2011 18:31

Ich hab’s neulich hier mal gebloggt, ein australischer Verkehrspilot hat mir mal erzählt, daß dreiviertel der internationalen Verkehrspiloten Funknavigation nur noch für die Prüfung lernen, dann vergessen und ausschließlich per GPS und Navi-Computer fliegen. Und nun lest mal das.

Worunter fällt das? Verantwortung des Piloten? Oder des Informatikers?

Nachtrag: Es gibt auch Fälle, in denen Verkehrspiloten ein Flugzeug ganz ohne Instrumente gelandet haben.

25 Kommentare (RSS-Feed)

Alex
31.8.2011 18:36
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Ich verstehe das Problem nicht.
Die Piloten werden doch nicht dazu gezwungen, den Autopilot immer zu verwenden? Könnten doch also diesen regelmäßig “zur Übung” abschalten und per Hand fliegen.


Hadmut
31.8.2011 18:38
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Oh, da wäre ich mir nicht sicher. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß so manche Fluglinie dem Piloten den Gebrauch des Autopiloten sogar vorschreibt.

Und der andere Punkt ist, daß viele Piloten vermutlich zu bequem zum Üben sind. Sie werden ja nicht vom Üben abgehalten, sondern nur nicht dazu gezwungen.


Manuel
31.8.2011 18:53
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Gerade gestern einen schönen Vortrag dazu gehört. Vielleicht wird das PDF ja noch irgendwann zur Verfügung gestellt:
http://www.sourcetalk.de/2011/abstracts.php?show=risse


hw
31.8.2011 19:22
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“Worunter fällt das? Verantwortung des Piloten? Oder des Informatikers?”

vielleicht gibt es noch eine dritte variante: fürsorgepflicht des arbeitgebers?
es muss ja auch im interesse der flugkonzerne sein, dass ihre angestellten mit den arbeitsmitteln umfassend vertraut sind und umgehen können.
das kostet aber geld. da wird man die sicher nicht freiwillig zu bringen.


yasar
31.8.2011 21:23
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Ich würde das auch unter “Kostenoptimierung” der Fluglinie einordnen.


der_andi
31.8.2011 22:18
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Die Frage ist doch, ob durch die Automatisierung mehr oder weniger Unfälle passieren. Entsprechend sollte man mehr oder weniger automatisieren. Natürlich kann man durch zusätzliche Übungen die Unfallgefahr weiter minimieren, allerdings kann ein Pilot ja auch bei einer Übung einen tödlichen Unfall verursachen…


Hadmut
31.8.2011 22:33
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@der_andi: Das würde nur stimmen, wenn man sich zwischen Automatisierung und Nicht-Automatisierung entscheiden müßte. Aber wo steht, daß man nicht beides haben kann?

Erstens gibt es Simulatoren, und zweitens Frachtflüge.


Thomas
31.8.2011 22:40
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Wenn bei ‘laufendem Betrieb’ geübt wird, könnte ich mir vorstellen, dass das wieder zu mehr Unfällen führt. Also wenn, dann bitte unter Ausbildungsbedingungen (Simulator und/oder Anwesenheit von Fluglehrern). Wenn das dann teuer wird: Für mich als alter Öko kann Fliegen ja nicht teuer genug sein 🙂


Die Piloten müssen vielleicht 96% aller Starts und Landungen automatisch durchführen, sie müssen mit Autothrust fliegen… Sie werden gezwungen. Sie haben das im Vertrag. Grund ist Spritersparnis, Minimierung des Verschleißes und Minimierung der Belastung.

Mindestens einer der in Frage kommenden Fälle ist nicht simulierbar, der AF447.

Es ist ein generelles Problem, das Problem des Überganges von Maschine auf Mensch. Wenn sich Autopilotfunktionen abschalten, dann muß man lückenlos und weich übernehmen können. Je mehr Mäuseklavier da ist, desto schlechter ist der Übergang, wel sich der Pilot erst orientieren muß. Das ist generell so, aber in Flugzeugen muß es manchmal sehr schnell gehen, daß sich der Mensch orientiert.
Beispielstweise ist es leicht, den Schub zu erkennen, wenn die Schubhebel mitwandern und immer die aktuelle Position haben. Dann setzt der Mensch an der richtigen Stelle auf. Boing macht das so, Airbus nicht.

In solche Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine reden viele hinein, das weiß ich aus Erfahrung. Jeder BWLer weiß ganz genau, “was unsere Leute können” und “was unsere Leute nicht können” Bei einer Flugzeugkonstruktion wird das Thema ernst genommen, aber auch da klaffen Lücken durch die vorgegebene Philosophie(fly by wire).

Es findet eine Entwöhnung vom Fliegen statt. Das gesunde Gefühl ist nicht mehr da. Das ist schon lange bekannt. Aber mehr manuelles Fliegen kostet halt mehr Sprit, mehr Verschleiß… Letztlich ist es eine Optimierungsaufgabe.

Carsten

Pferd erschießen
http://www.nichtlustig.de/toondb/090907.html


Rentner-Pilot
1.9.2011 11:21
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@Alex: Du darfst beruhigt davon ausgehen, dass Fluggesellschaften genaue Dienstanweisungen zu Flugverfahren und Verhalten der Besatzung während des Fluges ausgegeben haben. Dazu zählt auch die Verwendung des “Autopiloten”.

Aber egal. Hadmuts frage lautete, wer verantwortlich sei. Pilot oder Ingenieur/Informatiker? Ganz einfach:

Die Piloten sind dafür verantwortlich, den Flug mit dem gegebenen Flugzeugmuster, für welches sie ausgebildet wurden und das “Type-Rating” besitzen, ordnungsgemäß und sicher durchzuführen. Sie alleine sind verantwortlich dafür, ihre Fähigkeiten auf einem Stand zu halten, der es ihnen ermöglicht, in Fehlerfällen adäquat zu reagieren.
Stellen sie fest, dass bestimmte Systeme verwirrend sind / sein können, müssen sie dies ihren Technikern melden. Wissen sie vor dem Start, dass ein (Teil-)System fehlerhaft ist, sind sie sogar verpflichtet, das Flugzeug abzulehnen und dürfen gar nicht damit starten. Bei Problemen, die erst während des Fluges auftreten, hilft das nur wenig. Hier ist es eine Frage von Nerven und Ausbildung.

Die Techniker/Ingenieure/Informatiker sind dafür verantwortlich, das System “Flugzeug” vernünftig zu entwerfen und instand zuhalten. Dazu gehört auch sinnvolle Programmierung und eindeutige, nicht verwirrende Anzeigen und Signale. Dazu benötigen sie aber auch die Rückmeldung der Piloten.

Die Fluggesellschaften wiederum sind verantwortlich, es ihren Piloten zu ermöglichen, sich vernünftig weiterzubilden, damit sie Fehler erkennen können und während des Fluges darauf auch ordentlich reagieren können. Wer aber mal bei Lufthansa oder anderen Gesellschaften das Bewerbungsverfahren durchlaufen hat, weiß, dass sowohl bei den Auswahlverfahren für Piloten, als auch später im Training zwar in der Tat handfeste und sinnvolle Inhalte vermittelt werden, aber dennoch sehr viel heiße Luft und noch viel mehr pseudowissenschftliches Geschwafel vor allem von Psychologen im Spiel ist.

Ein Flugzeug ist ein viel zu komplexes System, als dass nur eine einzige Person “verantwortlich” wäre. Das Stichwort lautet hier nicht nur “Verantwortung”, sondern vielmehr “Kommunikation” zwischen allen beteiligten Berufsgruppen.


yasar
1.9.2011 11:49
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Wenn man bös wäre würde man sagen, solange es weniger kostet ein paar Menschenleben zu “verlieren”, als die Piloten ordentlich trainieren zu lassen, wird das vermutlich nicht gemacht.


quarc
1.9.2011 21:14
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Hadmut
1.9.2011 21:26
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Soweit ich weiß, sind die bei dem A380 nur deshalb mit der Situation klargekommen, weil zufällig vier sehr erfahrene Piloten an Board waren.


Ja, es waren vier Piloten. Journalisten übertreiben immer. Ein Pilot wurde überprüft und auch die Arbeit des Prüfers wurde überprüft. Es liefen also zwei Prüfungen.

Schlechtes Design? Zu den Piloten und Technikern hätte ich da Vertrauen. Es reden aber Leute rein, die lieber ihren Schreibtisch putzen sollten. Ich habe selbt mal erlebt, wie zäh an einem halbgaren Konzept festgehalten wird, obwohl alle Leute mit Praxiserfahrung sagten, daß man das in der Praxis bewährte Verfahren nehmen soll. Es ging auch um Diagnosemeldungen.

In Falle des A380 war nicht nur das Triebwerk betroffen sondern auch Tanks und Hydraulik. Abschalten und Löschen kommt hinzu, da kommt also auch bei vernüftigem Design einiges zusammen. Ein solches Meldesystem muß wichten. Triebwerk tot — alle untergeordneten Meldungen raus. Um genau dieses Problem ging es bei mir auch.

Carsten

Flugzeug Toilette benutzen
http://ruthe.de/cartoons/strip_0914.jpg


@Carsten Thumulla

“Ein solches Meldesystem muß wichten. Triebwerk tot — alle untergeordneten Meldungen raus.”

Das ist leider der nicht ganz so einfache Punkt. Ein nur ausgefallens Triebwerk ist bei einem vierstrahligen Jet eher harmlos, wenn es nicht gerade brennt. Zerstörte Hydraulik und Steuerungsleitungen sind viel wichtiger, wenn die anderen drei Triebwerke Strom liefern und weiter funktionieren.

Versuchen kann man diese Wichtung schon, aber mir wäre das zu heiß. Da müßte man ja erkennen, was für eine Störung vorliegt und welche Auswirkungen die auf die aktuelle Flugsituation hat. In 10000 m ohne Gewitter ist einiges anders als beim Landeanflug mit Schwerwind. Ich denke, ein System, was diese Komplexität beherrscht, braucht noch ein paar Iterationen, bevor es einsatzreif ist.


Wenn ein Triebwerk ausgefallen oder abgeschaltet ist kann ich fast alle Öl-, Sprit- Temperatur-, Druck-, Drehzahl- und sonstige Meldungen und Warnungen dieses Triebwerks knicken, so war das gemeint.

Das ist nicht einfach und man fängt sich leicht Sachen ein, die als Fehler angekreidet werden können.

Carsten

Airbagkontrolle
http://www.toonpool.com/user/95/files/guten_tag_772965.jpg


energist
4.9.2011 13:57
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@Carsten: Was genau meintest Du mit „Mindestens einer der in Frage kommenden Fälle ist nicht simulierbar, der AF447.“?


Stall und Abfangen sind in üblichen Simulatoren nicht machbar, jedenfalls nicht ausreichend realistisch. In militärischen soll das gehen. Ob die Flugzeugreaktionen einigermaßen realitätsnah sind weiß keiner.

Carsten

http://www.nichtlustig.de/toondb/021203.html


energist
5.9.2011 0:38
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Naja, aber Stall und Ausleiten sind – selbst wenn nicht 100%ig korrekt simulierbar – doch zumindest Bestandteil der Erstausbildung. Und daß man durch Ziehen am Knüppel nicht aus der Lage rauskommt, sollte selbst in den schlechtesten Simulatoren rüberkommen.


Die Diskussion und die Tests haben für mich ergeben, daß Linienpiloten eine Maschine nach einem Abriß nicht abfangen können. Nur Piloten mit besserem Training gelingt das. Das wurde in einem militärischen Simulator versucht.
Schlimm ist, daß das Trainimg dahingehend ausgelegt war, leicht zu ziehen, aus welchen Gründen auch immer. Das wurde jetzt geändert. Die zwei fliegenden Piloten hatten noch kein solches (Stall)Training, nur der Kapitän, der dann ins Cockpit kam. Die “Erstausbildung” kann man dann knicken. Genau das, das Ziehen, führte ja zu der jetzigen Diskussion, daß die fliegerischen Grundlagen verloren gehen.

Carsten

http://www.toonpool.com/user/254/files/rauchwolke_803935.jpg


yasar
5.9.2011 10:27
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Also wenn ich an den Flugsimulator beim C64 denke, konnte man auch mit dem lernen, daß bei Stall die Nase hochziehen nicht den gewünschten Erfolg brachte. Und das ganz ohne Simulation der Beschleunigungskräte, die auf einen einwirken.


Wenn die Strömung abgerissen ist kann man nicht mehr ziehen, das heißt, da kann man ziehen bis man schwarz wird. Die Nase muß runter, egal wie, zur Not mit Rolle… Sowas extremes wurde mit großen Kisten nicht oft gemacht. Chinesen mit 747 haben mal sowas hingekriegt und sind sicher gelandet. Das war aber kein Stall. Die Kiste sah auch entsprechend aus, Ruderstücke fehlten…
http://www.mentalfloss.com/blogs/wp-content/uploads/2009/12/553China_Airlines_Flight_006.JPG
China Airlines Flight 006 (bei 006 habens noch geübt)
“the plane went into a dive from 41,000 feet. Passengers were exposed to a force of 5Gs as the plane dove 30,000 feet! They dropped six miles in two minutes. Pieces of metal flew off the plane as it rolled and dived.”

Deshalb die Diskussion, daß das Grundwissen verloren geht. Daß es sogar abtrainiert wurde ist sehr problematisch.

Carsten

http://www.stuttmann-karikaturen.de/karikaturen/kari_20100507_Die_ganze_Welt_kol.gif


Hadmut
5.9.2011 13:39
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Respekt…


| Respekt…
“Thank you for flying China Airlines”

gibt noch Infos im Netz: China Airlines Flight 006


Colin Marquardt
6.9.2011 23:25
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Noch ein interessanter Link dazu (auch die Kommentare): http://flightlevel390.blogspot.com/2011/08/automation.html