Ansichten eines Informatikers

“Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein”

Hadmut
9.10.2011 22:58

Nehmen wir mal – hypothetisch – trotz der fehlenden Beweise an, das vom CCC analysierte Stück Trojaner-Software sei von einer deutschen Behörde bzw. einem Bundeslang eingesetzt worden. Und nehmen wir weiter an, was wäre – wie viele unterstellen – das Bundesland Bayern.

Gehört nicht die in Bayern regierende CSU (siehe auch meinen früheren Blog-Artikel dazu) zu denen, die immer tröten, „das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein”?

Es wäre natürlich grandios, wie sich dieser Spruch, diese Plattitüde, ins Gegenteil verkehren würde und es in Zukunft die Internet Community gegen die Staatsgewalt einsetzen könnte.

Dieser Slogan wäre dann schlagartig und unerwartet das Argument gegen und nicht mehr für Überwachungs-Hardliner unter den Politikern.

Erstaunlich, ganz erstaunlich. Höchst bemerkenswert.

14 Kommentare (RSS-Feed)

_Josh @ _[°|°]_
10.10.2011 1:26
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Aus meinem Erfa-Kreis habe ich — von einem in die ganze Sache Involvierten — gehört, daß das mit den Beweisen noch ein wenig auf sich wird warten lassen müßen, Stichwort Quellenschutz.

Aber, so weiter, wenn diese Problematik geklärt ist, wird es wohl tatsächlich Handfestes geben, so wurde mir versichert; von genau diesem Involvierten, mit dem ich seit 34 Jahren eng befreundet bin. Freue mich jedenfalls bereits heute & habe persönlich nicht den geringsten Zweifel an einer großen Überraschung.
😉


Hadmut
10.10.2011 1:31
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Mag ja alles sein.

Trotzdem führt dies Theater – paradoxerweise gerade dann, wenn die später noch tolle Beweise liefern – dazu, daß die Leute und die Medien sich angewöhnen, unbelegtes Zeug für wahr zu nehmen. Und daß Magic Word „Quellenschutz” als Joker anstelle irgendwelcher Beweise zu akzeptieren.

Demnächst gehe ich dann dazu über, auch nichts mehr zu belegen und nur noch „Quellenschutz” zu rufen…


_Josh @ _[°|°]_
10.10.2011 2:19
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Dear Hadmut,

tatsächlich handelt es sich bei Quellenschutz in diesem konkreten Fall nicht um buzzwordbingobullshit, sondern um das, was der Wortsinn hergibt, so ich es jedenfalls leuten hören. Auch sind, das kann man wohl bei einigen Berichterstattern, zumindest zwischen den Zeilen, lesen, relevante Redaktionen, Ämter und Behörden vorab recht detailiert informiert worden.

Auf der anderen Seite halte ich sowohl den CCC, als auch deren Protagonisten Constanze Kurz, Andreas Bogk & Frank Rieger über den Verdacht erhaben, für eine schnelle Schlagzeile leichtfertig mit dem Renomée, der Expertise & der Glaubwürdigkeit des Vereins zu spielen.

Nichtsdestotrotz gebe ich Dir natürlich recht, daß blindes, mediales Nachplappern von Infobröckchen keine dufte Angewohnheit & schnelles Publizieren wohl der Klickrate geschuldet ist. Dennoch bin ich davon überzeugt, daß auch Du eine Quelle genau dann nicht namentlich erwähnen würest, wenn dies eine echte Gefahr für eben jene Quelle darstellen würden, sei es nun Leib, sei es Leben, sei es berufliche Existenz, sei es Entzug einer Bewährung.

Und zu guter Letzt: Leute und Medien nehmen unbelegtes Zeug für wahr seit Anbeginn aller Zeiten, daran wird sich niemals nichts ändern, was offenkundig artbedingt ist: Ging los bei Noah & seinem Lastkahn, ging weiter über sprechende, brennende Büsche, von Vuvuzelas zerstörte Stadtmauer, Meer teilende, Fisch & Rotwein herbeizaubernde Kiffer, in den Himmel reitende Kinderschänder, eine pubertierende Dreizehnjährige, die, später ein grausames Ende findend, zu einem Herrn Gott sprach, Seeleute, die rund 800 Jahre nach Kenntnis der Kugelförmigkeit der Erde dennoch dachten, über den Rand in ihr eigenes Verderben zu schippern, bis hin zu den heutigen Glückskeks-/ Zuckerwürfelgläubigen und den “Alternativmedizern”.

Ooops, abgeschwoft.
😉

Zurück zu Deiner Erwiderung: Nein, ich denke nicht, daß dies “Theater” dazu führt, unbelegtes Zeug für wahr zu nehmen, und schon gar nicht auf eine paradoxe Weise. Der CCC hat mehrfach & eindrucksvoll in der Vergangenheit bewiesen, daß er “liefert”, und zwar nicht zu knapp. Doch wir alle werden wohl erst in naher Zukunft eines besseren belehrt.


Hadmut
10.10.2011 10:33
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@Josh: Ich habe Quellenschutz nie als Buzzword oder Bullshit abgetan. Quellenschutz ist gut und wichtig.

Das ändert aber nichts daran, daß nicht belegt ist, was nicht belegt ist. Quellenschutz heißt, die Quelle zu schützen. Aber es heißt nicht, von der Öffentlichkeit zu verlangen, etwas zu glauben, was man nicht belegt hat.


Anna Freud
10.10.2011 4:50
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Herr Danisch, um einmal das auf Sie zu wenden (nicht destruktiv!) was Sie jüngst von den “We are the 99%” sagten:

“und es in Zukunft die Internet Community gegen die Staatsgewalt einsetzen könnte. ”

Da sprechen Sie vom Prinzip, das Baruch de Spinoza bereits im 17.Jh als Argument (und Heterotopie, denn er ist “nur einen Schritt entfernt”) verwandte, nämlich: “Man müsse die Gesellschaft gegen den Staat wenden”.

(Kontext 17. Jh: Staat = katholische Kirche; Spinoza = die Gesellschaft ist die Unmittelbarkeit Gottes (die Substanz Gottes ist die Gesellschaft); Staat ist Vermittlung Gottes (= Attribut Gottes; Attribut = vermittelte Substanz); Gott braucht keine Vermittlung, da Vermittlung verfälscht; Staat/Kirche = Vermittlung der Gesellschaft, die Ursache von beidem ist d.h. beides gegen Gottes Prinzip, dass Gesellschaft ist)
Steht in der Ethik (I – V) und Tractatus theologico-politicus.
Der Mann war übrigens hauptberuflich Optiker. Naja, und Herätiker.

Die “community” gegen den Staat zu wenden dürfte nun atheistisch nichts anderes sein als eben dieser Gedanke Spinozas. Und ich freue mich zutiefst, dass Sie auf ihn gestoßen sind.


Hadmut
10.10.2011 10:39
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@Anna Freud: Naja, ich wollte nicht gleich die Gesellschaft gegen den Staat wenden.

Mir geht nur (wie schon so oft gebloggt) dieser permanente und alles begründende Politiker-Dummspruch „Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein” so gewaltig auf die Nerven. Und wenn genau diese Politiker (vor allem, wenn sich herausstellen sollte, daß CSU/CDU-regierte Bundesländer dahinterstecken) dann plötzlich selbst mit diesem Spruch konfrontiert werden, könnten ihnen das bald vergehen.


Mattes
10.10.2011 8:58
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Wobei mir beim ZDF auffällt, dass sie das ganz vorsichtig mit möglicherweise formulieren und genau wie die Tagesschau alles in den Konjunktiv setzen. Mit Hinweis auf die noch nicht erbrachten Beweise.


Hadmut
10.10.2011 10:40
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@Mattes: Ja. Meine Rede. (Da ARD und ZDF heftig am Twitter hängen, wäre es eventuell sogar am Rande möglich, daß mein Blog-Artikel oder die Kommentare anderer „Zurückhaltender” sie dazu bewogen haben.)


Flo
10.10.2011 10:24
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mal angenommen der CCC hat die Beweise wirklich, und mal angenommen der Grund, dass sie die Beweise nicht vorlegen ist wirklich der Quellenschutz: Was hätten sie anders machen sollen? Mit der Veröffentlichung warten? Auch wenn sie sich der Wichtigkeit und Korrektheit der Informationen bewusst sind? Wie wärst du vorgegangen?


Hadmut
10.10.2011 11:07
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@Flo: Daß das ein schwerer Konflikt ist, ist klar. Vor diesem Dilemma stehen viele. Eine Super-Lösung habe ich da auch nicht. Das macht’s aber nicht besser.

Was der CCC hätte anders machen sollen? Erst mal seine Veröffentlichungen nochmal deutlich überarbeiten. Beispielsweise in diesem PDF oder den Pressemeldungen ganz klar das trennen, was sie analysiert haben und belegen, von dem, was sie daraus analysieren. Wenn man dieses Durcheinander liest, bekommt man den Eindruck, daß sie von ihrer eigenen Begeisterung überrumpelt wurden und jede Denkdisziplin vergessen haben. Das ist doch massiver Pfusch.

Richtig wäre es beispielsweise gewesen zu sagen, wir haben folgenden Verdacht, und dieser Verdacht beruht darauf:

a) Wir haben hier ein Stück Software erhalten, dessen Analyse zeigt, daß es diese und jene Routine hat.

b) Unsere Quelle ist so und so vertrauenswürdig, daß das kein Hoax , Fake oder sowas ist.

c) Wir sind aus diesen und jenen Erwägungen heraus zu der Auffassung gekommen, daß das von einer deutschen Behörde eingesetzt ist, können/wollen das derzeit aber aus Gründen des Quellenschutzes nicht belegen.

d) Unsere Verdachtsmomente sind aber so hoch, daß wir es für vertretbar halten, dies den Behörden vorzuhalten.

Letztlich kann der CCC aber machen was er will. Was ich eigentlich mehr kritisiere sind die Medien, die daraus gedankenlos solche Riesenstorys machen. Erst später haben ARD/ZDF das vorsichtiger angepackt, wie „wenn das stimmt, was der CCC herausgefunden zu haben behauptet”.

Das Problem ist eigentlich nicht der CCC, sondern die Medien. Denn hätten die Medien angemessen reagiert, hätte der CCC selbst gemerkt, daß das so nicht gut ist. So aber fühlen die sich in ihrer Vorgehensweise noch bestätigt.


nullplan
10.10.2011 10:25
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Ich frage mich mittlerweile, welche Beweise der CCC liefern will. Was gibt es, das beweisen könnte, dass der Trojaner im Staatsdienst unterwegs war? Eine Festplatte? Egal, wem die gehört, darauf dass der Inhalt mit irgendeiner Backstory übereinstimmt, hätten wir auch bloß die Aussage des CCC oder des angeblichen Besitzers.

Was sie natürlich liefern könnten, wäre eine Ermittlungsakte, in der sich private Daten befinden, die nie gesendet wurden. Dass sie nie gesendet wurden, wäre allerdings auch nur eine Aussage, die nicht belegbar ist.


Hadmut
10.10.2011 11:09
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@nullplan: Gute Frage. Geben könnte es da einiges. Ich schließe das keineswegs aus, daß es gute Belege geben kann.

Aber diese Methode, daß sie es nicht belegen, und dann aus dem CCC-Dunstkreis so das Raunen gestreut wird, daß sie da wohl irgendwas haben werden, Quellenschutz und so, sonst würden sie es ja nicht behaupten, ist ganz übel. Das trägt schon Züge einer gesteuerten Desinformationskampagne.


TomAusMünchen
10.10.2011 13:36
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Gestern diese Seite durch einen Link via twitter gefunden:

http://ijure.org/wp/archives/476

Auszug:
“…das Bayerische Landeskriminalamt den PC eines seiner Mandanten über Monate hinweg mit einem Spionage-Trojaner illegal ausgeforscht. Alle dreißig Sekunden, so Rechtsanwalt Schladt, hat die staatliche Überwachungs-Software ein Bildschirmfoto des Browser-Inhalts geschossen und die Screenshots heimlich über das Internet an die Ermittlungsbehörden übertragen – zu Unrecht, wie jetzt das Landgericht Landshut festgestellt hat.”

Das ist ein Posting von Januar 2011.
Das riecht schon sehr nach der Funktionalität, die der CCC bei dem 0zapftis-Trojaner gefunden hat.

Und hier noch ein weiterer Mosaikstein:

http://www.fr-online.de/politik/bundestrojaner-die-privaten-hinter-dem-bundestrojaner,1472596,10985154.html

Auszug:
“Interne Schriftwechsel aus dem Bayerischen Justizministerium zeigen, dass schon vor vier Jahren mit der Entwicklung und dem Einsatz von rechtswidriger Überwachungssoftware begonnen wurde – und dass der Staat die Kontrolle über das Programm der Trojaner in die Hände privater Firmen legte. In dem Schriftwechsel zwischen Ministerium, Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälten, der der FR vorliegt, geht es um eine Spionagesoftware, die von der Firma DigiTask im hessischen Haiger entwickelt wurde.”


hre
12.10.2011 4:04
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“und es in Zukunft die Internet Community gegen die Staatsgewalt einsetzen könnte. ”

Ich hatte es erst so verstanden, dass man den Trojaner gegen die Staatsgewalt einsetzt.
Ist zwar missverstanden, aber eine richtige Richtung.

Gläserner Staat.

Politiker haben laut deren Aussage doch eh kein oder kaum Privatleben.
Wieso nicht komplett öffentlich?
Da wären so einige Positionen und Personen, die einer Überwachung bedürfen.