“Not exactly gently”
Ich war vorhin bei der Präsentation eines Buches des litauischen Philosophieprofessors Leonidas Donskis, der auch Politiker und Mitglied des Europäischen Parlaments ist.
Es ging um das Buch Belletristik der Macht. Von Machiavelli bis Milan Kundera. Um ehrlich zu sein, habe ich es nicht soweit verstanden, daß ich es hier wiedergeben könnte. Es ging über Autoren utopischer Romane wie George Orwell mit 1984, Huxley mit Brave New World, und noch einige russische, aber das ist jetzt nicht unbedingt so mein Ding, deshalb hab ich mir das auch irgendwie nicht so gemerkt, da bleibt bei mir nicht so viel hängen.
Ich habe ihn aber gefragt, inwieweit sich seine beiden Berufe gegenseitig beeinflussen, und er sagte, daß er sich mit seinem Hintergrund natürlich sehr und primär für Menschenrechte einsetzt, man mit diesem Schwerpunkt aber keine lange Karriere als Politiker hat. Umpf.
Meine zweite Frage zielte darauf ab, inwieweit er – als mit solchen Romanen sehr vertrauter Philosoph und gleichzeitig Mitglied des Parlaments – die Gefahr sieht, daß wir hier einen Big Brother bekommen. Angesprochen habe ich dazu Terrorismusabwehr und Urheberrechte. Er meinte, das wäre eine sehr berechtigte Frage, und die Gefahr sei durchaus an einigen Stellen zu befürchten. Am meisten verblüfft hat mich aber der sehr aufschlußreiche Umstand, daß er die Frage sofort als Frage nach dem US-amerikanischen Einfluß verstanden hat, obwohl ich Amerika gar nicht erwähnt hatte. Ich sage Terrorismusabwehr und Urheberrechte, und er hört Amerika. Ist doch ne Aussage. Und dazu erklärt er auch, daß das Parlament Ansinnen der USA zu Überwachung und Datenaustausch, deren Auftreten beim Vortragen ihrer Wünsche er als „not exactly gently” bewertete, doch sehr deutlich abgewiesen habe. Soweit ich ihn verstanden habe, sei der tragende Ablehnungsgrund für das Parlament nicht mal das Ansinnen an sich gewesen sondern dessen Asymmetrie. Die USA hätten sich geweigert, solche Informationen, wie sie sie von den Europäern haben wollten, umgekehrt auch über Amerikaner an Europäer zu liefern. Die wünschen das als Einbahnstraße, was das europäische Parlament deshalb abgelehnt habe.
Da kann man jetzt erstmal ne Weile drüber nachdenken, was man davon halten soll.
Aber schon wieder fällt mir diese omnipräsente Doppelmoral der Amerikaner, dieses permanente Messen mit zweierlei Maß, auf.
Vor einigen Jahren gab es in den USA mal einen Fall, in dem man russische Hacker beim Hacken in den USA ertappt hatte, aber sie natürlich nicht festnehmen konnte, weil sie in Russland saßen. Die Amis (weiß nicht mehr, FBI oder sowas) haben sich in deren Rechner gehackt, Beweise gesammelt, und sie über eine fiktive Firma und verlockende Jobangebote in die USA gelockt. Und sie dort gleich eingebuchtet.
Ihr Pflichtverteidiger hatte damit argumentiert, daß es keine zulässigen Beweise gäbe, weil die Durchsuchung der russischen Rechner ohne richterliche Anordnung erfolgte und deshalb einem Beweisverwertungsverbot unterläge. Damit ist er abgeblitzt. Irgendein höheres Gericht entschied, daß die Notwendigkeit einer richterlichen Anordnung auf dem soundsovielten (müßte der vierte gewesen sein) Anhang zur Verfassung beruhe, die mit „We the people” anfängt, und deshalb nur für Amerikaner oder wenigstens Leute in Amerika gilt. Also nicht für Russen in Russland. Deshalb durften die sich dort nach amerikanischem Recht auch ohne Anordnung in die Rechner hacken und die Beweise verwerten. Zweierlei Maß.
Wenn die Amerikaner aber die Informationen über die Telekommunikation der Bürger, die sie haben wollen, vom Parlament nicht bekommen, welche Alternative würden sie wohl ergreifen? Was müßte man da von amerikanischer Software halten?
Ist es da nicht widersinnig, sich über deutsche Trojaner aufzuregen, die ein paar Leute betreffen, und gleichzeitig Millionen von Rechnern bedenkenlos mit amerikanischer Software vollzupumpen? Oder messen wir da etwa auch mit zweierlei Maß, nur dummerweise zu unseren Ungunsten?
Oder überspitzt gesagt: Wer auf den Staatstrojaner schimpft, hat dafür eigentlich gar keinen Grund, denn dann müßte er ja konsequenterweise auf Windows verzichten, wäre dann aber gegen den Trojaner immun, weil der (bisher) nur unter Windows läuft.
11 Kommentare (RSS-Feed)
So weit, eine „Nicht-Standardkonfiguration” zu betreiben, wollte ich nicht mal gehen, obwohl es ja nicht mal sonderlich viele Alternativen zu amerikanischer Software gibt.
Die Frage ist einfach, ob man dann, wenn man dem deutschen „Staatstrojaner” so viel Mißtrauen entgegenbringt und die Überschreitung des – immerhin bestehenden – Rechts beklagt, amerikanischer Software nicht noch viel mehr Mißtrauen entgegenbringen muß, weil ein Ausspähen dort nicht mal Rechte verletzen würde – weil es sie nicht gibt.
Oder andersherum gefragt: Leiden wir an selektiver Empörung, weil wir uns nicht nach objektiven Kriterien empören sondern uns das auswählen, was innerhalb unserer Empörungs- und Skandalreichweite liegt?
Nachtrag:
Die USA haben aber immerhin eines geschafft: Sie können amerikanisches Recht an Stellen anwenden, für die es nicht gilt (im US-Ausland) und sie sind in der Lage, nach diesem Recht dort Menschen zu erschießen und dafür von ihrem Volk bejubelt zu werden. Ist das nicht toll?
Ich vermute, die Empörung gegen den Bundestrojaner hat zwei Gründe. Erstens das Gefühl, von seiner eigenen Regierung wissentlich hintergangen worden zu sein (“Niemand hat die Absicht, …”) und zweitens die Hoffnung, daran “hier” auch noch etwas ändern zu können.
Gegen US-Weltherrschaftsfantasien kann man ohne weiteres nichts ausrichten, weder als Chaos Computer Club noch als CDU. Im Gegenteil, wie man ja kurz vor Amtsantritt von Frau Merkel sehen konnte… selbst auf EU-Ebene ist das nur mäßig erfolgreich.
Ausschließlich nicht-amerikanische Software zu benutzen halte ich für nahezu unmöglich, man kann höchstens jegliche Software von deutschen Quellen beziehen und hoffen, dass der Quellcode keine Hintertüren hat.
“Oder andersherum gefragt: Leiden wir an selektiver Empörung, weil wir uns nicht nach objektiven Kriterien empören sondern uns das auswählen, was innerhalb unserer Empörungs- und Skandalreichweite liegt?”
Ich schreibe ja sonst viel, aber hier geht es kurz und knapp:
JA!
Ist es sinnvoll nur die Kämpfe auszutragen, bei denen man eine Chance hat zu gewinnen?
Ich finde schon.
Sollte man sich dann zufrieden zurücklehen, weil man es “denen da oben gezeigt hat”
Ich denke nein.
Letztlich ist doch bei Software das Problem, dass es viel viel zuviel ist, ist ja nicht nur amerikanisch/ deutsch und dort das Betriebssystem.
Aber alleine wenn ich hier schon schreibe muss ich ja Deinem Serverbetreiber genug Vertrauen entgegenbringen, dass mein System nicht irgendwie kompromittiert werden kann.
Und nur noch Seiten/ Programme/ Hardware/ Betriebssysteme zu verwenden, die man selber verifiziert hat ist nunmal leider einfach nicht praktikabel.
Man sollte sich dessen wohl einfach nur bewusst sein.
“Oder andersherum gefragt: Leiden wir an selektiver Empörung, weil wir uns nicht nach objektiven Kriterien empören sondern uns das auswählen, was innerhalb unserer Empörungs- und Skandalreichweite liegt?”
Ja.
ABER: Die Medien mit ihrer selektiven und oft parteiischen Berichterstattung tragen eine Menge dazu bei. Es gibt genug skandalöse Themen auf dieser Welt, aber die Medien wählen für uns aus. Die “Gegenöffentlichkeit” im Internet wirkt dem zwar entgegen, aber es ist sehr mühselig und dauert eine Ewigkeit, bis man z.B. ein paar wirklich gute Blogs gefunden hat.
Tja da sind wir wieder bei der Kernfrage “Cui Bono ?”
Durch die “Terroristen” werden vor allem konservative Kreise (siehe Teaparty) und deren Ableger in Waffen-/Überwachungstechnik gestärkt und bedient.
Alleine die Tatsache das ein Dienstleiter Soldaten stellt ist eine Absurdität ohnegleichen.
Und da diese “Bewegung” der totalen Überwachung zwecks Geldabschöpfung aus den USA kommt, ist der Schluß des Mannes logisch.
Wenn sich z.B. die Vertreiber der aktuellsten Kinofilme darauf einigen würden alle am gleichen Tag vorzuführen, gäbe es das leidige Thema “Screenraubkopie” nicht.
Es ist alles selbst verschuldet seitens der “Industrie” und genau diese profitiert nunmal am ehesten von restriktiven Maßnahmen, da sie ja vor allen in den USA die Politiker bestimmen (hier auch siehe aktuell die Vorstände hinter der Firma vom “Trojaner”).
Daher ja auch die große Angst vor OWS, da gibt’s keinen Rädelsführer der medienwirksam vor den Kadi gezerrt werden kann …
Es ist sehr vernünftig, mit zweierlei Maß zu messen. Auf diese Weise erlangt man die Möglichkeit, eigene von fremden Interessen zu unterscheiden und die eigenen zu verfolgen. Wir nehmen den Amerikanern übel, dass sie dabei so erfolgreich sind. Weil das aber nach Neid aussähe (weil es Neid ist), kleiden wir unser Gemecker darüber in fadenscheiniges Moralgedöns. Überzeugend ist das nicht, sondern armselig.
@Beobachter: Es geht gar nicht primär darum, das Doppelmaß der Amerikaner moralisch zu bewerten (höchstens ihnen die Inkonsistenz ihrer Aussagen vorzuhalten), sondern zunächst einfach mal, sie überhaupt zu erkennen und die Amerikaner aus unserer Sicht einzuordnen.
Denn um unsere eigenen Interessen zu vertreten muß man wissen, daß wir gegenüber den Amerikanern praktisch rechtlos sind.
Du kannst aber nicht die Bewertung der Amis als Moralgedöns ablehnen und denen das Verfolgen ihrer Interessen zugestehen, damit aber gleichzeitig uns das Verfolgen unserer Interessen dadurch absprechen. Denn dazu gehört das Erkennen der amerikanischen Doppelmoral zwingend.
Denn um unsere eigenen Interessen zu vertreten muß man wissen, daß wir gegenüber den Amerikanern praktisch rechtlos sind.
Interessante These. Worauf gründet sich diese Rechtlosigkeit und welche Beziehungen zwischen Staaten und Staatenbünden sind überhaupt nachhaltig verrechtlicht? Traditionell stützen sich zwischenstaatliche Verhandlungen nicht auf Rechte, für deren Durchsetzung es ohnehin keine wirksamen Strukturen gibt, sondern auf die Stärken der jeweiligen Heere. In dieser Hinsicht sind wir Europäischen Peaceniks tatsächlich unterlegen, aber das ist unser Fehler.
Wer Software nutzt, die jeder nutzt, macht sich für Breitbandangriffe immer angreifbar. Wer mit der Herde blökt, macht sich angreifbar für Medienmanipulation. Das ist doch nichts neues.
Seinen Rechner in einer Nicht-Standardkonfiguration zu betreiben kostet Zeit, Nerven und vor allem eins: Wissen. Die Medien kritisch zu hinterfragen kostet exakt das gleiche. Die Abwägung trifft jeder für sich selbst.