Ansichten eines Informatikers

Dummspruchrhetorik

Hadmut
7.11.2011 12:38

Noch’n Spritzer Gesellschaftskritik.

In der ZEIT ist gerade ein amüsant zu lesender Artikel über Flughafenkontrollen aus der Sicht eines Insiders. Ist zwar eigentlich nur eine verkappte Buchwerbung, aber Flughafenkontrollen gehören in meinem Blog ja zu den running gags.

Was mir daran aber besonders aufgefallen ist, daß auch das Flughafenpersonal mit dieser Art von Dummspruchrhetorik konfrontiert ist (was eigentlich nicht überraschen kann, warum sollte es dort anders sein), die mir gerade in Deutschland so auf den Wecker geht. Dialog, insbesondere wenn es ein leichtes Streitgespräch oder die Einleitung dazu ist, beruht häufig auf dem Gebrauch von sozial antrainierten aber völlig geistlosen und genau betrachtet sehr dummen Kampf- und Überrumpelungsphrasen. Ich habe ja schon gelegentlich beleuchtet, daß das vor allem im Universitäts- und Wissenschaftsbereich eine gängige Methode geworden ist, um unerwünschte Meinungen plattzumachen, und sich dort die Standard-Phrasen und -Angriffe ausbreiten, die „immer funktionieren” und mit der Sache an sich überhaupt nichts mehr zu tun haben. Aber auch im allgemeinen Leben machen sich solche Dummsprüche, mit denen man dem Gegenüber verbal auf die Nase schlägt, breit. Zu denen, die mir am meisten auf den Wecker gehen, vor allem, weil darin immer unterschwellig mitschwingt, daß der Gegenüber ein Idiot sei, zu seiner Meinung zu kommen, und noch mehr, daran festzuhalten, fallen mir aus dem Stand ein:

Seh ich aus wie ein … ?
Ich manchen Gegenden sehr verbreitet. Man fragt jemanden nach dem Weg und der kommt mit „Seh ich aus wie ein Fremdenführer?”. Oder eben „Seh ich aus wie ein Terrorist?” Das ist so richtig saudumm, suggeriert dem anderen aber erst einmal äußerst stark, daß er sich völlig blöd anstellt und in einen Irrtum gelaufen ist. Ohne daß dabei irgendein Fehler aufgezeigt wurde, wird der andere rhetorisch in den Irrtum gestellt.

Wenn mir jemand so kommt, sage ich manchmal einfach nur „Ja”. Oder „Sonst hätte ich Sie ja nicht gefragt…”. Wenn’s etwas aggressiver sein soll, auch mal „Bringen Sie mich nicht in Versuchung zu sagen, wonach Sie aussehen” oder „So, wie Sie aussehen, dürften Sie hier gar nicht rein…”. Um mit ähnlicher Technik zurückzuspielen.

Geht mir aber unheimlich auf den Wecker der Spruch, und zeigt mir sofort an, es mit einem oberflächlichen und meist auch dummen Sprücheklopfer zu tun zu haben. Übrigens ist es meist ohnehin nutzlos, diese Leute irgendetwas zu fragen, zumal sie einem ja schon signalisiert haben, es nicht zu wissen. Man kann sie dann auch einfach demonstrativ-abschätzig betont langsam betrachten und sich dann einfach wortlos umdrehen und gehen.

Wenn’s etwas intellektueller oder schlauer wirken soll, kann man auch mit so leicht belehrendem Unterton in aller gütigen Ruhe verkünden, daß man Leute nicht nach ihrem Aussehen beurteilt. Wenn man jemandem mal richtig weh tun will, fragt man zurück, wie es denn dann käme, daß er von Beruf … sei, obwohl er danach ja nun auch nicht aussehe. Ganz böse ist es, wenn man dafür noch „Mann” oder „Frau” einsetzt. Wirkt aber.

Welchen Teil von … hast Du nicht verstanden?
Meistens auf eine extrem kurze Aussage bezogen. Welchen Teil von »Nein« hast Du nicht verstanden? Sagt auch überhaupt nichts aus außer daß es den Gegenüber zum völligen Idioten abstempelt. Dummerweise ist es manchmal sogar inhaltlich (aber nicht stilistisch) berechtigt, denn manche Leute haben wirklich ganz ernsthafte Probleme damit, ein »Nein« oder ein »Machen wir nicht« einzusehen und zu befolgen. Es verselbständigt sich aber und wird zur generellen „Du-bist-ja-so-unglaublich-blöd-das-zu-sagen-Keule”.

Passende Retourkutschen hab ich mir da noch nicht auf Lager gelegt, weil ich den Spruch kaum selbst abbekomme, sondern nur mitkriege, wie er gegen Dritte verwendet wird. Kommt auf den Einzelfall an. Man kann natürlich kontern, daß derjenige generell sehr schlecht zu verstehen sei oder häufig widersprüchlich und wandelhaft ist, so daß seine Aussagen stets unzuverlässig wären. Oder man schießt genauso zurück und sagt dann (aber in ganz präzisen, scharfen, gewählten, langsam gesprochenen Worten) „Ich habe Ihnen eben erläutert, warum es nicht so ist. Welchen Teil davon haben Sie nicht verstanden?”

Was ist Dein Problem?
Wird meistens noch in einschüchternder Sprechweise oder Gestik und Mimik, oft sogar sehr aggressiv verwendet. Besonders bei jüngeren Leuten. Auch eines dieser Anglizismen, aus „What’s your problem?” übernommen, aber eher falsch übersetzt. Im Englischen hat es nämlich nicht immer diesen fiesen Unterton, sondern kann auch bedeuten, „Was willst Du erreichen?”, kann also durchaus auch konziliant darauf gerichtet zu sein, sich nach den Interessen des Gegenübers zu erkunden, um einen Kompromiss oder eine Lösung zu finden. Wird inzwischen aber (auch im Englischen, vornehmlich aber im Deutschen) als direkter Angriff verwendet. Nach der Denkweise „Wenn Du mich kritisierst, dann muß Du ein persönliches Problem haben”. Derjenige stellt sich dann selbst als so toll hin, daß jede Kritik oder Andermeinung nur noch auf persönlichen Problemen beruhen kann. Es gibt ja im Deutschen auch die Redewendung „Der hat Probleme” um anzudeuten, daß da jemand mit sich selbst nicht klarkommt.

Ich habe allerdings den Eindruck, daß das mittlerweile auch ins Business-Gequatsche einsickert, so als neumodische Management-Rhetorik-Methode, um den anderen plattzumachen. Hab ich auch schon mehrfach erlebt, allerdings wieder meist nicht als direkt Betroffener, sondern eher gegenüber Dritten. Dabei hat es sich aber bewährt, entweder diese Position ganz klar zu übernehmen (und den Angreifer damit eine offene Tür einrennen zu lassen), dem Angreifer in Ruhe und sehr professionell zu erläutern, was er falsch macht, und dann mit der besonderen Betonung auf „damit habe ich ein Problem” zu enden. Das nämlich ist eine Redewendung, die in ähnlicher Weise sozial damit belegt ist, daß der andere (also der, der mit dem Dummspruch kam) wirklich etwas falsch macht und daneben liegt. Oder man erklärt ihm gleich (und ebenso professionell), daß nicht man selbst, sondern er (sie?) das Problem habe, das nur noch nicht erkannt habe. Man habe keine Probleme, sondern wolle viel mehr dem anderen seine Probleme aufzeigen, die er noch nicht bemerkt habe. Kommt auch gut.

Um aber wieder den Bogen zurück zum nicht-professionellen Jugend-Bereich zu schlagen: Da wird das leider inzwischen als Universal-Keule eingesetzt. Am unangenehmsten ist mir das mal auf einer mehrwöchigen Outback-Reise aufgefallen, bei der man leider keine Möglichkeit hatte, den Mitreisenden zu entkommen. Da hatten wir eine junge, fette Belgierin dabei, von der mindestens fünf Leute selbstständig, unabgesprochen und synchron zu der Überzeugung kamen, daß sie ernsthafte psychische Probleme und die Reise unternommen hat, um ein Zwangspublikum zu haben und sich aufzuspielen. Ständig hat die Frau mit irgendetwas (Taschenlampe mit Sirene, eine unterwegs spontan gekaufte Gitarre, obwohl sie überhaupt nicht spielen konnte usw.) Krach gemacht um auf sich hinzuweisen. Ständig wollte sie anderen vorschreiben, wer wo mit wem zu sitzen habe und wer nicht. Ständig wollte sie anderen die Gesprächsthemen vorschreiben und morgens, mittags und abends festlegen, wer in der Gruppe gerade die Guten und wer die Bösen sind, die sich abseits zu halten hätten. Und sich immer selbst extrem penetrant in den Vordergrund gespielt und überall eingemischt. Ungebildet, keinerlei Berufsausbildung, nach der Schule noch nie mit irgendwas tätig gewesen, jahrelang nur bei den Eltern rumgelungert, hatte sich dabei aber einen sehr deutlich bemerkbaren Straßen- und Jugendslang angewöhnt. Und extrem oberflächlich, denken gab es bei der eigentlich nicht. Faul war sie obendrein, hat immer die anderen die Arbeit machen lassen. Aber ein bemerkenswertes Schreiorgan hatte sie. Und jeder Kritik, wenn man sich etwa nur ihre Einmischung in Privatgespräche verbat, oder sie zu irgendetwas aufforderte, begegnete sie mit einem lauten, ordinären, aber mehrfach wiederholten und mit drohender Gestik und Mimik unterlegtem „What’s your problem!?” Das verblüffende, bemerkenswerte und bloggenswerte daran war aber nicht diese Frau, sondern daß es funktionierte. Andere der Gruppe – darunter intelligente, berufserfahrene, gebildete, ältere – ließen sich davon ohne weiteres einschüchtern. Die schaffte es damit tatsächlich viele Tage lang, den anderen zu suggerieren, daß sie irgendetwas falsch machten, absurd danebenlägen oder selbst irgendwelche Probleme hätten, wenn sie mit ihr nicht einverständen wären. Nicht die fette ungehobelte Belgierin, sondern die Einschüchterbarkeit der Anderen ist das Interessante. Das hat zu meinem Erstaunen tagelang völlig zuverlässig funktioniert, bis wir uns mal auf einer Wanderung, bei der sie wegen ihres Übergewichts nicht mitkonnte, über sie unterhalten hatten. Es war durchaus einigen unabhängig voneinander aufgefallen, daß die ein paar ernsthafte Schrauben locker hatte, aber wie sehr sie mit ihrer Straßengang-Rhetorik die anderen einschüchterte und manipulierte, war kaum jemandem aufgefallen. In dem Moment, in dem man die anderen darauf aufmerksam machte, ihnen die immer gleichen Sprüche anhand von Beispielen in Erinnerung rief, sie nachäffte, und sagte „achtet mal drauf”, fiel das zusammen wie ein Kartenhaus. Ab dem Tag funktionierte das gar nicht mehr, weil die Leute plötzlich darauf achteten, was sie wie sagte, statt sich ständig in das Gefühl drängen zu lassen, ihr wegen irgendwas Unrecht zu tun. Von einem Moment auf den anderen wirkten ihre Sprüche, mit denen sie eben noch (fast) jeden beeindruckte und steuerte, nur noch dumm und leer. Auf einmal schlug das um und sie wirkte da nur noch lächerlich, die Wirkung war auf Null.

So sehr mir die Belgierin auf die Nerven gegangen ist, fand ich es doch interessant zu sehen, wieviel Wirkung dieser Dummspruch entfalten kann. Obwohl sie eigentlich überhaupt nichts in der Birne hatte, hat sie vor allem mit diesem Spruch tatsächlich für einen längeren Zeitraum die Meinungshoheit erlangt.

Und das ist es, worauf ich hinauswill und woran mich dieser Artikel über den Flughafenmitarbeiter erinnert hat. An die Sprücheklopferei, welche Wirkung sie haben kann und wie wichtig und gegenwirksam es ist, zuzuhören und sie zu erkennen und zu entlarven. In der Jugendsprache, im Business und auch am Flughafen.

Das ist auch der Unterschied zwischen guter Rhetorik und manipulativer Rhetorik: Gute Rhetorik wirkt umso besser und stärker, wenn man sie als solche erkennt. Manipulative Rhetorik und Schwätzertum wirken zwar sehr stark, verlieren ihre Wirkung aber, wenn man sie erkannt hat.

Oder seh ich aus wie ein Politiker?

20 Kommentare (RSS-Feed)

Christian Weiske
7.11.2011 13:13
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Deshalb lese ich dein Blog.


Jonas
7.11.2011 13:45
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Ja, du siehst aus wie ein Politiker 😀 (Ein einfaches Ja wäre cooler gewesen, lässt dein Spamschutz aber nicht zu…)


Norbert
7.11.2011 13:56
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Oder seh ich aus wie ein Politiker?

——————————————————————————–
Häng mal ein Bild von Dir hier rein oder hast du damit ein Problem 😉


yasar
7.11.2011 15:08
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Nobbi ist auch Politiker geworden. Trotz seiner Körpergröße. 🙂


Lars
7.11.2011 16:51
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Was ich toll finde ist, dass die Duty-Free-Shops immernoch 1.600 Euronen teure Flaschen verkaufen obwohl sie genau wissen, dass die niemand aus dem Flughafengebäude rausbringt (dann würde Duty-Free keinen Sinn machen) und dass er sie auch im Handgepäck nicht mit an Bord nehmen kann. Aufgeben macht auch wenig Sinn, wer geht schon vor dem Gepäck aufgeben einkaufen?


Hadmut
7.11.2011 17:31
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@Lars: Das würde ich so jetzt nicht sagen. Ich hab schon Leute erlebt die so rochen, als hätten sie sich gerade die ganze Flasche übergekippt…


Thomas A.
7.11.2011 16:54
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Was meiner Erfahrung nach generell immer und in oben geschilderten Situationen ganz besonders wirksam ist: auf _keinen_ Fall provozieren lassen, die Dummspruchrhetorik souverän überhören und im Dialog (ggf. auch mit “Füllmaterial”) weitermachen als wäre nichts passiert. Falls das Gegenüber hartnäckig bei der Dummspruchrhetorik bleibt, nicht mehr beachten und sich abwenden.


Alex
7.11.2011 17:19
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“What is your problem!?”
* Habe ich ein Problem?
* Wirke ich als ob ich ein Problem habe?
* Verhalte ich mich unangemessen?

ca fünf Sekunden später ist es zu spät, man hätte gleich die freundliche Antwort “Not really” geben können.


Henning
7.11.2011 18:50
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@Lars: Im Duty-Free-Shop bist Du schon hinter der Sicherheitskontrolle, natürlich kannst Du die Sachen problemlos mit im Handgepäck an Bord nehmen. Meist stehen auch Getränkeautomaten rum, da kann man sich auch noch mal schnell “günstig” die Flasche Cola 0,5l für 2,80 EUR kaufen (oder war’s noch teurer?). Und nach der Landung raus bekommst Du auch alles, ist ja Handgepäck. Ab und zu kaufe ich hier Parfüm ein – nicht weil es günstiger wäre, sondern weil ich eh auf den Abflug warten muss und so mal in Ruhe gucken kann, ohne das Gefühl, seine kostbare Lebenszeit zu vergeuden. Die Auswahl ist meistens recht gut. Allerdings sind die Preise, zumindest bei mir zuhause in der Stadt oder beim Onlinekauf, nicht wirklich teurer. Zollfrei (Duty free) sind die Sachen innereuropäisch übrigens auch nicht mehr, weshalb die Läden seit geraumer Zeit “Travel Value” heißen.


Alex
7.11.2011 18:53
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Nicht ganz unpassender Link (geht um Sicherheit, und die Sicherheitsbegrifflichkeiten die unsere Terroristen verwenden fallen ja auch unter Dummspruchrhetorik)

http://www.titanic-magazin.de/leo-fischer-ueberwachungs-abc.html


Maren
7.11.2011 23:30
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@ Henning: wegen den teuren Getränken habe ich im Handgepäck meist eine leere Wasserflasche – hinter der Sicherheitskontrolle an einem Wasserhahn wieder auffüllen, fertig (ich trinke generell viel Leitungswasser)


Knut Grunwald
8.11.2011 12:13
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Im Prinzip hast du Recht. Dafür hast du auch eine nette Angriffrhetorik in den Blog eintrag reingebaut.

Bei der Beschreibung “wir eine junge, fette Belgierin dabei” und “fette ungehobelte Belgierin” ist das fette völlig überflüssig. Und wenn sie schlank gewesen wäre und ein Gesicht wie ein Engel hätte, hätte sie doch genauso genervt. Dann hätte sie die Wanderung vielleicht nicht mitgemacht, weil sie ausser Stöckelschuhen nichts dabei hatte oder ihr Kreislauf in der Sonne zusammenbricht.

Die Verwendung von negativen Attributen, die nichts mit dem Hauptthema zu tun haben, kommt leider immer häufiger vor. Ich muß auch häufig ein paar Sätze aus Beiträgen und Emails streichen, weil sie zwar unterstreichen, was ich zum Thema denke, aber mit der aktuellen Diskussion nichts zu tun haben. Wenn dann doch ein Attribut oder Satz durchruscht, dreht sich danach die Diskussion darum und das Hauptanliegen gerät ins Hintertreffen.


Hadmut
9.11.2011 13:42
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@Knut Grunwald:

Mal abgesehen davon, daß mir solche Political-Correctness-Zensoren ganz gewaltig auf den Wecker gehen und zutiefst zuwider sind, für mich in die Kategorie der selbsterannten Sittenwächter und der Blo(ck|g)warte gehören, meiner tiefsten Verabscheuunng begegnen und zudem meine These stützen, daß der übelste Zensor hier nicht der Staat, sondern die Gesellschaft ist, hast Du außerdem noch in mehrfacher Hinsicht Unrecht.

Der erste Fehler, den Du begehst, ist, daß das hier kein Gutachten ist, sondern ein Blogartikel, und dieser daher zur Lesbarkeit auch der schriftstellerischen Freiheit unterliegt. Und wenn ich es beschreiben will, daß sie fett war, dann darf ich das und dann tue ich das, völlig egal ob es was zur Sache tut. Denn Ziel und Zweck eines Blog-Artikels ist die Lesbarkeit. Deine Kritik erinnert mich an den Klugscheißer, der den Witz „Kommt ein Pferd in die Apotheke….” damit unterbricht, daß Pferde nicht in Apotheken gehen.

Der zweite Fehler ist, daß es durchaus etwas mit der Sache zu tun hat, weil eben die Körperfülle der Frau – ich habe das nur nicht in aller Tiefe erörtert, weil die Frau eben nicht Hauptthema des Blogartikels war – durchaus Teil ihrer Nerv-Taktik war. Sie konnte nicht überall hin mit, wollte aber ständig im Mittelpunkt stehen und erwartete deshalb, daß alle sich bei ihrer Wegewahl usw. nach ihr richten, also auch auf Wege verzichten, die sie nicht mitgehen konnte. Auch wenn sie sich irgendwo zwischen andere Leute gezwängt hat, um in der Position der Hauptperson zu sitzen, ist das negativ aufgefallen. Zumal die Frau eine wirklich lächerliche Erscheinung abgab. Sie bildete sich nämlich ein, besonders hübsch, sexy und von allen begehrt zu sein, und wertete oftmals Belanglosigkeiten oder irgendwelche Vorgänge als sexuelle Avancen ihr gegenüber, weil sie sich eben für die schönste hielt. Dazu lief sie meist im Girlie-Look oder in Pseudo-Sport-Klamotten herum, die ihr viel zu eng waren. Beispielsweise trug sie bevorzugt Tank-Tops, die aber nicht über ihre Hüften reichten, so daß unterhalb des Tank-Tops links und rechts stets ihre Hüftrollen raushingen, die sie nie verpackt bekommen hatte. Die Lächerlichkeit der Erscheinung unterstreicht die Beobachtung, wie stark sie mit Sprüchen die Leute beeinflussen konnte.

Zudem war offensichtlich, daß ihr Fett nicht auf einer körperlichen Erkrankung beruhte, sondern angefressener Kummerspeck war, was sowohl an der Art des Specks, als auch an ihren Essgewohnheiten ersichtlich war. Die Frau hatte – wie gesagt – erhebliche Probleme mit sich selbst und mißbrauchte diese Australienreise ins Outback, um für 3 Wochen ein Zwangspublikum zu haben, das ihr nicht entweichen konnte. Australien hat sie eigentlich gar nicht interessiert. Auch das steht in Zusammenhang mit den Vorgängen.

Also war das Attribut keineswegs überflüssig. Zudem ist es einfach unrichtig, daß sie genauso genervt hätte, wenn sie schlank und hübsch gewesen wäre, nicht nur weil eine schlanke Frau sich gar nicht in dieser nervenden Weise zwischen andere Leute zwängen kann, und sich auch nicht so lächerlich gemacht hätte, wenn sie sich selbst ständig für hübsch und sexy gehalten hätte, sondern weil sie vermutlich erst gar nicht in diese psychische Problematik gerutscht wäre. Zudem finden schlanke hübsche Frauen naturgemäß genug männliche Aufmerksamkeit und müssen sie nicht durch penetrante Geräuschkulissen erzwingen. Auch da liegst Du also falsch.

Man muß dem Leser auch Gelegenheit geben, einem zu folgen und sich in die Situation hineinzuversetzen. Im Prinzip könnte man auch für überflüssig halten, daß es eine Frau war, daß sie Belgierin war, daß es in Australien passierte. Schränkte ich das auf das ein, was nach Deiner Vorstellung wichtig wäre, müßte ich einfach von einem Individuum in einer nicht näher beschriebenen Gruppe schreiben. Das aber wäre ein Fehler, und man könnte es auch nicht lesen.

Du übersiehst übrigens noch einen anderen Punkt. Nämlich den, daß zu einer Beschreibung einer Problematik alles gehört, was von Bedeutung sein könnte. So hat beispielsweise ein Arzt in der Anamnese auch solche Randinformationen zu erfassen, weil sie später durchaus unerwartet Bedeutung finden könnten. Sonst heißt es später „Warum haben Sie das nicht gleich gesagt”.

Und nur weil Du es für nicht relevant hälst, heißt das ja noch lange nicht, daß alle anderen das auch so sehen müssen. Ich zum Beispiel halte es für bedeutsam, und ebenso alle Leute, mit denen ich mich damals auf der Tour darüber unterhalten habe. Es muß sich ja nicht jede Prosa an gerade Deiner Vorstellung von relevant und irrelevant orientieren. Denn letztlich begründest Du das ja überhaupt nicht, sondern behauptest das einfach mal so vom blauen Himmel herunter, daß es darauf nicht ankäme.

Und wenn man Dir folgte, dürfte es Pleonasmen und andere erzählerische Stilmittel überhaupt nicht geben. Das kann’s ja dann auch nicht sein.


Stefan W.
9.11.2011 5:48
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Die Verwendung von negativen Attributen, die nichts mit dem Hauptthema zu tun haben, kommt leider immer häufiger vor.

Wenn Du ‘fett’ als negatives Attribut liest, ist das aber Deine Wertung. Im Ernstfall dürfte es schwer sein, jemand nachzuweisen, was er bei der Verwendung gedacht hat.

`Belgierin` ist ja auch kein hilfreiches Attribut, um die Story zu verstehen, also kann man annehmen, dass die Attribute der Geschichte einfach Atmosphäre, Fleisch verleihen sollen.

`Fett` und `Belgien` korrespondieren zwar auch über die 2 Nationalgerichte Belgiens: Pralines und Pommes, aber für den Plot führt eine solche Assoziation nicht weiter.


Knut Grunwald
9.11.2011 15:10
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Ups ! Da habe ich ja einen wunden Punkt getroffen.

OK, es ist deine Geschichte, erzähl was du willst.
Natürlich hält man schlanke, aufdringliche Frauen als Mann länger aus. Es ändert für mich aber nichts an der aufdringlichen Art und das sie damit durchkommen.

Political Correctness war mir in dem Zusammenhang übrigens scheißegal. Vielleicht schreibst du ja noch einen Blogeintrag, was dir auf den Senkel gegangen bist, dass du auf so eine kleine Anmerkung so abgehst.
Nuff säd. Um noch einen Dummspruch hinzu zufügen.

@Stefan W.:
Fett ist als Beschreibung für die Körperform von Menschen immer negativ gemeint. Belgierin sehe ich hingeben als neutral an.

Fette Belgierin als Pleonasmus anzusehen, ist schön frech. 😀


yasar
9.11.2011 17:48
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Zitat Hadmut: “Zudem finden schlanke hübsche Frauen naturgemäß genug männliche Aufmerksamkeit”

Also ich kenne da auch Exemplare, die offensichtlich nicht der Meinung sind, genügend Aufmerksamkeit zu haben und zu ähnlichen Methoden greifen, wie Du sie bei der Belgierin beschreibst. 🙂


quarc
10.11.2011 21:29
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Euch hat ein Mathematiker in der Reisegruppe gefehlt. Der hätte ihr auf die
Frage “Was ist dein Problem?” einfach sein aktuelles Problem ganz genau
erklärt und sich sogar gefreut, dass sich jemand für seine Arbeit interessiert. Sie wäre dann irgendwann freiwillig in die Wüste geflüchtet.


Milo
11.11.2011 14:13
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Der Artikel gefällt mir gut. Ich habe jahrelang ausführlich im Internet herumdiskutiert über schwierige Themen und selten war das konstruktiv. Auf meine Versuche, sachbezogen zu bleiben, wurde doch allermeist mit Plattmach-Sprüchen und persönlichen Angriffen reagiert.

Mir hat mal ein sehr freundlicher Diskussionspartner aus dem Netz einen Hinweis auf eine Gruppe von Psychologen gegeben, die einen ganzen Katalog an Plattmach-“Argumenten” erstellt haben:
http://boag-online.de/pdf/boagap05.pdf

Dort listen sie diese Scheinargumente auf, erklären ihre Wirkung und sie geben Hinweise, wie man ihnen begegnen kann. Vielleicht ist das ja was für Dich.


Hadmut
11.11.2011 19:41
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@Milo: Hey, das sieht interessant aus. Danke!


Milo
11.11.2011 14:16
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Mir fällt allerdings bei der Liste der Arbeitspapiere dieser Forschungsgruppe auf, dass sie einen feministischen Anstrich reinbringen:
“Arbeitspapier 4 skizziert und kritisiert zunächst die moderne, männliche, westliche, zweiwertige Logik (Richtig, Falsch; Schwarz, Weiß), die uns oft so unsinnig quält und strapaziert.”

Die Logik als “männlich” zu klassifizieren, ist schlicht Blödsinn.

Aber abgesehen davon: der Katalog der Plattmach-Sprüche ist, meiner Erinnerung nach, frei von solchen feministischen Einfärbungen.