Fotorecht: Model-Release von Analphabeten?
Das Fotorecht ist hierzulande streng.
Von wenigen Ausnahmen (siehe Kunsturhebergesetz) abgesehen braucht man rechtlich und fast immer auch in der Praxis ein Model-Release (also einen Vertrag) von abgebildeten Personen.
Das ist so gut wie schrecklich.
Einerseits ist das in unserem grundrechtsschutzorientierten Kulturkreis sehr wichtig, denn zwei unserer Hauptbeschäftigungen ist es, die Rechte anderer entweder zu verletzen, oder die eigenen Rechte zu verteidigen.
Andere Kulturen sehen das aber anders. Wie würde man in einem Land, dessen Landessprache man nicht spricht und dessen Buchstaben man nicht mal lesen kann, Model-Releases einholen? Einfachen Leuten erstmal einen Vertrag vorlegen, bevor man sie fotografiert? Ich war in Ländern, in denen sich die Leute (anders als bei uns) überaus gerne und bereitwillig fotografieren lassen, sogar herbeigelaufen kommen, posieren oder gar darum bitten. Und sich sehr darüber freuen. Und, soweit eine Kommunikation in Englisch, durch Gesten oder Dollmetscher möglich ist, auch zustimmen. Manchmal wollen sie freilich etwas Geld haben, was juristisch aber als explizite Zustimmung angesehen wird. Leute, bei denen es völlig üblich ist, fotografiert zu werden. Und wo schon die Frage, ob man fotografieren dürfe, auf ungläubiges Staunen stößt oder gar für eine Beleidigung gehalten wird, weil man damit als Besucher die Gastfreundschaft anzweifelte. Man würde Leute völlig erschrecken und obendrein vor den Kopf stoßen, würde man jetzt erstmal einen Vertrag aus der Tasche ziehen und ihnen zur Unterschrift vorlegen. Denn das würden sie ganz sicher nicht machen – oder es als böse Beleidigung ansehen, wenn es in einem Land passiert, in dem der Handschlag und das Wort noch was zählen (anders als bei uns). Meistens wäre es den Leuten auch nicht klarzumachen, was man da eigentlich gerade von ihnen will. Und selbst wenn es gelänge, dann gelänge das Foto sicher nicht mehr.
Führt also die Pflicht zum Model-Release dazu, daß man nur noch Leute aus juristenträchtigen, rechtswegsorientierten und vertragsfreudigen Kulturkreisen ablichten (und darstellen) darf?
Und was macht man mit Analphabeten? Einen Notar mitnehmen? In irgendeinem Lehm- und Strohhüttendorf ohne Strom und Wasser auftauchen und beim Häuptling auftauchen, guten Tag, hier ist der Notar, der das alles beurkundet? Müßte man sich da noch wundern, wenn man postwendend in deren Suppentopf landet und gefressen wird?
Und wie würde man den Leuten erklären, daß man dem Notar mehr zahlt als ihnen?
Deutsches Recht ist nicht interkulturtauglich.
2 Kommentare (RSS-Feed)
Wenn man selbst publiziert nicht. Aber viele Agenturen und Verlage nehmen ohne Model Release nicht oder nur mit Einschränkungen an. Und darauf sind viele Fotografen einfach angewiesen.
Also gibt es diese Pflicht schon. Nur eben nicht rein-gesetzlich, sondern eben wirtschaftlich aus diesem Risikomanagement heraus.
Es gibt keine Pflicht zum schriftlichen Model Release. Der Wisch dient lediglich dem Risikomanagement desjenigen, der ein Foto publiziert. Ist man selbst in dieser Rolle, so wird man die Klagewahrscheinlichkeit und das daraus folgende Kostenrisiko schätzen.