Ansichten eines Informatikers

Darf man prügelnde Polizisten festnehmen?

Hadmut
27.11.2011 0:47

Kennt Ihr schon den „Jedermannparagraphen” ?

Hab ich schon vor über 25 Jahren gelernt, und zwar in der Wachausbildung bei der Bundeswehr. Nämlich auf welcher Rechtsgrundlage man jemanden festnehmen kann, wenn man Wache schiebt. Man kann es nämlich nicht nur, wenn man Wache schiebt (wobei einzuräumen ist, daß die Dienstpistole dabei die nötige Überzeugungskraft liefern kann), sondern immer. Die Rechtsgrundlage, der § 127 Abs. 1 StPO sagt nämlich:

Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. […]

Jedermann. Drum heißt’s Jedermann-Paragraph. Deshalb darf man beispielsweise einen Dieb, den man frisch ertappt, durchaus festhalten, bis die Polizei eintrifft.

Nun gab’s ja kürzlich diese Diskussion, ob Polizisten ein eindeutiges Kennzeichen tragen müssen. Ich bin jetzt nicht auf dem Laufenden, aber mir war so, als ob das nicht oder zumindest nicht in allen Bundesländern eingeführt worden sei.

Nun begeht aber ein Polizist, der exzessiv oder unnötig Gewalt anwendet, durchaus Körperverletzung, je nach Art sogar gefährliche oder schwere Körperverletzung. Und die Erfahrung zeigt ja nun auch, daß solche Fälle nicht aufklärbar sind, weil Polizisten uniformiert und oft vermummt sind, und die Kollegen dann gerne unter Erinnerungstrübungen leiden, wenn es um die Aufklärung geht. Daher können im Fall solcher Polizeigewalt durchaus die Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 StPO erfüllt sein, mit der Folge, daß jedermann befugt wäre, diesen Polizisten sofort festzunehmen, bis seine Identität geklärt ist. Wie man das dann anstellt und durchsetzt, ist eine andere Frage. Ich glaube aber, daß man diesen Aspekt bei der Diskussion um Polizistenkennzeichen bisher vernachlässigt hat.

Es klingt absurd, aber die Rechtslage ist tatsächlich so, daß unter gewissen Voraussetzungen Demonstranten Polizisten festnehmen dürfen. Freilich nur bis zum „Eintreffen der Polizei”, aber dann müssen die gleich die Identität des Täters feststellen und können hinterher nicht mehr sagen, daß das nicht mehr geklärt werden kann. Und weil die Festnahme rechtmäßig ist und es ein Gesetz dafür gibt, darf der sich im Prinzip nicht mal dagegen wehren. Und weil er eine Polizeiausbildung hat (haben sollte), muß er das sogar wissen.

Das kann durchaus zu Komplikationen führen. Denn Leute, die dann ihrerseits von der Polizei festgenommen werden, könnten sich durchaus darauf berufen, daß sie ja nicht am demonstrieren oder randalieren, sondern damit befaßt gewesen wären, den prügelnden Polizisten nach § 127 I StPO vorläufig festzunehmen, und daran von der Polizei strafvereitelnd gehindert worden zu sein.

12 Kommentare (RSS-Feed)

Alex
27.11.2011 3:03
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“Bis zum Eintreffen der Polizei” (in Form eines Wasserstrahls?)

Wenn ich mich aber recht erinnere, darf man zwar vorläufig festnehmen, aber weder festhalten noch sonstwie agieren.
Eventuell einen Haftnotizzettel dem Dieb anhängen, auf dem steht “Du bist vorläufig festgenommen”

Demnach wäre dieses Gesetz ein recht zahnloser Tiger – und damit auch nicht bei Demonstrationen relevant, besonders auch weil Polizisten immer im Recht sind, oder aus Notwehr handeln.
Zur Not werden Demonstranten ohne Sorge erschossen.

PS – ich hab in der Schule von diesem Paragraphen gelernt, 10 Klasse, Sozialkunde


Hadmut
27.11.2011 9:16
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Freilich darf man festhalten. Sonst gehts ja nicht. Damals auf der Wache hatten wir dazu sogar Handschellen und kleine Gefängniszellen. Und den Dieb auf frischer Tat darf man auch gewaltsam festhalten. Kommt ja auch gelegentlich noch vor, dass einer von Passanten geschnappt wird.


anonym
27.11.2011 10:34
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ACK, natürlich darf man dazu die nötigen Zwangsmittel einsetzen, das ist dann ein Rechtfertigungsgrund.

Für die Bundeswehr gibt es aber ein eigenes Gesetz: http://de.wikipedia.org/wiki/UZwGBw

Wo anwendbar, dürfte das als lex specialis dem § 127 StPO vorgehen. Zumal ein wachhabender Bundeswehrsoldat im Rahmen seines Wachauftrags eben nicht “jedermann”, sondern Hoheitsträger ist.


Hadmut
27.11.2011 11:53
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@anonym: Was einem im Zusammenhang mit diesem Blogartikel aber erstens überhaupt nicht nutzt, weil es zweitens nur für den Wachvorgesetzten und unter engen Voraussetzungen der §§ 4-6 gilt, und man erfahrungsgemäß meistens keinen militärischen Sicherheitsbereich zur Hand hat, wenn man einen braucht.

(Was mich daran erinnert, daß man als Soldat herrlichen Unsinn damit treiben und seine gesamte Vorgesetztenhierarchie durch den Wald jagen kann, weil – wenn ich mich richtig an meine BW-Grundausbildung erinnere – zwar jeder beliebige Dienstrang etwas zum militärischen Sicherheitsbereich erklären und mit Trassierband absperren kann (etwa wenn man mit einem Dienstfahrzeug mit sicherheitsrelevantem Inhalt einen Verkehrsunfall hat), die Aufhebung dieses Sicherheitsbereiches aber nur unter Formalitäten und durch hohe Dienstgrade möglich ist.

Man kann also – wenn man die Leute ärgern will – so am letzten Dienst-Tag im Wald an einen Baum pinkeln, ihn mit Trassierband umwickeln und zum militärischen Sicherheitsbereich erklären. Dann muß der Oberst in den Wald und ihn wieder freigeben. Rein theoretisch könnte man auch jedes beliebige öffentliche Gebäude, den Bundestag oder auch mal einen Flughafen zum Militärischen Sicherheitsbereich erklären. Selbst wenn das unsinnig oder irrtümlich ist, gilt er formalrechtlich erst einmal und muß erst förmlich wieder aufgehoben werden.


blubber
27.11.2011 10:37
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Man darf die betreffende Person 24 Stunden lang festhalten, sollte dann immer noch keine Exekutiva aufgetaucht sein ist sie freizulassen.
Das Problem ist jedoch das die Polizei Hoheitsrechte ausübt und jederzeit zwecks Gefahrenabwehr frei entscheiden kann, ob Platzverbot, Beschlagnahme oder Festnahme zur Gefahrenabwehr notwendig ist.
Allerdings sind Polizisten verpflichtet sich bei Aufforderung auszuweisen und zwar so, das eindeutig Lichtbild, vollständiger Name und Dienstnummer erkennbar sind.
Das ist zwar wegen dem Föderalismus in jedem Bundesland etwas anders geregelt aber jeder Polizist muß identifizierbar sein und sich via Dienstausweis legitimieren können.
Eine Uniform alleine reicht nicht.
Da aber bei der Gefahrenabwehr keine Unschultsvermutung greift …
Ergo sollte ein Polizist unverhältnismäßig hart vorgehen darf man zwar in Notwehr eingreifen und den betreffenden Polizisten von weiteren Gewalttaten abhalten, dann greift jedoch wieder die Gefahrenabwehr und man bekommt selbst die Fresse voll und darf danach beim Kadi ganz alt aussehen …
Das einzige Mittel der Willkür einhalt zu gebieten ist es großflächig zu filmen und alles was passiert am besten sofort ins Netz streamen.


Hadmut
27.11.2011 11:56
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@blubber: Nein. „Man” darf niemanden 24 Stunden lang festhalten. Man darf die Leute bis zum Eintreffen der Polizei festhalten, die man sofort rufen muß.

Und die Hoheitsrechte der Polizei und Platzverweise haben mit dem Thema hier überhaupt nichts zu tun.

Und ein Polizist muß sich bei einer Diensthandlung auch nicht unbeteiligten Dritten gegenüber ausweisen. Diese dürfen ihn aber im Falle einer Straftat durchaus bis zur Feststellung der Identität festnehmen.


Yoshimitsu
27.11.2011 12:04
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Eine gültige gesetzliche Verpflichtung zur Kennzeichnung ist mir nur für Berlin bekannt, auch wenn vielerorts darüber diskutiert und abgestimmt wird/wurde.

Hier in Bayern, einem Bundesland in dem die Zahl der Ausschreitungen der Polizei besonders hoch ist, wurde eine Kennzeichnungspflicht auf jeden Fall von der Politik abgelehnt.

Problematisch ist eben nur, dass jeder festgehaltene prügelnde Polizist eine knappe Hundertschaft Zeugen für seine Notwehrsituation hat – und im Gegensatz zum Demonstranten sind die Zeugen auf Seiten der Polizei zuverlässiger (mindestens 2 “zivile” Zeugen wiegen erst einen Polizisten auf) und noch dazu keine Chaoten…


Hadmut
27.11.2011 12:11
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Es gibt rechtlich gesehen keine Gewichtung und Aufrechnung von Zeugen, genausowenig, wie es „Aussage gegen Aussage” gibt. Es gilt die freie Beweiswürdigung. Wobei natürlich eine Videoaufnahme ein sehr ordentlicher Beweis ist, nur vor dem Problem der Identitätsfeststellung stehen kann.


Hanz Moser
27.11.2011 14:15
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@ Hadmut

Ja, rein nach den Buchstaben des Gesetzes ist ein Polizist ein Zeuge wie jeder andere auch. Frag doch mal einen beliebigen Strafrechtler nach der Realität. Die ersten Abteile des Instanzenzugs kennen noch getrennte Bereiche für Uniformierte und Zivilisten. Wenn da einer wörtlich nach einem Jahr den Polizeibericht runterbetet fragt sich kein Richter, wie das ein normaler Beamter in einem durchschnittlichen Fall kann und ob er den vielleicht direkt vorher noch mal gelesen hat, damit er überhaupt was zu sagen hat. Nein, das ist dann eben ein hervorragender Zeuge der überzeugend seine Wahrnehmungen vorträgt, die auch immer äußerst schlüssig sind.

Wenn du tatsächlich einen Polizisten festnimmst kannst du dich auf eine Verurteilung einstellen. Recht hin, Recht her, solange du nicht deine Unschuld und die Rechtmäßigkeit deines Tuns beweisen kannst gilt in so einem Fall garantiert in dubio pro accusator. Wie viele Löcher der Rechtsstaat in der Praxis hat dürftest du ja wissen.

Und zu den Namensschildern erinnere ich mich noch an was. Das eingebettete Video ist Gold wert: http://www.lawblog.de/index.php/archives/2011/09/20/die-eisbein-demo/


Numbercruncher
27.11.2011 14:21
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@Hadmut:
Dass auch Videos im Allgemeinen wenig bis nix bringen, konnte man bei den S21-Protesten sehen. Aussagen von Polizisten sind vor Gericht trotzdem näher an der Wahrheit als jeder Beweis.


Sabrina
28.11.2011 19:02
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Vermummungsverbot, aber Polizisten vermummen sich um ihre Identität zu verbergen. Aus ihrer Sicht wäre es kontrapdouktiv, diesen Vorteil durch ein Namensschild (in UK tragen Polizisten ihre Ausweise ständig sichtbar) zu konterkarieren.

Schutzverbot (Schutzkleidung, Helme), weil unterstellt wird dass man dann Gewalt anzuwenden plant. Für die Polizei gilt das nicht, woraus folgt dass sie Gewalt anzuwenden plant. Da wäre ein Kennzeichen auch hinderlich.

Die Erfahrung zeigt dass es egal ist was in Gesetzen steht. Der Staat macht was er will. Insofern ist es egal ob Kennzeichen oder nicht, festnehmen oder nicht. Wenn es Kennzeichen gibt, geht eben die Liste mit der Zuordnung verloren. Wenn man einen Polizisten festnimmt wird er vom restlichen prügelnden Polizeimob befreit. Wenn man es schafft seinen Namen feststellen zu lassen, geht eben das angefertigte Protokoll verloren. Oder, wenn es soweit kommen sollte, die Gerichtsakten. Kennt man doch alles.


[…] Das kann durchaus zu Komplikationen führen. Denn Leute, die dann ihrerseits von der Polizei festgenommen werden, könnten sich durchaus darauf berufen, daß sie ja nicht am demonstrieren oder randalieren, sondern damit befaßt gewesen wären, den prügelnden Polizisten nach § 127 I StPO vorläufig festzunehmen, und daran von der Polizei strafvereitelnd gehindert worden zu sein. ” Danisch.de » Blog Archive » Darf man prügelnde Polizisten festnehmen? […]