Ansichten eines Informatikers

Haben Frauen eine niedrigere Burnout-Schwelle?

Hadmut
9.1.2012 15:30

Ein Leser schickt mir gerade einen Hinweis auf einen Burnout-Test.

Leider habe ich nur ein paar Informationsfetzen mit der Handy-Kamera bekommen, die kein geschlossenes Bild geben. In einer Zeitschrift namens „Gesundheit konkret”, Ausgabe 1/2012, womöglich diese Zeitschrift der Barmer Ersatzkasse, gab es wohl einen Artikel über den Burnout mit einem Test für die Burnout-Gefährdung (hohe Punktezahl = Burnout-Gefährdung), in dem u.a. gefragt wurde

Sind Sie weiblich oder männlich?
weiblich (15)
männlich (5)

Was ich schon systematisch für bescheuert halte, denn wenn man auf jeden Fall mindestens 5 Burnout-Punkte bekommt, egal was man ankreuzt, dann kommt mir der Test fagwürdig vor. Weil dann nämlich sogar jemand, der wirklich überhaupt keine Burnout-Gefährdung hat, auf der Punkteskala auf soundsoviel Punkte kommt. Die Auswertung fängt dann auch bei der Mindestpunktzahl von 55 Punkten an. Man könnte freilich argumentieren, daß eine gewisse Mindestpunktzahl notwendig ist, um das subjektive Gefährdungsgefühl nicht überproportional steigen zu lassen. Es fühlt sich schließlich anders an, wenn man auf einer Skala von 55 bis 155 eine 60 erreicht, als wenn man auf einer Skala von 0 bis 100 eine 5 erreicht, obwohl es das gleiche ist, wenn man bei 11 Fragen (keine Ahnung, wieviele das waren) jeweils 5 Punkte automatisch dazubekommt. Irgendwie kommt mir das alles wie Kaffeesatzleserei vor.

Ist es aber berechtigt zu sagen, daß Frauen beim burnout eine um 10 Punkte (was auch immer das heißen mag) höhere Gefährdung haben? Oder umgekehrt, daß Frauen bei ansonsten exakt gleichen Antworten eher als burnout eingestuft werden wie ein Mann? Daß also ein Mann bei den anderen Antworten etwas stärker leiden muß, damit er auf die gleiche Burnout-Bewertung kommt?

12 Kommentare (RSS-Feed)

dustbunny
9.1.2012 16:24
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Ich vermute mal, dass Frauen in den Statistiken, die Burnout-Fälle erfassen, häufiger als Männer auftauchen; also schließt man daraus, dass eine (jede) Frau stärker gefährdet ist.

Eine andere Erklärung wäre, dass Männer ihren (psychischen) Gesundheitszustand grundsätzlich dreimal (15 zu 5) schlechter einschätzen als Frauen. Diese Übertreibung wird durch die Gewichtung nach Geschlecht relativiert … 😉

Noch eine andere Erklärung wäre, dass Frauen mit (psychischen) Belastungen dreimal schlechter klarkommen als Männer … 😉

Und schließlich darf man nicht vergessen, dass Frauen die Hauptzielgruppe für “Psycho-Tests” in Zeitschriften sind. Da will man den Leser(innen) möglicherweise nur entgegenkommen. 😉

Man sollte diese Krankenkassen-Kundenzeitschriften nicht ernster nehmen als vergleichbare Publikationen wie die Apothekenumschau oder die Bäckerblume.


Phil
9.1.2012 16:57
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Hi,

ich habe die Zeitschrift auch.

Insbesondere geht es darum, aufzuklären, dass sich hinter dem Modeword Burnout (was es wohl als Diagnose gar nicht gibt), oft eine Form der Depression versteckt.

Laut Zeitschrift sind Frauen zweimal so häufig (Erkrankung an Depression), wie Männern.

Ich versuche mal einen “academic guess”: Dies liegt wohl an der stärkeren Gefühlswelt der Frauen, was Hormonell bedingt ist (und auch Neurologisch). Siehe auch: PMS
http://de.wikipedia.org/wiki/Prämenstruelles_Syndrom


Hadmut
9.1.2012 17:34
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@Phil, John: Selbst wenn es so ist, daß Frauen häufiger an Depressionen erkranken, ergibt es keinen Sinn, Frauen von vornherein mehr Punkte zu geben, denn daß sie häufiger Depressionen haben bedeutet ja nicht, daß die Symptome dann schwächer ausgeprägt wären. Selbst wenn Frauen häufiger Depressionen haben müßten die anderen Fragen dann genauso gestellt und bewertet werden.

Hätten Frauen häufiger Fieber als Männer würde das ja auch nicht bedeuten, daß man ihnen beim Fiebermessen schon ein Grad mit draufschlägt.

Wenn Frauen häufiger Depressionen haben, kann das nicht dazu führen, die ansonsten gleichen Symptome mit Punkteaufschlag schneller zum Burnout zu erklären, sondern sie haben dann einfach bei den anderen Fragen schon höhere Punktezahlen.


John
9.1.2012 17:04
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Vllt. dienen die 5 Punkte einfach dazu eine 3fach höhere Burnout wahrscheinlichkeit rechnerisch einzubringen und als Grundeinheit 5 Punkte zu Benutzen?


euchrid eucrow
9.1.2012 19:32
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Ich vermute mal, dass Frauen in den Statistiken, die Burnout-Fälle erfassen, häufiger als Männer auftauchen; also schließt man daraus, dass eine (jede) Frau stärker gefährdet ist.

das liegt auch daran, das frauen häufiger als männer in sozialberufen arbeiten. hier sind die ausfallquoten auf grund des hohen drucks und der hohen arbeitsbelastung durch burnout oder depressionen besonders hoch. dazu kommt, das die probleme der arbeitnehmer auf grund der miesen entlohnung auch nach feierabend nicht nachlassen. die krankenkassen erfassen und dokumentieren die physischen und psychischen auswirkungen der arbeit ihrer versicherungsnehmer in verbindung mit dem jeweiligen beruf. das treibt die statistik in diesem fall besonders in die höhe. das hat nun nicht unbedingt was mit dem test und der besagten frage zu tun. genauer wäre die frage, ob man in einem sozialberuf arbeitet oder nicht.
hier könnte man bei den krankenkassen mal nachhaken.

ich selbst, ebenfalls im sozialbereich tätig, hatte letztens ein gespräch mit dem leiter einer sozialen einrichtung. der sagte mir, dass besonders im heimbereich mit schichtdienst keine unbefristeten arbeitsverträge mehr geschlossen werden sondern nur noch einjährige, weil die meisten arbeitnehmer(innen!) schon vor ablauf des ersten jahres ausgebrannt sind und dadurch überdurchschnittlich lange arbeitsunfähig sind.
man nimmt dies natürlich zum anlass um in der gesamten einrichtung nur noch befristete verträge zu vergeben, egal in welchem bereich man arbeitet. das nur am rande.
von der fürsorgepflicht der arbeitgeber den angestellten gegenüber keine spur.
die wissen was los ist und verheizen ihr personal munter weiter. es gibt ja schließlich genug humankapital.


euchrid eucrow
9.1.2012 21:39
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hier [pdf 7,8mb] gibt es die zeitschrift mit besagtem test. ab seite 15 zum thema. seite 16 und 17 test und auswertung.

beantwortet man alle fragen, bis auf die letzte, positiv (d.h. 5 punkte), trägt aber einen ständigen todeswunsch mit sich herum und beantwortet die letzte daher mit der 15-punkteantwort, ist laut auswertung trotzdem alles in butter. 😀

…der test hat mehr unterhaltungswert im sinne eines horoskops als irgendeinen statistischen oder wissenschaftlichen hintergrund.


euchrid eucrow
9.1.2012 23:04
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dann kommt mir natürlich noch die idee der suggestion: die zeitschtschrift ist natürlich eigenwerbung für die barmer. der test hat die zielgruppe frau. die frau als das emotionale wesen, was eh ständig unter gefühlschwankungen leidet, soll doch bitte mal in sich hinein horchen ob vielleicht irgendwas nicht stimmt in ihrem gefühlsleben. dafür geben wir ihr 10 punkte vorsprung, weil sie ja gefährdeter ist als der mann. damit bekommen wir sie eher über 91 punkte (auswertung, 2.antwort, erster satz) und damit vielleicht zum arzt, der ihr psychopharmaka oder sonst irgendwelche heilmethoden verschreibt.
das ist bares geld für die kassen bzw. barmer die ärzte usw.
dazu fällt mir wiederum requiem for a dream ein. einfach mal ansehen. klasse film!


Hadmut, das ist doch einfach ein typisches Beispiel, wo Korrelation mit Kausalität verwechselt wird. Angenommen, Frauen gehen statistisch häufiger wegen Burnout zum Arzt, dann heißt das doch eben nicht, dass eine einzelne Frau deshalb stärker gefährdet ist. Statt dessen müsste man fragen, wie bereitwillig man professionelle Hilfe sucht, oder wie auslaugend das Arbeitsklima ist.


Hadmut
10.1.2012 15:55
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@Christoph:

Soweit muß man doch gar nicht gehen.

Selbst wenn man es als gegeben hinnimmt, daß Frauen stärker gefährdet sind und öfter erkranken, folgt daraus noch nicht, daß die Symptome dann schwächer ausgeprägt wären und die Punktediagnostik durch Zusatzpunkte verschoben werden muß.


Netzleben
15.1.2012 23:48
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Neulich im deutschlandfunk@wissenschaft im brennpunkt ein schoener podcast dazu. Diese hervorhebung von frauen koenmte einfach historeisch gewachsen sein. Die skala hat der praktikant gemacht. 🙂


yasar
1.2.2012 10:05
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Apropos Punkte nach Geschlecht vergeben:

Weight-Watchers haben ein Punktesystem das beschreibt, wieviel man essen darf. Am Anfang wird abhängig von Geschlecht, Alter, Gewicht und Uhrzeit die Anzahl der punkte ermittelt, die man pro Tag “verfressen” darf.

Männder bekoemmen 15 Punkte, dafür daß sie Männer sind, und Frauen 7 Punkte. Das entspricht einer Differenz von einer kompletten Mahlzeit. 🙂


Hadmut
1.2.2012 10:40
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Da Männer einen höheren Metabolismus „pro Kubikmeter” haben, ist das ja auch berechtigt.