Ansichten eines Informatikers

Frauenquote und Simpson-Paradoxon

Hadmut
25.3.2012 19:36

Ein Leser hat mir gerade zu einem früheren Blog-Artikel in einem Kommentar den Link auf die Wikipedia-Seite zum Simpson-Paradoxon geschickt. Diese Art von Rechenfehler habe ich auch schon mehrfach hier im Blog angesprochen und davor gewarnt (z. B. bei der Geburtenrate oder eben der Geschlechterbenachteiligung), aber daß dieser Fehler auch einen eigenen Namen hat, wußte ich noch nicht. Lesens- und bemerkenswert.

Gerade der Effekt, daß unterschiedliche Vorlieben von Frauen und Männern bei Jobangeboten zu unterschiedlichen Einkommen und Geschlechterquoten führen können, wurde in keiner der mir bekannten Publikationen bzw. Pamphlete zur Frauenquote berücksichtigt. Es heißt immer nur nach der Holzhammermethode, daß Frauen im direkten Vergleich unterrepräsentiert und unterbezahlt seien, aber statistische Rechnungen, die diesen Fehler vermeiden, habe ich noch nicht gesehen. Oder wie man so schön sagt: Koinzidenz, Korrelation und Kausalität sind drei verschiedene Dinge.

23 Kommentare (RSS-Feed)

Andrea
25.3.2012 20:54
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Vielleicht sollte man mal eine Quote für Kleinwüchsige einführen. Ich finde die sind in den Vorständen ganz schön unterrepräsentiert.


Hadmut
25.3.2012 20:55
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Unbedingt. 🙂

Auch Einäugige, Einarmige und Einbeinige gibt es zu wenig.


Stephan Mehofer
25.3.2012 22:21
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Wer sich für Statistik und deren (un)bewussten Missbrauch interessiert, dem kann ich das Buch “Der Hund, der Eier legt” u.a. von Hans-Peter Beck-Bornholdt empfehlen.
Medizinischer Fokus, aber allgemein anwendbar. Und teilweise erschreckend, was die Autoren in wissenschaftlichen Puplikationen so aufgedeckt haben.


Hadmut
25.3.2012 22:25
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Ich hab irgendwo in den Tiefen meines Handapparats auch noch den schon etwas älteren Band „So lügt man mit Statistik” und – wenn ich mich recht erinnere – noch einen Band 2. Auch sehr gut und empfehlenswert.


Peter Suxdorf
26.3.2012 5:26
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Ich habe seinerzeit beim Fahrzeugtechnikstudium einen Prof für Fahrzeugsicherheit gehabt, der der irrigen Annahme war, daß damals ein Toyota Landcruiser das sicherste Auto der Welt wäre. Ein ADAC-Crashtest widerlegte zwar diese Annahme, aber der Prof lies sich nicht beirren, da laut seiner Statistik die Gefahr eines tödliches Unfalles in jenem Fahrzeug am geringsten war, demzufolge es also das sicherste Auto sein mußte. Unberücksichtigt blieb in diesem Zusammenhang die Anzahl der zugelassenen Landcruiser im Vergleich…


Hadmut
26.3.2012 7:22
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Dafür sind aber Betten eine hochgefährliche Angelegenheit, weil ziemlich viele Leute im Bett sterben…


Tobias
26.3.2012 13:18
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Das Simpson-Paradoxon (Paradoxon ist ja genau genommen falsch) ist so gemein weil es eben in vielen Fällen gegen die etablierten Denkweisen geht.

Selbst Menschen die in ihrem Gebiet als Erfahren gelten fallen darauf herein.

Ein Beispiel aus dem Finanzbereich:

Man frage in welchem Bereich Gesamtrendite von 2 Depots, die eine Einzelredite sagen wir 3% und 5% haben, liegt. Über 90% werden sagen das Gesamtrendite zwischen 3% und 5% liegen muss.

Auf das Simpson-Paradoxon hereinzufallen ist sehr leicht wenn nur ein beschränkter Datensatz zur verfügung steht (Wie im obrigen Beispiel die Depotwerte und Käufe/Verkäufe). Deshalb halte ich auch von Studien nicht viel die ihre Ergebnisse mit ein paar Prozentzahlen zusammenfassen ohne weiteren auführlichen Kommentar.


Tobias
26.3.2012 13:22
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PS: Mir fällt gerde auf das es ja anscheinend dutzende von “Renditen” gibt. Gemeint ist da oben die zeitgewichtete Rendite.


O.
26.3.2012 20:50
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Daß Frauen im direkten Vergleich schlechter verdienen kann ja durchaus sein. Das wird dann aber wohl im frei verhandelbaren Bereich oberhalb der Tarife oder im Nideirglohnsektor sein. (Oder sind Tariflöhne auch geschlechtsspezifisch? 😉 )

Dennoch: das Simpson-Paradox – gerade auch bei der Wahl der jeweiligen Berufssparten (und damit Einkommen) – sollte man deshalb nicht aus den Augen lassen.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist eine sinnvolle Forderung.
Gleiche Anzahl von Männern und Frauen in einem Berufssektor oder einer Firma halte ich nicht für zwingend notwendig, wenngleich ich auch nichts dagegen hab. Aber wieso soll man sowas per Quote erzwingen?

Ich vermute mal, das Simpson-Paradox ist wenig bekannt.
Daß es einen Namen hat ist gut, man kann dann ohne immer alles neu zu erklären darauf verweisen.


O.
26.3.2012 21:13
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@Tobias:
Naja, Paradoxon stimmt schon. Man hat es hier mit Widersprüchlichkeiten zu tun, die durchaus den namen paradoxon verdienen.

Gemein ist zum Beispiel das Nierenstein-Problem, das im englischsprachigen Wikipdia-Artikel zum Simspson-Paradox zu finden ist:

http://en.wikipedia.org/wiki/Simpson%27s_paradox#Kidney_stone_treatment

Die eine Methode ist besser, wenn man sie auf Nierensteine im Allgemeinen anwendet, die andere Methode ist besser, wenn man sie auf kleine Nierensteine anwendet, aber sie ist auch besser, wenn man sie auf große Nierensteine anwendet.

Die Entscheidung müsste also einmal sein, man wählt Methode A aus, da sie bei allen nierensteinen besser wirkt; die Entscheidung muss aber andererseits sein, daß man Methode B auswählt – sowohl, wenn man kleine als auch wenn man große Nierensteine hat.

Das ist doch schon ein durchaus schnuckeliger Widerspruch. 🙂


Tobias
28.3.2012 9:26
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@O:

Der Wiederspruch ergibt sich aber aus der fehlerhaften Interpretation der Ergebnisse (nämlich der nichtberücksichtigung der Gewichtungen) nicht aus der Rechnung selber.

So kann man immer wenn man gesamtsummen aus Einzelergebnissen bildet und diese dann in ein Verhältnis zu einander bringt zu intuitv falschen Ergebnissen kommen wenn man die Gewichtungen vernachlässigt.

Der Wiederspruch ist also eher ein methodischer Fehler, bzw. ein daraus resultierender Wiederspruch zur eigenen Intuition als ein wirkliches Paradox. Das war es was ich meinte.

Andererseits werden auch nur schienbar unauflösliche Wiedersprüche als Paradox bezeichnet … wobei das scheinbar natürlich dann wieder relativ ist. Für den, der den Trugschluss durchschaut ist es dann streng genommen kein Paradox mehr (Siehe Paradox von Archilles und der Schildkröte bei dem nicht auf anhieb durchschaut wird das ein begrenzter und kein unendlicher Zeitraum betrachtet wird).


Alex
28.3.2012 10:37
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@Frauenquote – kennt jemand eine genauere Untersuchung, die Branchen und Positionsabhängig die Vergleiche aufschlüsselt?

@Nierenstein-Problem
Ich tu mich schwer zu beantworten, welches der Medikamente nun (also nur aufgrund dieser daten) das bessere ist,
hat da jemand gute Argumente?


Tobias
28.3.2012 12:21
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@Alex:

Wie man dem Kommentar zu dem Nierenstein-Problem entnehmen kann ist Behandlung A besser.

Offensichtlich kamen bei dem Experiment mehrere Faktoren zusammen:

1. Die Erfolgsrate ist eher von der schwere der Erkrankung abhängig als von der gewählten Behandlung.

2. Die Ärtze wussten oder hatten das Gefühl das Behandlung A besser ist. Deshlab haben sie bei schweren Fällen eher zu Behandliung A gegriffen und bei weniger schweren fällen zu Behandlung B.

3. Dadurch ist die Erfolgsquote von Behandlung B bei weniger schlimmen fällen besser als die Erfolgsquote von behandlung A bei schlimmen Fällen.

4. Durch Punkt 2 sind die überwigende Mehrzahl der Fall/Behandlungs kombinationen Leichter Fall/Behandlung B und Schwerer Fall/Behandlung A.

Nur duch die kombination all dieser Faktoren kommt in der Summe dann heraus das Behandlung B besser sei. Tatsächlich ist aber Behandlung A besser (Nach dein Einzelbereichen schwerer/leicher Fall zu gehen ist in diesem Fall richtig da dadurch die Überlagerun der andern Phänomene umgangen wird).


yasar
28.3.2012 13:00
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Banken nutzen einen ähnlichen Umstand immer wieder für Baufinazierungen aus:

Man bietet einen Kredit in Kombination mit einem Bausparvertrag an, z.B:

a- Kredit x% (kann druchaus ein günstiger Zinssatz sein).

b- Bausparvertrag über Kreditsumme mit y% Guthabenzinsen und z% Kreditzinsen.

c- Kredit werden nur Zinsen bezahlt und wird mit Bausparvertrag abgelöst, wenn der fertig angespart und zugeteilt wurde

Üblicherweise ist y<z<x.

Nun denkt der druchschnittliche Mensch, der Zinssatz für das Gesamtpaket liegt vermutlich irgendwo zwischen z und x. Sogar Bankmitarbeiter haben das gegenüebr mir schon öfter behauptet. Das ist aber falsch.

Dadurch, daß der Kredit nicht getilgt wird und alles in den Bausparvertrag eingezahlt wird, statt zu tilgen, ist der effektive zinssatz i.d.R. deutlich höher als der nominale Kreditzinssatz. Das wird ganz schnell deutlich, wenn man die Restschuld zum Zeitpunkt der Ablösung ausrechnen läßt. die ist bei direkter Tilgung deutlich niedriger als bei der Ablösung durch den Bausparvertrag.


O.
29.3.2012 1:01
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@Tobias

Ja, ich sehe, was Du meinst.
Aber sind nicht alle paradoxien letztlich nur Fehlinterpretationen oder Falschanwendungen?

Du willst wohl auf den Unterschied zwischen “scheinbaren” und “echten” Paradoxien hinaus.

Wie Du selbst ja schon schreibst, beides wird Paradoxien genannt,
und manches wird erst später (im Laufe der Forschungsevolution),
also mit neuen methoden und Erkenntnissen als nicht-Paradox entlarvt.

Der Klassiker des lügenden Kreters ist letztlich auch kein “echtes” Paradoxon, wenn man so will, aber es ist nach wie vor der Klassiker, der immer wieder als Erklärung angeführt wird.

Was bleibt letztlich noch an “echten” Paradoxien übrig?
Entweder muss man den beutel der Paradoxien der Reihe nach
entleeren, oder den betriff selbst in Frage stellen.

Oder man belässt es dabei, daß man manches als Paradoxien bezeichnet, aber welche, die aus heutiger Sicht nur noch historisch als Paradoxien anzusehen sind.

Was sind für Dich “echte” Paradoxien?
Und wie lange schätzt Du, werde sie als solche überleben?

Kann man – in Anlehnung der Suche nach “der größten Primzahl” –
auch nach der letzten (übrigbleibenden) Paradoxie suchen, die auch bei weiterer Forschung als ewige Paradoxie alle anderen Paradoxien überleben wird? 🙂

Das letzte Mysterium?! 🙂


O.
29.3.2012 1:07
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> Entweder muss man den beutel der Paradoxien der Reihe nach
> entleeren, oder den betriff selbst in Frage stellen.

“betriff” sollte “Begriff” heissen.


O.
29.3.2012 13:19
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Nachtrag:

Simpsons Paradox solle berücksichtigt werden,
was die generelle Diskussion um Job-Chancen angeht.

Dennoch hier noch Infos zum direkten Vergütungs-Vergleich:

Große Einkommensunterschiede zwischen Akademikerinnen und Akademikern
http://www.boeckler.de/14_39275.htm

Man könnte natürlich weiter fragen und zwar z.B.:
Bei welchen Firmen innerhalb einer Branche bewerben sich Männer / Frauen? Große Firmen, Mittelständler und kleine Unternehmen zahlen vermutlich unterschgiedlich gut. Wie sieht es mit den Bewerbungen von Frauen und Männern aus, verteilt auf die jeweiligen Firmengrößen (mit ihren unterschiedlichen Lohnzahlungen).

Da könnte man also weiter ins Detail gehen.

Ohne Originaldaten hat man immer die Schwierigkeit,
die Ergebnisse nicht prüfen zu können.

=> OpenScience


Marion
30.3.2012 20:29
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Ich bin nicht der Ansicht, dass dieses Paradoxon bei Frauenquoten und Gehaltsvergleichen zwingend zutrifft. Vergleicht man Sachbearbeiter M und F in der gleichen Firma mit den gleichen Aufgaben kann trotzdem die Frau weniger verdienen. Sieht man sich die Chefetagen an sind Frauen in der Minderzahl. Da geht die Statistik noch gar nicht so weit dass dieses Paradoxon auftreten könnte. Sicherlich kann es das, wenn man es weiter treibt, aber es ist nach meiner Beobachtung nicht zwingend vorhanden.


Hadmut
30.3.2012 20:31
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„Ich bin nicht der Ansicht…” , „kann weniger verdienen” , ”nicht zwingend vorhanden” – was sind denn das für Aussagen? Vage, spekulativ, Wunschdenken.


ste
31.3.2012 10:42
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Hadmut: du meinst den Klassiker:
“How to Lie with Statistics” von Darrell Huff (1954)


Hadmut
31.3.2012 14:03
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@ste: Nein, ich meinte „So lügt man mit Statistik” von Walter Krämer, 1991.


Marion
2.4.2012 21:32
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Ich bin nicht der Ansicht = Es ist mir aufgefallen, blöd formuliert, geb ich zu.

kann weniger verdienen = Es gibt Firmen die für gleiche Leistung gleich viel bezahlen, dann trifft es nicht zu. Es gibt Firmen die Frauen weniger für die gleiche Leistung bezahlen, dann trifft es zu. Es kann also zutreffen, muss nicht, kommt auf die Firma an.

nicht zwingend vorhanden = Es ist manchmal so, wie Du beschrieben hast, aber nicht immer, also nicht zwingend. Es gibt unterschiedliche Situationen.

Du kannst nicht pauschal sagen es ist so, wenn es häufig nicht so ist. Und ich kann nicht pauschal sagen es ist nicht so, wenn es häufig doch so ist. Also “kann” und “nicht zwingend”. Weil es beides gibt.


Tobias John
4.4.2012 13:14
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@Marion: Natürlich trifft das Simpson-Paradoxon nicht zwingend zu. Da aber nur ein Ergbnis ohne weitere Betrachtuing zur Entsteheung dieses Ergbnisses gegeben wird kann man aber auch nicht sagen Ob es zutrifft oder nicht.

Das Simpson-Paradoxon sehe ich nur als Beispiel dafür was alles schif gehen kann wenn man sich nur auf einen Weert verlässt ohne die Umstände der Entstehung zu betrachen.

Beispiel: Hätte man bei der Nirenstein sache nur das Gesamtergebnis vorliegen würde man klar zum Schluss kommen das die in wirklichkeit schlechtere Behandlung besser ist. Und man hätte auch gar keine Möglichkeit zu erkennen ob das Simpson-Paradoxon zugeschlagen hat oder nicht weil es einfach an Daten fehlt.

Genauso kann man nicht einfach aus der Tatsache das Meinetwegen 99% aller Vorstände Männer sind auf eine Ungerechtigkeit bei der Postenverteilung der Vorstände schliessen. Es ist sicher ein indiz für eine mögliche Ungerechtigkeit, aber ohne die genauen Umstände zu kennen, z.B. wieviele Frauen/Männer bewerben sich, wieviele werden abgehlent, aus welchen Gründen werden Sie abgelehnt, wie sehen die Qualifikationen aus, usw., kann man eben nicht automatisch auf eine Ungerechtigkeit schliessen, ausser man sieht in dem Missverhältnis selbst schon die Ungerechtigkeit.

Dann kommt man natürlich zu der Fragestellung was man als Gerecht und als Ungerecht empfindet. Ich gehe davon aus das es Gerecht ist wenn bei gleicher Qualifikation eine gleiche Chance auf Nominierung und Annahme zum Vorstandsposten besteht. Und wenn eine gleiche Chance besteht diese Qualifikation zu erreichen.

Wenn man dies als Prämisse nimmt dann besteht die Kritik darin das man einzig aus der diskrepanz zwischen Verteilung Männer/Frauen in Bevölkerung und Vorständen auf eine Ungerechtigkeit schliessen will.

Und in diesem fall kann schon das Simpson-Paradoxon zuschlagen, wenn z.B. die Freiwillige Berufs/Ausbildungswahl von Frauen die Qualifikation für einen Vorstandsposten stärker beeinflusst als das Geschlecht die Annahme von Bewerben auf einen Vorstandposten.

Diese freiwillige Wahl überlagert dann nämlich das Gesamtergebnis extrem und schon haben wir Voraussetzungen unter denen das Simpson-Paradoxon auftreten kann.