Ansichten eines Informatikers

Missbrauchsvorwurf an der Charité

Hadmut
5.12.2012 23:53

Da ging doch neulich der Skandal durch die Presse, wonach dort eine 16-Jährige in der Notaufnahme missbraucht worden sei. Praktisch die ganze Presse hat darüber berichtet, was die Leitung falsch gemacht hat, dass der Pfleger früher schon auffällig geworden wäre und, und, und. Hang ’em higher…

Zuerst hatte ich ja auch den Bericht-Reflex, und wollte schon auf Forschungsmafia darüber schreiben, nachdem ich ja auch schon mehrfach Seltsamkeiten an der Charité, auch zu Themen wie Gender und Feminismus betrachtet hatte. Irgendwie hatte ich dabei aber kein gutes Gefühl, das war irgendwie noch nicht so ganz rund und fertig. Zumal ich an den Fall Kachelmann denken musste, in dem ja auch schon jeder wissen wollte, dass er der Täter ist, noch bevor die Sache überhaupt untersucht worden war. Komischerweise haben meistens vor allem die, die nicht dabei waren und eigentlich gar nichts davon wissen, was passiert sein soll, meist die größte Gewissheit, wer der Täter ist und was er gemacht hat. Täter ist immer der, bei dem man das wohligste Skandal-Erlebnis hat und wo man sich so herrlich aufregen und irgendetwas für schlecht halten kann, was das eigene Weltbild bestätigt. Bei sowas warte ich da doch lieber ab, was die Ermittlungen ergeben, und halte mich da auch mal eher an die Unschuldsvermutung oder wenigstens die Selbstdisziplin zu wissen, was ich alles nicht weiß.

Scheint, als wäre ich damit womöglich gar nicht so schlecht gefahren. Und als hätte ich manchem Journalisten da was voraus. Allerdings muss ich auch nicht Meldungs-Umsatz generieren um davon leben zu können.

Siehe auch Abendblatt, RBB, BZ.

Wer jetzt übrigens hämisch meint, dass die Vorwürfe falsch gewesen seien und das Mädchen sich das ausgedacht habe, begeht genau denselben Fehler.

Der Status ist, wie der schöne Spruch beschreibt, „Nichts Genaues weiß man nicht”, jedenfalls nicht öffentlich. Nach dem, was in der Presse stand, weiß man als Leser eigentlich gar nichts. Und sollte sich damit jeglicher Schlußfolgerungen und Verurteilungen enthalten, in beide Richtungen.

Sowas sollten wir gesellschaftlich mal erlernen.

Irgendwie habe ich aber den Eindruck, dass hier eigentlich fast alle nur noch in Vorwüfen und Null-Wissen-Verurteilungen (um den dämlichen und politisch missbrauchen Begriff „Vorverurteilung” oder „Vorurteil” zu vermeiden) denken. Für die einen ist der Pfleger der Schuldige, für andere ist es dann das Mädchen. Ein sattes „Wissen wir noch nicht” hab ich bisher nirgends gelesen.

Übrigens lese ich seit gestern gerade in der U-Bahn (und damit entsprechend langsam) „Heterophobia“ von Daphne Patai, worin es darum geht, dass der Feminismus das Rechtssystem so unterwandert hat, dass Beschuldigten bei Missbrauchsvorwürfen nicht einmal mehr die Rechte jedes normalen einer anderen Straftat Beschuldigten zugestanden werden, wie etwa Verteidigung, Gegenbeweis, Unschuldsvermutung. Man hebelt da (vor allem in den USA) systematisch den Rechtsstaat aus und baut das Recht um. Entsprechende Versuche und Vorhalte hatten wir hier ja auch im Fall Kachelmann, wo (u.a. von Alice Schwarzer) gefordert wurde, die Unschuldsvermutung nur noch dem „Opfer” und nicht mehr dem „Täter” zuzugestehen.

Viele haben sich dann über Alice Schwarzer aufgeregt, weil sie den Rechtsstaat frontal angreife. Die Presse war empört.

Viel scheint sie aber nicht daraus gelernt zu haben. Hier ging’s gerade wieder genauso los, nur mit dem Unterschied, dass der Täter hier eben kein Promi war und deshalb der Name niemanden interessierte.

8 Kommentare (RSS-Feed)

Christopher
6.12.2012 1:42
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Interessant. […] ‘”Heterophobia” von Daphne Patai, worin es darum geht, dass der Feminismus das Rechtssystem so unterwandert hat, dass Beschuldigten bei Missbrauchsvorwürfen nicht einmal mehr die Rechte jedes normalen einer anderen Straftat Beschuldigten zugestanden werden, wie etwa Verteidigung, Gegenbeweis, Unschuldsvermutung.’

Außerdem: ‘Wenn mutmaßliche Opfer allerdings nicht zur Aussage bereit seien, “muss man sich gerade bei Sexualstraftaten die Frage stellen, ob das Sinn macht”.’

Natürlich sehe ich ein, daß man bei Opfern von Sexualstraftaten sensibel sein muß. Wenn das aber heißt, daß die _Sachverhaltsfeststellung_ nicht mehr so wirklich wichtig ist, können wir uns den ganzen Rechststaatszirkus sparen und gleich zum Standgericht übergehen. Ist wenigstens billiger.


Christopher
6.12.2012 1:51
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Sorry, den Ausschnitt aus der Welt habe ich so sinnentstellend verkürzt. Nochmals ausführlicher

‘Dies gebe “Anlass, den Verdacht besonders sorgfältig zu prüfen”, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Das sei aber nicht möglich, weil die Ermittler das Mädchen bisher nicht vernehmen konnten. […]
Die Staatsanwaltschaft hingegen könne grundsätzlich die Vernehmung von Geschädigten oder Zeugen anberaumen und die Betroffenen notfalls auch polizeilich vorführen lassen oder ein Ordnungsgeld verhängen, erläuterte Steltner. Wenn mutmaßliche Opfer allerdings nicht zur Aussage bereit seien, “muss man sich gerade bei Sexualstraftaten die Frage stellen, ob das Sinn macht”.’


Skeptiker
6.12.2012 9:26
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> Komischerweise haben meistens vor allem die, die
nicht dabei waren und eigentlich gar nichts davon wissen, was
passiert sein soll, meist die größte Gewissheit… Das hat für mich
zwei Ursachen (root causes): Erstens werden wir heutigen Menschen
haufenweise mit “Informationen” versorgt – Hubschrauberabsturz in
Indonesien, Brangelinas Hochzeitspläne, Siemens-Quartalsbericht,
Skandal in der Charité – die zu 99% für unser Leben völlig
irrelevant sind. Oder irrelevant für 99% der Leute. Gründe dafür
hier mal egal. Aber wir verarbeiten diese Informationen wie die
vorgeschichtlichen Clannomaden, die wir evolutorisch wohl
weitestehend noch sind, als praktisch alle Sinneswahrnehmungen
unmittelbar und relevant waren: Wir ordnen sie ein, suchen Sinn und
Kausalität, klopfen sie auf Nutzen oder Bedrohung ab usw. Das war
sicher überlebenswichtig, und wenn die Räsoniermaschine im Kopf
nicht genug Fakten und relevante Anknüpfungspunkte findet, denkt
sie sich halt welche aus oder interpoliert oder zieht
Analogieschlüsse usw. usw., das ist zutiefst menschlich (siehe auch
unter: Geister/Religion, Ideologien, Esoterik etc pp). Und je
kleiner die Inseln des Wissens, desto länger die Eselsbrücken
zwischen ihnen. Hugh 😉


Joe
6.12.2012 14:36
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Die Informationen sind schon nützlich. Mann weiß eben, daß man von einer Pubertierenden, die man beim Schulschwänzen erwischt, das komplette Leben ruiniert bekommen kann.

Und zieht daraus eben die notwendigen Konsequenzen (die ich jetzt nicht im Detail beschreibe).


Skeptiker
7.12.2012 9:27
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He unbekannter Provider, ich will meine Linefeeds zurück, die ich da immer eintippe, um Absätz zu machen, aber schwupps, beim Danisch kommen neuerdings keine mehr an!!


Skeptiker
7.12.2012 9:34
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Joe, erst lesen, dann schreiben. Man weiß eben nicht, was da passiert ist. Du packst da nur Deine Vorurteile aus, sonst nichts. Eine “Informarmation” gab es gar nicht.


watson
8.12.2012 0:24
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@Skeptiker: Es gab durchaus die Information, dass das Mädchen gegenüber der Staatsanwaltschaft nicht aussagen will. Natürlich schließt das formal erstmal nicht aus, dass ihre Vorwürfe wahr sind. Nur: die Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht wird so auch nicht an das diametrale Gegenteil von Null-Wissen, das Voll-Wissen, kommen, um daraus ein korrektes Urteil zu fällen. Es wird eher beim Halb-Wissen bleiben, weshalb sich dann vermutlich für den Beschuldigten entschieden wird.


Skeptiker
8.12.2012 11:28
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@Watson, das stimmt in der Tat, was Du sagst. Aber egal, wie genau wir (oder jemand) die Story in Erfahrung bringt: Für Dein und mein Leben ist sie irrelevant, zumal als Einzelfall. Das war, was ich sagen wollte, und dass und warum man für sich selbst Sinn auch dort sucht, wo keiner ist. Dergleichen mag unterhaltsam, interessant usw. sein, und ich lese und sehe ja auch nicht nur “Relevantes”.

Man mag einwenden, dass man aus so einer “entfernten” Geschichte Lehren für sich selbst ziehen kann (während Joe z.B. nur seine Vorurteile füttert). Das setzt natürlich zum einen voraus, dass man die Story genau genug kennt (hier gibt es sogar die Information, dass man nicht genau Bescheid weiß). Hingegen, selbst wenn man viele solcher Einzelfälle kennte, dass sie zur Statistik werden, muss man aufpassen, das auf einen Einzelfall in seiner eigenen Erfahrungswelt anzuwenden.