Das Schreibfehlersyndrom
Heute hat mich wieder eine Erkenntnis geschüttelt.
Ich habe ja schon häufig dazu gebloggt oder kommentiert, dass mir gerade beim bloggen eine gewisse Art von Schreibfehlern häufig passiert (und ich sie nicht einmal bemerke), die darauf beruht, dass die Finger den falschen Bewegungsablauf abspielen. Also keine gewöhnlichen Orthographie-Fehler, sondern das Hirn denkt richtig, aber in den Fingern laufen andere Bewegungen ab, die ganz andere Silben oder Wörter schreiben, aber oft ähnlich klingen, manchmal sogar sprachübergreifend deutsch/englisch. Als Informatiker schreibe ich sehr viel an Tastaturen und habe mir vor inzwischen 27 Jahren (also gerade noch rechtzeitig, bevor ich es mir zu sehr falsch angewöhnte) die Zeit genommen, das Zehnfingersystem zu lernen. Wenn man so lange so viel schreibt (ich war mal ziemlich schnell und habe damals auf einer elektrischen IBM-Kugelkopfschreibmaschine eine Berufssekretärin abgehängt, habe die hohe Geschwindigkeit und Fehlerfreiheit aber durch häufigen Tastaturwechsel und das ganze Sonderzeugs beim Programmieren wieder verlernt). Man tippt nicht mehr einzelne Buchstaben, sondern das Hirn hat offenbar ganze Bewegungsabläufe für Silben und Wörter abgespeichert, wie etwa Bewegungen bei Sportarten. Und manchmal verwechselt das Gehirn offenbar ganze Bewegungsabläufe mit anderen. Besonders blöd ist das, wenn man das und dass bzw. daß verwechselt, obwohl man es eigentlich richtig denkt, weil dann jeder gleich glaubt, man könnte es nicht auseinanderhalten.
Leser meines Blogs wissen auch, dass ich die neue Rechtschreibung nicht leiden kann (die Regeln mit dem ss nach kurzen Vokalen ist die einzige, die mir da nachvollziehbar und plausibel erscheint), und einige haben sich gewundert, warum ich irgendwann doch einige Elemente der neuen Rechtschreibung übernommen habe. Das war, als ich letztes Jahr das Buch über die Frauenquote geschrieben habe. Erst hatte ich das in alter Rechtschreibung angefangen, aber zwischendurch nach einem Verlag gesucht und gesehen, dass Verlage durchweg neue Rechtschreibung verlangen, und das eben geändert und mir neu angewöhnt. Nach 500 Seiten schleift sich das halt ein, dass man dass und nicht mehr daß schreibt. Eben als ganzer Bewegungsablauf, nicht als neue Schreibweise.
Heute hatte ich mal wieder viel handschriftlich zu schreiben, und dabei ist mir aufgefallen, dass mir das dass mit zwei s beim Handschriftlichen partout nicht von der Feder will, da schreibe ich immer daß, obwohl ich beim Bloggen und in E-Mails seit einem Jahr stets dass schreibe. Handschriftlich schreibe ich daß, maschinenschriftlich schreibe ich dass.
Auch das belegt wieder meine These, dass man nach einiger Zeit im Zehnfingersystem nicht die Position einzelner Buchstaben (wobei ich dann auch deutlich langsamer bin, wenn’s mal gebraucht wird), sondern eben ganze Bewegungsabläufe abspeichert, und dass das Gehirn dabei den direkten Weg vom Wort zum Bewegungsablauf ohne den Umweg über die Orthographie geht, man also nicht mehr darüber nachdenkt, wie ein Wort geschrieben wird, sondern nur das Sprach-/Denkzentrum die Sprache denkt und direkt die Finger mitarbeiten. So fühlt sich’s auch an, wenn es flüssig geht. Und deshalb rutschen dann Fehler in Form falscher Silben oder falscher Worte durch.
24 Kommentare (RSS-Feed)
@Hadron: Ja, kenn ich auch. Mir ist es mal passiert, dass mich jemand nach einem UNIX-Befehl fragte, und ich den vergessen hatte, mir partout nicht mehr einfiel, wie der Befehl hieß, ich ihn aber trotzdem sofort, schnell und ohne jedes Zögern eintippen konnte. Das ist aber auch sehr gefährlich, es ist mir nämlich auch schon mal vorgekommen, dass die Finger das Hirn überholt haben, dass der Befehl eingegeben war, obwohl ich das gar nicht wollte. So ähnlich, wie es mir beim Autofahren schon passiert ist, dass ich eine häufig gefahrene Route gefahren bin, obwohl ich an dem Tag dort gar nicht hinwollte.
@Hank: Ja, genau solche Verwechsler meine ich. Zeigt sehr gut, dass das Hirn die Abläufe nach Klang und nicht nach Schreibweise ablegt.
Das merkt man gut, wenn man hauptsächlich Englisch und nur gelegentlich Deutsch schreibt. Statt “an” rutscht einem dann “and” aus den Fingern, statt “vor” “for” usw.
Ja, genau das trainiert man ja auch im Kampfsport, um die nötige Geschwindigkeit zu erreichen.
Gleiche Beobachtungen auch bei mir, alles was ihr da an Beispielen habt. Am Klavier z.B., dass ich manche oft gespielte Passagen nur von Anfang an spielen kann, jedenfalls ab einem gewissen Schwierigkeitsgrad. Beim Musizieren, fast egal welches Instrument, kommen aber noch Tempo und Dynamik dazu, das spielt beim Tippen keine Rolle. Wenn man etwas nach langer Zeit wieder spielt, ist die Matrize im Gedächtnis etwas verblasst, da sind Fehlerchen beim “ab-spielen” drin oder es klingt mechanisch-leblos. Und je länger man etwas geübt hat, desto schwieriger wird es, die Interpretation zu ändern, weil man in den unbewussten Ablauf eingreifen muss. Plötzlich geht es gar nicht mehr. Siehe auch Schwungumstellung bei Profigolfern.
Ich meine dass das ein evolutorisch entwickeltes Phänomen ist, dieses Filmabspielen. Unabhängig davon, ob der Film von Geburt an hardcoded vorhanden war oder ob man ihn lernen musste. Die Fähigkeit dazu ist der eigentliche Fortschritt, die bewusste oder wenigstens erfahrungsgetriebene Anpassbarkeit des individuellen Verhaltens.
Eine Katze (sorry aber wir sind hier im Internet, also!) – relativ intelligente und lernfähige Viecher – “verscharrt” ihr Selbstgemachtes auch dann, wenn sie auf die Fliesen geschissen hat. Film. Oder versucht mal, sie beim Putzen zu stören. Gibt nur ein verständnislos leeres Glotzen, dann macht sie weiter. Film.
Kann ich auch bestätigen.
ich habe 10-dfingerschreiben gelernt, bevor ich das erste Mal an eienr Computertastatur saß und konnte das auch recht ordentlich.
Und deutsche Rechtschreibung mit der Hand ging auch sogar sehr gut, trotz-nicht Muttersprachler.
Was mir auffällt, ist, zum einen, daß ich eher Silben und Wörter schreibe und dabei ähnlich Beobachtugen wie Hadmut mache: ähnlich klingende Silben oder Wörter, die statt der richtigen Worte dastehen und im ersten Moment gar nicht auffallen.
Andererseits bemerke ich daß immer mehr Buchstabendreher hinzukommen, die “typisch” sind, d.h. eindeutig immer auf dieselbe Art “vertauscht”. Und interessanterweise beim korrigieren, wieder genauso falsch werden.
Und ich habe gerade den Test mit VAX/VMS-Befehlen (ca. 25-30 Jahre her) gemacht, an die ich mich gar nicht mehr konkret erinnerte. An Ziel denken und eintippen funktioniert immer noch – zumindest bei einigen typischen Befehlen. 🙂
Und man sieht deutlich, obwohl ich korrekturgelesen habe, trotzdem noch einige Tippfehler (Aber erst nach dem Absenden). Eine Edit-Funktion wäre wünschenswert, wenn Du mal eine Blogsoftware schreiben solltest.
Es ist ja auch beim Lesen so, dass man – wenn man ordentlich lesen kann – nicht mehr einzelne Buchstaben wahrnimmt und zusammenfügt, sondern ganze Silben oder Wörter erfasst.
Ich habe mir das Zehnfingersystem zehn Jahre nach meinem ersten Kontakt mit dem PC beigebracht: auf zwei grundverschiedenen Tastaturlayouts gleichzeitig. Deine Beschreibung des Muskelgedächtnisses ist vollkommen zutreffend. Dazu möchte ich noch anmerken, daß Tippfehler sehr selten werden, dafür aber manchmal ganze Wörter fehlen, wenn’s schnell gehen muß.
Die unsägliche Schulorthographie kann ich dafür gar nicht und die veraltete Heysesche s-Schreibung aus dem 19. Jhd. lehne ich ab. Ich würde also ebenfalls keinen Verlag finden – auch eine Form der Vorzensur, wie praktisch.
(Mittlerweile würde ich sowieso auf Englisch veröffentlichen, auf Deutsch bei deutschen Verlagen ist doch Perlen vor die Säue.)
Dass man eher ganze Wörter als einzelne Buchstaben wahrnimmt, wurde wohl ab Ende der 60-er Jahre für eine neue Art des Lesenlernens genutzt: die Ganzwortmethode. Ob sie sich bewährt hat und ob oder inwieweit sie heute noch genutzt wird, müssten allerdings die Pädagogen beantworten.
Beim Lesen ist das aber doch nicht derselbe Mechanismus oder? Vielleicht noch beim Wahrnehmen bekannter Wörter ( = Stockungen bei unbekannten ), aber das Zusammenfügen zu Sinn ist doch kein “Film” wie beim Tippen oder Musizieren oder Techniksportarten … ?
Das ist alles nur eine komplizierte Beschreibung des einfachen Vorganges, daß Funktionen im Laufe der Entwicklung in die Peripherie abwandern. Das ist in der Technik so, in der Evolution, im Leben…
Die Eszettregel ist nicht klar. Wie kann man eine Regel einführen, die ihr Erfinder 1820 schon nicht beherrschte?
Einfach ist, daß zwei s als ß geschrieben werden, außer an einer Trennstelle. Das kann jeder, der Silben kennt, nachvollziehen.
Carsten
—
> Warum wird denn heute noch vom Verzehr von Pilzen in Bayern abgeraten?
Weil es Spaß macht, den Leuten Angst einzujagen.
S.H1 und Arne Luft
Das mit dem Lesen geht sogar noch deutlich weiter: das Stichwort dazu ist Speed-Reading.
Man kann auch ohne große Übung erstaunlich gut mehrere Zeilen auf einem Lesen.Bei mir klappt dies allerdings nur bei weniger gehaltvollen Texten.
Viel Gerede um die einfache Tatsache, daß Funktionen im Laufe der Entwicklung in die Peripherie wandern. Das ist in der Technik so, in der biologischen Evolution und im Leben.
Die Eszettregel ist nicht einfacher als die bisherige. Schreibt man zwei s, dann werden sie zum ß, außer an Trennstellen von Silben. Das kann jeder, der Silben kennt. Heyse konnte seine eigene Eszettregel nicht, 1820. Soll man sowas heutzutage übernehmen?
Carsten
—
> Warum wird denn heute noch vom Verzehr von Pilzen in Bayern abgeraten?
Weil es Spaß macht, den Leuten Angst einzujagen.
S.H1 und Arne Luft
sorry, hat wohl was geklemmt
@Carsten
Wenn du etwas gepostet hast, dann kriegst du einen Cookie, so dass der Kommentar bei dir erscheint. Bei anderen erscheint er erst, wenn der Chef ihn freischaltet.
@hadmud
Irgendwer muss das mal sagen. Lösch meinen Kommentar in 24 Stunden!
Steht doch in der Kommentarpolicy…
@Carsten Thumulla:
Könntest Du uns erklären, warum Du die Heysesche s-Schreibung für komplizierter hältst als die (bisherige) Adelungsche? Letztere hat sogar eine Regel mehr, die zu berücksichtigen ist. Es gibt zwei entsprechende Wikipedia-Artikel dazu.
“Schreibt man zwei s, dann werden sie zum ß, außer an Trennstellen von Silben.”
Wo hast Du denn diese Formulierung her? Die ist falsch. Richtig ist: Hat man ein scharfes S, so wird nur nach langen oder Doppelvokalen ein ß geschrieben, z.B. Maß oder Grüße oder beißen. Das finde ich sehr einfach, und anhand der Aussprache (langer oder kurzer Vokal) weiß man gleich, wie zu schreiben ist.
Bei der alten (Adelungschen) Schreibung musste man zusätzlich(!) noch unterscheiden, ob ein scharfes S am Silbenende oder vor einem Konsonanten auftaucht, und dann wurde aus dem ss nach kurzem Vokal doch wieder ein ß. Das finde ich deutlich schwieriger umzusetzen.
Die Fähigkeit zur Unterscheidung von scharfem S und summendem S (hasse / Hase) setze ich mal voraus.
Worte wie “Zeugnis”, die trotz scharfem S nur ein S haben (statt ss), gibt es sowohl in der alten wie in der neuen Rechtschreibung. Das hat nix mit Heyse zu tun. Das ist Vokabellernen.
Silbentrennung ist doch auch kein Problem. Jedes ß wird zu s-s. Wo ist das Problem? Und wo kannte Heyse seine Regel nicht? Bitte um Beispiele oder Erläuterungen zu den Behauptungen.
Ich weiß nicht, was an der Regel “ss nach kurzen Vokalen” plausibel sein soll. Vielen anderen übrigens auch nicht, sondern würde ich nicht so viele Hyperkorrekturen wie “Finsterniss” oder “Buss” sehen.
Die Orthographie sollte sich vor allem auf die Lesbarkeit und weniger auf das leichte Schreiben eines Textes ausrichten, denn wie auch hier im Blog ist es so, daß in der Regel einer schreibt und viele lesen.
Die adelungsche Schreibung markiert die Wortfuge und gibt dem Auge Halt. Die heyesche Schreibung markiert die Vokallänge. Das ist schön für Ausländer. Beispiele: “Messergebnis” vs. “Meßergebnis”, “schusssicher” vs. “schußsicher”.
Eine einheitliche Rechtschreibung ist wichtig, um Texte schnell lesen (und auch schnellesen) zu können. Die Reform hat die Rechtschreibung nicht vereinfacht, sondern ohne Not die Einheitlichkeit zerstört. Wenn dem Esel zu wohl wird …
Die Heysesche s-Schreibung beherrscht nur, wer auch die Adelungsche kennt. Letztere ist nämlich der einzige Weg, erstere richtig anzuwenden:
1. Zuerst das Wort in Schweizer Schreibung korrekt (!) hinschreiben.
2. Dann die Adelungsche s-Schreibung darauf anwenden.
3. Anschließend ein Teil der Eszett wieder rückabwickeln (nach Vokallänge im Standarddeutsch, was das auch immer sein soll).
Der Versuch der Sprachpanscher, Schritt 2 wegzulassen und das dann als “Vereinfachung” zu verkaufen, ist hingegen pure Volksverdummung. Die Änderung der s-Schreibung kam bei dem ganzen Vorhaben sowieso erst ganz zum Schluß hinein, weil die Damen und Herren Minister eine deutlich sichtbare Duftmake in deutschen Texten hinterlassen wollen. Sonst hätte man nämlich gar nicht ohne Not Kinder- und Schulbücher verbrennen müssen.
Gegenüber Leuten, die mich auf “veraltete” Orthographie ansprechen, behaupte ich einfach, daß ich selbstverständlich marxistisch-korrekt reformiert schreibe, aber mit s-Schreibung nach Adelung, weil ich diese lesbarer finde. Sie sollen mir doch bitte zeigen, welche Wörter sie in meinem Text in veralteter Rechtschreibung gefunden haben. Das erzeugt sehr unterhaltsame Reaktionen…
@Rainer
>> “Schreibt man zwei s, dann werden sie zum ß, außer an Trennstellen von Silben.”
> Wo hast Du denn diese Formulierung her?
Von meiner Oma. Du solltest vielleicht mal Deine Oma austauschen.
“Bei der alten (Adelungschen) Schreibung musste man zusätzlich(!) noch unterscheiden, ob ein scharfes S am Silbenende oder vor einem Konsonanten auftaucht, und dann wurde aus dem ss nach kurzem Vokal doch wieder ein ß. Das finde ich deutlich schwieriger umzusetzen.”
Die Trennregeln sagen, daß man einzelne Buchstaben nicht abtrennt. Das ist eine Selbstverständlichkeit, die man in jeder Hausfrauenlogik nachschlagen kann, da ein Bindestrich schon einen Platz benötigt. A propos nachschlagen. Nachschlagen sollte man mal bei Zeitungsmachern, die nichtmal Hausfrauenlogik beherrschen.
Zwei s am Ende bleiben folglich ß. War doch einfach!
“ohne Not die Einheitlichkeit zerstört”
Genau so ist es, Kultusidioten, das.
‘die aaaaaarmen Kinder’
Hat man schon VOR der Reform gejammert.
Carsten
—
“Ich bin fest davon überzeugt, dass es auf der Welt keinen einzigen Menschen/Wissenschaftler gibt, der in der Lage wäre, das Klimageschehen auf der Erde hinreichend genau zu beschreiben, um auch nur halbwegs verlässliche Aussagen über die Zukunft machen zu können.
Und das ist der Knackpunkt, wenn über Klimalüge, Klimaleugner etc. diskutiert wird. Dem Bürger wird etwas als angeblich unumstößliche wissenschaftliche Wahrheit verkauft, was kaum mehr als ein religiöser Wahn ist.”
Stefan
In der Human Computer Interaction wurden solche Fehler untersucht. Auf anhieb habe ich folgenden Link gefunden, wo das halbwegs anschaulich beschrieben wird: https://ifi7159.wordpress.com/module-3/
Wahrscheinlich handelt es sich um capture errors oder description errors.
Oh, Danke! 🙂
Unterhalte dich über dieses Thema mal mit einem professionellen Pianisten, ich denke, der könnte diese These bestätigen. Ich selber kann bei mir Ähnliches beim Konzertgitarrenspiel beobachten: Wenn ich ein lange nicht gespieltes Stück auswendig spiele und dann an einer Stelle “rauskomme”, d.h. stocke, hängenbleibe, weil ich mich nicht mehr erinnern kann, dann muss ich immer gleich mehrere Takte zurücksetzen. Wenn ich von dort neu beginnen flutscht es plötzlich auch über die vergessen geglaubte Stelle hinweg. Ich muss offenbar zu einem ganz bestimmten Anfang eines Bewegungsablaufes zurückkehren, um ihn von dort neu ablaufen zu lassen. Ich kann nicht einfach in seiner Mitte beginnen, nicht genau dort, wo ich rausgekommen bin.
Durch hundertfache – bei professionellen Musikern wohl bis mehrere hunderttausendfache – Wiederholung immer gleicher Bewegungsabläufe werden offenbar nicht singuläre Muskelzustände wie Perlen an einer Perlenschnur aufgereiht memoriert, sondern vollständige, über einen zeitlichen Ablauf verschmierte Muskelspannungsverläufe. Der Verlauf an sich wird erinnert, nicht seine einzelnen Komponenten.
Beim Tippen korrigiere ich manchmal nicht einzelne Tippfehler innerhalb eines Wortes, sondern lösche das Wort komplett und schreibe es vollständig neu. Vielleicht greift hier ja ein ähnliches Prinzip: Der Muskelablauf für das gesamte Wort ist gespeichert und es fällt leichter, das gesamte Wort zu schreiben, als nur ein Teil desselben.
Von einer weiteren Beobachtung kann ich berichten: Ich war knapp 20 Jahre lang als Informatiker in der Softwareentwicklung tätig, habe dann aus persönlichen Gründen eine lange Pause gemacht. In dieser Pause habe ich nicht eine einzige Zeile programmiert, nicht einen einzigen Unix-Befehl an einer Konsole abgesetzt.
Als ich nach sechs Jahren dann in den Beruf zurückkehrte, habe ich eine erstaunliche Beobachtung gemacht: Ich hatte bestimmte Befehle bzw. Befehlsabläufe immer noch gespeichert. Die sind mir »so aus der Hand in die Tastatur gefallen«, wie ich seinerzeit meinen Kollegen das Phänomen erklärt habe. Ein Beispiel war “ls -rtl”. Darüber musste ich auch nach sechs Jahren Nichtverwendung überhaupt nicht nachdenken. Ich wollte etwas – nämlich Dateien auflisten – und schon hatten meine Finger dieses “ls -rtl” innerhalb von Sekundenbruchteilen in die Tastatur gehämmert. Ich schreibe diese kurzen Befehle extrem schnell, die fallen wirklich “als Stück” in die Tastatur. Eine These wäre hier, dass das Hirn auf recht hoher Ebene eine Verbindung zwischen dem Wollen des “Datei auflisten” und dem Bewegungsablauf “ls -rtl” gespeichert hat. Diese Verbindungen scheinen zudem recht dauerhaft zu sein.