Bücher machen wie Open Source Software
Geil. Mathematiker entdecken die Kooperation.
Zwei Dutzend Mathematiker haben sich – entgegen ihrer Natur – zusammengetan, in einem halben Jahr ein 600-Seiten-Buch geschrieben und es über Print-on-Demand-Publisher sofort selbst auf den Markt geworfen. Kann man auch so herunterladen. Völlig an den akademischen Verlagen vorbei. Und die Bücher sind richtig günstig im Preis.
Tolle Sache. Die kommen langsam drauf, dass sie Verlage nicht brauchen. Und wenn sie keine Verlage brauchen, brauchen sie auch keinen Professor auf dem Titel als Zugpferd. Einfach in TeX schreiben und raus damit. Und sie kommen drauf, dass sie dieselben Formen der Kooperation nutzen können, wie sie bei OpenSource-Software mit freiwilligen Teilnehmern stattfinden. Weil es ja letztlich auch nichts anderes ist: Mehrere Leute schreiben an einem Quelltext, der per Compiler zu einem gemeinsamen Produkt zusammengefügt wird. Ob das Ergebnis nun ein Executable oder ein PDF ist, ist technisch eigentlich egal. Das Prinzip ist das gleiche.
Ich könnte mir vorstellen, dass sich das verselbständigt und da eine Lawine in Gang kommt, das es künftig Bücher ebenso gibt wie OpenSource-Software, und dass die dann vermutlich auch auf Repository-Servern wie GitHub gehostet werden.
Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass die Fachschaften an den Universitäten anfangen, Fachbücher zu schreiben und die jedes Jahr ein bisschen weiterentwickeln oder aktualisieren, und sich vielleicht sogar universitätsübergreifend abstimmen, um nicht Arbeit doppelt zu machen. Und damit die Kooperation hinbekommen, die Professoren nicht auf die Reihe bekommen haben (oder wollten). Zu meiner Studienzeit kam gerade der Atari ST heraus, für den es eine sehr gute wissenschaftliche Textverarbeitung (Name fällt mir gerade nicht mehr ein) gab, die zusammen mit einem NEC 24-Nadeldrucker weit bessere Ergebnisse produzierte als die Institute mit ihren Schreibmaschinenseiten, in die die Formeln von Hand gemalt wurden. Ruckzuck hatten ein paar Studenten ein viel besseres Skript erstellt als die Institute das hinbekommen hätten.
Auch für Konferenzbände wäre das viel interessanter.
Ich könnte mir auch vorstellen, dass Schul-Lehrer, die ja ohnehin häufig eigenes Lehrmaterial ansammeln, irgendwann mal anfangen, eigene Schulbücher zu produzieren.
Ich glaub, da kommt was Neues auf uns zu. 🙂
(Danke für den Link!)
14 Kommentare (RSS-Feed)
Ja. Signum. Scribus ist was anderes.
Du meinst bestimmt “Scribus”…
“Ich könnte mir auch vorstellen, dass Schul-Lehrer, die ja ohnehin häufig eigenes Lehrmaterial ansammeln, irgendwann mal anfangen, eigene Schulbücher zu produzieren.”
… und mit Sicherheit kommt dann eine Art Leistungsschutzgesetz für Schulbuchverlage. Entweder Zwangskauf von “Qualitätsschulbüchern” und Verbot eigener Lehrmaterialien mit mehr als X zusammenhängenden Seiten oder so. Da wett’ ich’n Fuß drauf!
Das war Signum. Hatte einen interessanten Ansatz. Die Zeichen konnten Pixelgenau frei positioniert werde.
http://de.wikipedia.org/wiki/Signum_(Textverarbeitungsprogramm)
> irgendwann mal anfangen, eigene Schulbücher zu produzieren.
dann können wir uns endlich von den Schulbuchverlagen verabschieden 🙂
Ja stimmt, “Signum” ist richtig. Eigentlich hatte ich auch daran gedacht.
Meine Mathelehrer damals waren schon so weit: wir hatten damals (spätestens ab der Mittelstufe) nicht mehr die im Plan vorgeschriebenen Lehrbücher, sondern von den Lehrern ausgearbeitete eigene Skripte incl. Übungsaufgaben. Den Druck als Heftchen in A5-Größe hat eine kleine Druckerei/Kopiershop gemacht. War auch viel billiger und leichter zu transportieren als die herkömmlichen Schulbücher.
“Ich könnte mir auch vorstellen, dass Schul-Lehrer, die ja ohnehin häufig eigenes Lehrmaterial ansammeln, irgendwann mal anfangen, eigene Schulbücher zu produzieren.”
Hatte ein Mathe-Lehrer von mir (aus meiner Schulzeit) schon längst gemacht…
@Joschi – was meinst Du, wer bisherige Schulbücher geschrieben hat?
Das waren auch Lehrer (mindestens teilweise)
Interessant ist hier vielmals die Idee direkt mit verteilt an einem Werk zu arbeiten.
Und ich stimme zu – das hat sehr viel Potenzial.
Allerdings benötigt das auch noch eine zusätzliche Möglichkeit, wie man solche Werke zitieren kann;
* zu viele Autoren, das ist unpraktisch
* wenn es sich ähnlich wie OpenSource verhält, dürfte es häufige kleine Korrekturen (Typos..) geben – daher wäre es am natürlichsten, direkt den git-hash / datum in der Literatur mitanzugeben, dieser müsste dann in die Dokumente mit eingebunden werden, ebenso wie das Datum (\today).
Aber alles keinerlei unlösbaren Probleme, sondern eher Kleinigkeiten.
@hadmut
“Zwei Dutzend Mathematiker haben sich – entgegen ihrer Natur [!] – zusammengetan […]”
Da scheinst du wenig Mathematiker im Studium als Dozenten erlebt zu haben (allenfalls Mathematiker, die später Richtung Informatik gewechselt sind – dies ist in meinen Augen ein etwas anderer Menschentyp als die “reinen” Mathematiker).
Ich sage nur als Contra zu deinen Aussagen:
> http://en.wikipedia.org/wiki/Polymath_Project
Genauso: von welcher Berufsgruppe kam der Boykott-Aufruf, der Elsevier kalte Füße bescherte; richtig geraten:
> http://gowers.wordpress.com/2012/01/21/elsevier-my-part-in-its-downfall/
> http://de.wikipedia.org/wiki/The_Cost_of_Knowledge
Generell habe ich es im Studium erlebt, dass in Mathematik – falls es Skripte/Vorlesungsmaterial gibt – dieses deutlich offener auf der Webseite zum Download gibt als in Informatik. Falls dieses passwortgeschützt ist, so liegt der Grund (Quelle: private Gespräche mit diversen Dozenten) meist darin, dass der Dozent Panik vor Abmahnungen besitzt, weil Teile des Vorlesungsskriptes gelegentlich Büchern entnommen sind.
»Mathematiker haben sich – entgegen ihrer Natur – zusammengetan« Hallo?!? http://de.wikipedia.org/wiki/Nicolas_Bourbaki
Nicolas Bourbaki ist das kollektive Pseudonym einer Gruppe (Autorenkollektiv) vorwiegend französischer Mathematiker, die seit 1934 an einem vielbändigen Lehrbuch der Mathematik in französischer Sprache, den Éléments de mathématique, arbeitete und mehrmals jährlich an verschiedenen Orten Frankreichs in Seminaren ihr gemeinsames Buchprojekt vorantrieb.
“Mathematiker haben sich – entgegen ihrer Natur – zusammengetan” Das ist nicht ganz richtig. Gegenbeispiel (eines genügt ja in der Mathematik, um eine Behauptung zu widerlegen)
http://de.wikipedia.org/wiki/Nicolas_Bourbaki
“dass die dann vermutlich auch auf Repository-Servern wie GitHub gehostet werden” Ungefähr so wie das hier:
http://stacks.math.columbia.edu/
(ein Werk von ca. 3000 Seiten mit fast 100 Autoren)
Und Vorlesungsskripten zum Herunterladen, ebenso Preprints, gibt es in Mathematik jede Menge. Das nützt natürlich einerseits Interessierten, die Materie zu lernen, stellt andererseits in Kombination mit ebenfalls zahlreichen Blogs mit mathematischen Inhalten einen öffentlichen Zugang dar, der in manch anderen Wissenschaften so nicht gegeben ist, von den Pseudowissenschaften ganz zu schweigen. Wenn man etwa versucht, in entsprechender Weise zu erfahren, was in der sich so menschenfreundlich gebenden “Genderwissenschaft” geschieht, dann hat man den Eindruck, in eine Geheimdienstzentrale geraten zu sein.
Ja, an Signum für den Atari erinnere ich mich auch noch. Ich habe trotzdem schnell auf TeX gewechselt, weil es einfach unschlagbar war.
Nebenbei, bei den Mathematikern sind die Professoren nicht so ein Problem wie vielleicht zuweilen in der Informatik. Es müssen nur noch ein wenig mehr motiviert werden. Treffend fand ich auch folgende Passage aus dem Blogtext:
| Let us be honest, who is going to steal your LaTeX source code?
| There are much more valuable things to be stolen. If you are
| tenured professor you can afford to lead the way. Have your
| grad student teach you git and put your stuff somewhere publicly.
| Do not be afraid, they tenured you to do such things.
Wenn sie es auch ncoh schaffen nicht paranoid zu wirken, dass andere Forschungsgruppen weiter sind und sie unter Umstaenden keine Gelder mehr kriegen, koennte man auch zusammenarbeiten und Ergebnisse teilen.
Und ein Ansatz fuer OpenSource Schulbuecher gibt es auch schon: http://de.wikibooks.org/wiki/Wikibooks:Offene_Schulb%C3%BCcher
Signum von Application System Heidelberg. Ich erinnere mich noch an die blassen Gesichter aus der PC-Szene. Zum ersten mal “What you see is what you get” und nicht “What you see is what you wish”…