Frivol und in Strapsen: Cabaret
Bericht aus dem Vorgarten der Bundeskanzlerin.
Ich war gestern abend mal im Musical „Cabaret” im „Tipi am Kanzleramt” (ein semipermanent aufgebautes Zelt ähnlich einem Zirkuszelt, aber mit besserer Innenaustattung, das direkt neben dem Bundeskanzleramt steht.)
Früher bin ich gerne und häufig in Musicals gegangen, in letzter Zeit ist es jedoch etwas eingeschlafen. Ich habe mal vor ein paar Jahren den Fehler gemacht, in London (wo ich auf einer Konferenz war und wo es eine Bude für Musical-Tickets zum halben Preis gibt) jeden Abend in irgendein Musical zu gehen. Soll man nicht machen. Hält man nicht aus.
Cabaret ist nun ein sehr bekanntes Musical, genauer gesagt sind einige der Songs sehr bekannt. Aber die Handlung kannte ich noch nicht. Ich wusste nur, dass es in Berlin spielt, es um einen frivolen Nachtclub geht und sich die Sache um den Einzug des Nationalsozialismus dreht. Na, wenn’s nun schon in Berlin läuft, dann muss ich reingehen, dachte ich mir.
Sagen wir’s mal so:
Es hat mir sehr gut gefallen, es war sehr gut gemacht, sie haben richtig gut gesungen. Es hat mich sehr gut unterhalten, und die Dauer von 3 Stunden, derentwegen ich vorher gewisse Bedenken hatte, gingen sehr schnell vorbei. Es war unterhaltsam. Aber es hat mich jetzt nicht aus den Socken geföhnt wie manches andere Musical.
Das hängt mit dem Stil und dem Inhalt zusammen. Zunächst mal ist positiv, dass es sich ganz anders anhört als der omnipräsente Andrew-Lloyd-Webber-Einheits-Brei. Ich habe – gerade in London – immer wieder gemerkt, dass viele Musical-Sänger die gleiche Ausbildung gemacht haben und sich gleich anhören. Da ist alles immer dieser Drama-Gesten-Hals-auf-Musical-Sound. Beispielsweise habe ich das Queen-Musical zweimal besucht. In Köln hörte sich das eher nach Queen an. Und war super. Ein paar Jahre später war ich in London nochmal drin, als sie das Theater aber schon nicht mehr halb voll bekamen und auf der Bühne junge Nachwuchssänger standen. Da hörte sich das nach Musical an. Und war fehlerfrei. Nicht mehr, nicht weniger. Diesen Musical-Stil, den die heute alle lernen, gab es hier in Berlin gar nicht. Cabaret hat seinen eigenen Sound, der sich auch am Inhalt und teils eben am Berlin der 20er und 30er Jahre orientiert. Es hört sich anders an, und es guckt sich auch anders an.
Der Haken daran ist, dass das jetzt auch nicht unbedingt jedermanns Geschmack ist. Das ist genau der Punkt. Die typischen Breiten-Musicals versuchen eben, jedermanns Geschmack zu sein, und wer das anders macht, ist es dann eben nicht. Man muss das schon mögen, um es mögen zu können.
Ein anderes Problem tritt beispielsweise bei Anatevka (Fiddler on the roof) auf. Das war eines, das ich in London gesehen habe, bei dem ich mich fast zu Tode gelangweilt habe. Anatevka lebt von dem einzigen (und bekannten) Song If I were a rich man. Der ist genial. Und wurde auch von dem Schauspieler in London super gesungen. Aber der Rest fetzt nicht, und das durchgehend jiddische hat sicherlich seinen Witz, aber keinen Schwung.
Cabaret läuft so ein bisschen Gefahr, in diese Richtung zu laufen, kriegt aber die Kurve. Die Handlung ist auch etwas dünn und zieht sich, aber immerhin haben sie mehr als nur einen bekannten Song (wobei einige der bekannteren wie Money, Money ursprünglich gar nicht dazugehörten und erst für die Verfilmung komponiert wurden, weil man da genau dieses Problem bemerkt hat; man hat sie dann auf die Bühne rückportiert).
Die Handlung: Naja. Da hatte ich mir etwas mehr versprochen.
Ein armer amerikanischer Schriftsteller kommt in das Berlin der ausgehenden 20er Jahre, in dem noch die Frivolität und das ausschweifende Nachtleben der wilden 20er herrschen, als Berlin sowas wie ein großer Sexclub war, und erlebt den Wandel der 30er Jahre. Er findet mit Mühe ein kleines, kaum bezahlbares Zimmer und gabelt irgendwie die gerade gefeuerte und etwas heruntergekommene Sängerin Sally Bowles auf, die sich mangels Geld prompt in seinem Zimmerchen mit einquartiert. Währenddessen bändelt die alte Hauswirtin mit einem alten Obsthändler an, die beiden wollen heiraten. Dann aber kommt es auf einer Feier zum Eklat, ein zum Nazi gewordener eingeladener Bekannter wird ausfällig, weil der Obsthändler Jude ist, und die Wirtin löst aus Angst vor Ärger mit den Nazis die Verlobung. Sally wird derweil vom armen Schriftsteller schwanger, treibt aber ab, worauf der sauer ist, und wieder nach Amerika verschwindet, während Sally überraschend ihren alten Job als Sängerin im Kit-Kat-Club wieder bekommt. Dazu kommen am Anfang und am Ende in eben jenem Kit-Kat-Club einige Show-Auftritte.
Ich dachte immer, das Musical spielt hauptsächlich im Kit-Kat-Club. Es spielte jedoch hauptsächlich im Wohnhaus, in dem das Paar das Zimmer gemietet hat. Ist jetzt nicht so der Spannungsbrüller und manchmal zieht es sich schon ein bisschen.
Dafür haben sie ein paar gute Gags drin. Es hat mir sehr gefallen, wie sie auf einer ganz kleinen Bühne und mit einfachen Mitteln zur Stilisierung einer Bahnreise eine große Dampflok mit mehreren Anhängern über die Bühne fahren lassen. War’n Lacher. Oder auch die Szene, in der sich die Nachtclubtänzerinnen spontan in Nazi-Soldaten verwandelten (sie hatten eine kleine Besetzung und mussten Darsteller deshalb für mehrere Rollen nehmen, machten aber aus der Sparsamkeit eine Tugend), und ich musste echt darüber lachen, woher die plötzlich und wirklich aus dem Nichts die Stahlhelme herbeigeholt hatten.
Die Besetzung war sehr gut. Die Sängerin der Sally hat vor allem „Cabaret” wirklich super gesungen, mit Gänsehauterzeugung. Allerdings nicht so wirklich charakteristisch, tadellos, aber irgendwie so ein bisschen austauschbar. Ich dachte immer, Sally wäre die Hauptperson des Musicals. Tatsächlich aber ist es der Conférencier, und das war wohl nicht nur mein Eindruck, sondern der kam auch nach dem Ende beim Beifall nach Sally als Letzter auf die Bühne, muss also auch aus deren Sicht der wichtigste gewesen sein. Die Rolle hatten sie mit einem etwas seltsamen Vogel besetzt, der nicht besser hätte passen können. Als wäre ihm die Rolle auf den Leib geschneidert. Ich habe mir ständig überlegt, ob die Rolle für den oder der für die Rolle gemacht ist. Der allein wuppt das Ding schon. Und bringt es fertig, zwischendurch fast unerkannt in Strapsen als Nachtclubtänzerin mitzutanzen. Da war noch etwas mehr etwas tuntig, auch noch ein paar Schwulitäten, und ich bin mir nicht sicher, ob das generell so in dieses Musical gehört, ob man da Berliner Zeitgeist reingemischt hat oder ob das Ensemble eben so drauf war.
Sehr zu loben ist dabei die Band. Eigentlich eine ziemlich kleine Band, von der auch mal einer kurz als Schauspieler aushelfen musste, hat wunderbar gespielt. Die waren echt gut drauf, und haben sogar solche Berliner Spezialitäten wie eine singende Säge drauf gehabt. Multitalente, die jeweils mehrere Instrumente gespielt haben.
Fazit:
Die Inszenierung und die Sänger haben mir sehr gut gefallen.
Das Musical als solches, naja, war für mich zwar unterhaltsam und hat Spaß gemacht, aber jetzt nicht so der absolute Superbrüller. Meine drei Lieblingsmusicals bleiben immer noch Chicago, Little Shop of Horrors und Blues Brothers, wenn man die als Musical akzeptieren will. Dahinter kommen dann das Queen-Musical, Grease und Abba/Mamma Mia (wenn man von der schmalzigen Handlung absieht), und dahinter würde ich Cabaret, Starlight Express und Annie get your Gun einordnen. Dahinter Mozart und nachmal ne Weile nichts, und dann Phantom of the Opera, Anatevka und Hair.
Update: Ach, einen hab ich vergessen: Cats liegt für mich auch in der letzten Kategorie. Da dachte ich erst, ich hätt’s (gesehen am Broadway) nicht verstanden, weil ich da keine Handlung mitbekommen habe. Ich hab’s mir später nochmal auf DVD angesehen: Es hat keine Handlung.
16 Kommentare (RSS-Feed)
Nicht gesehen.
Respekt, Hadmut. Du hast es geschafft, dass ich einen ganzen Artikel über Musicals gelesen habe. …und das alles nach 30 Jahren Heavy Metal.
Sagt etwas über Deinen Scheibstil und Deinen Informationsgehalt aus. 😉
Völlig an meinen Interessen vorbei, aber dann doch noch sehr interessant. Cool.
König der Löwen ist wirklich ziemlich gut.
Das Queen-Musical in Köln fand ich aber gruselig – handwerklich vielleicht ganz gut, aber die Übersetzung einiger Queen-Songs war für mich alten Queen-Fan der reinste Horror.
auch noch ein paar Schwulitäten, und ich bin mir nicht sicher, ob das generell so in dieses Musical gehört
Taucht schon im Original-Textbuch auf (knutschende Matrosen).
Wenn man nicht gerade eine der Hauptrollen hat, ist das Stück bei größeren Ensembles auch für die Darsteller sterbenslangweilig (hab’ in den 90ern mal als Student in einer aufwändigen Amateurproduktion gespielt).
Richtig Spaß macht hingegen Jesus Christ Superstar. Da hat Webber (bis auf den Abspann) richtig gute (und auch manschmal etwas schräge) Musik geschrieben.
Als Neu-Berliner ist für dich ja eigentlich “Linie 1” Pflicht, auch wenn das Stück mit dem Fall der Mauer deutlich an Charme verloren hat.
“König der Löwen”
Leidet m.E. unter dem von Hartmut geschilderten Anatevka-Fail: Ein Hammer-Intro (der Auftritt der Tiere am Anfang), danach ziemlich langweilig.
Completely off-topic, aber apropos Musical,
ZDF-Hofberichterstatter Udo van Kampen singt auf der Pressekonferenz in Brüssel ein Ständchen für die Kanzlerin, ein weiterer journalistischer Tiefpunkt beim ZDF:
Mein absoluter Favorit ist immer noch die gute alte West Side Story – ok die klassische Romeo und Julia Geschichte – aber recht hübsch. Little Shop of Horrors – die Musik fetzt halt und eine ausgefallene Story – schon sehr sehenswert.
Cabaret fällt aufgrund seines doch eher ernsten Hintergrunds schon deutlich aus der Reihe vermittelt aber einen Eindruck vom Zeitgeist des Berlins der 20er Jahre. Die Balance zwischen Anspruch und Unterhaltung gelingt aber recht gut. Im Vergleich dazu finde ich Brecht/Weils Dreigroschenoper oder Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (Whisky Bar) wesentlich sperriger.
Mit dem Andrew-Lloyd-Webber Gedöns kann ich ehrlich gesagt nicht viel anfangen und für rollschuhfahrende Sänger in Zugkostümen ist mir meine Zeit zu wertvoll.
Auch die alten Meister (Mozart, Verdi, Bizet, Puccine, etc) erfanden nicht immer das Rad neu – überzeugten dafür mit doch sehr prächtiger Musik. Wenngleich man einige Handlungen wie z.B. Cosi fan tutte heutzutage als klar frauenfeindlich einordnen würde.
Ansonsten:
Wenn nach 5 Stunden elendesten Gejammere jemand aus den hinteren Rängen ruft:
“Nun stirb endlich!”
Dann sitzt man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einer Wagner Oper.
@Beeblebrox:
So gehen die Geschmäcker auseinander. Wagner mag Manchem ‘zu schwer’ sein. In Konzertlautstärke ist und bleibt es der Hammer, geht durch Mark und Bein*.
Da kannst Du mit Deiner WSS einpacken.
Nix für ungut 🙂
*Da ja selbst unsere Kanzlerin Wagner huldigt ist er vom Nazi-Vorwurf schon (fast) wieder reingewaschen
Musicals are for Blowjobs:
http://southpark.cc.com/full-episodes/s15e11-broadway-bro-down
@Beeblebrox
Ansonsten:
Wenn nach 5 Stunden elendesten Gejammere jemand aus den hinteren Rängen ruft:
“Nun stirb endlich!”
Dann sitzt man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einer Wagner Oper.
Nicht alle Wagner-Opern sind so lang. “Der fliegende Holländer” und “Das Rheingold” sind hier Gegenbeispiele (OK, letzteres ist ja nur der Appetizer für den Ring).
P.S.: Wenn der wahre Wagner-Fan von einer Meistersinger-Aufführung nach Hause kommt, ist es Zeit für ihn, Tristan und Isolde auf dem Plattenspieler/CD-Player aufzulegen und zu hören (not kidding: Ich kenne wirklich solche Leute).
@legasthenischer Fanboy:
Kritik oder Bewunderung?
Und JA! (Man braucht ein Eigenheim dafür). Wagner ist einfach nur geil. Man braucht aber einen Subwoofer. Aufdrehen, dröhnen lassen. Aufdrehen.
Helene Fischer ist ein wunderhübsches Mädchen (Irgendwer anderer Meinung??). Aber Musik geht halt anders 😉
Ich bin kein Fan von Musicals, sie sind mir musikalisch oft viel zu seicht und als Schlager wieder nicht passend, da vieles eben nicht im Ohr bleibt, sonder eher oedet, weil zu lang und substanzlos.
Wo ich allerdings eine absolute Ausnahme mache ist Bernsteins West Side Story, das ist ein Meisterwerk, voll von Melodien, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen und jedes einzelne Stueck eine Perle in jeder Hinsicht! Es gibt ein paar sehr gute Videos bei Youtube von einer Schallplatteneinspielung fuer die Deutsche Grammophone mit Bernstein und Carreras.
http://www.youtube.com/watch?v=FBHp52JFGs8 (bitte gleich mit einer nicht deutschen IP aufrufen, da die Gema sich wieder beliebt macht…)
Besonder Part 6 ist interessant, ein Clash der Titanen. Aus einer Zeit, wo Qualitaet noch etwas bedeutete. Sehr sehens- und hoerenswert!
Mick!
Vorschlag: Es wäre eine nette Geste gegenüber den Akteuren, wenn du zumindest die zentralen und von dir positiv beurteilten Personen (Sänger, Regisseur) auch namentlich nennen würdest. Immerhin ist das, was du schreibst, schon fast eine Musicalkritik (teilweise sogar mehr).
> wenn du zumindest die zentralen und von dir positiv beurteilten Personen (Sänger, Regisseur) auch namentlich nennen würdest.
Dazu müsste ich sie erst mal wissen. Früher bekam man dafür sowas wie ein Blatt mit der Tagesbesetzung.
Musicals sind so oder so intellektuell diskreditierend.
Ich finde sowas entlarvt einfach zu sehr schon Mainstream zu sein.
Kein “König der Löwen” in Deiner Lieblingsliste? Nicht gesehen, oder hat es Dir nicht gefallen?