Ansichten eines Informatikers

Pseudo-Unterschrift auf Pixel-Papier

Hadmut
18.10.2014 19:57

Wat et nich allet jibt…

Sogar als Informatiker und notorischer early adopter denke ich mir manchmal: Herrje, das jetzt auch noch?

Ich habe mir Möbel kommen lassen. Solche, die in mein Auto nicht hineinpassen. Kann man sich ja inzwischen einigermaßen preiswert von der Ortsspedition am Möbelhaus liefern lassen, wenn man nicht allzuweit weg und in der Stadt wohnt.

Ich hatte mich schon beim Unterschreiben des Lieferauftrags im Möbelhaus gewundert, was für einen elektrischen Angeber-Kuli die mir da zum Unterschreiben gegeben haben. Irgendwas mit Elektronik drin, mehr als daumendick im Durchmesser. Die Frau bei der Auftragsannahme hatte diesen Kuli auch schon verwendet, um das Formular auszufüllen.

Nun kamen die an, haben das Zeug abgeliefert, und wollten eine Empfangsbestätigung. Lieferschein, hier unten bitte unterschreiben. Und wieder so ein dicker Elektronik-Kuli. Ich frag noch, was es damit auf sich hat. Sowas hätt ich auch gern.

Ja, meint er, in dem Kugelschreiber sei vorne ein Kamera drin, die nimmt die Unterschrift auf. Das sei „Pixel-Papier”. Der Lieferschein bleibe nämlich bei mir, während die Unterschrift usw. alles aufgenommen, gespeichert und übertragen wird. Kostet so um die 1000 Euro so ein Kuli.

Interessant. Da ich den Lieferschein ja behalten durfte, kann ich mir den näher ansehen. Fühlt sich nach seltsam festem, glattem Papier an, wie die reißfesten Briefumschläge. Hat aber möglicherweise nur den Zweck, reiß- und regenfest zu sein und hat mit dem eigentlichen Thema womöglich gar nichts zu tun. Tatsächlich ist das Papier – von einem Rand abgesehen – nicht weiß, sondern grau. Schaut man aber näher (mit der Lupe) hin, ist es weißes Papier, auf das – nahezu im Quadrat-Raster – ganz viele kleine Punkte gedruckt sind, etwa die Größe, die ein Laserdrucker der nicht neuesten Generation als einen Punkt hinbekommt. Aber eben doch nicht exakt im Quadrat-Raster, sondern alles so ein bisschen wackelig, bisschen daneben. Der erste Gedanke wäre, dass der Drucker schon arg gelitten hat. Schrift und Linien sind aber scharf und exakt.

Es drängt sich der Gedanke auf, dass in den Unregelmäßigkeiten des Punktrasters die Formular-Nummer und die Position auf dem Papier codiert sind und der Stift über seine „Frontkamera”, die auf die Kuli-Spitze guckt, „sieht”, auf welchem Formular man was schreibt.

Es würde bedeuten, dass man eine Art „kumulatives Facsimile” erzeugt, indem der Rechner einfach weiß, wie das (leere) Formular aussieht, und alles, was irgendwer von Hand auf ein solches Formular schreibt, über diese elektronischen Kugelschreiber nicht nur tatsächlich auf das Papier geschrieben wird, sondern gleichzeitig auch quasi als Vektorgraphik-Fragment (Strich von da nach dort) aufgezeichnet wird. In der Datenbank würden dann alle diese Fragmente gesammelt, und wenn man das leere Formular zuzüglich aller dieser Fragmente anzeigt, müsste es (im Rahmen der Genauigkeit und womöglich nicht erfasster Einzelheiten wie Strichstärke oder wenn der Kuli mal nicht sauber läuft) so aussehen wie das manuell ausgefüllte und geschrieben Formular. Erst das, was die Frau bei der Auftragsannahme da reingeschribbelt hat, dann die Notizen der Fahrer und zweimal meine Unterschrift (Auftrag und Empfang).

Jo. Hat was. Wenn’s funktioniert, wie ich mir das gerade vorstelle, nicht schlecht.

Hat natürlich den Haken, dass es (jedenfalls meines Erachtens) rechtlich nahezu substanzlos wäre und keine Beweiskraft hätte, weil zu leicht zu manipulieren.

Was aber womöglich gar nichts macht, denn ich beobachte so häufig, dass man irgendwo irgendetwas auf elektronischen Touchpads unterschreibt oder quittiert, was eigentlich wertlos und rechtlich unbeachtlich ist. In allen Fällen drängt es sich aber auf, dass die Einsparung durch die Automatisierung und Effizienzsteigerung des Verfahrens höher ist, als das Risiko, wenn mal einer abstreitet. Ich beobachte das häufig, dass man auf rechtsverbindliche und beweisbare Unterschriften verzichtet, das Rechts- und damit verbundene Kostenrisiko in Kauf nimmt (das so hoch wohl auch gar nicht ist), und sich dafür über Einsparungen freut.

Allerdings habe ich die Befürchtung, dass die Gerichte diesem Trend folgen und irgendwann (oder schon jetzt) nicht mehr trennen können zwischen echter und Pseudo-Unterschrift. Denn irgendwann gilt so eine Pseudo-Unterschrift als „normal” und „das machen wir immer so”. Dass man meine Unterschrift damit beliebig auf alle anderen Formulare übertragen kann, könnte womöglich nicht mehr jedem so ohne weiteres einleuchten.

Andererseits: Wenn sie Kosten sparen, ist mir das ja auch recht. Denn jeden zusätzlichen Aufwand, den sie treiben, muss letztlich ich als Kunde bezahlen.

16 Kommentare (RSS-Feed)

Michael
18.10.2014 20:20
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Die Technologie gibt’s schon seit ein paar Jahren auch für den Hausgebrauch, z.B. die Smartpens von Livescribe (http://www.livescribe.com/uk/smartpen/). Preis für die Endkundenversion liegt eher um die 100-200 Eur, der Stift speichert Schrift und Zeichnungen in internem Flash und kann die Vektordaten später an einen Rechner übertragen. Das Papier kann man (teuer) kaufen oder theoretisch selbst drucken. Letzteres hat bei mir aber noch nie funktioniert…


Peter
18.10.2014 20:20
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Willkommen in der Zukunft, die Technik ist ja erst 10 Jahre auf dem Markt (für Endkunden).
Für Normalsterbliche gibt’s die Stifte auch einiges billiger: http://www.livescribe.com/de/smartpen/ls3/


Hadmut
18.10.2014 20:41
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@Peter:

> Willkommen in der Zukunft, die Technik ist ja erst 10 Jahre auf dem Markt (für Endkunden).

Habe ich schon vor 10 Jahren gesehen, aber entweder immer nur mit speziellem Klemmbrett und Sender, um die Position aufzufangen, oder mit Bewegungssensor, der nur die Bewegungen aufnimmt, sie aber nicht einem bestimmten Formular oder einer bestimmten Position auf dem Papier zuordnen kann. Die Variante mit dem „Pixel-Papier” kannte ich noch nicht.


Emil
18.10.2014 20:21
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Hadmut
18.10.2014 20:39
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@Emil: Ja, genau das.


Pete
18.10.2014 20:59
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Ach da ist der beruehmte “Wahlstift” gelandet, den man in Hamburg(?) als Wahlcomputerersatz einfuehren wollte. Wenn ich mich recht erinnere, basiert der auch auf dem Pixelpapier, um den “Ankreuzort” auf dem Wahlzettel feststellen zu koennen.


manolo
18.10.2014 23:09
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Wollte nach Chat Hamburg oder so solches Papier und entsprechende Stift für wählen verwenden?


Ines
18.10.2014 23:20
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Hast du den Wahlstift-Hack des CCC nicht mitbekommen? Das war die gleiche Technologie.


Hadmut
19.10.2014 11:56
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> Hast du den Wahlstift-Hack des CCC nicht mitbekommen?

Nein.

Wie sich vielleicht herumgesprochen hat, bin ich kein Fan des CCC und verfolge deshalb auch nicht im Detail, was die treiben.


Peter_S
18.10.2014 23:25
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Ich denke mal das ist von http://www.anoto.com . Gab’s früher mal als OEM Produkt von Logitech. Hab ich als Berater mal eine Zeit lang benutzt. Da man aufs Papier gekrizzelte Skizzen nachher seinem Gesprächspartner elektronisch zuschicken konnte…..


datenwolf
19.10.2014 1:13
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Die Technik ist uralt. Hamburg wollte das Ding doch glatt mal als Grundlage für elektronische Wahlerfassung nutzen. Als Informatiker mit Spezialgebiet “Systemsicherheit” darfst Du jetzt 10s lang überlegen, wieso das eine Scheißidee ist und wie der CCC die Sache dann auch vor der Presse als Bullshit vorgeführt hat.

Ich werde das hier jetzt nicht Spoilern, einfach die Suchmaschine des geringsten mißtrauens nach “CCC Hamburg Wahlstift” fragen.


Heinz
19.10.2014 18:01
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> Wie sich vielleicht herumgesprochen hat, bin ich kein Fan des CCC und verfolge deshalb auch nicht im Detail, was die treiben.

Macht manchmal schon Sinn sich das anzuschauen.


PG
19.10.2014 19:56
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Sowas ähnliches gibts auch in Spielzeug: “Lernbücher” der Marken “Tiptoi” und “Ting”.

Das sind Bücherreihen und ein elektronischer Stift, der anhand des Musters die Position (Buchname, Seitenzahl, Koordinaten) erkennt und daraufhin aus einem Dateisystem heraus das richtige Gequassel/Lied/Spiel auf seinem integrierten Lautsprecher (oder elternschonender: Kopfhörerausgang) abspielt.


Angelo Neuschitzer
19.10.2014 19:58
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Das gibts (so ähnlich) auch als Kinderspielzeug und heißt dann “Tip Toy”.

Ein Stift der nicht schreibt mit dem man aber Spielzeug (z.B. Bücher oder Adventskalender) mit Sound versehen kann.

Coole Sache, haben wir auch.


Willi
20.10.2014 11:10
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> Die verfügbare Anzahl an einmaligen Pattern-Seiten entspricht einer Fläche von ca. 60 Millionen Quadratkilometern!

Das suggeriert man würde mit dem Stif die ganze Seite einscannen.

Praktisch scannt man nur sehr wenig ein, so dass es sehr viel weniger einmalige Seiten geben sollte. Da scheint es mir Sicherer eine Lieferschein-ID einzuscannen, anstatt mich auf Pixel zu verlassen.

Willi


Bernd
29.10.2014 16:54
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Hallo Hadmut, die Technik ist schon älter (ca. 10 Jahre) und funktioniert gut, zwei Firmen die sie einsetzen sind mir persönlich bekannt.

1.) Vertrieb medizinischer Produkte – Der Kunde füllt das Formular mit dem Außendienstler aus, der Stift ist mit dem Smartphone gekoppelt und alles geht direkt in die Zentrale. Früher hat der Außendienstler die Formulare in Papierform gesammelt und dann später abgegeben.

2.) Krankenhaus – Formulare die Patienten ausfüllen gehen direkt digital in die Akte. Der Arzt hat alle Unterlagen sofort griffbereit.

Heute würde vermutlich gleich auf Tablets zurückgegriffen, auf denen die Formulare digital ausgefüllt werden. Das war vor 10 Jahren ja noch nicht absehbar.