Ansichten eines Informatikers

Hieroglyphen für Analphabeten

Hadmut
6.11.2015 0:56

Seltsame Entwicklung unserer Verblödungs-Gesellschaft

Immer wieder liest man davon, dass unsere Schüler immer schlechter sind und Eltern nicht mehr auf Lesen, Grammatik und Rechtschreibung hinwirken, weil sie es selbst nicht mehr verstehen. Es wird inzwischen sogar an vielen Schulen gelehrt, auf Rechtsschreibung zu pfeifen und einfach so zu schreiben, wie man meint, das Wort gehört zu haben.

Unsere Sprache verblödet, und wird immer primitiver. Nicht nur die Vertwitterung ist Symptom und womöglich auch Ursache. Generell ist ein Trend zum Primitiven zu beobachten. Sätze ohne Nebensätze. Immer einfachere Strukturen. Und was mir vor allem auffällt, der massive Schwund des Wortschatzes.

Früher galt mal, dass ein sehr gebildeter Mensch einige zigtausend Wörter in seinem passiven Wortschatz hat, und viele davon, bis zu zehntausend, auch in seinem aktiven Wortschatz, jedenfalls beim Schreiben. (Der Schreib-Wortschatz ist größer als der Sprech-Wortschatz.)

Selbst ein durchschnittlicher Mensch hatte bis vor einigen Jahren noch einen aktiven Wortschatz von mehreren tausend Wörtern. Irgendwo habe ich aber mal gelesen, dass man in Deutschland inzwischen reichlich Leute findet, deren aktiver Wortschatz deutlich, teils drastisch unter 1.000 liegt, und der passive auch nicht viel höher ist. Was wohl damit zusammenhängt, dass wir auch wieder mehr Analphabeten haben.

Mir fällt das vor allem bei jungen Frauen und im Genderismus auf, dass da eine Art Veramerikanisierung stattfindet: Geistig-inhaltlich verengt man sich immer stärker auf einige wenige Standardsituationen, und bildet sich für diese Situationen einen einzelnen Standard-Grunzlaut, inhaltlich völlig bedeutungslos und beliebig, der fast immer mit einer bestimmten Sprechweise, Betonung und Melodie verbunden wird, weil die Erkennung nicht mehr über Verstehen, sondern eine Art melodischer Emotionalsynchronisation erfolgt. Es wird eigentlich nichts mehr gesagt, sondern nur eine Art Jingle wie im Radio, ein akkustisches Wiedererkennungszeichen für eine gewisse Standard-Situation, Standard-Emotion gesendet.

Oh my god (abgekürzt OMG, Englisch)
Hört man von Amerikanerinnen – besonders von jungen – ständig und andauernd, um auszudrücken, dass irgendwas schlimm, peinlich, außer Kontrolle geraten ist. Wird in Tonhöhe, Geschwindigkeit, Intonation, Wiederholhäufigkeit varriiert, aber niemals verbal davon abgewichen.
Uh-oh (Englisch, mittlerweile auch deutsch)
Eine Situation, in der Gefahr droht oder etwas schief läuft.
Whoa (Englisch)
Früher ein Reiter-Kommando an ein Pferd, heute Universal-Grunzlaut, um jemanden, der sich an etwas stört, wie ein durchgegangenes Pferd hinzustellen und ihn zu beruhigen. Ich kannte mal jemand, unsympathischer Zeitgenosse, der jede Form von Kritik oder Nicht-Zustimmung von oben herab mit „Ruhig, Brauner!” unterbrach und Leute wie Pferde behandelte.
Okääääeeeeee (Deutsch)
Ein langgezogenes bedächtig-schräges Okay, um Erstaunen und trotzdem Zustimmung zu signalisieren. Nicht irgendwie „Ja”, oder „Besorg’s mir” oder sowas, einfach so ein dämlicher langgezogener Laut.
…Hallo!? (Deutsch)
Nichtzustimmung, man hält jemanden für blöd oder ignorant, und will ihn auch so hinstellen. Begründung gibt’s nicht mehr.
Hass (Deutsch)
Im Gender-, Polit- und Journalismusumfeld einziger Universalbegriff für jede Form abweichender Meinung, gelegentlich auch unterlassene Zustimmung. Keine Begründung, kein Differenzierung, nur eine Brachialkategorisierung.

(Ist mir schon so oft aufgefallen, hat mich aber gerade wieder dran erinnert, weil ich irgendwo einen ähnlichen Artikel zur Verrotzung der Sprache durch Hallo und Okay gelesen habe, finde ich aber nicht mehr.)

Mit der Reduzierung des Sprachschatzes und die Beschränkung des Denkvorgangs auf eine Art Wiedererkennensmechanik von Grundsituationen mit Brachialkategorisierung (man sagt nicht mehr, warum man etwas für blöd hält, sondern verkündet das akkustische Signal, das mit der Situtation „Blödes gefunden” assoziiert ist, ohne das zu begründen oder zu überprüfen, und synchronisiert dadurch das Publikum mit sich selbst) geht natürlich eine unglaubliche Verblödung einher. Es findet letztlich kaum noch oder gar keine inhatliche Kommunikation mehr statt, auch kein Denkvorgang. Mir ist etwas Ähnliches vor Jahren mal auf einer Namibia-Reise aufgefallen, bei der die Frauen in der Reisegruppen (allerdings im Rentneralter) auch ständig belanglos aber unaufhörlich schnatterten, nicht um etwas zu sagen, sondern um sich ständig emotional zu synchronisieren, zu verschränken, und sich ständig zu vergewissern, dass die anderen genauso fühlen. Ganz schrecklich. Und so dämlich. Es geht überhaupt nicht mehr um irgendwelchen Informationsaustausch oder Neuigkeiten, sondern nur noch darum, sicherzustellen und zu prüfen, dass sich die Gruppe in einem einheitlichen Emotionalzustand befindet, oder zumindest den eigenen mitzuteilen. Es wird nicht mehr die Situation beschrieben, sondern signalisiert, wie man sich fühlt, weshalb man auch mit so wenigen Grunzlauten auskommt.

Man merkt das auch in vielen elektronischen Korrespondenzen und Social Media: Standardfloskeln und -Abkürzungen, und natürlich ganz viele Emoticons.

Warum ich darüber schreibe?

Nun, Finnland hat jetzt offiziell eigene Emoticons herausgegeben. 30 an der Zahl. Riecht verdammt nach solchen Standard-Situationen und -Emotionen.

Da wird Schriftsprache durch eine Piktogramm-Sammlung ersetzt.

Wobei das an sich ja nicht neu ist. Sowohl die ägyptischen Hieroglyphen, also auch die chinesischen Schriftzeichen sind auch nichts anders als beschreibende Piktogramme.

Insofern haben wir damit eine Art Wandlung von unserer Lautschrift hin zu einer Piktogrammschrift oder zu Hieroglyphen.

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[…] diese Fragen kam ich, als ich neulich einen Blogbeitrag bei Hadmut Danisch las, der sich im Zusammenhang mit der Fähigkeit,  in ganzen Sätzen und Texten reden und […]