Malediven: Der dritte Red Snapper
Malediven, Gulhi, Mittwoch, 2.12.2015
Nach einem so schönen Tag zuvor war ich morgens voller Tatendrang und Elan aufgestanden und wollte mich weiter im Paradies suhlen.
Aber ach.
Draußen finster und bewölkt, ein tropischer Sturm kommt auf. Alle geplanten Ausflüge sind abgesagt, auch die Bewohner der Insel verkriechen sich in ihren Häusern. Hin und wieder ein paar lichtere Momente.
Ich habe noch versucht, rund um die Insel Gulhi zu schnorcheln, es wird aber nichts. Der Juniormanager hatte mich noch gewarnt, nicht zu riskant rauszuschwimmen, da gäb’s Strömungen, die nicht ungefährlich wären. Als bleibe ich dicht an der Insel, komme dadurch aber auch nur in etwa knie- bis hüfttiefes Wasser, in dem es absolut nichts zu sehen gibt, weil nur Sand. Zudem ist die See aufgewühlt, der Sand treibt im Wasser herum, nichts mehr da vom glasklaren Wasser, Sichtweite ein bis zwei Meter. Macht keinen Spaß.
Und während ich tags zuvor bei den Riffen und um die Sandbank herum nicht die geringste Spur von Dreck oder Abfall entdeckt hätte, fast alles von tadelloser Natürlichkeit (auf der Sandbank lagen zwei Plastikflaschen herum, die so, wie sie lagen, auch angeschwemmt worden sein könnten), findet sich im Wasser direkt vor Gulhi doch die ein oder andere Tüte oder Konservendose, und – igitt – ein Abflussrohr mit Stutzen aus den Häusern. (Stellte sich dann später aber doch als harmlose Regendrainage heraus. Sie haben aber auch Abwasserrohre, die ins Meer gehen. Eine Kläranlage oder sowas hätte ich da nämlich nicht entdeckt. Ich habe zwar Wassertanks gesehen, die aber angeblich nur für Frischwasser sind.)
Eigentlich war die Sonne dabei wieder kurz rausgekommen, aber als ich das Schnorcheln vor Gulhi wegen Aussichtslosigkeit – im Wortsinn – gerade aufgeben wollte, fing es plötzlich heftig an zu regnen. Da wird man beim Schnorcheln auch noch nass. Also raus aus dem Meer, und mit dem Schnorchelkram einmal quer über die Insel zurück zum Hotel, weil ich einen Teil der Insel schon umrundet hatte. Dann dachte ich mir aber, der Regen ist warm, die Luft ist es auch, eine lange Badehose und ein Wetshirt habe ich schon an, ne wasserdichte Kamera obendrein, und noch nässer, als gerade aus dem Meer gestiegen kann ich auch nicht werden, also machte ich pitschenass und im strömenden Regen eine Dorfbesichtigung mit Fotos (hab ich Euch früher schon zum Thema Regen gezeigt). Barfuß durch die Pfützen (es gibt auf der Insel keinen einzigen asphaltierten oder mit Platten belegten Weg, alles nur Sand.), I’m Singing in the Rain. War nämlich warm. Die Leute von der Insel hielten mich für bekloppt. Amüsant, zwar. Aber bekloppt. Springt im reifen Alter im Regen herum und hüpft durch die Wasserpfützen. Später kamen dann ein paar Kinder dazu und sind mir im Regen rumgelaufen.
Trotzdem war der Tag irgendwie gelaufen. Zum Abend hin beruhigte sich das Wetter und das Personal meinte, sie hätten für Notfälle doch noch was in petto und was organisiert, wir könnten zum Nachtfischen. Prima, ich nehm alles, egal was.
Also zusammen mit den Taiwanesen, noch einem mir unbekannten Touristen und einem vom Hotelpersonal zum Hafen und dort kurz vor Dämmerung auf einen schon etwas maroden, offenen Fischerkahn.
Und dann rausgefahren. Ich habe übrigens dabei herausgefunden, warum es »Nachtfischen« heißt: Sie fischen nachts. So im Dunkeln.
Und dann da irgendwo die Angelschnüre ausgeworfen. Nix mit Angerute und so, einfach um alte Ölflaschen gewickelte Angelschnur abgewickelt und rausgehängt. Anfangs in der Dämmerung auch kaum etwas gefangen, das kam mir alles sehr ineffizient vor, denn ich hatte den Eindruck, dass wir mehr Köderfleisch verbrauchen als neuen Fisch rausziehen. Und satt werden, schon gleich gar nicht.
Erst als es dann ganz finster war, ging das plötzlich los. Schwuppdiwupp, da mal einer, dort mal einer. (Keine Ahnung, wie die Fische bei pechschwarzer Nacht und in großer Tiefe den Köder überhaupt so exakt wahrnehmen können.)
Und dann: Ich habe den größten Fisch gefangen, so ein Riesenvieh.
Äh, mmh, also, um ehrlich zu sein: Es ist gleich doppelt gelogen. Es war nämlich nicht der größte. Und genaugenommen habe ich damit eigentlich auch gar nichts zu tun gehabt.
Ich hätte da gar nichts gefangen. Weil ich nicht wusste, wie man das da macht und was da überhaupt wo rumschwimmt und auf welchen Köder und welche Haken abgeht. Ich hätte da halt einen Haken reingehängt, paar Meter Angelschnur gegeben und mich gewundert, warum nichts passiert. (Und um nochmal ehrlich zu sein: Ich habe den Haken so reingehängt und ich habe mich darüber gewundert, warum nichts passiert.) Der Profifischer da hat das dann für mich gemacht: Richtigen Haken wählen, Köder dran, und dann die Schnur so gefühlte 20 Meter tief rein, bis man spürt, dass der Haken den Grund berührt, und dann wieder ca. einen dreiviertel Meter hochziehen. Dann hat er mir die Schnur in die Hand gegeben und gesagt, ich soll sie einfach halten, bis was dran zappelt.
Zweimal habe ich auf diese Weise auch Kleinvieh gefangen.
Aber dann: Ein Mords-Ruck, und dann richtig Zug und Kraft auf der Leine. He, Leute, ich hab den Weißen Hai persönlich am Haken! (Und habe dabei insgeheim gehofft, dass ich da nicht nur ne Klobrille oder ein Fahrrad eingehakt habe.)
Beim Versuch, das Vieh da rauszuziehen hatte ich aber enorme Probleme, weil nicht damit geübt, wie man mit so eine Angelschnur umgeht, und das Monster am anderen Ende war wirklich stark, die Schnur hat mir dann auch sehr schmerzhaft in meine zarten, hochsensiblen Informatikerhände geschnitten. Kam mir schon vor wie Der Alte Mann und das Meer. Der Fischer nahm mir dann die Schnur ab und meinte, so würde ich den nie rausbekommen, da würde höchstens die Schnur reißen. Und dann hat der da einen Tango mit dem Fisch hingelegt, immer wieder nachgegeben und im richtigen Augenblick gezogen, wenn der Fisch gerade mal verschnaufen musste.
Nach einer Weile war das Monster dann tatsächlich an Bord. Ich habe da wirklich ein Riesen-Vieh gefangen, ganz enormes Anglerglück, der, also ungelogen, ich schwör’s, gut und gerne seine, öh, ja, schon 30 cm hatte. Also mit Schwanzflosse. Muss wohl ein Bodybuilder gewesen sein. Die drei Taiwanesinnen krähten, ich sei ein Held.
Ich weiß.
(Mich plagt seither allerdings schon die Frage, ob da nicht doch auch so eine hinterasiatische Art subtilen Spottes beteiligt war…)
Es wurde feierlich verkündet, dass ich den größten Fisch gefangen hätte.
Obwohl ich ihn nicht gefangen, sondern nur mal zwischendurch die Hand an der Schnur hatte. Und obwohl’s nicht der größte war, der Fischer hatte hinten so ganz nebenbei noch größere gefangen. Das hat man aber höflicherweise gar nicht erst erwähnt, sondern ist dem Grundsatz gefolgt, dass stets die zahlenden Touristen den größten Fisch gefangen haben, immer.
Naja es läpperte sich, die Fische wurden in der Bilge gesamelt, insgesamt kam an dem Abend mehr als ein großer gehäufter Eimer voll zusammen.
Und dann passierte noch etwas Kurioses.
Eigentlich waren wir fertig, es war stockfinstere Nacht geworden, nur weit in der Ferne noch ein paar Lichter von den Inseln zu erkennen, und man hätte die Hand vor Augen nicht mehr gesehen, wenn sie nicht irgendwann die Bootsbeleuchtung angeschaltet hätten, die aus einem schlichten Baustrahler an einer Stange bestand. Sie meinten dann, das war’s jetzt, wir fahren zurück, und gaben Gas, das Wasser hat dann auch richtig gespritzt. Ich habe dann die Kamera weggepackt, weil es eben spritzte und ich annahm, es gäbe nichts mehr zu sehen.
Ein Fehler. Deshalb habe ich kein Foto.
Während der Fahrt saß ich weiter an meinem bisherigen Platz auf der Abdeckung des Lagerraums, eigentlich zur Seite hin, aber den Blick nach vorne in Fahrtrichtung.
Auf einmal bekam ich urplötzlich und ohne jede Vorwarnung einen heftigen stumpfen Schlag gegen das Schienbein, so wie früher in der Umkleide der Schulturnhalle beim Schlag mit dem nassen Handtuch. Ich guckte natürlich nach unten und vor mir zappelte wie blöde ein Fisch auf den Schiffsplanken, sprang da hin und her. Verdammt, wo war der den hergekommen? Mein erster Gedanke war, dass mich da einer im Spaß foppen wollte und einen Fisch nach mir geworfen hat. Fischbumerangwerfer aus der Muppets-Show. Die anderen hatten das aber noch gar nicht bemerkt. Der zweite Gedanke war, dass die Fischer da einen nicht richtig erledigt hätten und der wieder wachgeworden war, aber erstens hätte der von der tiefen Bilge da gar nicht wieder hochspringen können, und zweitens: Der war lang, schmal und silber, fast in Herings-Form. Sowas hatten wir gar nicht gefangen.
Blitzschnell hat aber der Fischer das Viech eingefangen und uns gezeigt:
Ein fliegender Fisch.
Ich hatte die vor Australien und Neuseeland schon gesehen (und würde sie ein paar Tage später vor den Malediven auch nochmal fliegen sehen), aber immer nur aus einiger Entfernung und nur mit dem Teleobjektiv zu erfassen. Manche Leute glauben mir nicht einmal, dass es sowas gibt, wenn ich davon erzähle, „Fliegende Fische”, Hadmut, Du spinnst ja! Was erzählst Du uns da für einen Mist? Aber die gibt’s eben wirklich, und nicht mal selten, so viele habe ich inzwischen schon gesehen. Und die können durchaus auch so 100, 200, vielleicht sogar 300 Meter weit fliegen. Richtig fliegen. Als ich die das erste Mal gesehen habe, dachte ich zuerst, das wären Vögel. Manche glauben nicht, dass es sie gibt. Andere freuen sich, sie aus großer Entfernung zu sehen. Und mir fliegt so ein Vieh vor’s Bein, offenbar irritiert durch den Baustrahler.
Der Fischer hat uns den dann gezeigt. Eigentlich überhaupt nichts besonderes. Lang, schmal, silbrig, fast wie in Hering. Nur dass eben die vorderen Seitenflossen hinter den Kiemen enorm vergrößert sind und die Größe eines Vogelflügels erreichen, praktisch so lang sind, wie der ganze Fisch. Und damit können die richtig fliegen. Nicht viel höher als einen halben oder auch mal einen ganzen Meter über dem Wasser, jedenfalls genug, um über die Wellen zu kommen. Aber ziemlich schnell, ziemlich weit und entgegen anderslautenden Behauptungen zwar als gute Segler, aber nicht nur als Segler, sondern auch zu Flügelschlägen in der Lage.
Ich hätte den so gerne fotografiert, denn Nahfotos von fliegenden Fischen sind extrem selten. Leider hatte der Fischer den schon wieder ins Wasser geworfen, bevor ich die Kamera raushatte, der sollte nicht in den Kochtopf. Keine Ahnung, warum. Schmecken wohl nicht oder sowas.
Zurück ins Hotel, Duschen, Umziehen, Abendessen.
Bei der Tour waren nicht nur Touristen und Fischer dabei, sondern auch einer vom Hotel. Der hat die Fische direkt in der Küche abgeliefert, und brühwarm erzählt, wer was „gefangen” hat. An der Rezeption wurde ich dann schon als der Bezwinger des Tiefseemonsters gefeiert.
Zum Abendessen war es dann selbstverständlich und bereits zubereitet, dass jeder das zu essen bekam, was er gefangen hat.
Während die Taiwanesen am Nachbartisch eine ganze Schüssel gebratenen Kleinviehs bekamen, wurde mir mein Riesenfisch, ein großer Red Snapper, nach lokaler Sitte gebraten und mit Gemüsereis serviert:
Das war eindeutig zuviel des Guten.
Nicht nur war das Vieh zu groß für mein Abendessen, die Hälfte hätte mir völlig gereicht, den Rest habe ich eher aus Höflichkeit und um die Leute nicht zu beleidigen in mich reingestopft, obwohl der sehr gut war.
Die Sache war nämlich die: Sie haben zwei Köche, die sich tagsüber abwechseln. Deshalb wusste der Koch abends nicht, was ich mittags gegessen hatte.
Wegen des Sau-Wetters nämlich hatte ich mittags beschlossen, dafür edel zu essen und mir – wenn schon auf einer kleinen Insel im Meer – einen schönen Fisch zu genehmigen. Da wusste ich von dem Nachtfischen ja noch nichts. Sie haben acht oder neun Arten Fisch auf der Speisekarte, und was hatte ich zum Mittagessen gewählt?
Ausgerechnet Red Snapper. Weil ich den vorher nicht kannte.
Bereits der Koch zum Mittag dachte aber, Deutsche sind Helden und Berserker, rennen noch dazu im Regen rum, die brauchen was auf dem Teller, um satt zu werden. Deshalb meinte der das extra-gut mit mir und hat mir zum Mittagessen bereits statt einem normalen Red Snapper eben zwei auf den Teller gepackt.
So kam es, dass ich an diesem Tag gleich drei Red Snapper gefressen habe.
Zwei mittlere, einen großen.
Nebst Beilagen.